Wenn die Augen auf eine akute Mononukleose hinweisen
Hoagland-Zeichen

Wenn die Augen auf eine akute Mononukleose hinweisen

Coup d'œil 1
Ausgabe
2022/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08992
Swiss Med Forum. 2022;22(36):605-606

Affiliations
a Medbase Bern Bahnhof, Bern; b Family Medicine Institute, Faculty of Biomedical Sciences, Università della Svizzera Italiana, Lugano
*Geteilte Erstautorschaft

Publiziert am 07.09.2022

Eine 18-jährige Patientin stellte sich mit seit drei Tagen bestehenden Halsschmerzen, frontalen Kopfschmerzen und einer leichten Schwellung beider Oberlider notfallmässig vor.

Fallbeschreibung

Eine 18-jährige Patientin stellte sich mit seit drei Tagen bestehenden Halsschmerzen, frontalen Kopfschmerzen und einer Schwellung beider Oberlider auf unserem Walk-in-Notfall vor. Die Oberlidschwellung sei in den vorausgegangenen Tagen ausgeprägter gewesen. Ageusie, Anosmie und Husten wurden verneint. Kontakt zu Personen mit COVID-19 hatte die Patientin nicht gehabt. Allergien waren keine bekannt, und in den letzten Wochen hatte die Patientin keine Medikamente eingenommen. Die junge Frau war in einer festen Beziehung, der Partner war gesund.
Klinisch präsentierte sich die Patientin afebril (36,2 °C) und in gutem Allgemeinzustand. Es fiel eine Schwellung der Oberlider beidseits auf, was der Patientin den Ausdruck eines «sleepy face» verlieh (Abb. 1).
Enoral waren die Tonsillen beidseitig geschwollen und gerötet, mit wenigen konfluierenden weissen Belägen. Es fiel zudem eine schmerzhafte Lymphadenopathie angulär beidseits auf. Der übrige HNO-Status sowie die kardiopulmonale Untersuchung waren normal.
Bei den Laboruntersuchungen (komplettes Blutbild, C-reaktives Protein [CRP], Leberwerte) fand man einen leicht erhöhten CRP-Wert (16 mg/l; Normwert <5 mg/l) sowie eine normwertige Lymphozyten-Zahl (2,6 G/l; Normwert <3,2 G/l) und eine normwertige Leukozyten-Gesamtzahl (7,2 G/l; Normwert <10,7 G/l) mit einem Wolf-Quotienten (Lymphozyten/Leukozyten-Gesamtzahl) [1] von 33,6%. Ansonsten waren die Werte normal. Wegen eines nach McIsaac modifizierten «Centor Score» von 3/5 wurde ein Rachenabstrich genommen und auf Streptokokken A untersucht; das Ergebnis war negativ. Eine Untersuchung auf Epstein-Barr-Virus-[EBV-]heterophile-IgM-Antikörper (AXPress® Mononukleose Test; Sensibilität 99%, Spezifizität 98%), die in Anlehnung an das von Lennon [2] vorgeschlagene Diagnoseschema für die akute infektiöse Mononukleose durchgeführt wurde, fiel hingegen positiv aus.
Bei Verdacht auf eine akute infektiöse Mononukleose begannen wir eine symptomatische Therapie mit Diclofenac 50 mg p.o. dreimal täglich für drei Tage, Chlorhexidin-Spray für die buccale Anwendung (Collunosol® N Nebul) und Cetylpyridin-Lidocain-Halspastillen (neo-angin® forte) in Reserve. Bei der Verlaufskontrolle zwei Tage später war die Oberlidschwellung komplett verschwunden (Abb. 2) und die Halsschmerzen waren deutlich regredient.

Diskussion

Die Diagnose einer akuten infektiösen Mononukleose ist oft eine Herausforderung, weil sich das klinische Bild heterogen präsentiert. Die Betroffenen stellen sich meistens mit starken Halsschmerzen und einer Lymphadenopathie, manchmal aber auch mit rechtsseitigen Oberbauchschmerzen mit/ohne Ikterus, Fieber und/oder einem morbilliformen Exanthem vor. Die Diagnose kann aufgrund des Blutbildes vermutet (Lymphozytose, [Pseudo-]Monozytose, Wolf-Quotient >35%) und durch eine positive EBV-Serologie bestätigt werden. Um unnötige weitere Untersuchungen zu verhindern, ist eine frühzeitige Erkennung der Krankheit wichtig.
Das Hoagland-Zeichen, bestehend aus einer symmetrischen Oberlidschwellung, ist ein klinisches Symptom, das im Frühstadium der akuten infektiösen Mononukleose beobachtet werden kann. Es wurde erstmals im Jahr 1952 von R. J. Hoagland beschrieben [3]. Gemäss Literatur beträgt die Prävalenz 3,6–50,0% [3–5]. Eigene Beobachtungen haben eine Häufigkeit von circa 50% ergeben.
Die symmetrische Oberlidschwellung verringert die Augenöffnung, was zum charakteristischen Erscheinungsbild des «sleepy face» führt. Die Pathogenese des Hoagland-Zeichens ist unklar, obwohl eine Obstruktion der Lymphgefässe oder eine Entzündung der Drüsen im Augenlid als Ursache vermutet wird [5].
Zur Differentialdiagnose der Oberlidschwellung gehören das Angioödem, die Kontaktdermatitis, die Zellulitis, die Hepatitis B, die Trichinose, die Trypanosomiasis und der Morbus Basedow sowie Kollagenosen. Ausserdem tritt die Oberlidschwellung als unerwünschte Arzneimittelreaktion einiger Medikamente auf.

Fazit

Ein schriftlicher Informed Consent für die Publikation liegt vor.
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. Gabriel Bronz
Medbase Bern Bahnhof
Parkterrasse 10
CH-3012 Bern
1 Wolf DM, Friedrichs I, Toma AG. Lymphocyte-white blood cell count ratio: a quickly available screening tool to differentiate acute purulent tonsillitis from glandular fever. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2007;133(1):61–4.
2 Lennon P, Crotty M, Fenton JE. Infectious mononucleosis. BMJ. 2015; 350:h1825.
3 Hoagland RJ. Infectious mononucleosis. Am J Med. 1952;13(2):158–71.
4 Sumaya CV, Ench Y. Epstein-Barr virus infections in families: the role of children with infectious mononucleosis. J Infect Dis. 1986;154(5):842–50.
5 Kano Y, Kuki T. Young female patient with bilateral periorbital edema. Eur J Intern Med. 2020;75:93–4.