Herzchirurgie – Qualität, Fortschritt und «Heart Team»
Jubiläumsschlaglicht: Herz- und thorakale Gefässchirurgie

Herzchirurgie – Qualität, Fortschritt und «Heart Team»

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2022/0304
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09013
Swiss Med Forum. 2022;22(0304):49-51

Affiliations
a Service de Chirurgie Cardiovasculaire, HUG, Genève; b Klinik für Herzchirurgie, Herzzentrum, Luzerner Kantonsspital, Luzern

Publiziert am 19.01.2022

Die wichtigsten Entwicklungen in den letzten 20 Jahren der Herzchirurgie lassen sich in wenigen Worten beschreiben: Qualität, sehr gute Langzeitresultate, minimal-invasive Eingriffe, «Heart Team».

Einführung

Es waren turbulente, zugleich herausfordernde und spannende 20 Jahre für die Herzchirurgie in der Schweiz. Verschiedenste Entwicklungen haben die Herzchirurgie geprägt und gleichzeitig unter Druck gesetzt, was wiederum zu Neuem und stetig verbesserten Eingriffstechniken und Prozessen geführt hat.

Katheterbasierter Aortenklappenersatz, «Heart Team»

Es mag Zufall sein: Dieses Jubiläumsschlaglicht erscheint genau 20 Jahre nach der ersten Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI) und zeitgleich mit der Publikation gemeinsamer herzchirurgisch-kardiologischer Richtlinien zur Behandlung von Herzklappenerkrankungen [1]. Das Prinzip einer faltbaren, über die Leiste implantierbaren Herzklappe wurde durch die Industrie vor über 20 Jahren aufgegriffen und entwickelt. Dies führte schliesslich zur ersten klinischen Implantation einer TAVI durch Alain Cribier in Rouen, Frankreich, am 16. April 2002. Es hat die Herzmedizin in den letzten 20 Jahren bedeutend geprägt.
Die Herzchirurgie war zu Beginn in der Entwicklung von neuen Prothesen und Zugangswegen der TAVI stark involviert. So löste der direkte, chirurgische transapikale Zugang 2005 die komplizierte und von den Betroffenen schlecht tolerierte transvenöse, transseptale TAVI-Implantation ab. Eine erste Stellungnahme der Amerikanischen Fachgesellschaften für Herzchirurgie und Kardiologie bestätigte damals den transapikalen Weg als «Zugang der Wahl». Diese Aussage war jedoch mehr als die Technik, es war auch ein erster bedeutender Schritt in Richtung «interdisziplinärer» Zusammenarbeit von Herzchirurgie und Kardiologie. Heutzutage ist die eng verknüpfte Zusammenarbeit im «Heart Team» Standard in den Herzzentren [2].
Die Schweizerische Gesellschaft für Herz- und Thorakale Gefässchirurgie (SGHC) hat sich hier besonders engagiert und zusammen mit der Schweizer Gesellschaft für Kardiologie (SGK) in einer vielbeachteten Publikation schon vor Jahren den Aufbau und die Arbeitsweise eines solchen «Heart Teams» beschrieben [3].
In den letzten Jahren hat sich mit zunehmender Optimierung und Verkleinerung der TAVI-Einführsysteme die transfemorale TAVI durchgesetzt, da weniger invasiv und in Lokalanästhesie durchführbar. In vielen Herzzentren werden diese Eingriffe von kardiologischen und herzchirurgischen Fachpersonen gemeinsam durchgeführt.

Herzchirurgischer Aortenklappenersatz

Die aktuellen Richtlinien zu Behandlung von Herzklappenerkrankungen zeigen, dass bei Betroffenen mit einer Überlebensprognose von mehr als 5−10 Jahren weiter eine «offene» herzchirurgische Aortenklappenoperation und keine TAVI durchgeführt werden sollte [1]. Die hierbei implantierten Herzklappenprothesen wurden in den letzten 20 Jahren stetig weiterentwickelt, verbessert und insbesondere jene aus biologischem Material (aus «bovinem»-Perikard) haben eine lange Haltbarkeit von über 15 bis 20 Jahren und ein sehr gutes hämodynamisches Profil. Die herzchirurgisch implantierten Aortenklappen werden im Gegensatz zur TAVI nicht zusammengefaltet, damit nicht in der Struktur verletzt und können somit im Sinne eines «no touch»-Verfahrens implantiert werden. Neue Instrumente (CorKnot®, LSI-Solutions) erlauben hier eine besonders schonende Implantation. Der chirurgische Zugang wurde in den letzten Jahren immer kleiner, heute wird der «offene» Aortenklappenersatz immer häufiger mittels minimal-invasivem Zugang durchgeführt.
Zur vereinfachten Implantation von Aortenklappenprothesen wurden in Anlehnung an TAVI-Klappen selbstexpandierbare und sich selbst-verankernde Prothesen, sogenannte «rapid-deployment»-Klappen entwickelt. Diese werden nicht eingenäht, sondern verankern sich, wie TAVI-Prothesen, im Aortenannulus. Dies verkürzt die Aortenklemmzeit («Ischämiezeit»), damit die Operationsdauer und ist für minimal-invasiv Eingriffe gut geeignet. Diese Prothesen habe jedoch Nachteile ähnlich der TAVI, wie beispielsweise erhöhte Herzschrittmacher-Raten, paravalvuläre Leckagen und fragliche Langzeithaltbarkeit, da sie wie die transfemorale TAVI gefaltet werden.
Anzumerken, aber hier nicht weiter ausgeführt, sind bedeutende Entwicklungen in den letzten 20 Jahren in der Aortenklappenrekonstruktion mittels verschiedener Techniken, besonders erwähnt sei die Aortenklappenreimplantation (Operation nach David), Optimierungen der Techniken nach El-Khoury und nach Schäfers, der Aortenklappenersatz mit eigenem Perikardgewebe (Operation nach Ozaki) und die Ross-Operation. Für all diese Herzoperationen gibt es heute standardisierte und reproduzierbare Verfahren.

Herzchirurgische Mitralklappenrekonstruktion

Die herzchirurgische Mitralklappenrekonstruktion hat sich in den letzten 20 Jahren stark weiterentwickelt. Heutzutage können in über 90% der Fälle die Mitralklappen mit einem sehr guten langfristigen Ergebnis repariert werden. Eine Mitralklappenrekonstruktion ist bei Mitralklappeninsuffizienz immer anzustreben, weil das mittel- und langfristige Überleben der Patienten im Vergleich zum Mitralklappenersatz deutlich besser ist.
Der minimal-invasive Zugang über eine Minithorakotomie setzt sich immer mehr als neuer Standard durch und ist für die Erkrankten mit einer deutlich verringerten Invasivität und rascherer Erholung verbunden.
In den letzten Jahren hat sich auch die Technik der Mitralklappenrekonstruktion verändert hin zu einer physiologischeren Reparatur mit Implantation von neuen Sehenenfäden, sogenannte «Neochordae» (aus GORE-TEX®, USA), stets zusammen mit der Implantation eines Mitralklappenrings. Diese Rekonstruktionstechnik im Sinne eines «respect than resect»-Verfahrens ist verbunden mit der Implantation von grösseren Annuloplastieringen, beweglicheren Mitralklappensegeln und damit geringeren Gradienten über der Mitralklappe.
Aufgrund der hervorragenden Resultate der chirurgischen Mitralklappenrekonstruktion empfehlen Richtlinien von 2021 bei primärer Mitralinsuffizienz und operablen Erkrankten nur die chirurgische Mitralklappenrekonstruktion, dies selbst bei asymptomatischen Patienten, hingegen wird der «Mitraclip» nur bei inoperablen Erkrankten empfohlen [4].
Bei der sekundären Mitralklappeninsuffizienz besteht weniger ein Klappenproblem als vielmehr eine Erkrankung des linken Ventrikels. Dementsprechend ist die optimale Therapie, ob chirurgische Klappenreparatur, Klappenersatz, Mitraclip oder medikamentöse Behandlung kontrovers. Auch Studienergebnisse, wie z.B. in der COAPT- oder der MITRAFR-Studie, zeigen teils widersprüchliche Resultate auf.

Aortokoronare Bypass-Operation, Hybrid

Die aortokoronare Bypassoperation ist die am häufigsten durchgeführte Herzoperation mit weltweit über einer Million Eingriffe jährlich. Die letzten 20 Jahre haben diese klassische Herzoperation stark herausgefordert.
Nachdem am 16. September 1977 am Universitätsspital Zürich die erste Ballon-Angioplastie durchgeführt wurde, hat sich diese Therapie mit stetig neuen Stents (PCI) und optimierter Beschichtungen (DES) weiterentwickelt. Dies ermöglicht eine vereinfachte und weniger invasive Behandlung der koronaren Herzkrankheit.
Verschiedene, grosse und randomisierte Studien haben die Behandlung der koronaren Herzerkrankung mittels PCI/DES und der aortokoronaren Bypass-Operation miteinander verglichen. Einige der wichtigsten Studien waren FAME3, SYNTAX I, SYNTAX II, EXCEL, FREEDOM, NOBLE und weitere [5]. Es zeigte sich, dass insbesondere Personen mit schwerer koronarer Herzerkrankung und/oder jene mit Diabetes mellitus von einer aortokoronaren Bypass-Operation besser profitieren als von einer PCI/DES-Behandlung. Die mittel- bis langfristigen Resultate der chirurgischen Bypass-Operation sind bezüglich Re-Hospitalisationsrate, Auftreten eines Herzinfarktes und der Überlebensprognose der PCI/DES-Therapie überlegen.
In der akuten Behandlung der koronaren Herzerkrankung (NSTEMI, STEMI) ist die PCI/DES-Therapie der Bypass-Operation klar überlegen und hier die Therapie der Wahl.
Die Techniken der aortokoronaren Bypass-Operation haben sich in den letzten 20 Jahren stetig weiterentwickelt. Insbesondere die Bypass-Operation ohne Herz-Lungen-Maschine (HLM), die sogenannte «Off-Pump»-Herzoperation, war mit grossen Erwartungen assoziiert. Es zeigte sich jedoch, dass die «Off-Pump»-Koronarrevaskularisation nie bessere Resultate aufweisen konnte als ­Bypass-Operationen mit HLM. In Gegenteil, wurden ­«Off-Pump»- Bypass-Operationen nicht von absoluten Koronarspezialistinnen oder -spezialisten durchgeführt, dann wurden weniger Bypässe gelegt und die Qualität der Anastomosen war reduziert – die Betroffenen hatten mittel- und langfristig schlechtere Resultate. Entsprechend hat sich diese Technik nicht durchgesetzt.
Es werden heutzutage die überwiegende Anzahl an Bypass-Operationen mit HLM durchgeführt, teils mit verkleinerten HLM-Systemen (MECC), welche möglicherweise für die Betroffenen weniger belastend sind.
Der wichtigste Fortschritt in der Bypass-Chirurgie war jedoch die zunehmende Verwendung arterieller Bypass-Grafts. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass die Verwendung von mehr als einem arteriellen Graft (linke Brustwandarterie [LIMA]), also zusätzlich noch die Verwendung der rechten Brustwandarterie (RIMA) und/oder der Radialarterie, zu besseren mittel- und langfristigen Resultaten führt. Die Betroffenen haben damit weniger Re-Hospitalisierungsraten, weniger kardiovaskuläre Ereignisse und eine bessere Überlebensprognose. Deshalb ist heutzutage die Verwendung von mindestens zwei arteriellen Grafts (LIMA, RIMA, Radialis) bei unter 70-jährigen Erkrankten Standard. Die häufig befürchtete erhöhte Infektrate bei Verwendung beider Brustwandarterien konnte in den letzten Jahren mit optimierten Präparationstechniken und Antibiotikaprophylaxe-Schemata praktisch eliminiert werden. Zusätzlich werden heutzutage alle koronaren Bypässe intraoperativ einer dopplersonographischen Flusskontrolle unterzogen, so dass Flussprobleme direkt erkennbar werden und korrigiert werden können.
Anzumerken ist, dass in den letzten Jahren zunehmend Hybridverfahren, also eine Kombination aus minimal-invasiver Bypass-Operation durch Minithorakotomie und eine PCI/DES-Therapie, entwickelt wurden. Diese neue Therapie soll den Erkrankten das Beste aus beiden Behandlungsstrategien, also der Bypass-Operation und der PCI/DES-Therapie bieten, und dies bei minimaler Invasivität. Erste randomisierte Studien zeigen vielversprechende Resultate.

Beurteilung

Die herzchirurgische Therapie hat sich in den letzten 20 Jahren stetig weiterentwickelt, verbessert und optimiert. Diese Modernisierung war und ist dringend notwendig, weil neuere, weniger invasive Therapien (TAVI, PCI/DES, Mitraclip, medikamentöse Therapien) entwickelt werden und Erkrankte respektive Zuweisende diese auch fordern. Es zwingt die Herzchirurgie sich zu erneuern, teilweise auch in Zusammenarbeit mit den Kardiologinnen und Kardiologen in gemeinsamen «Heart Teams». Die Vorteile der herzchirurgischen Operationen liegen klar in der Qualität der Eingriffe und den hervorragenden mittel- bis langfristigen Resultaten. Entsprechend ist es auch für die SGHC von grösster Bedeutung, diesen beiden Themen «Qualität» und «mittel- bis langfristige Resultate» durch unsere Aktivitäten in Aus- und Weiterbildung sowie dem schweizweiten Herz-Register zur Erfassung aller klinischen Daten herzoperierter Erkrankter grosse Aufmerksamkeit zu schenken und diese zu entwickeln. Wir freuen uns auf die kommenden 20 Jahre!
1 Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Herz- und thorakale Gefässchirurgie (SGHC)
2 Präsident der Schweize­rischen Gesellschaft für Herz- und thorakale Gefässchirurgie (SGHC)
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Peter Matt
Klinik für Herzchirurgie
Herzzentrum
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
CH-6000 Luzern
Peter.Matt[at]luks.ch
1 Vahanian A, Beyersdorf F, Praz F, et al. ESC/EACTS Scientific Document Group. 2021 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. Eur J Cardiothorac Surg. 2021;60(4):727−800.
2 Vassiliades TA Jr, Block PC, Cohn LH, et al. Society of Thoracic Surgeons; American Association for Thoracic Surgery; Society for Cardiovascular Angiography and Interventions; American College of Cardiology Foundation; American Heart Association. The clinical development of percutaneous heart valve technology: a position statement of the Society of Thoracic Surgeons (STS), the American Association for Thoracic Surgery (AATS), and the Society for Cardiovascular Angiography and Interventions (SCAI) Endorsed by the American College of Cardiology Foundation (ACCF) and the American Heart Association (AHA). J Am Coll Cardiol. 2005;45(9):1554−60.
3 Pedrazzini GB, Ferrari E, Zellweger M, Genoni M. Heart team: joint position of the Swiss Society of Cardiology and the Swiss Society of Cardiac Surgery. Thorac Cardiovasc Surg. 2017;65(7):519−23.
4 Otto CM, Nishimura RA, Bonow RO, et al.; 2020 ACC/AHA Guideline for the management of patients with valvular heart disease: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Joint Committee on clinical practice guidelines. J Am Coll Cardiol. 2021;77(4):25−197.
5 Thuijs DJFM, Kappetein AP, Serruys PW, et al.; SYNTAX Extended Survival Investigators. Percutaneous coronary intervention versus coronary artery bypass grafting in patients with three-vessel or left main coronary artery disease: 10-year follow-up of the multicentre randomised controlled SYNTAX trial. Lancet. 2019;394(10206):1325−34.