«Es hat nie an Ideen gefehlt»
20 Jahre Swiss Medical Forum

«Es hat nie an Ideen gefehlt»

Aktuell
Ausgabe
2022/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09016
Swiss Med Forum. 2022;22(0102):16-18

Affiliations
Redaktorin Schweizerischer Ärzteverlag EMH

Publiziert am 04.01.2022

Vor 20 Jahren haben Natalie Marty und Reto Krapf das Swiss Medical Forum mit viel Herzblut und Engagement mitgegründet. Im Interview blicken wir mit ihnen auf diese zwei Jahrzehnte zurück und schauen in die Zukunft.

Natalie Marty, Reto Krapf, könnt ihr erzählen, wie es zur Gründung des Swiss Medical Forum (SMF) gekommen ist?
Natalie Marty (NM): Das SMF wurde drei Jahre nach der Gründung des Schweizerischen Ärzteverlages EMH «geboren», der 1997 als Gemeinschaftsunternehmen der FMH und der Schwabe AG entstanden war. Die von den beiden Aktionärinnen eingebrachten Zeitschriften waren die Schweizerische Medizinische Wochenschrift (SMW), in der sowohl Originalarbeiten als auch Fortbildungsartikel erschienen, und die Schweizerische Ärztezeitung (SÄZ), die den Fokus auf Standespolitik legte, auf Wunsch der FMH aber ab 1998 auch einen Fortbildungsteil enthielt. In einer Strategieklausur des EMH-Verwaltungsrates haben wir 1999 gemeinsam mit Reto Krapf eine Idee aus der Redaktion der SMW weiterentwickelt und Forschung und Fortbildung inhaltlich getrennt. So ist das «Drei-Säulen-Modell» der drei EMH-Kernprodukte entstanden: Standes- und Gesundheitspolitik in der SÄZ, Fort- und Weiterbildung im SMF sowie Forschung im englischsprachigen Swiss Medical Weekly.

Zur Person

Prof. Dr. med. Reto Krapf

Reto Krapf ist Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie. Er führte als Chefarzt verschiedene grosse öffentliche (St. Gallen, Bruderholz) und private Kliniken (Hirslanden Klinik St. Anna) für Innere Medizin und war Ordinarius für Innere Medizin in Basel. Er arbeitet als Chief Medical Officer und Mitglied der Geschäfts­leitung von SYNLAB Suisse SA. Seit 1993 ist er Redaktor im Schwabe- bzw. EMH-Verlag, von 2001–2014 als Chefredaktor des SMF. Er betreut heute im Swiss Medical Forum die Rubrik «Kurz und bündig».

Zur Person

Dr. med. Natalie Marty

Natalie Marty ist Medizinerin mit einer Managementausbildung (MBA). Sie war 14 Jahre lang Geschäftsleitungsmitglied der Schwabe AG, 21 Jahre lang Mitglied des Verwaltungsrates EMH und bis 2020 dessen publizistische Leiterin. Heute ist sie für die Zeitschrift Swiss Medical Weekly als Geschäftsführerin des Träger­vereins sowie als Managing Editor tätig sowie im infomed-Verlag als Mitglied des Redaktionsteams. Daneben ist sie selbstständige Beraterin für ­Fragen der medizinischen Publizistik.
Damals gab es bereits andere, gut etablierte Zeitschriften in der Schweizer Weiter- und Fortbildungslandschaft. Welchen Mehrwert konnte – und kann – das SMF bieten?
Reto Krapf (RK): Die Zweisprachigkeit sehe ich als ­einen Pluspunkt, der schon im Verlag sowie in den ­Redaktionen verankert war. Es wurde beschlossen, die nötigen Mittel zu investieren, damit die Texte in zwei Sprachen erscheinen konnten. Redaktionell hat das SMF heute eine starke Basis in der Westschweiz. Das war nicht selbstverständlich, denn zu Beginn gab es in der Redaktion nur eine französischsprachige Person.
NM: Die redaktionelle Unabhängigkeit haben wir immer sehr ernst genommen. Uns war es äusserst wichtig, dass die Redaktion über den Inhalt der Zeitschrift frei entscheiden konnte. Dazu kommt, dass alle Artikel von Fachexpertinnen und -experten geschrieben und peer-reviewed sind. Damit unterscheidet sich das SMF vom Modell des Medizinjournalismus. Rückblickend finde ich den Entscheid, eine Weiter- und Fortbildungszeitschrift für die ganze Schweiz zu gründen und Artikel in solcher Zahl von Expertinnen und Experten zu erbitten, sehr mutig.
Ist das SMF aufgrund dieser Merkmale erfolgreich gestartet?
RK: Der Start war insgesamt sehr gelungen. Die Profilschärfung der drei Kernprodukte hat dabei eine Schlüsselrolle gespielt. Es war rasch für alle klar, dass man das «blaue Heftli» für die eigene Weiter- und Fortbildung liest. Auch die Tatsache, dass das SMF an alle FMH-Mitglieder verschickt wird, hat bestimmt zum ­Erfolg beigetragen. Es war erstaunlich, wie die Leserschaft sofort mitgemacht hat. Auch die Autorinnen und Autoren haben von Anfang an viel Engagement gezeigt: Die sehr hohe Zusage-Quote für die Übersichtsartikel hat mich enorm beeindruckt. Ich möchte hier allen ein Kränzchen winden.
Ihr habt erwähnt, dass es kein einfaches Unterfangen ist, Fachleute zu finden. Wie seid ihr da vorgegangen und wie wurde die Redaktion zusammengestellt?
NM: Die SMW-Redaktion teilte sich in zwei Arbeitsgruppen auf, in denen die Konzepte für das SMF und das neue SMW erarbeitet wurden. Aus diesen Arbeitsgruppen sind die beiden Redaktionen entstanden. Wir mussten aber natürlich noch mehr Mitwirkende re­krutieren. Das war tatsächlich nicht immer einfach, denn das SMF hat eine Milizredaktion aus vielbeschäftigten Fachleuten, und seine redaktionellen Prozesse sind viel Aufwand verbunden. Es brauchte grosses ­Engagement.
RK: Und einen Erfahrungsschatz. Wir konnten uns auf unser Netzwerk bei den Fachgesellschaften stützen, die schon früh in die thematische Planung der Übersichtsartikel einbezogen wurden. Schwierig war es oft, Leute der jüngeren Generation zu finden. Sie haben leider zu wenig Zeit. In 20 Jahren habe ich eine starke Konkurrenz um die guten Autorinnen und Autoren in der ­medizinischen Medienlandschaft festgestellt. Es ist wichtig, unseren Autorinnen und Autoren sowie den Reviewers Sorge zu tragen.
Freuen sich über den Erfolg der Zeitschrift: Reto Krapf und Natalie Marty.
Der Start scheint ziemlich reibungslos abgelaufen zu sein. Musstet ihr auch Hindernisse überwinden?
NM: Im ursprünglichen Strategie-Konzept war vorgesehen, eine Zeitschrift mit dieser Auflage nicht nur aus Werbeeinnahmen finanzieren zu müssen. Im Juni 2000 wurde von der Ärztekammer ein einmaliger ­Sonderbeitrag für das Jahr 2001 zur Finanzierung des Ausbaus des Verlages EMH beschlossen, jedoch kein Sockelabonnement. Erst nachdem die Werbeeinnahmen massiv zurückgegangen waren, wurde Jahre später für die Finanzierung der drei Kernprodukte ein Mix von Inserateeinnahmen und Sockelabonnementen vorgesehen.
Dieser Betrag, der sogenannte «Sockelbeitrag», wurde später wieder reduziert und ab 2019 abgeschafft. Zudem sind Werbeeinnahmen in den letzten Jahren weiter geschrumpft. Wie wird das SMF überhaupt finanziert?
NM: Die drei Kernprodukte waren ein Gesamtpaket mit der Möglichkeit von Quersubventionierungen. Nach dem Wegfall des Sockelabonnements war jedoch klar, dass neue Geschäftsmodelle erarbeitet werden mussten. Dieses Dreierpaket als für die Leserinnen und Leser komplett kostenloses, durch Werbung finanziertes Angebot unverändert aufrechtzuerhalten, war nicht mehr möglich. Als Direktmassnahmen mussten Anpassungen am publizistischen Konzept vorgenommen werden, z.B. das 14-tägliche statt wöchentliche ­Erscheinen des SMF oder das Zurückfahren der Übersetzungen der Fallberichte.
Finanzen waren also ein Dauerbrenner.
RK: In 20 Jahren hat uns das Thema konstant beschäftigt. Wir sind regelmässig zusammengesessen, um ­Lösungen für die Weiterentwicklung zu finden. Weder im Verlag noch in der Redaktion haben die guten Ideen gefehlt. Das Problem waren die Ressourcen. Entweder konnten die Ideen viel später oder nur teilweise umgesetzt werden. Das war manchmal etwas frustrierend.
Was konntet ihr beispielsweise nicht umsetzen?
RK: Wir hätten gern einen viel stärkeren Fokus auf den Nachwuchs gelegt. Damit meine ich die Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte in den Spitälern, die die ­zukünftigen Hausärztinnen und -ärzte sind. Wir haben zum Beispiel ein Projekt für spezielle SIWF-Sondernummern erarbeitet, das aber leider nicht umgesetzt werden konnte. Für mich ist dies einer der grössten Wermutstropfen in diesen zwanzig Jahren. Ich denke, das sollte man für die Weiterentwicklung der Zeitschrift ernsthaft in Angriff nehmen.
NM: Wir hätten auch ein grosses Potenzial hinsichtlich der Digitalisierung ausschöpfen können. Aufgrund der fehlenden Investitionsmöglichkeiten konnten viele ­Innovationsideen nicht umgesetzt werden. Wir waren eigentlich von Anfang an recht technologieorientiert gewesen, was damals nicht selbstverständlich war. Das SMF war seit der ersten Ausgabe online und wir haben schon die ersten Artikel in einer selbst programmierten Datenbank erfasst und diese Datenbank stets ­weiterentwickelt. Die Metadaten der heutigen SMF-Website gehen immer noch auf diese Datenbank­inhalte zurück.
Sieht die Zweisprachigkeit der Zeitschrift als Pluspunkt: Reto Krapf.
In 20 Jahren erlebte das SMF aber immerhin doch einige Entwicklungen. Welche waren besonders wichtig für euch?
NM: Die Einführung der akkreditierten Online-Fortbildung «SMF-CME» war seinerzeit ein technisch innovatives Projekt. Später haben andere Zeitschriften die Idee übernommen, Multiple-Choice-Fragen zu publizieren. Das SMF hingegen beschloss, das SMF-CME wieder aufzugeben. Unsere Qualitätsansprüche an die ­MC-Fragen waren mit einem enormen redaktionellen Aufwand verbunden. Es zeigte sich auch, dass zum ­Erlangen von Fortbildungscredits Kongresse mit direktem Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen beliebter blieben als Online-Fragen. Die Nutzerzahlen des SMF-CME rechtfertigten damals den grossen Aufwand nicht. Heute wäre dies vielleicht anders.
RK: Allgemein ist das Angebot an Weiter- und Fortbildung für unsere Leserschaft in den 20 Jahren massiv besser geworden. Ich denke zum Beispiel an die Updates der SGAIM. Spitäler nutzen die Weiter- und Fortbildung zunehmend als Mittel für die eigene Werbung. Auch das SMF hat eine Zeitlang eigene Präsenzveranstaltungen mit begleitenden Fortbildungsartikeln im Heft durchgeführt.
Wie wird eurer Meinung nach das SMF in 20 Jahren aussehen?
RK: Wir sind uns hier ziemlich einig: Das SMF wird es zu 95% nicht mehr als Printversion geben. Ob es sich dann noch Zeitschrift nennen wird, wird sich zeigen. Ich glaube, es müsste eine Nutzung verschiedener ­Kanäle sein. Podcast ist derzeit ein beliebtes Medium und könnte sich für weitere Rubriken öffnen. Es könnten auch weniger aufwändigere Podcasts sein, die ein breiteres Publikum ansprechen. Dies ist aber natürlich auch immer eine Kostenfrage.
NM: «Lay summaries» sind ein spannender Trend. Texte, die ursprünglich für Fachleute gedacht sind, können so auch für Nicht-Fachleute verständlich zusammengefasst werden. Mit Open Access haben zwar alle Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen, aber nicht alle den entsprechenden Wissenshintergrund.
Was wünscht ihr euch für die Zeitschrift?
RK: Dass das SMF weiter existieren wird! Ich würde gern kürzere Artikel sehen – dafür haben wir immer ­gekämpft. Man sollte keine Lehrbuchtexte, sondern knackige Artikel publizieren. Der Alltag der Ärzteschaft ist getaktet. Wenn die nächste Patientin oder der nächste Patient kommt, muss ein Artikel gelesen sein.
Wie ich es schon gesagt habe, sollte das SMF sich inhaltlich mehr auf den Nachwuchs fokussieren – ohne die zwei anderen treuen Zielgruppen, die Selbstständigerwerbenden und die Pensionierten, zu vernachlässigen.
Längerfristig wünsche ich mir, dass das SMF sich mit anderen Players zusammenschliesst, damit es auf Dauer erhalten bleibt.
Was sind die schönsten Momente der letzten zwanzig Jahre?
RK: Dass das SMF von Anfang an so gut gelesen worden ist, war für mich ein Highlight. Ich habe vieles sehr ­geschätzt: den guten Dialog mit den Fachexpertinnen und -experten, das Verhältnis mit den Fachgesellschaften, die Atmosphäre in den Redaktionen und das ­gegenseitige Helfen.
NM: Die Zusammenarbeit innerhalb der Redaktion war eine wunderbare Erfahrung. Daraus sind Freundschaften entstanden. Der Geist war immer sehr positiv, konstruktiv und kreativ. Alle haben immer wieder grossartige Ideen eingebracht. Dieser Pioniergeist war sehr motivierend.