Primäre hepatische Aktinomykose
Histopathologie liefert zielführende Hinweise

Primäre hepatische Aktinomykose

Der besondere Fall
Ausgabe
2022/44
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09026
Swiss Med Forum. 2022;22(44):725-727

Affiliations
Universitätsspital Basel, Basel: a Klinik für Innere Medizin; b Institut für Medizinische Genetik und Pathologie; c Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin;
d Clarunis – Universitäres Bauchzentrum Basel, Basel

Publiziert am 02.11.2022

Ein 28-jähriger Patient stellte sich in der Klinik mit seit zwei Tagen bestehendem Fieber bis 40 °C, Schüttelfrost, Müdigkeit sowie Kopf- und Gliederschmerzen vor. Die Beschwerden traten plötzlich auf. Der Patient war ansonsten gesund.

Hintergrund

Die primäre Aktinomykose der Leber ist eine seltene Erkrankung mit unspezifischen klinischen und radiologischen Manifestationen. Die Sensitivität der histopathologischen und mikrobiologischen Untersuchungen ist gering, sodass die Diagnosestellung eine Herausforderung darstellt. Radiologisch imitiert die hepatische Aktinomykose Neoplasien oder andere chronische Infektionen.

Fallbericht

Anamnese

Ein 28-jähriger Patient stellte sich in der Klinik mit seit zwei Tagen bestehendem Fieber bis 40 °C, Schüttelfrost, Müdigkeit sowie Kopf- und Gliederschmerzen vor. Die Beschwerden traten plötzlich auf. Der Patient war ansonsten gesund und nahm keine Medikamente ein. Er gab an, seit 2014 an chronisch rezidivierenden Ulzera der Gingiva zu leiden, die als lichenoide Mukositis diagnostiziert worden waren und aktuell nicht vorhanden waren.

Status und Befunde

Der Patient präsentierte sich in einem deutlich reduzierten Allgemeinzustand, normoton, tachykard (118/min) und febril (39,9 ºC). Im restlichen internistischen Status fanden sich keine Auffälligkeiten.
Bei der Blutuntersuchung imponierten eine Leukozytose (19,4 G/l) mit Linksverschiebung (21% Stabkernige), ein erhöhter CRP-(C-reaktives-Protein-)Wert (186 mg/l, Norm: <10 mg/l), eine INR («International Normalized Ratio») von 1,5 sowie leicht erhöhte Transaminasen-Spiegel (Alanin-Aminotransferase [ALAT] 100 U/l, Norm: 9–59 U/l; Aspartat-Aminotransferase [ASAT] 92 U/l, Norm: 11–34 U/l) und ein leicht erhöhter Bilirubin-Wert (24,9 µmol/l, Norm: <24 µmol/l). Das Elektrokardiogramm (EKG) zeigte eine T-Negativierung in den Ableitungen III und aVF sowie eine S1Q3T3-Morphologie. Der Wert des hochsensitiven Troponin T war erhöht (765 ng/l, Norm: <14 ng/l).
Der Patient wurde mit Verdacht auf eine Perimyokarditis auf die «Intermediate Care Unit» aufgenommen. Nachdem in einer Echokardiographie ein hyperechogen imponierendes Perikard erkennbar gewesen war, zeigte eine Herz-Magnetresonanztomographie (Herz-MRT) eine biventrikuläre Dilatation mit einer diffus eingeschränkten Auswurfsfraktion (linksventrikuläre Ejektionsfraktion [LVEF] 43%) und ein diffuses globales Myokardödem, vereinbar mit einer akuten Myokarditis. Nebenbefundlich wurde eine irregulär berandete und inhomogen kontrastmittelaufnehmende, 5,5 cm grosse Raumforderung im Lebersegment VI/VII beschrieben.
Im Verlauf blieb der Patient febril (>39 °C), tachykard, wurde zunehmend hypoton und erfüllte die Kriterien für eine Sepsis (SOFA-[«sepsis-related organ failure assessment»-]Score 4 Punkte). Die Entzündungsparameter stiegen weiter an (CRP bis 315 mg/l), während die Transaminasen-Spiegel im gleichen Bereich erhöht blieben. Am zweiten Hospitalisationstag wurden in drei von acht der bei Eintritt entnommenen Blutkulturen Streptokokken nachgewiesen, weshalb eine empirische Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure und Gentamicin eingeleitet wurde. Die Streptokokken wurden in der Folge als Streptococcus intermedius (Streptococcus anginosus/milleri-Gruppe) identifiziert.
Eine transösophageale Echokardiographie lieferte keine Hinweise auf eine Endokarditis. Eine Computertomographie (CT) von Thorax, Abdomen und Becken und eine CT der Kiefer (wegen der rezidivierenden Ulzera der Gingiva in der Vorgeschichte) zeigten keine Auffälligkeiten bis auf die bekannte Leberläsion.
In der Leber-MRT stellte sich diese Läsion mit zentral wenig verzögerter heterogener Kontrastmittelaufnahme dar (Abb.1). Radiologisch war das Bild primär mit einer alveolären Echinokokkose oder mit einem atypischen Malignom der Leber (z.B. fibrolamelläres hepatozelluläres Karzinom) vereinbar.
Abbildung 1: Axiale Abdominaldarstellung mittels Magnetresonanztomographie mit Kontrastmittel. In den Segment VI und VII der Leber zeigt sich eine lobulierte Läsion mit heterogener Kontrastmittelaufnahme.
Trotzdem bestand aufgrund der Klinik (persistierendes Fieber, im Verlauf Klopfdolenz der Leber) und des blutkulturellen Nachweises von Streptokokken der Anginosus/Milleri-Gruppe, welche typischerweise Abszesse verursachen, in erster Linie der Verdacht auf einen Leberabszess. Es erfolgte eine Biopsie der hepatischen Raumforderung durch die Gastroenterologie. Da keine Flüssigkeit aspiriert werden konnte und man aufgrund des radiologischen Bildes primär von einem Tumor ausging, wurde kein Material für eine mikrobiologischen Untersuchung eingeschickt. Die Histologie zeigte multiple Abszesse und eine akute abszedierende Cholangitis, gut vereinbar mit einem bakteriellen Infekt. Mittels CT-gesteuerte Drainage wurden 40 ml eitrige Flüssigkeit aspiriert, in der kulturell massenhaft Streptococcus intermedius nachgewiesen wurde. In der ausführlichen histologischen Untersuchung der Leberbiopsie fielen Drusen («sulfur granules») auf und die zusätzlichen Spezialfärbungen zeigten typische filamentöse Strukturen, vereinbar mit Actinomyces-Kolonien (Abb. 2). Somit konnte histologisch eine Aktinomykose diagnostiziert werden.
Abbildung 2: Leberbiopsiezylinder bei 40-facher Vergrösserung. Die Leberläppchen sind durch ein gemischtes Entzündungsinfiltrat ersetzt. Die Hämatoxylin-Eosin-Färbung (links) zeigt eine Actinomyces-Druse («sulfur granule»), bestehend aus einem runden basophilen Kern mit ausstrahlendem eosinophilem Saum. Die Giemsa- (Mitte) und die Grocott-Färbung (rechts) zeigen fadenförmige verzweigte Bakterien in der Peripherie der Druse.

Diagnosen

– Primäre hepatische Aktinomykose
– Co-Infektion und Sepsis durch Streptococcus intermedius
– Sepsis-induzierte Kardiomyopathie

Therapie und Verlauf

Unter einer antibiotischen Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure intravenös verbesserte sich der Zustand des Patienten zügig, er entfieberte und die Entzündungswerte waren regredient. Eine Verlaufs-MRT der Leber nach 14 Tagen zeigte nur eine leichtgradige Grössenregredienz der Leberläsion. Dem Patienten wurde deshalb eine chirurgische Resektion des betroffenen Bereichs vorgeschlagen, mit dem Ziel, die antibiotische Therapie, die sonst wahrscheinlich bis zu einem Jahr gedauert hätte, wesentlich zu verkürzen.
18 Tage nach dem Eintritt wurde eine anatomische posteriore Sektorektomie komplikationslos durchgeführt (Abb. 3). Histologisch zeigte sich ein teils florider, überwiegend jedoch bereits organisierter Leberabszess. Drusen waren nicht mehr nachweisbar. Die Kulturen (inklusive Spezialkulturen für Actinomyces) des Leberexzidats blieben (nach fast dreiwöchiger Antibiotikatherapie) negativ.
Abbildung 3: Leberresektat nach offener anatomischer posteriorer Sektorektomie (Segmente VI und VII). Anhand der Schnittflächen ist ein gut umschriebener gelber Herd in einer Grösse von 5 × 3,5 × 5 cm mit Fibrose und randständigen Einblutungen auszumachen.
Die antibiotische Therapie wurde am siebten postoperativen Tag auf Amoxicillin per os umgestellt und nach zwei Monaten beendet. Eine Verlaufs-MRT vor Ende der antibiotischen Therapie lieferte keine Hinweise auf ein Rezidiv. Die seriellen Echokardiographien im Verlauf zeigten eine schnelle Normalisierung der kardialen Pumpfunktion.

Diskussion

Die Aktinomykose ist eine seltene chronische granulomatöse Infektion, die durch filamentöse anaerobe Gram-positive Bakterien des Genus Actinomyces verursacht wird. Actinomyces gehören zur Normalflora der Schleimhäute im Oropharynx sowie im Gastrointestinal- und im Urogenitaltrakt. Bei Verletzungen der Schleimhaut, beispielsweise durch Operationen oder Fremdkörper wie ein Intrauterinpessar, können die Erreger in das Gewebe eindringen und pathogen werden [1]. Bei der grossen Mehrheit der Aktinomykosen (75–95%) handelt es sich um polymikrobielle Infektionen, bei denen neben Actinomyces andere Bakterien der lokalen Normalflora vorkommen, zum Beispiel andere Anaerobier, Streptokokken der Anginosus/Milleri-Gruppe oder Enterobacteriaceae [2].
Die häufigste Form der Aktinomykose ist die orozervikofaziale (ca. 50% der Fälle), gefolgt von der thorakalen (15–20%) und der abdominalen/pelvinen Form (ca. 20%), wobei die Aktinomykose auch an anderen Lokalisationen auftreten kann (z.B. Zentralnervensystem, Knochen, Muskel) [1]. Actinomyces verursachen eine chronische eitrige, oft fistulierende Infektion mit langsam wachsenden Abszessen. Diese Läsionen weisen indurierte fibrotische Wände und weiche, mit Eiter gefüllte innere Höhlen auf. Der Eiter enthält typischerweise blassgelbe Körner, die Drusen («sulfur granules») genannt werden und aus Konglomeraten von Actinomyces-Kolonien bestehen.
Die Diagnose ist schwierig zu stellen, da die Klinik und die radiologischen Befunde andere chronische Infektionen und Tumoren imitieren. Zudem gelingt der mikrobiologische Nachweis nur in einer Minderheit der Fälle, da Actinomyces schwer zu kultivieren sind und die Kulturen nach vorausgegangener Antibiotikatherapie meist negativ bleiben. Nur wenige Referenzlaboratorien sind in der Lage, Actinomyces mittels 16S-rRNA-PCR zu identifizieren. Spezifische histopathologische Befunde (Drusen und filamentöse Bakterien) sind deshalb wesentlich. Sie können die Diagnose erhärten, müssen jedoch explizit gesucht werden. Drusen sind selten und nicht immer vorhanden: In einer Serie von 181 Aktinomykosen wurden in 56% der Fälle nur eine bis drei Drusen beziehungsweise in 26% der Fälle nur eine Druse gefunden [3]. Drusen sind zudem nicht spezifisch, da sie auch von anderen Mikroorganismen wie Nocardia gebildet werden können.
Die Therapie ist abhängig vom Schweregrad und der Ausdehnung der Aktinomykose. Meistens besteht sie aus einer hochdosierten intravenösen Therapie mit Penicillin (alternativ Amoxicillin) für einigen Wochen, dann per os für bis zu 6–12 Monate. Grosse Abszesse oder ausgedehnte nekrotisierende oder fistulierende Infektionen müssen chirurgisch drainiert oder reseziert werden. Wenig ausgedehnte Aktinomykosen oder chirurgisch sanierte Infektionen können über eine kürzere Zeitspanne behandelt werden [1].
Die primäre Aktinomykose der Leber ist sehr selten, mit um die 110 in der englischen Literatur beschriebenen Fällen zwischen den 1960er- und 2020er-Jahren [4, 5]. Es wird angenommen, dass Actinomyces die Leber hämatogen oder via duodenobiliären Reflux infizieren können. In 80% der Fälle lässt sich keine Eintrittspforte für die Aktinomyzeten eruieren («kryptogene Infektion») und etwa ein Drittel der hepatischen Aktinomykosen sind polymikrobiell [6]. Klinisch hat die hepatische Infektion einen indolenten Verlauf. Häufige, aber unspezifische Symptome sind Müdigkeit, intermittierendes Fieber, Gewichtsverlust und Abdominalschmerzen. Die Erkrankung wird meist zufällig bei bildgebenden Untersuchungen entdeckt. Radiologisch finden sich solitäre hypodense Läsionen (in zwei Dritteln der Fälle) oder multiple heterogen anreichernde Läsionen, am häufigsten im rechten Leberlappen (56%), welche radiologisch wie Leberneoplasien oder wie Abszesse, eine Echinokokkose oder eine Tuberkulose aussehen [6]. Wie in unserem Fall kann die Aktinomykose auch im Rahmen einer Co-Infektion mit anderen Bakterien entdeckt werden, die akutere Symptome hervorrufen.

Das Wichtigste für die Praxis

Die primäre Aktinomykose der Leber ist selten und imitiert klinisch und radiologisch eine Leberneoplasie oder einen Leberabszess.
Bei chronisch indolenten Erkrankungen, die sich mit massenartigen Läsionen präsentieren, die auf eine kurze Antibiotikatherapie refraktär sind oder rezidivieren, muss differentialdiagnostisch an eine Aktinomykose gedacht werden.
Die Diagnosestellung erfordert ein hohes Mass an klinischem Verdacht.
Wesentlich für die Diagnose ist der histopathologische Nachweis von Drusen und filamentösen Bakterien, die gezielt gesucht werden müssen.
Die Therapie muss individualisiert werden und besteht meistens aus einer langen Antibiotikatherapie, die je nach Ausdehnung und Verlauf mit einem chirurgischen Vorgehen kombiniert wird.
Dr. med. Ricardo Nieves-Ortega
Klinik für Innere Medizin, Universitätsspital Basel, Basel
Ein schriftlicher Informed Consent zur Publikation liegt vor.
Dr. med. Ricardo Nieves-Ortega
Klinik für Innere Medizin
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
1 Wong VK, Turmezei TD, Weston VC. Actinomycosis. BMJ. 2011;343:d6099.
2 Könönen E, Wade WG. Actinomyces and related organisms in human infections. Clin Microbiol Rev. 2015;28(2):419–42.
3 Brown JR. Human actinomycosis. A study of 181 subjects. Hum Pathol. 1973;4(3):319–30.
4 Grossen A, Magguilli M, Thai TC, Salem G. Hepatic actinomycosis in a patient with retained common bile duct stent. ACG Case Rep J. 2019;6:e00219.
5 Chegini Z, Didehdar M, Tabaeian SP, Khoshbayan A, Shariati A. A systematic review of case reports of hepatic actinomycosis. Orphanet J Rare Dis. 2021;16:192.
6 Ávila F, Santos V, Massinha P, Pereira JR, Quintanilha R, Figueiredo A, et al. Hepatic Actinomycosis. GE Port J Gastroenterol. 2015;22(1):19–23.