Nutzen der gezielten Sonographie in der Notfallstation
Dyspnoe in einer Notfallsituation

Nutzen der gezielten Sonographie in der Notfallstation

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2022/4950
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09042
Swiss Med Forum. 2022;22(4950):805-807

Affiliations
Hôpitaux Universitaires de Genève: a Service des urgences; b Service de médecine interne
* Geteilte Erstautorschaft

Publiziert am 07.12.2022

Eine 49-jährige Patientin sucht während der SARS-CoV-2-Pandemie die Notfallstation auf, da sie seit zwei Wochen an zunehmender Dyspnoe mit Brustschmerzen leidet.

Fallbeschreibung

Die Patientin ist 49 Jahre alt und arbeitet im Gesundheitswesen. Aufgrund von Asthma wird sie mit Fluticason behandelt. Während der SARS-CoV-2-Pandemie sucht sie die Notfallstation auf, da sie seit zwei Wochen an zunehmender Dyspnoe mit Brustschmerzen leidet.
Im Hinblick auf die kardiovaskulären Risikofaktoren gibt sie an, aktive Raucherin zu sein (5 Packungsjahre). Ihr Body Mass Index (BMI) beträgt 22,9 kg/m2. Es liegt kein Risikokonsum von Alkohol oder anderen Substanzen vor.
Bei der körperlichen Untersuchung betragen der arterielle Blutdruck 132/92 mm Hg, die Herzfrequenz 82/min und die Sauerstoffsättigung bei Raumluft 97%. Die klinische Untersuchung zeigt einen guten Allgemeinzustand, kein Fieber und einen kardiorespiratorischen Befund ohne Auffälligkeiten bei der Auskultation. Die Patientin weist weder ein Ödem an den unteren Extremitäten noch eine Jugularvenenstauung auf.
Welche Massnahme wäre zu diesemZeitpunkt unangemessen?
a) SARS-CoV-2-Test
b) Elektrokardiogramm (EKG)
c) Peak-Flow-Messung
d) Genaue Anamnese
e) Behandlung einer Angstattacke mit Lorazepam
Der SARS-CoV-2-Abstrich ist negativ. Angesichts der Art und der Verschlechterung der Dyspnoe werden die Untersuchungen fortgeführt. Das EKG zeigt einen Sinusrhythmus von 82/min und einen Linksschenkelblock, wobei keine Vergleichsdaten von früheren EKGs vorliegen. Das Ergebnis der Peak-Flow-Messung ist normal (über 80% des Erwartungswerts).
Die Anamnese wird fortgesetzt und die Patientin gibt an, seit acht Monaten an mit Asthenie einhergehender Dyspnoe zu leiden. Sie beschreibt zudem eine Verstärkung der Dyspnoe bei leichter Anstrengung, wodurch sie in ihren Alltagstätigkeiten eingeschränkt sei. Die Dyspnoe entspricht einem NYHA-Stadium 3.
Die Familienanamnese ergibt bei der Mutter im Alter von 48 Jahren und beim Vater vor dem 50. Lebensjahr ein Herzleiden unbestimmter Ursache sowie einen unbestimmten Herzfehler bei einem vor der Geburt verstorbenen Kind.
Vor diesem Hintergrund muss vor der Anwendung eines Anxiolytikums eine somatische Ursache der Dyspnoe eindeutig ausgeschlossen werden.
Welche Untersuchung scheint zu diesem Zeitpunkt nicht geeignet, um die Ursache der Dyspnoe zu bestimmen?
a) Röntgen-Thorax
b) Kleines Blutbild
c) Messung des terminalen Fragments des natriuretischen Peptids Typ B (NT-proBNP)
d) Hochsensitiver Troponin-T-Test
Angesichts der Dyspnoe unbestimmter Ursache, des pathologischen EKGs und der Herzerkrankung in der Familienanamnese entscheiden wir, zunächst die Möglichkeit einer kardialen Ursache abzuklären. Die Röntgen-Thoraxaufnahme zeigt einen leicht erhöhten Herz-Thorax-Quotienten, aber keinen Hinweis auf ein Infiltrat oder einen Erguss. Die NT-proBNP-Messung ergibt 255 ng/l. Wir erinnern daran, dass ein Ergebnis von ≤300 ng/l im akuten Kontext eine kardiale Ursache der Dyspnoe unwahrscheinlich macht. Bei ambulanten Patientinnen und Patienten mit leichten Symptomen wird indes ein Grenzwert von ≤125 ng/l empfohlen [1].
Das Blutbild zeigt einen Hämoglobin-Wert von 136 g/l, auch die übrigen Werte liegen im Normbereich und weisen nicht auf Elektrolytstörungen oder eine Nierenfunktionsstörung hin.
Aufgrund des im EKG festgestellten Linksschenkelblocks führen wir – ungeachtet des Fehlens der typischen retrosternalen Schmerzen – einen hochsensitiven Troponin-T-Test durch, um eine stumme Myokardischämie auszuschliessen. Die Messung ergibt 13 ng/l ohne assoziierte Kinetik.
Der revidierte Genfer Score, der die Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie angibt, beträgt 3, was auf eine geringe Vortestwahrscheinlichkeit hinweist. In dieser Population kann mithilfe der PERC-Strategie («pulmonary embolism rule-out criteria») eine Lungenembolie sicher ausgeschlossen werden, ohne dass systematisch die D-Dimere gemessen werden müssen [2]. Die Patientin weist keinen Lungenembolie-Risikofaktor gemäss der PERC-Regel auf, die D-Dimer-Messung ist somit nicht nötig.
Welches Vorgehen wäre angesichts der Blutwerte, des EKGs und des Röntgenbilds für die weitere Versorgung in der Notfallstation am sinnvollsten?
a) Notfall-Echokardiographie durch die Fachärztin oder den Facharzt
b) Hochauflösende Computertomographie (HRCT) ambulant
c) Gezielte Point-of-Care-Sonographie (POCUS) durch die Notfallmedizinerin oder den Notfallmedizinerin
d) Notfallmässige Koronarangiographie
e) Notfallmässige Herz-Magnetresonanztomographie (-MRT)
Die bisherigen Untersuchungsergebnisse sprechen für eine kardiale Ursache. Somit ist eine Echokardiographie angezeigt, sie sollte allerdings im Rahmen ambulanter Kontrolltermine geplant werden und nicht als Notfall [1]. Eine ambulante HRCT ist darum nicht logisch.
Aufgrund der raschen Verschlechterung der Symptome und der unmittelbaren Verfügbarkeit einer POCUS-Untersuchung setzen wir die Untersuchungen fort. Sobald sich eine Herzinsuffizienz klinisch entwickelt hat, beträgt die Mortalität nach 90 Tagen 10% [3].
Die POCUS-Untersuchung geht von einer präzisen Fragestellung zu einem Symptom aus, auf die man mit «Ja» oder «Nein» antworten kann. Sie konzentriert sich auf die zuvor festgelegte Region oder Frage, ihr Ergebnis fliesst in die klinische Gesamtbewertung ein [4].
Um die Frage nach der Ursache der Dyspnoe zu beantworten, erweist sich eine pleuropulmonale Sonographie in Verbindung mit einer POCUS-Untersuchung des Herzens aufgrund der unmittelbaren Verfügbarkeit als sinnvolle Entscheidung.
Die pleuropulmonale Sonographie beruht auf der Ultraschalluntersuchung der Pleura und der Analyse der Lungenartefakte. Die systematische Anwendung des «bedside lung ultrasound in emergency»-(BLUE-)Protokolls auf der Grundlage festgelegter Sonographie-Profile ist eine Option, durch die im Notfall die Ursache von Dyspnoe in 90,5% der Fälle ermittelt werden kann [5].
Es können nicht nur ein akutes Lungenödem, ein Pleuraerguss und eine Pneumonie leicht identifiziert werden, auch ein starker Verdacht auf einen Pneumothorax lässt sich ermitteln.
In der Folge lassen sich durch die POCUS-Untersuchung des Herzens in der Notfallstation drei Fragen beantworten:
Das Ergebnis der pleuropulmonalen Sonographie ist bei unserer Patientin normal, insbesondere ohne B-Linien in erhöhter Zahl (≥3 Linien in einer bestimmten Region). Die POCUS-Untersuchung des Herzens ergibt eine stark verringerte LVEF, die unter 30% liegt und mit einer mittelgradigen Dilatation der linken Herzkammer einhergeht (Abb. 1). Der RV-LV-Quotient ist im Übrigen normal (<0,6) und es gibt keinen Hinweis auf einen Perikarderguss.
Abbildung 1: Point-of-Care-Sonographie (POCUS): A) subkostale lange Achse, B) parasternale lange Achse.
AO: Aorta descendens; RA: rechtes Atrium; LA: linkes Atrium; RV: rechter Ventrikel; LV: linker Ventrikel.
Wir berücksichtigen in unseren klinischen Überlegungen das Ergebnis der POCUS-Untersuchung und diagnostizieren eine Herzinsuffizienz unbestimmter Ursache mit stark verringerter Ejektionsfraktion, aber ohne Anzeichen einer akuten kardialen Dekompensation.
Auch wenn das EKG einen Linksschenkelblock ohne Vergleichswert zeigt, ist eine Notfall-Koronarangiographie angesichts des Fehlens der typischen Brustschmerzen und des Ergebnisses des hochsensitiven Troponin-T-Tests ohne Kinetik nicht nötig. Auch eine notfallmässige Herz-MRT wird nicht empfohlen.
Welche Aussage hinsichtlich der visuellen Einschätzung der LVEF ist falsch?
a) Es handelt sich um eine rasch und leicht durchführbare Methode.
b) Es handelt sich um eine Referenzmethode, die im Notfallbereich empfohlen wird.
c) Die Bewertung beruht auf der visuellen Einschätzung des Unterschieds zwischen enddiastolischer und endsystolischer Oberfläche der linken Herzkammer.
d) Die Bewertung beruht auf der Einschätzung der Mobilität der Wand der linken Herzkammer.
e) Diese semiquantitative Einschätzung korreliert mit dem Ergebnis der Simpson-Methode.
Die visuelle Einschätzung der LVEF ist im Notfallbereich die Referenzmethode zur Bestimmung der systolischen Funktion der linken Herzkammer. Ein dreistündiges Training reicht aus, um die visuelle Einschätzung der LVEF zu erlernen [6]. Anhand eines dreistufigen Schemas kann man eine normale Funktion (>50%) von einer mässigen (zwischen 30 und 50%) oder starken Verringerung (<30%) unterscheiden. Diese semiquantitative Methode beruht auf der visuellen Einschätzung des Unterschieds zwischen enddiastolischer und endsystolischer Oberfläche der linken Herzkammer [7]. Die segmentale Kinetik wird im Rahmen der POCUS-Untersuchung nicht analysiert. Die visuelle Einschätzung korreliert gut mit der 2D-Simpson-Methode, die die Referenzmethode ist [8].
Welches Ziel ist hinsichtlich der POCUS-Untersuchung in der Notfallstation nicht korrekt?
a) Diagnose
b) Monitoring, Überwachung
c) Reanimation
d) Steuerung von Interventionen
e) Arbeit unabhängig von den Fachärztinnen und -ärzten
Der Hauptvorteil der POCUS-Untersuchung ist, dass sie unmittelbar in die Synthese integriert werden kann, die zuvor durch die klinische Untersuchung gewonnen wurde. Ebenso kann die Wirkung einer therapeutischen Intervention kontrolliert werden, etwa die Anpassung der diuretischen Behandlung je nach Volämie unter Anwendung der Methode, die auf der atmungsabhängigen Schwankung der Vena cava inferior beruht.
Bei refraktärem Schock oder Kreislaufstillstand hilft diese Untersuchung («rapid ultrasound in shock»-[RUSH-]Protokoll [9] bei einem Schock unbestimmter Ursache und «cardiac arrest ultrasound exam»-[CAUSE-]Protokoll [10] bei Kreislaufstillstand mit nicht schockbarem Rhythmus) zudem dabei, die Ursache zu ermitteln und somit die Behandlung zu steuern. Darüber hinaus hat sich die POCUS-Untersuchung bei diversen ultraschallgesteuerten oder zumindest ultraschallmarkierten Interventionen als nützlich erwiesen. Unbedingt festzuhalten ist, dass die POCUS-Untersuchung nicht die Rolle der Fachärztinnen und -ärzte ersetzt. Im Hinblick auf die weitere Versorgung unserer Patientin haben die Kardiologinnen und Kardiologen die Diagnose in der Notfallstation umgehend bestätigt, woraufhin sie in der Kardiologie-Abteilung stationär aufgenommen wurde.

Diskussion

Dieser Fall verdeutlicht gut den Nutzen der Point-of-Care-Sonographie, die einen sinnvollen Beitrag zur Abklärung der Differentialdiagnose von Dyspnoe leisten kann. Bei unserer Patientin wurde eine Herzinsuffizienz mit stark verringerter LVEF unmittelbar am Krankenbett diagnostiziert, während das Fehlen von B-Linien und der NT-proBNP-Wert ≤300 ng/l angesichts des Grundes der Konsultation der Notfallstation, das heisst der Dyspnoe, irreführend sind.
Der in diesem Artikel dargestellte Fall zeigt zudem, dass diese Methode die Dauer bis zur Diagnosestellung verringert [11].
Die POCUS-Untersuchung ist ein Diagnoseinstrument, das den Ärztinnen und Ärzten unmittelbar am Krankbett zur Verfügung steht. Sie ergänzt die üblichen Zusatzuntersuchungen und fügt sich in die Abfolge klinischer Überlegungen ein. In einer Notfallsituation kann sie im Zuge der klinischen Untersuchung nicht nur dazu beitragen, die Differentialdiagnose von Dyspnoe abzuklären, sondern auch zur raschen Bestimmung einer Schockursache bei Personen in lebensbedrohlichem Zustand dienen.
Frage 1: e. Frage 2: e. Frage 3: c. Frage 4: d. Frage 5: e.
Dr. med. (HU) Tamas Megyeri
Service des urgences, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève
Dr. med. Eléonore Campiche
Service de médecine interne, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève
Ein schriftlicher Informed Consent zur Publikation liegt vor.
Dr. med. Tamas Megyeri
Service des urgences – Hôpitaux Universitaires de Genève
Rue Gabrielle-Perret-Gentil 4
CH-1205 Genève
1 Ponikowski P, Voors AA, Anker SD, Bueno H, Cleland JGF, Coats AJS, et al.; ESC Scientific Document Group. 2016 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure: The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure of the European Society of Cardiology (ESC) Developed with the special contribution of the Heart Failure Association (HFA) of the ESC. Eur Heart J. 2016;37(27):2129–200.
2 Kline JA, Courtney DM, Kabrhel C, Moore CL, Smithline HA, Plewa MC, et al. Prospective multicenter evaluation of the pulmonary embolism rule-out criteria. J Thromb Haemost. 2008;6(5):772–80.
3 Savarese G, Lund LH. Global Public Health Burden of Heart Failure. Card Fail Rev. 2017;3(1):7–11.
4 Schweizerische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (SGUM): Point-of-Care – POCUS: Fähigkeitsprogramm; aufgerufen am 1.3.2020 unter https://sgum-ssum.ch
5 Lichtenstein DA, Mezière GA. Relevance of lung ultrasound in the diagnosis of acute respiratory failure: the BLUE protocol Chest. 2008;134(1):117–25.
6 Alexander JH, Peterson ED, Chen AY, Harding TM, Adams DB, Kisslo JA Jr. Feasibility of point-of-care echocardiography by internal medicine house staff. Am Heart J. 2004;147(3):476–81.
7 Bobbia X, Claret PG. Echographie clinique en situation d’urgence. Paris: Lavoisier; 2020. p 160.
8 Gudmundsson P, Rydberg E, Winter R, Willenheimer R. Visually estimated left ventricular ejection fraction by echocardiography is closely correlated with formal quantitative methods. Int J Cardiol. 2005;101(2):209–12.
9 Perera P, Mailhot T, Riley D, Mandavia D. The RUSH exam: Rapid Ultrasound in Shock in the evaluation of the critically lll. Emerg Med Clin North Am. 2010;28(1):29–vii.
10 Hernandez C, Shuler K, Hannan H, Sonyika C, Likourezos A, Marshall J. C.A.U.S.E.: Cardiac arrest ultra-sound exam – a better approach to managing patients in primary non-arrhythmogenic cardiac arrest. Resuscitation. 2008;76(2):198–206.
11 Leidi A, Rouyer F, Marti C, Reny JL, Grosgurin O. Point of care ultrasonography from the emergency department to the internal medicine ward: current trends and perspectives. Intern Emerg Med. 2020;15(3):395–408.