Diffuse idiopathische skelettale Hyperostose
Dysphagie und Atemwegsobstruktion

Diffuse idiopathische skelettale Hyperostose

Der besondere Fall
Ausgabe
2022/4950
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09046
Swiss Med Forum. 2022;22(4950):808-810

Affiliations
Luzerner Kantonsspital, Luzern: a Klinik für Hals-, Nasen-, Ohren- und Gesichtschirurgie; b Klinik für Neurochirurgie

Publiziert am 07.12.2022

Ein 64-jähriger Patient stellte sich notfallmässig mit progredienter Dyspnoe, Heiserkeit, Halsschmerzen und seit zwei bis drei Monaten bestehenden ausgeprägten Schwierigkeiten beim Schlucken vor.

Hintergrund

Die diffuse idiopathische skelettale Hyperostose (DISH), ebenfalls als ankylosierende Hyperostose oder Forestier-Rotes-Querol-Krankheit bekannt, ist ein nicht entzündlicher Prozess, der zur Kalzifikation und Ossifikation der anterolateralen spinalen Ligamente und Entzündung der Sehnen führt [1]. Die Prävalenz wird in der Literatur unterschiedlich angegeben mit circa 15–25% bei über 50-jährigen Patientinnen und Patienten und zunehmend mit circa 26–35% in der Altersgruppe der über 70-Jährigen. Männer leiden öfters unter der Krankheit und haben häufiger einen schwereren Verlauf als Frauen [1]. Am häufigsten ist das thorakale Segment und als Dritthäufigstes – wie im vorliegenden Fall – ist die zervikale Wirbelsäule betroffen. Betrifft die DISH die Halswirbelsäule, manifestiert sich die Krankheit häufig mit Dysphagie, gelegentlich mit Dyspnoe und mit inspiratorischem Stridor [2]. Durch eine progrediente Schluckstörung kann eine hohe Aspirationsgefahr mit drohender Pneumonie bestehen. In schweren Fällen ist sogar eine Atemwegsobstruktion mit konsequenter lebensgefährlicher Exazerbation möglich [2].

Fallbeschreibung

Anamnese

Ein 64-jähriger Patient mit einem Body Mass Index (BMI) von 33,27 kg/m2 stellte sich notfallmässig mit progredienter Dyspnoe, Heiserkeit, Halsschmerzen und seit zwei bis drei Monaten bestehenden ausgeprägten Schwierigkeiten beim Schlucken vor, jedoch ohne Gewichtsverlust. An Begleitdiagnosen waren ein obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS), ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II, eine Adipositas, ein arterieller Hypertonus, ein schwerer Nikotinkonsum (45 «pack years») und eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits bekannt.

Status

Endoskopisch zeigten sich ein hyperplastischer Zungengrund, ein Ödem im Bereich der hinteren Kommissur sowie überschüssiges flottierendes Gewebe von der Aryregion links ausgehend, welches die Glottis verlegte (Abb. 1). Die Stimmlippen waren nicht vollständig einsehbar und stellten sich beidseits minderbeweglich dar.
Abbildung 1: Präoperative fiberendoskopische Schluckevaluation: Blick auf die Glottis.
Die Schleimhaut der Hypopharynxhinterwand war prominent, hypertroph und papillomatös verändert. Enoral zeigten sich ein deutliches «Webbing» und eine lange, breite Uvula. Zervikal waren keine Resistenzen tastbar. Der weitere Oto-Rhino-Laryngologie-(ORL-)Status war bis auf eine Septumdeviation nach rechts unauffällig.

Befunde

In einer Computertomographie-(CT-)Untersuchung des Halses zeigte sich ein 2,5 × 2,0 × 1,5 cm grosses unscharf abgrenzbares und Kontrastmittel aufnehmendes Weichteilplus an der aryepiglottischen Falte links mit Mittellinienüberschreitung. Zusätzlich stellten sich degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Spondylophyten in Höhe des vierten Hals- (HWK4) bis vierten Brustwirbelkörpers (BWK4) dar (Abb. 2).
Abbildung 2: Präoperative Computertomographie der Halsregion, Sagittalschnitt.
Der supraglottische Befund erschien suspekt für einen malignen Prozess, sodass eine Panendoskopie mit Biopsieentnahme und eine Positronen-Emissions-Tomographie-(PET-)CT in die Wege geleitet wurden. In der PET-CT-Aufnahme war keine auffällige 18F-Fluordeoxyglukose-(FDG-)Aktivität darstellbar. In den Biopsien waren plattenepitheliale Schleimhaut mit Fibrose, Hyperämie und Ödem sichtbar, histopathologisch ergab sich kein Hinweis für Malignität.
Die fiberendoskopischen Schluckevaluation zeigte eine intradeglutitive Penetration (Abb. 1).
Die endolaryngeale Sensibilität war deutlich herabgesetzt.

Diagnose

Zusammenfassend erschien ein initial vermuteter Tumor als kausale Ursache unwahrscheinlich. Die CT-morphologisch beschriebenen Spondylophyten vom HWK4 bis BWK4 zeigten ein fortgeschrittenes Stadium und korrelierten von der Lokalisation her mit der beschriebenen Schleimhauthypertrophie der Hypopharynxwand und der Asymmetrie des prävertebralen Gewebes. Nach diesen Befunden wurde die Diagnose einer diffusen idiopathischen skelettalen Hyperostose gestellt.

Therapie

Unmittelbar nach der Panendoskopie mit Biopsieentnahme kam es zu einer ausgeprägten Schwellung supraglottisch, die keinen Extubationsversuch zuliess, sodass sofort eine Tracheotomie durchgeführt wurde. Zusätzlich wurde der Patient mit einer nasogastralen Sonde versorgt. Zur Verbesserung der oberen Atemwegssituation wurde für den weiteren Verlauf die operative Abtragung des hyperplastischen Gewebes der Aryregion links im Sinne einer Supraglottoplastik mit Laser vorgenommen. Im Hinblick auf eine postoperativ zu erwartende längerfristige Schluckstörung erfolgte eine PEG-(perkutane endoskopische Gastrostomie-)Sondenanlage. Nach neurochirurgischer Mitbeurteilung bezüglich der ausgeprägten Spondylophyten wurde im Rahmen derselbigen Narkose die interdisziplinäre operative Abtragung festgelegt, welche durch eine anterolaterale linksseitige Zervikotomie durchgeführt wurde.

Verlauf

Der postoperative Verlauf sowie das Dekanülement gestalteten sich unkompliziert, sodass der Patient am siebten postoperativen Tag nach Hause entlassen werden konnte. Nach regelmässiger funktioneller Therapie durch eine Logopädin hat sich die Dysphagie deutlich gebessert. In der endoskopischen Verlaufskontrolle zeigte sich eine nun einsehbare Glottis mit symmetrischer Stimmlippenbeweglichkeit ohne Zeichen der Penetration oder Aspiration (Abb. 3).
Abbildung 3: Laryngoskopie vier Monate postoperativ: Blick auf die Glottis.
Zur subjektiven Beurteilung der Dysphagie füllte der Patient sowohl prä- als auch postoperativ die deutsche Version eines schluckbezogenen «Quality-of-Life»-Fragebogens, des «Dysphagia Handicap Index», aus [5]. Von 25 Fragen wurden präoperativ 23 Fragen positiv mit «manchmal» oder «immer» angegeben.
Vier Wochen postoperativ wurden nur noch insgesamt acht Fragen mit «manchmal» beantwortet, was ein deutliche Regredienz der Dysphagie aus der Sicht des Patienten bedeutet. Der orale Kostaufbau gestaltete sich im weiteren Verlauf problemlos, sodass die PEG-Sonde entfernt wurde. Bei vorbestehender Adipositas hielt der Patient drei Monate postoperativ sein Gewicht weiterhin stabil. Bei bekanntem OSAS wurde eine respiratorische Kontrollpolygraphie erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Gewichtsreduktion empfohlen.
Eine Verlaufs-CT zum Ausschluss eines Rezidivs wurde ein Jahr postoperativ veranlasst; dabei zeigten sich keine Hinweise für Rezidivosteophyten (Abb. 4).
Abbildung 4: Computertomographie der Halsregion ein Jahr postoperativ, Sagittalschnitt.

Diskussion

Die DISH wurde vor mehr als 50 Jahren erstmals durch Forestier beschrieben [4]. In der Ätiopathogenese der Krankheit werden ein abnormales Wachstum sowie eine Überfunktion der Osteoblasten in der osteoligamentären Verbindung und eine dadurch ausgelöste pathologische Kalzifikation an dem anterioren longitudinalen Ligament vermutet [1]. Des Weiteren werden mögliche Korrelationen mit verschiedenen Komorbiditäten beschrieben – beispielsweise wie im vorliegenden Fall mit Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie bei erhöhtem BMI [1–3]. Zu weiteren Risikofaktoren gehören genetische Einflüsse (Mutation der ANKH-Gene), Umweltfaktoren (Fluoride) und Medikamente (Isotretinoin) [1]. Mechanische Faktoren wie falsche Hebebewegungen und pathologische Hormonspiegel (Leptin, Wachstumshormon) kommen ebenfalls in Frage [1].
Je nach Lokalisation der Osteophyten kann sich die Krankheit mit verschiedenen Symptomen manifestieren wie Nacken-, Hals- und Rückenschmerzen sowie Schluckbeschwerden und Atemwegsobstruktion [4]. Die Dysphagie ist das bekannteste Symptom der zervikalen DISH, etwa ein Drittel der Betroffenen leiden darunter [2]. Als Erklärung können mechanischer Druck, ein entzündlicher Prozess durch das Wachstum der Osteophyten sowie auch die dadurch verursachten Schmerzen und Krämpfe dienen [4]. Eine Atemwegsobstruktion kommt nicht häufig bei zervikaler DISH vor, stellt aber beim Auftreten oft eine lebensbedrohliche Problematik dar. Die spitzen Osteophyten erzeugen durch die repetitive Scheuerbewegung beim Schluckakt eine mechanische Irritation posterior des Cricoarytenoidbereichs und rufen eine sekundäre chronische Entzündung der Schleimhaut hervor, die zur Verengung des Larynx und des Hypopharynx führt [2]. Die Parese des Nervus recurrens ist ebenfalls eine seltene Komplikation der zervikalen DISH, welche Karkas et al. mit der durch die Osteophyten verursachten mechanischen Kompression, Fibrosierung und Arthritis des Cricoarytenoidgelenkes erklären [2]. Karkas et al. beschreiben auch die venöse Kompression und das dadurch ausgelöste Ödem als mögliche Ursache und verweisen auf den Artikel von Verstraete et al. [2, 6]. Das OSAS gehört ebenfalls nicht zu den häufigen Symptomen der zervikalen DISH, kann aber bei sehr grossen Osteophyten vorkommen. Nächtliche Apnoe und Stridor werden durch den pharyngealen Druckeffekt der zervikalen Osteophyten hervorgerufen [3]. Aufgrund der möglichen Stimulation des pharyngealen Plexus durch den Nervus glossopharyngeus und des Nervus vagus können Menschen mit einer zervikalen DISH über eine Otalgie klagen [2].
Therapeutisch kann bei akuter Atemwegsverlegung eine notfallmässige Tracheotomie unumgänglich sein. Bei einer nicht bedarfsgerechten oralen Ernährung und Aspirationsgefahr sollte die Anlage einer nasogastralen oder PEG-Sonde erwogen werden. Die chirurgische Therapie beinhaltet die Abtragung der Osteophyten. Dies geschieht über einen Standardzugang zur Halswirbelsäule (anterolaterale Zervikotomie), die Osteophyten werden dann mit einer grosskalibrigen Rosenfräse abgetragen. Der DISH-Knochen hat eine leicht andere Struktur als der Wirbelkörperknochen, sodass die Grenzen klar sind. Bei der DISH handelt es sich nicht um Osteophyten, die aufgrund einer Halswirbelsäuleninstabilität entstanden sind. Demnach sind keine stabilisierenden Massnahmen im Anschluss an die Dekompression notwendig. Bei einer asymmetrischen Schleimhauthypertrophie ist vorgängig eine Biopsie zum Ausschluss einer Malignität durchzuführen [2, 4].
Für den postoperativen Verlauf ist es wichtig zu erwähnen, dass Betroffenen mit einer DISH ein erhöhtes Risiko für ein Rezidiv der Osteophyten haben, weshalb eine Verlaufskontrolle zehn Jahre postoperativ empfohlen wird [4].

Das Wichtigste für die Praxis

Patientinnen und Patienten mit zervikaler Form der diffusen idiopathischen skelettalen Hyperostose (DISH) können verschiedene Symptome im Kopf-Hals-Bereich wie Dysphagie, Odynophagie, Dyspnoe, Dysphonie und Otalgie präsentieren.
Nach Ausschluss einer Malignität sowie bei typischer Anamnese ist rechtzeitig an die Differentialdiagnose DISH zu denken.
Das Therapiekonzept erfordert eine interdisziplinäre Behandlung (Phoniatrie, Logopädie, Oto-Rhino-Laryngologie, Neurochirurgie).
Dr. med. (H) Evelin Kovacs-Sipos
Klinik für Hals-, Nasen-, Ohren- und Gesichtschirurgie, Luzerner Kantonsspital, Luzern
An dieser Stelle möchten wir uns bei den Kolleginnen und Kollegen der Radiologie des Luzerner Kantonsspitals für die computertomographischen Aufnahmen und deren Befundung bedanken.
Dr. med. Evelin Kovacs-Sipos
Klinik für Hals-, Nasen-, Ohren- und Gesichtschirurgie
Spitalstrasse
CH-6000 Luzern
1 Nascimento FA, Gatto LAM, Lages RO, Neto HM, Demartini Z Jr, Koppe GL. Diffuse idiopathic skeletal hyperostosis: A review. Surg Neurol Int. 2014;5:S122–5.
2 Karkas AA, Schmerber SA, Gay EP, Chahine KN, Righini CA. Respiratory distress and vocal cord immobilisation caused by Forestier’s disease. Otolaryngol Head Neck Surg. 2008;139:327–28.
3 Kawauchi E, Yamagata T, Tohda Y. A case of Forestier disease with obstructive sleep apnea syndrome. Sleep Breath. 2012;16(3):603–5.
4 Miyamoto K, Sugiyama S, Hosoe H, Iinuma N, Suzuki Y, Shimizu K. Postsurgical recurrence of osteophytes causing dysphagia in patients with diffuse idiopathic skeletal hyperostosis. Eur Spine J. 2009;18(11):1652–8.
5 Kulturell adaptierte Übersetzung des Dysphagia Handicap Index (DHI) in die deutsche Sprache und Pilottestung: Vortrag auf der 31. Wissenschaftlichen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck (Sept.18.–21., 2014).
6 Verstraete WL, De Cauwer HG, Verhulst D, Jacobs F. Vocal cord immobilisation in diffuse idiopathic skeletal hyperostosis (DISH). Acta Otorhinolaryngol Belg. 1998;52(1):79–84.