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Ausgabe
2022/1112
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09064
Swiss Med Forum. 2022;22(1112):194-196

Publiziert am 15.03.2022

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Androgenetische Alopezie

– Diese Alopezie ist sehr häufig (bis zu 50% bei 50-jährigen Männern), kommt weltweit vor und ist androgenabhängig (Auftreten nach Pubertät).
– Im Gegensatz zur trendigen Selbstrasur ist die Lebensqualität oft eingeschränkt [1].
– Starke vererbbare Komponente: Söhne von Vätern mit Glatze haben ein fünfmal höheres Risiko für eine solche.
– Multiple Gen-Loci sind mit diesem erhöhten Risiko assoziiert.
– Die 5-α-Reduktase (Isoformen 1 und 2) metabolisiert im Gewebe ­Testosteron (das in normaler Konzentration zirkuliert) zum Dihydrotestosteron.
– Dihydrotestosteron hat eine deutliche höhere Affinität zum Androgen­rezeptor und ist für die Entstehung der Alopezie zentral.
– Im Gegensatz zur Assoziation mit einem Prostatakarzinom (Mehrzahl der Studien negativ) scheint diese Alopezie mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko assoziiert.
– Minoxidil (mit multiplen Wirkmechanismen auf die Haarfollikel) und 5α-Reduktase-Hemmer (Finasterid, Dutasterid) sind wirksame Therapien (oral/topisch).
– Die oralen Verabreichungsformen scheinen insgesamt besser wirksam.
– Eine vergleichende Studienanalyse (Finasterid, Dutasterid, Minoxidil) findet, dass 0,5 mg Dutasterid (p.o./Tag) die wirksamste Therapieoption sei ([2], siehe Abbildungen 3 und 4).
1 JAMA Dermatol. 2022, doi.org/10.1001/jamadermatol.2021.5625.
2 JAMA Dermatol. 2022, doi.org/10.1001/jamadermatol.2021.5743.
Verfasst am 10.02.2022.

Praxisrelevant

Femurhalsfrakturen versorgen: Mit oder ohne Zement?

Bei über 60-Jährigen (meist mit physischen oder ko­gnitiven Vorerkrankungen) machen Femurhalsfrakturen etwa die Hälfte aller der auf mehrere Millionen (jährlich und weltweit) geschätzten Hüftfrakturen aus. Die Hemiarthroplastik ist die Therapie der Wahl, Uneinigkeit besteht, ob diese ohne oder mit Zement erfolgen soll. Letztere geht mit der Möglichkeit einer Knochenzementreaktion («bone cement implantation syndrome»), also einer Fremdkörperembolie, einher, erstere mit erhöhtem Risiko einer periprosthetischen Fraktur respektive Reoperation. Bei je mehr als 600 Patientinnen und Patienten (durchschnittlich 85 Jahre alt) wurden die Verläufe nach zementierter/unzementierter Hemiarthroplastik nach Femurhalsfraktur 12 Monate lang dokumentiert [1]. Die Verwendung von Zement (mit Hydroxyapatit beschichtet) führte zu einer besseren Lebensqualität und weniger periprosthetischen Frakturen. Der 12 Monate Mortalitätsunterschied war nicht signifikant (23,9% in der Zement- versus 27,8% in der zementfrei operierten Gruppe). Insgesamt zeigt die Studie also Vorteile für die Verwendung von Zement und bestätigt, dass eine Femurhalsfraktur unabhängig davon von einer hohen mittelfristigen ­Mortalität gefolgt ist. Eine Editorialistin erwähnt, dass die meisten Orthopädinnen und Orthopäden elektive Femurprothesen nun zementfrei implantieren und fragt, ob vielleicht der Erfahrungsschatz dann für die Zementverwendung in einer Akutsituation hoch genug geblieben sei [2].
1 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2108337.
2 N Engl J Med.2022, doi.org/10.1056/NEJMe2119282.
Verfasst am 13.02.2022.

Paradigmenwechsel: Weniger Diätrestriktionen bei chronischer Niereninsuffizienz

Ob medikamentös oder durch Diätmodulation (vermehrt Früchte und Gemüse) induziert – eine Neutralisierung der Säurebelastung hat einen verlangsamenden Effekt auf die Progression der chronischen Niereninsuffizienz. Das steht konträr zur allgemein angenommenen Gefahr einer Hyperkaliämie bei regelmässiger ­hoher Zufuhr von Gemüse und Früchten. Allerdings dürften diese Bedenken nicht ganz begründet sein: Die Bioverfügbarkeit des Kaliums in Früchten/Gemüsen ist eher klein, sodass – unter entsprechenden Kontrollen – die Betroffenen nicht mit Restriktionen betreffend eine frugale Diät unter Druck gesetzt werden müssen. Andere Kaliumquellen scheinen weniger sicher und ­gewisse Nierenerkrankungen (z.B. Diabetes mellitus) weisen überproportional stärker eingeschränkte Kaliumexkretionsraten auf. Direkte und mittelbare Hemmer des wichtigsten Hormons in der Regulation der ­Kaliumausscheidung, Aldosteron, stellen einen weiteren Risikofaktor dar (Aldosteron-Rezeptor-Antagonisten, ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten). Eine individualisierte Diätempfehlung und Kontrollen deren Effekts sind also zentral.
J Ren Nutr. 2022, doi.org/10.1053/j.jrn.2022.01.013. Verfasst am 10.02.2022.

Eine überstandene COVID-19-Erkrankung ist ein persistierender Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse

«Long COVID» (offiziell «post acute sequelae of SARS-CoV-2») ist ein schlecht definiertes Syndrom mit wahrscheinlich multiplen Ursachen und ebenso vielen ­potentiellen pathogenetischen Mechanismen. Kardiovaskuläre und respiratorische Erkrankungen oder Komplikationen sind aber ein wichtiger Aspekt der klinischen Phänomenologie. Mehr als 150 000 Patientinnen und Patienten aus der sogenannten «Veterans ­Administration Population», die COVID-19 mehr als 30 Tage überlebt hatten, wurden fast 12 Monate lang nachbeobachtet. Eine kontemporäre Kontrollgruppe umfasste fast 6 Millionen Individuen, gleich viele wie eine historische Prä-COVID-19-Kontrollgruppe. Kardiovaskuläre Ereignisse traten hochsignifikant häufiger auf im ersten Jahr nach COVID-19. Das Risiko war schon bei milden Verläufen signifikant (um etwa 50%) höher und stieg progressiv weiter an, in Abhängigkeit vom Schweregrad der COVID-19-Erkrankung (nach Massgabe, ob eine Hospitalisation oder gar eine intensivmedizinische Behandlung nötig war, siehe Abbildung 6 in der ­Arbeit). Das Risiko wurde, nicht überraschend, mitbeeinflusst durch vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen oder entsprechende Risikofaktoren per se. Schlaganfälle, akute Koronarsyndrome, entzündliche Herzkrankheiten (Myokarditis, Perikarditis) und thrombotische Erkrankungen erfordern also selbst nach milden Verläufen erhöhte Wachsamkeit, vor allem, aber nicht exklusiv, bei älteren Menschen.
Störung der zirkadianen Rhythmen im Krankheitszustand.
Nachdruck aus: Mohandas R, Douma LG, Scindia Y, Gumz ML. Circadian rhythms and renal pathophysiology. J Clin Invest. 2022;132(3):e148277 https://doi.org/10.1172/JCI148277 © 2022, Mohandas et al. This is an open access article published under the terms of the Creative Commons Attribution International License (CC BY 4.0). https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.
Nat Med. 2022, doi.org/10.1038/s41591-022-01689-3. Verfasst am 12.02.2022.

Neues aus der Biologie

Gestörter Tag-Nacht-Zyklus und ­Nierenerkrankungen

Das moderne Leben stört den bis vor Kurzem üblichen Tag-Nacht-Rhythmus nachhaltig und scheint zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen zu führen. Im menschlichen Körper gibt es eine zentrale Rhythmus-Uhr (lokalisiert im Nucleus suprachiasma­ticus im Hypothalamus) und periphere Rhythmus-Uhren (u.a. in den Nieren). Es gibt zunehmend Hinweise, dass ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus ein Progressionsfaktor für chronische Nierenerkrankungen ist und auch den resultierenden Nierenschaden verschiedener Nierenerkrankung, so beim Lupus erythematodes und der hypertensiven Nierenerkrankung, verstärkt. Die Abbildung zeigt dies für das Beispiel des Lupus erythematodes: Der Lupus ist eine autoimmune Erkrankung, die eine individuelle genetische Prädisposition erfordert. Bei gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus, etwa bei Schlafsstörungen oder Mutationen in den die zentrale oder periphere Uhr regulierenden Genen, kann die Auto­antikörperproduktion und letztlich die Immunkomplexdeposition in den Glomerula erhöht und der Nierenschaden verstärkt werden (Teil B der Abbildung). Ein gestörter Rhythmus kann diverse, für die Progression der Niereninsuffizienz wichtige Metabolite/Hormone, die alle einen zirkadianen Rhythmus aufweisen, namentlich Phosphat, PTH und Erythropoetin zeitlich gesehen ausser Rand und Band bringen und so mutmasslich zu renal induzierten kardiovaskulären Komplikationen beitragen (Teil A der Abbildung). Ungestörte Nachtruhe in Städten, Reduktionen der nächtlichen Lichpollutionen und ­anderes mehr könnten also bisher unbekannte, zusätzliche gesundheitsfördernde Effekte haben.
J Clin Invest. 2022, doi.org/10.1172/JCI148277.
Verfasst am 13.02.2022.

Das hat uns gefreut

Rezyklierter Urin als Dünger

Urin ist reich an Stickstoff (Harnstoff), Kalium und Phosphat, den Hauptkomponenten von Düngern, nach denen der Bedarf weltweit weiterhin stark ansteigt. Die Düngerproduktion ist aber sehr energieintensiv und oft stark belastend für die Umwelt. Rezyklierter Urin könnte schätzungsweise ein Achtel des Düngerbedarfs decken. Der menschliche Urin würde in speziellen Toiletten automatisch weggeleitet und dann hydrolisiert und als Trockensubstanz als Pflanzendünger verwendet. Feldversuche in Schweden zeigen die hohe Wirksamkeit dieses ökologisch sinnvollen Düngeproduktes.
Aufforderung zur Urinspende für die Düngergewinnung in Michigan. Reproduktion von https://richearthinstitute.org/rethinking-urine/urine-diversion/. 
© 2022 Rich Earth Institute, mit freundlicher Genehmigung.
Verfasst am 11.02.2022.

Fortschritte in der Behandlung des ­Makulaödems

Intra-vitreal alle 4 bis 12 Wochen applizierte inhibitorische Antikörper gegen den eine zentrale Rolle in der Neubildung von Gefässen spielenden «vascular endothelial growth factor» (VEGF) haben den Verlauf des dia­betischen Makulaödems und namentlich der «nassen» Makuladegeneration entscheidend verbessert. Ein neuer Antikörper, der nicht nur in die VEGF-Achse eingreift, sondern einen zweiten die Vaskulogenese fördernden Faktor, Angiopoietin, hemmt (Faricimab), war – appliziert in einem 16-wöchigen Therapieintervall – einem 8-wöchig gegebenen reinen VEGF-Hemmer nicht unterlegen. Endpunkte waren Verbesserung des Visus und der retinalen Gefässpathologie. Ermutigende Resultate, die den Alltag der Betroffenen vereinfachen würden, wenn die Langzeitresultate dann die erste gute Verträglichkeit bestätigen.
(Industrie-gesponserte Studie, F.Hofmann-La Roche).
Verfasst am 13.02.2022.

Das hat uns nicht gefreut

Azetaminophen doch nicht sicher für ­hypertensive Patienten?

Im Gegensatz zu den nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) wird Azetaminophen häufig verschrieben, wenn nicht gar als Schmerzmittel der Wahl empfohlen für hypertensive Patientinnen und Patienten. In einer prospektiven, plazebokontrollierten, sogenannten «crossover»-Studie führte aber eine relativ hohe Dosis von Azetaminophen (4 g pro Tag) nach 14 Tagen zu einer hochsignifikanten systolischen Blutdrucksteigerung von zirka 5 mm Hg (p <0,0001), während der dia­stolische Druck ebenfalls anstieg (zirka plus 1 mm Hg, p <0,005). Das sind in etwa die Effekte der NSAR! Die Studienpopulation (n = 204) bestand aus behandelten Hypertoniepatientinnen und -patienten, die durchschnittlichen Blutdruckwerte wurden mit einer 24h-Messung bestimmt. ­Azetaminophen könnte also seinen Status als sichere Alternative zu den NSAR verlieren. Der (Neben-)­Wirkungsmechanismus ist unklar, könnte aber mit der Fähigkeit von Azetaminophen zusammenhängen, die sogenannte Cyclooxygenase-2 (Cox-2) zu hemmen.
Circulation. 2022, doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.121.056015. Verfasst am 13.02.2022.
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