COVID-19 bei Patientin unter Rituximab
Atypischer Verlauf

COVID-19 bei Patientin unter Rituximab

Der besondere Fall
Ausgabe
2022/2526
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09085
Swiss Med Forum. 2022;22(2526):429-432

Affiliations
a Innere Medizin, Spitalregion Rheintal Werdenberg Sarganserland, Altstätten; b Klinik für Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital St. Gallen, St.Gallen; Klinik für Neurologie, Kantonsspital St.Gallen, St.Gallen; d Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene, Universitätsspital Zürich, Zürich

Publiziert am 21.06.2022

Wir stellen in folgendem Fallbericht eine 45-jährige Patientin mit äusserst prolongiertem, aber insgesamt mildem Verlauf einer COVID-19 vor.

Hintergrund

Atypische Verläufe einer COVID-19 sind bei Patientinnen und Patienten unter Anti-CD-20-Antikörper-­Therapie (z.B. Rituximab) beschrieben. Das klinische Bild umfasst häufig rezidivierende oder persistierende Infektionen bei gleichzeitig negativer COVID-19-Serologie als Ausdruck einer fehlenden Immunantwort. Die medizinische Betreuung dieser Patientinnen und Patienten stellt eine grosse interdisziplinäre Herausforderung dar. Wir stellen in folgendem Fallbericht eine ­Patientin mit äusserst prolongiertem aber insgesamt mildem Verlauf einer COVID-19 vor.

Fallbericht

Anamnese

Es handelt sich um eine 45-jährige Patientin mit ­bekannter Aquaporin-4-seronegativer Neuromyelitis ­optica (Erstdiagnose 2008) unter langjähriger sechsmonatiger Therapie mit Rituximab (letzte Gabe 21.10.2020). Bei typischen Symptomen einer milden COVID-19-­Infektion erfolgte am 28.12.2020, vier Tage nach Sym­ptombeginn, der positive Virusnachweis mittels nasopharyngealem Antigen-Schnelltest (Tag 0). Auf eine Bestätigung des Resultats mittels PCR wurde im hausärztlichen Bereich verzichtet. Bei Persistenz der Sym­ptomatik mit Status febrilis wurde die Patientin an Tag 22 in unserem Spital erstmalig vorstellig.

Diagnose, Therapie und Verlauf

Radiologisch zeigte sich ein zu einer COVID-19-Pneumonie passendes Bild (Abb. 1) mit laborchemisch moderat erhöhten Entzündungswerten (Krankheitsverlauf siehe Abb. 2). Trotz wiederholt negativen Nachweises von SARS-CoV-2 aus der nasopharyngealen PCR («polymerase chain reaction») sowie negativer SARS-CoV-2-­Serologie wurde bei anhaltender Adynamie, Fieber sowie initialer Sauerstoffbedürftigkeit bei klinischem Verdacht auf eine COVID-19-Pneumonie und vorliegender Immunsuppression eine antivirale Therapie mit Remdesivir für fünf Tage durchgeführt. Hierunter kam es zu einem raschen klinischen Ansprechen mit Fieberfreiheit und Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit.
Abbildung 1: Computertomographie Thorax, Darstellung Oberlappen (1) bzw. Unterlappen (2): A) 1. Hospitalisation (Tag 22 seit Symptombeginn; vor Therapiebeginn): Bilaterale, oberlappenbetonte Ground-Glass-Opazitäten. B) 3. Hospitalisation (Tag 74 seit Symptombeginn, nach zweimaliger Therapie mit Remdesivir): Bilaterale, unterlappenbetonte Ground-Glass-Opazitäten.
Abbildung 2: Übersicht über Hospitalisation, Medikation, Temperatur sowie CRP zwischen Symptombeginn (Tag 0) und letzter Untersuchung (Tag 137).
X: >1 Tag ohne Ereignis; *1: Symptombeginn; *2: erster SARS-CoV-2-Nachweis (Ag positiv); *3: SARS-CoV-2-PCR Bronchialsekret positiv (Ct-Wert 25); *4: COVID-19 1. Impfung; *5: COVID-19 2. Impfung; *6: Rituximab-Gabe; ∆: Nasopharyngeale SARS-CoV-2-PCR negativ.
SARS-CoV-2: «severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2»; COVID-19: «coronavirus disease 2019»; CRP: C-reaktives Protein.
Etwa drei Wochen nach Beendigung der Remdesivir-Gabe (Tag 50) erfolgte bei wieder aufgetretenem Status febrilis die zweite Spitaleinweisung. Bei radiologisch bilateralen pneumonischen Infiltraten wurde nach erneut negativer nasopharyngealer SARS-CoV-2-PCR eine Bronchoskopie inklusive bronchoalveolärer Lavage (BAL) durchgeführt, wobei sich einzig die SARS-CoV-2-PCR mit einem «cycle treshold»-(Ct-)Wert von 25 positiv zeigte. Mikrobiologisch konnten wir keine Hinweise auf andere Erreger (Multiplex-PCR auf respiratorische Viren, Galactomannan aus BAL, Legionellen- und Pneumokokken-Antigen im Urin) finden und wir hatten auch keine Anhaltspunkte für ein entzündliches Geschehen wie zum Beispiel eine kryptogene organisierende Pneumonie (COP). Deshalb gingen wir bei persistierendem Fieber, erhöhten Entzündungswerten, bilateralen Lungeninfiltraten sowie Virusnachweis in der BAL von einer prolongierten Virusausscheidung, vorwiegend in den unteren Atemwegen (wiederholt negative PCR aus Nasopharyngealabstrich), aus und führten eine erneute antivirale Therapie mit Remdesivir durch. Bei Relapse nach fünftägiger Therapie mit Remdesivir im Rahmen der Ersthospitalisation wurde die Zweitgabe auf zehn Tage verlängert, mit erfreulichem klinischem Ansprechen und Fieberfreiheit trotz Absetzen der Antipyretika (Abb. 2). Sowohl die SARS-CoV-2-­Serologie als auch die SARS-CoV-2-PCR im Blut als Surrogat für eine anhaltende Virusrepli­kation zeigten sich nach Abschluss der Remdesivir-Therapie negativ.
Am Tag 66 (drei Tage nach abgeschlossener zweiter Remdesivir-Gabe) kam es bei weiterhin fehlendem anderweitigem Infektfokus zum erneuten Status febrilis. Bei diversen negativen Serologien (inklusive SARS-CoV-2-anti-Nucleokapsid und Spike-IgG), wiederholt negativen Blutkulturen, fehlenden Hinweisen auf eine Progredienz der Grunderkrankung sowie fehlenden Zeichen einer COP gingen wir trotz negativen nasopharyngealen Virusnachweises bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit von einer persistierenden SARS-CoV-2-­Replikation aus, verzichteten diesmal jedoch auf eine neue invasive Abklärung mittels BAL. Wir nahmen die Patientin zum insgesamt dritten Mal stationär auf und begannen überbrückend eine erneute antivirale Therapie mit Remdesivir. Anschlies­send verlegten wir die Patientin für eine dreitägige Therapie mit rekonvaleszentem Plasma im Rahmen ­eines individuellen Heilmittelversuchs ans Zentrumsspital.
Die Gabe von rekonvaleszentem Plasma an drei aufeinanderfolgenden Tagen gestaltete sich komplikationslos und die Patientin zeigte sich allzeit kardiopulmonal stabil und afebril bei rasch regredienten Entzündungswerten. Sie wurde bei unverändert negativer Serologie vier Wochen nach Plasmatherapie zwischenzeitlich zweimalig gegen COVID-19 geimpft. Die sechsmonatige Rituximab-Gabe erfolgte planmässig und komplika­tionslos nach Erhalt der zweiten SARS-CoV-2-Teilimpfung, wobei es im gesamten Behandlungszeitraum der COVID-19 zu keinem Schub der Neuromyelitis optica kam. Laut letztem telefonischem Kontakt Mitte August 2021, knapp acht Monate nach COVID-19-Erstdiagnose, ist die Patientin weiterhin beschwerdefrei.

Diskussion

Im hier angeführten Fallbeispiel kam es bei der durch Rituximab B-Zell-depletierten Patientin mit persistierend symptomatischer COVID-19 und prolongiertem Virusnachweis auf die Gabe von Remdesivir jeweils zu einem raschen, eindrücklichen klinischen Ansprechen, jedoch ohne vollständige Virus-Clearance.
Zum damaligen Zeitpunkt zeigte sich eine gemischte Evidenz zur therapeutischen Wirkung von Remdesivir bei COVID-19 [1, 2].Ein möglicher Benefit hinsichtlich Erholungszeit und Progression der Erkrankung zeigte sich vor allem bei Applikation in der Frühphase, wobei hier in erster Linie sauerstoffpflichtige, nicht beatmete Patientinnen und Patienten profitierten [2].
Im Falle unserer Patientin starteten wir aufgrund der damaligen Studienlage mit Remdesivir. Die Entscheidung basierte auf dem möglichen Benefit ­einer anti­viral wirksamen Therapie bei persistierender Virus­replikation und fehlender B-Zell-Antwort (Surrogat: negative COVID-19-Serologie) unter Rituximab, fehlendem Nachweis eines anderen Keimes, der ­bilateralen Pneumonie sowie der initialen Sauer­stoffbedürftigkeit. Auf eine immunmodulatorische Intervention mit Dexamethason wurde bei nur moderat erhöhten Entzündungszeichen, nur kurzer Sauerstoffbedürftigkeit und insgesamt stabilem Krankheitsverlauf verzichtet.
Unter Therapie mit rekonvaleszentem Plasma konnte im Falle unserer Patientin eine dauerhafte Symptomfreiheit und somit eine wahrscheinliche Virus-Clearance erzielt werden, was den potentiellen Benefit von rekonvaleszentem Plasma in dieser klinischen Situation suggeriert. Die negative Serologie nach Plasmatherapie ist durch die Halbwertszeit der rekonvaleszenten Antikörper von circa drei Wochen erklärt.
Der Einsatz von Rekonvaleszenzplasma in der COVID-19-Pandemie basiert auf dessen wiederholt erfolg­reicher Anwendung in der Therapie viraler Atem­­wegsinfektionen. Grundstein hierfür legte Emil von Behring mit der Entdeckung der Serumtherapie zur Behandlung der Diphterie, wofür er 1901 den ersten Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhielt. Therapeutische Anwendung fand die rekonvaleszente Plasmagabe seitdem gegen die Spanische Grippe, «severe acute respiratory syndrome 1» (SARS1), «Middle-East ­respiratory syndrome» (MERS) und Ebola, sodass eine rasche Implementierung zu Beginn der COVID-19-Pandemie nachvollziehbar war.
Während Fall-Kontroll-Studien auf ein verbessertes Überleben durch die Anwendung von Rekonvaleszenzplasma bei COVID-19 hinweisen, zeigen randomisiert kontrollierte Studien keinerlei Effekt auf sämtliche klinischen Endpunkte, sodass eine entsprechende Anwendung nur im ambulanten Setting unter Einschluss in eine klinische Studie empfohlen wird [3]. Bei unzureichender Datenlage kann ein potentieller Benefit einer frühzeitigen Plasmagabe nicht ausgeschlossen werden, mit der Hypothese, dass eine frühe Transfusion ein Neutralisieren des Virus in der viralen Replikationsphase bewirkt und somit das Fortschreiten in die Entzündungsphase verhindert. Eine andere Population, die möglicherweise von einer Therapie mit rekonvaleszentem Plasma profitiert, sind Patientinnen und Patienten mit einer B-Zell-Depletion, die keine spezifische Immunantwort gegenüber SARS-CoV-2 aufbauen können. Bei diesen selektionierten Patientengruppe kann die Gabe von rekonvaleszentem Plasma auch zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll sein [4]. Im vorliegenden Fall wurde durch das Behandlungs-Team am Zentrumsspital ein Plasmaprodukt gewählt, das hohe Antikörper-Titer gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 enthielt und bei dem somit von einer guten Neutralisationskapazität ausgegangen werden konnte.
Der optimale Zeitpunkt der COVID-19-Impfung bei Personen unter Rituximab bleibt unklar. Erste Studien bei Personen mit rheumatischen Grunderkrankungen zeigten, dass ein möglichst grosser zeitlicher Abstand zwischen letzter Rituximab-Gabe und COVID-19-Impfung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer serologischen Reaktion auf die Impfung korrelierte. Dies wurde auf die anti-CD20-therapieinduzierte B-Zell-Depletion mit meist erst nach mehreren Monaten wiedereinsetzender Immunrekonstitution zurückgeführt, wobei dies sehr individuell scheint [5]. Unsere Patientin wurde mit dem grösstmöglichen Abstand zur vorhergegangenen Rituximab-Gabe (1. Teilimpfung 147 Tage und 2. Teilimpfung 184 Tage nach Rituximab-Gabe) geimpft. In der knapp drei Wochen nach der 2. Teilimpfung gemessenen SARS-CoV-2-Serologie konnten keine SARS-CoV-2-Spike-Antikörper im Sinne einer humoralen Immunantwort nachgewiesen werden. Die zelluläre Immunantwort wurde nicht gemessen.
Die zentralen Limitationen des vorliegenden Berichtes ergeben sich aus der begrenzten Aussagekraft der Einzelfallstudie sowie den im Rahmen der COVID-19-Pandemie stetig neu gewonnen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Das Wichtigste für die Praxis

• Personen unter immunsuppressiver Therapie (insbesondere anti-CD-20) können einen atypischen Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion mit protrahiertem klinischem Verlauf und fehlender viraler Clearance aufweisen.
• Die Remdesivir-Gabe kann bei Personen mit B-Zell-Depletion und dadurch fehlender viraler Clearance unabhängig von der Symptomdauer sinnvoll sein und sollte interdisziplinär in einem Behandlungs-Team besprochen werden.
• Der Einsatz von hochtitrigem Rekonvaleszenzplasma zusätzlich zum Standard-of-Care kann bei Immunsupprimierten von klinischem Benefit sein und sollte interdisziplinär in einem Behandlungs-Team besprochen werden.
• Heute besteht (im Gegensatz zum Zeitpunkt, als die Patientin behandelt wurde) durch die monoklonalen Antikörper eine weitere Therapieoption für stationäre seronegative COVID-19-Patientinnen und -Patienten mit einer Pneumonie oder für ambulante Patientinnen und Patienten mit mildem Verlauf, aber Risikofaktoren für einen prolongierten, schweren Verlauf.
Die radiologischen Bilder werden dem kantonalen Netzwerk Radiologie, Kantonsspital St. Gallen verdankt.
DB gibt an, Zuschüsse (Beratungs-/Vortragshonorare) von MSD, Gilead, ViiV und AbbVie erhalten zu haben. Die anderen Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. univ.
Elena Reichsoellner
Allgmeine Innere Medizin
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
CH-9007 St. Gallen
elena.reichsoellner[at]
kssg.ch
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