Ärztliche Bildung im Wandel
20 Jahre Swiss Medical Forum

Ärztliche Bildung im Wandel

Aktuell
Ausgabe
2022/1516
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09098
Swiss Med Forum. 2022;22(1516):258-259

Affiliations
Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF), Bern

Publiziert am 12.04.2022

Die ärztliche Bildung wird kompetenzbasiert. Die Schweiz hat das Konzept in der Ausbildung implementiert, die Weiterbildung holt auf.

Einführung

Die traditionellen medizinischen Schlaglichter in dieser Jubiläumsausgabe beleuchten die wichtigsten Entwicklungen im jeweiligen Fachgebiet in den Jahren seit der Gründung des SMF vor 20 Jahren. Darin werden spannende und faszinierende Aspekte in der Medizin beschrieben, die auch die medizinischen Vorgehensweisen verändern können. Aber auch die bahnbrechendsten medizinischen Forschungsergebnisse werden bedeutungslos, wenn sie nicht veröffentlicht und verbreitet werden. Und genau hier hilft die medizinische Bildung: Bildungsaktivitäten sind da, um unser ärztliches Wissen zu erweitern, handwerkliche Fähigkeiten neu zu erwerben oder aufzufrischen, aber auch um unser ärztliches Tun mit einer hohen ärztlichen Qualität und Haltung auszuführen, das dem Eid des Hippokrates oder – moderner – der Genfer Deklaration des Weltärztebundes von 1948 entspricht [1]. Womit wir bereits bei den Komponenten der kompetenzbasierten medizinischen Bildung («competency-based medical education» [CBME]) angelangt sind: Kompetenz beinhaltet Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie eine adäquate Haltung [2].

Kompetenzbasierte Bildung

Die Einführung der CBME ist ein mindestens so bahnbrechendes Ereignis wie die Anpassungen der Bildung und der Medizin anfangs des 20. Jahrhunderts, die durch einen Bericht von Abraham Flexner 1910 angestossen wurden [3]. Erste Initiativen reichen bis in die 1970er-Jahre zurück [4]. Der Durchbruch aber wurde durch kanadische Educators anfangs dieses Jahrtausends erreicht mit der Entwicklung des CanMEDS-­Modells (Abb.1) [5].
Abbildung 1: CanMEDS-Modell (Copyright © 2015 The Royal College of Physicians and Surgeons of Canada. https://www.royalcollege.ca/rcsite/canmeds/canmeds-framework-e . Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).
Dieses Modell wurde international breit übernommen. In der Schweiz ist es nicht nur die Grundlage der PROFILES («Principal Relevant Objectives and Framework for Integrated Learning and Education in Switzerland») in der ärztlichen Ausbildung [6], sondern auch die Basis der «Allgemeinen Lernziele» in der ärztlichen Weiterbildung, die einen integralen Bestandteil ­aller Weiterbildungsprogramme darstellt. Dies sind beste Voraussetzungen dafür, dass in Zukunft ein besseres Kontinuum zwischen der universitären Ausbildung und der ärztlichen Weiterbildung erreicht werden kann. In der weiteren Zukunft soll dann auch die ärztliche Fortbildung von dieser Entwicklung profitieren. Im Bereich des lebenslangen Lernens – oder eben der Fortbildung – geht es vor allem darum, die Kompetenzen zu ­erhalten, die sich eine Ärztin oder ein Arzt in ihrer/seiner Tätigkeit angeeignet hat. Aber es sollen auch Instrumente zur Verfügung stehen, die es ihr oder ihm ermöglichen, Schwächen oder Wissenslücken in einem bestimmten Bereich aufzuspüren, der für die Tätigkeit wichtig ist, aber vielleicht nicht im Zentrum der alltäglichen Arbeit steht. Hierzu zählt beispielsweise die ­kardiopulmonale Reanimation: Die korrekte Durchführung der Wiederbelebungsmassnahmen eines Menschen in der Praxis kann über Leben und Tod entscheiden. Da das Ereignis aber so selten ist, verdrängen viele Ärztinnen und Ärzte das Thema und verlieren dadurch ihre entsprechende «Fitness». Ein Bericht, der vom SIWF, dem Schweizerischen Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung, zu Handen der Plattform «Zukunft ärztliche Bildung» verfasst wurde, zeigt dies auf, spricht aber der ärztlichen Fortbildung allgemein eine gute Qualität zu [7].

Entrustable Professional Activities

Die wahrscheinlich augenfälligste Veränderung im Rahmen der Einführung der kompetenzbasierten Weiterbildung ist die Entwicklung von «Entrustable Professional Activities» (EPAs). Ein EPA, also eine anvertraubare beruf­liche Tätigkeit, ist eine konkrete (ärztliche) Aufgabe, die einer Person in Aus- oder Weiterbildung vollständig übertragen werden kann, sobald diese zeigen konnte, dass sie die Befähigung zur unbeaufsichtigten Ausführung dieser Tätigkeit hat. EPAs können auch als Puzzlestücke angesehen werden, die zusammengesetzt das Bild einer Ärztin oder eines Arztes in einem Fachgebiet ausmachen. In der Schweiz werden die Fachgesellschaften in der Ausarbeitung «ihrer» EPAs durch Expertinnen und Experten des SIWF unterstützt. Anschliessend werden die so entstandenen EPAs in einem Review-Verfahren auf Konsistenz und Struktur überprüft, damit sie auch anderen Fachgesellschaften bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden können. Im Rahmen einer Pilotierung an definierten Weiterbildungsstätten werden sie einer Qualitätskontrolle unterzogen und auf ihre Umsetzbarkeit überprüft. Erst dann können sie in die einzelnen Weiterbildungsprogramme integriert werden. Die EPAs, die durch die Ärztinnen und Ärzte in ­Weiterbildung im Rahmen der Pilotierung durchgeführt werden, können schon jetzt als Arbeitsplatz-basierte ­Assessments (AbAs) verwendet werden.

Die Situation in der Schweiz

Die Einführung der CBME in der Schweiz ist ein Grossprojekt und gleicht der Besteigung eines Achttausenders: Es braucht ein gutes Team, das mitzieht, viel Geduld, ein klares Ziel, einen langen Atem und auch das Talent, Rückschläge einzustecken und trotzdem weiterzumachen. Auch international zeigt sich, dass die Implementierung von CBME nicht einfach ist, denn die Neuorientierung ist nicht nur die Einführung eines neuen Instruments. Es geht vielmehr um einen Kulturwechsel in Richtung Aufwertung der Bildung und ihrer Integration in die Dienstleistung bzw. den Spitalalltag. Dabei kommt den «Teachers» eine zentrale Funktion zu. Diese werden nicht als solche geboren, und nicht alle haben einfach auf Grund der Tatsache, dass sie oder er Ärztin/Arzt ist, exzellente Bildungskompetenzen. Diese müssen erworben und gepflegt werden, im Sinne von «Teachers are made, not born». Diese klinischen Weiterbildenden, meistens Ärztinnen und Ärzte in leitender Funktion, müssen durch ihre Vorgesetzten gefördert und unterstützt werden. Nur so kann eine Kultur entstehen, in der Bildungsaktivitäten als wichtiger Bestandteil der Arbeit akzeptiert werden.
Ein weiteres Puzzlestück des grossen Ganzen ist die interkantonale Vereinbarung zur Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung (WFV), die im Januar 2022 das ­dafür nötige Quorum von 18 beigetretenen Kantonen erreicht hat. Die Vereinbarung legt den Mindestbeitrag fest, mit dem sich die Standortkantone an den Kosten der Spitäler für die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten beteiligen, und sorgt für einen Ausgleich der ­finanziellen Belastung unter den Kantonen.
Die Einführung der CBME in der Schweiz steht noch am Anfang. Bis wir so weit sind, dass ein Facharzttitel basierend auf einem kompetenzbasierten Weiterbildungsprogramm erworben werden kann, wird es dauern. Die Entwicklung von EPAs und die Vorbereitung der «Teachers» sind erst ein Beginn. Weitere Schritte sind Revisionen der Weiterbildungsprogramme und der flächendeckende Einsatz in den Weiterbildungsstätten. Regelmässige Information über die weiteren Fortschritte und einer Serie bildungsbezogener Artikel in der Schweizerischen Ärztezeitung haben eine möglichst breite Unterstützung durch die Ärzteschaft und Politik sowie durch Kolleginnen und Kollegen anderer Gesundheitsberufe zum Ziel.
Die Autorin hat deklariert, keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag zu haben.
PD Dr. med. et MME
Monika Brodmann Maeder
SIWF Schweizerisches ­Institut für ärztliche ­Weiter- und Fortbildung
Postfach
CH-3000 Bern
monikamaria.brodmannmaeder[at]siwf.ch
1 Parsa-Parsi RW. The revised declaration of Geneva: a modern-day physician’s pledge. Jama. 2017;318(20):1971–2.
2 Frank JE. The CanMEDS 2005 physician competency framework. Better standards. Better physicians. Better care. Ottawa: The Royal College of Physicians and Surgeons of Canada; 2005.
3 Flexner A. The Flexner Report. Medical education in the United States and Canada. New York City: The Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching, Science and Health Publications; 1910.
4 McGaghie WC, Miller GE, Sajid AW, Telder TV. Competency-based curriculum development in medical education: an Introduction. Public Health Pap. 1978;(68):11–91.
5 Frank JR, Danoff D. The CanMEDS initiative: implementing an outcomes-based framework of physician competencies. Med Teach. 2007;29(7):642–7.
6 Michaud PA, Jucker-Kuppe P, and members of the working group. PROFILES. Principal Objectives and Framework for Integrated Learning and Education in Switzerland. Bern: Joint Commission of the Swiss Medical Schools; 2017.
7 Amstad H, Bauer W, Hänggeli C, von Wartburg U. Ärztliche Fortbildung in der Schweiz – Standortbestimmung und Perspektiven. Bericht zuhanden der Plattform «Zukunft ärztliche Bildung». Bern: Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF); 2020.