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Ausgabe
2022/1516
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09102
Swiss Med Forum. 2022;22(1516):260-261

Publiziert am 12.04.2022

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Risikofaktoren für einen Typ-1-Diabetes mellitus

– Das Risiko, einen Typ-1-Diabetes mellitus (T1DM) zu entwickeln, liegt in einer unselektionierten Population bei 0,4% und manifestiert sich meist vor dem 18. Lebensjahr [1].
– Verwandte ersten Grades mit T1DM erhöhen das Risiko, an einem T1DM zu erkranken (im Falle eines erkrankten Geschwisters beträgt die Wahrscheinlichkeit 6–7%).
– Gewisse Autoantikörper erhöhen das Diabetesrisikos: Positive Inselzell-Antikörper (Tyrosin-Phosphatase 2 [IA2]) bedeuten eine fast 70%ige Chance, in den nächsten 5 Jahren einen T1DM zu entwickeln.
– Drei positive Autoantikörper (IA2, Glutamatdecarboxylase-[GAD-]65-­Antikörper und Zinktransporter-8-[ZnT8]-Antikörper) bedeuten ein fast sicheres Auftreten eines T1DM (99% in den folgenden 5 Jahren).
– Soll man also auf T1DM screenen? Offiziellen Guidelines zufolge: Nein, ausserhalb von Studien. Auch nicht bei T1DM bei erstgradig Verwandten oder bei zufällig entdeckter Hyperglykämie oder bei klinisch klar möglicher Unterscheidung des T1DM von einem T2DM.
– Eine effektive Prävention des T1DM (wozu Interventionsmethoden in Evaluation sind) ab der Identifikation einer spezifischen autoimmunen Reaktivität könnte und wird dies wahrscheinlich ändern [2].
1 Ann Intern Med. 2022, doi.org/10.7326/AITC202203150.
2 Nat Rev Endocrinol. 2021, doi.org/10.1038/s41574-020-00450-5.
Verfasst am 16.03.2022.

Praxisrelevant

Luftverschmutzung und Psoriasis-Schübe

Die Psoriasis ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung mit schubweisen Verläufen. Schubauslösend können unter anderem Infekte oder Medikamente sein. Gilt dies auch für Spitzen der Luftverschmutzung (Feinstaub, Nitratoxide, Benzene, Kohlenmonoxid u.a.m.), wie es für die atopische Dermatitis und die Akne vermutet wird?
Bei knapp 1000 gut 60-jährigen Patientinnen und Patienten aus Verona (etwa 2/3 Männer) war ein Psoriasis-Schub hochsignifikant mit der Höhe der Luftverschmutzung in den 60 Tagen (tägliche Messungen) vor der Konsultation, bei der die Schubdiagnose gestellt wurde, korreliert (p <0,001), dies bei einer «odds ratio» von 1,55. Interessant ist das Cross-Over-Design: Vergleich der Luftverschmutzung in den 60 Tagen vor der «Schub-Visite» mit jener in den 60 Tagen vor einer normal ausgefallenen Kontroll­visite (jede Person war also ihre «eigene Kontrolle»). Oxidativer Stress und komplexe Entzündungsmechanismen im Gefolge der Luftverschmutzung kommen als mögliche Mechanismen in Frage.
Da in Verona die Luftverschmutzung vergleichsweise hoch ist und die Windverfrachtung einer solchen relativ selten vorkommt, könnte der Effekt in anderen Regionen weniger ausgeprägt sein. Ernst zu nehmen ist er aber auf jeden Fall, auch wenn die vermuteten Mechanismen noch vage definiert sind.
Verfasst am 15.03.2022.

Nicht antibiotische Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfekte

Harnwegsinfekte (HWI) zählen zu den häufigsten Erkrankungen bei Frauen, wobei bis zu 25% aller Frauen nach einem akuten HWI zu häufigen Rezidiven neigen. Es gibt wirksame antibiotische und nicht antibiotische (vaginale Östrogene, Hydrierung, D-Mannose, Bakterienlysate u.a.m.) Prophylaxen.
Bei 240 Frauen (60% davon peri- oder postmenopausal) mit durchschnittlich 6 HWI im letzten Jahr vor der Studienrekrutierung wurde eine antibiotische Prophylaxe (Ni­trofurantoin, Trimethoprim oder Cefalexin, 1×/Tag p.o.) einer Prophylaxe mit Methenamin-Hippurat (2× 1 g/Tag) während 12 Monaten gegenübergestellt. Beide Interven­tionen reduzierten die HWI-Infektrate von vormals 6 auf circa 0,9 Episoden pro Jahr (Antibiotika) respektive auf circa 1,4 pro Jahr (Methenamin). Somit war Methenamin (1 HWI mehr pro Person alle 2 Jahre) den getesteten Antibiotika statistisch nicht unterlegen. Nebenwirkungen kamen in beiden Gruppen bei einem Viertel der Patientinnen vor, wurden aber als insgesamt mild beschrieben.
Somit kann Methenamin-Hippurat* als Alternative zu Antibiotika, auch im Hinblick auf die Resistenzentwicklungen, in Betracht kommen. Die zweimal tägliche Einnahme ist ein Nachteil. Ebenso würde ein Wirkungsvergleich mit anderen nicht antibiotischen Prophylaxen interessieren.
* Methenamin-Hippurat (das auch als Antihydrotikum Verwendung findet) muss in dieser Dosis und Indikation nach letzter kurz und bündiger Information im Ausland oder über eine internationale Apotheke bestellt werden.
Verfasst am 15.03.2022.

Computertomographie oder Koronarangiographie bei chronischen, stabilen Brustschmerzen?

Der etwas komplizierte Titel rührt daher, dass diese wichtige Studie Personen mit diesem Typ von Thoraxschmerzen und nicht mit einer definierten koronaren Herzkrankheit einschloss. Letztere wurde mit einer Prätest-Analyse kalkulatorisch abgeschätzt. Gemäss der Erfahrung wohl der meisten Leserinnen und Leser wurden dann – retrospektiv beurteilt – fast ein Drittel Patientinnen und Patienten mit nicht kardialen Thoraxschmerzen abgeklärt.
Fast 3600 Individuen in 26 europäischen Zentren wurden 1:1 verteilt entweder mittels Computertomographie (CT) oder Koronarangiographie abgeklärt [1]. Nach Dia­gnose einer koronaren Ursache wurde die Therapie leitliniengerecht durchgeführt. Das Follow-up betrug 48 Monate, der primäre Endpunkt war zusammengesetzt (kardiovaskuläre Mortalität, nicht letale Herzinfarkte oder Schlaganfälle). Diese Ereignisse wurden bei 2,1% in der CT- und 3% in der Koronarangiographie-Gruppe beobachtet (nicht signifikant). Ernstere Komplikation traten nach Koronarangiographie signifikant häufiger auf (1,9 vs. 0,5%).
Die billigere und nebenwirkungsärmere CT dürfte bald einen wichtigeren Platz erhalten. Sie hatte sich bereits den funktionellen Abklärungstests wie Belastungsszintigraphien als mindestens ebenbürtig gezeigt [2, 3]. Die relativ niedrige Ereignisrate zeigt auch die Effektivität der heute gebräuchlichen medizinischen Therapie.
1 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2200963.
2 N Engl J Med. 2015, doi.org/10.1056/NEJMoa1415516.
Verfasst am 17.03.2022.

Neues aus der Biologie

Antiphospholipid-Antikörper bei Borreliose

Im Zentrum der Diagnose der akuten Lyme-Borreliose steht das klinische Bild, allenfalls komplettiert durch einen zweistufigen Serologietest von variabler Sensitivität (sog. ELISA gefolgt von einem Immunoblot).
In einem Mäusemodell wird gezeigt, dass Borrelia burgdorferi beim Kontakt mit den Zellmembranen des Wirtes Phospholipide aufnehmen, in ihre Zellmem­bran einbauen und für ihr Überleben und ihre Vermehrung benutzen (die Bakterien selber haben einen «natürlichen» Mangel an Phospholipiden). Die damit veränderte, durch Wirts-Phospholipide angereicherte Borrelienzellwand induziert den Wirt zur Bildung von Antiphospholipid-Antikörpern.
Neben der Diagnostik autoimmuner Erkrankungen könnte der Nachweis dieser Antikörper die Diagnose eines akuten Borrelieninfektes verbessern und für die Therapiekontrolle und damit Verhinderung späterer Manifestationen der Lyme-Erkrankung bedeutsam werden. Andere Spirochäten (Lues) induzieren verwandte Antikörper (Anti-Cardiolipin), diese werden aber bei der Lyme-Borreliose nicht induziert.
J Clin Invest. 2022, doi.org/10.1172/JCI152506.
Verfasst am 17.03.2022.

Das hat uns gefreut

Information für die Ostertage

Eier, einst verteufelt, haben gemäss Literatur unterschiedliche (kontroverse) Effekte auf die Blutlipide. Der Wind hat seit einiger Zeit zugunsten der Eier gekehrt: Bei Individuen mit «metabolischem Syndrom» (durchschnittlicher Eierkonsum pro Woche etwa 6) war ein höherer Eierkonsum nicht mit Veränderungen wichtiger Lipide im Blut assoziiert (LDL, HDL, Triglyzeride). Bei Individuen ohne metabolische Hypotheken war der höhere Eierkonsum gar mit einem kardiovaskulär günstigeren Profil assoziiert. Ein schönes Osterfest Ihnen allen!
J Clin Endocrinol Metab. 2022, doi.org/10.1210/clinem/dgab802.
Verfasst am 17.03.2022.

Auch noch aufgefallen

Epidemiologische Schweizer Studien zum Suizid

Für alle untersuchten Regionen der Schweiz ist eine Assoziation akuter Steigerungen der Umwelttempera­turen mit der Suizidrate gefunden worden. Wie dieser Hitzestress ein suizidales Verhalten fördert, ist – obwohl intuitiv nachvollziehbar – mechanistisch ungeklärt [1]. Neben der Sommerhitze ist eine frühere psychiatrische Hospitalisation in der Schweiz ein weiterer Risikofaktor für ein Suizid: In mehr als 97% aller Fälle liess sich mindestens eine psychiatrische Hospitalisation in der Vorgeschichte eruieren.
1 Swiss Med Wkly. 2022, doi.org/10.4414/smw.2022.w30115.
2 Swiss Med Wkly. 2022, doi.org/10.4414/smw.2022.w30140.
Verfasst am 16.03.2022.
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