Kurz und bündig
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Kurz und bündig

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Ausgabe
2022/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09136
Swiss Med Forum. 2022;22(2122):339-341

Publiziert am 24.05.2022

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... «early onset» kolorektales Karzinom

– Definition: Diagnose vor dem 50. Lebensjahr.
– Macht 10% aller kolorektalen Karzinome aus, mit dokumentiert steigender Tendenz seit 1988.
– Meist handelt es sich um Karzinome im Colon descendens.
– Vermehrt fortgeschrittenere Tumorstadien im Vergleich zu Karzinomen, die nach dem 50. Lebensjahr diagnostiziert werden.
– In einem Sechstel der Fälle findet man eine Keimbahnvariante (-Mutation), davon sind die Hälfte sogenannte Lynch-Syndrome*.
– Eine genetische/genomische und familiäre Abklärung sind indiziert.
– Die aktuell gültige Alterslimite für Screening-Untersuchungen (Kolonoskopie z.B. ab 50. Lebensjahr) muss allenfalls revidiert werden (in den USA bereits ab 45. Lebensjahr).
* Siehe «Was ist ein Lynch-Syndrom» am Schluss des «Kurz und bündig».
N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMra2200869.
Verfasst am 04.05.2022.

Praxisrelevant

Intermittierendes Fasten: nicht so einfach wie gedacht!

Dem intermittierenden Fasten (z.B. in der Form der Nahrungskarenz während 14–18 konsekutiven Stunden pro Tag) werden diverse Vorteile zugeschrieben, unter anderem auch ein Gewichtsverlust im Vergleich mit einer isokalorischen ad libitum Diät.
Eine chinesische, eher kleine Studie (n = 139) fand keine signifikante Gewichtsminderung bei adipösen Patientinnen und Patienten (Body Mass Index ca. 31, durchschnittliches Körpergewicht 88 kg), falls ein intermittierendes Fasten (16h00 bis 08h00) zusätzlich zur Reduktion der 24-Stunden-Kalorienmenge durchgeführt wurde (minus 8 kg mit versus minus 6,3 kg ohne intermittierendes Fasten).
Gut möglich ist, dass Kalorienreduktion und das gleichzeitige abendliche/nächtliche Fasten die Patientinnen und Patienten und damit deren Compliance überforderte.
N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2114833.
Verfasst am 04.05.2022.

Chirurgisches Mindestvolumen beim primären Hyperparathyreoidismus

Auch beim Hyperparathyreoidismus besteht Evidenz, dass die Zahl der operativen Eingriffe pro Operateur ­positiv mit der Prognose assoziiert ist. In einem föde­ralistisch organisierten Gesundheitswesen wie dem schweizerischen interessiert vielleicht auch, welches die minimale Fallzahl für eine gute Qualität sein sollte.
Laut einer britischen Studie, die als primären Endpunkt die Zahl der Reoperationen innerhalb des ersten postoperativen Jahres untersuchte, wird diese Zahl auf mindestens 20 pro Jahr berechnet. Die Studie schloss fast 17 500 Patientinnen und Patienten ein, zu 79% Frauen (typische weibliche Prädilektion beim Hyperparathyreoidismus). Neben der Angabe einer minimalen Fallzahl wurde auch die oben erwähnte positive Korrelation zwischen Fallzahlen und postoperativer Prognose bestätigt.
Eine Zentralisierung der operativen Tätigkeit sollte in der Schweiz nicht, wie es von den Autoren für Grossbritannien befürchtet wird, zu längeren Wartefristen oder generell beschränktem Zugang zur operativen Option führen. Allerdings ist grundsätzlich denkbar, dass zum Erhalt der Fallzahlen im Graubereich des ­chirurgischen Indikationenbereichs (der bei dieser ­Erkrankung relativ gross ist) eine Verschiebung zu ­liberaleren Indikationen stattfinden könnte.
Verfasst am 03.05.2022.

Cannabiskonsum und kognitive Fähigkeiten im mittleren Erwachsenenalter

In einer neuseeländischen Kohorte wurden Langzeit-Cannabiskonsumierende zwischen dem 18. und 45. Lebensjahr sechsmal untersucht. Dabei kam es zu einem leichten Abfall des Intelligenzquotienten. Magnetresonanztomographisch war – im Hinblick auf einen befürchteten Effekt auf die Demenzhäufigkeit im späteren Lebensalter – kein Effekt auf das hippocampale Gewebevolumen nachweisbar. Der Cannabiseffekt schien spezifisch und unabhängig von zum Beispiel konkomittierendem Alkoholkonsum zu sein.
Angesichts des steigenden Langzeitkonsums von Cannabis auch im mittleren Alter ist dem möglichen Einfluss auf eine zukünftige Demenzentwicklung spezielle Aufmerksamkeit zu widmen.
© Grejak | Dreamstime.com
Am J Psychiatry. 2022, doi.org/10.1176/appi.ajp.2021.21060664.
Verfasst am 05.05.2022.

Neues aus der Biologie

Ketogene Diät oder intermittierendes Fasten gegen kolorektale Karzinome?

Im Zusammenhang mit den vorherigen Besprechungen zum intermittierenden Fasten und dem kolorektalen Karzinom (siehe «Fokus auf...» und «Praxisrelevant») mag Sie folgende Beobachtung interessieren: Beta-Hydroxybutyrat, ein Ketonkörper, kann durch (intermittierendes) Fasten, eine ketogene Diät und auch durch SGLT-2*-Hemmer erhöht werden. Es ist unter anderem einer der potentesten endogenen Hemmer einer Entzündungsreaktion.
Das durch eine ketogene Diät erhöhte Beta-Hydroxybutyrat wies in einem Mausmodell von kolorektalen Karzinomen eine starke antitumorale Wirkung auf. Der zelluläre Rezeptor und die intrazellulären Signalmechanismen, die zu einer Hemmung der Zellpro­liferation führen, sind mittlerweile und durch diese Arbeit gut definiert und stellen interessante Medikamentenziele – für Prävention und Therapie – dar.
* «sodium-dependent glucose co-transporter 2»
Verfasst am 05.05.2022.

Das hat uns gefreut

Das tut so gut ...

Körperliche Berührungen – sofern als angenehm oder wohltuend empfunden – können wichtige emotionale Botschaften übermitteln und sind zur Überwindung sozialer Distanzen wichtig. Die meisten Menschen kennen auch bei ihren Haustieren deren für eine Berührung bevorzugten Körperstellen und die Art der am meisten geliebten Berührung.
Nun ist gelöst, dass diese durch verschiedene Arten von Berührungen ausgelösten positiven Emotionen via einen spezifischen neuronalen Regelkreis erfolgen. Sie werden vermittelt durch afferente, sensorische Neuronen und einen biochemisch detailliert erforschten Neurotransmittermechanismus auf spinaler Ebene. Mäuse, bei denen man diesen Regelkreis ausschaltete, wiesen keine Prädilektionsstellen für eine Berührung mehr auf, während Schmerzempfindungen und auch etwa Pruritus unverändert blieben.
Ein interessantes Medikamentenziel für die Wellnessmedizin, vielleicht gar für die palliative Pflege? Die involvierten Moleküle sind übrigens Prokineticin 2 und sein gleichnamiger Rezeptor.
Verfasst am 04.05.2022.

Auch noch aufgefallen

Immuntherapie beim nicht kleinzelligen ­Bronchuskarzinom

Etwa in einem Viertel der Fälle ist der Tumor chirurgisch vollständig resezierbar, wobei leider in einem Drittel bis zur Hälfte davon ein Rezidiv folgt. Die deswegen verabreichte sogenannte neoadjuvante Chemotherapie wirkt signifikant, wird aber als eher enttäuschend angesehen (Verminderung der Rezidivrate um knapp absolute 5%).
Die Ergänzung dieser Chemotherapie mit Nivolumab, einem menschlichen Antikörper gegen das programmierte Zelltod-Protein (PD-1), ergab im Vergleich zur Chemotherapie allein folgende Hauptresultate: rezidivfreies Überleben 32 gegenüber 21 Monaten und eine deutlich signifikant häufigere komplette pathologische Remission (24 versus 2,2%, p <0,001).
Die Studienresultate dürften die Praxis der postoperativen adjuvanten Therapie für diese Tumorart nachhaltig beeinflussen.
N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2202170 (sog. ­CheckMate816-Studie).
Verfasst am 04.05.2022.

Normwerte für die Nierenfunktion bei ­gesunden Neugeborenen

Immer wieder ist eindrücklich festzustellen, wie eingeschränkt viele physiologischen Reserven bei Geburt sind und wie schnell sie sich postnatal fast an die ­Niveaus erwachsener Personen annähern. So auch die Nierenfunktion, genauer die glomeruläre Filtrationsrate (GFR): Bei der Geburt beträgt diese durchschnittlich 20 ml/min/1,73 m2 Körperoberfläche und verdoppelt sich innert nur fünf Tagen. Nach vier Wochen liegt die GFR dann bereits bei etwa 60 ml/min/1,73 m2 ­Körperoberfläche.
J Am Soc Nephrol. 2022, doi.org/10.1681/ASN.2021101326.
Verfasst am 05.05.2022.

Andere wichtige Normwerte: Hirnvolumina über das ganze Lebensspektrum

In der Beurteilung der bildgebenden Darstellung des menschlichen Gehirns fehlten standardisierte Referenzwerte für die Hirnentwicklung einerseits und den Alterungsprozess andererseits. Eine Auswertung von mehr als 120 000 (!) Magnetresonanztomographien des Gehirns erlaubte einer internationalen Forschergruppe eine erste detaillierte Beschreibung der Volumenveränderungen über das ganze Leben, und zwar separat für verschiedene Hirnareale [1]. Die Daten sind auf ­einer interaktiven Website frei zugänglich [2].
Dies ist ein ganz grosser Schritt im Hinblick auf bessere Studienanlagen und natürlich eine relevantere ­radiologische Hirndiagnostik. Die weitere Analyse dieser enormen Datenbasis lässt zusätzliche und differenziertere Schritte in dieser Richtung erwarten.
Verfasst am 05.05.2022.

Nicht ganz ernst gemeint

Die Zukunft von Gastroenterologie und Hepatologie

Fast jede Projekteingabe, fast jeder sogenannte «business case» muss in den Eingabedokumenten nun das Vierfelder-Diagramm SWOT («strengths, weaknesses, opportunities, threats») enthalten.
Ein internationales Gremium hat sich im Rahmen des Projekts «GASTRO-SWOT» Gedanken über die Stärken und Schwächen der Gastroenterologie und Hepatologie im Hinblick auf die Zukunft gemacht. Eher etwas banal respektive antizipierbar, wenn auch nicht unisono unbestritten, sind die Schlussfolgerungen: Die künstliche Intelligenz wird eine grössere Rolle spielen, weitere Subspezialisierungen innerhalb der Gastroenterologie/Hepatologie werden die spezialisierte Patientenbetreuung zum Preis einer verstärkten Dienstleistungsfragmentierung verbessern.
Exemplarisch kann man die prävalenteste gastroenterologische Erkrankung, das Reizdarmsyndrom, mit Jahreskosten in Europa von um die 7 Mrd. Euro nehmen. Hier hätte man in die SWOT-Analyse zusätzlich die Notwendigkeit der interdisziplinären Betreuung respektive die Befähigung dazu nehmen können.
Lancet Gastroenterol Hepatol. 2022, doi.org/10.1016/S2468-1253(21)00442-8.
Verfasst am 04.05.2022.

Was ist ein Lynch-Syndrom?


Darunter versteht man eine autosomal-dominant vererbte Disposition zur Erkrankung an kolorektalen Karzinomen, namentlich auch im jüngeren Erwachsenenalter und mit einem kumulativen Erkrankungsrisiko (ohne Screening und Interventionen) bis zum 80. Lebensjahr von etwa 50%. Das Syndrom wird auch als hereditäres kolorektales Karzinom ohne Polyposis bezeichnet. Genetisch liegen Mutationen in sogenannten Reparatur­genen, spezifisch von «mismatch repair»-Genen vor. Die Produkte dieser Gene können DNA-Sequenzfehler, die im Rahmen der Rekombination auftreten, reparieren. Entsprechend der ­generellen Bedeutung dieser Gene für die Behebung von DNA-Schäden können diese Patientinnen und Patienten leider zusätzlich noch an einer Vielzahl anderer Karzinome erkranken.
Verfasst am 04.05.2022.
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