Frailty – geriatrisches Syndrom von grosser Bedeutung
Wichtiger Screening-Parameter

Frailty – geriatrisches Syndrom von grosser Bedeutung

Übersichtsartikel
Ausgabe
2022/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09137
Swiss Med Forum. 2022;22(41):674-677

Affiliations
a Klinik für Altersmedizin, Universitätsspital Zürich, Zürich; b Zentrum Alter und Mobilität, Universität Zürich, Zürich;
c Age Medical – Zentrum Gesundheit im Alter, Zürich; d Universitäre Klinik für Altersmedizin, Stadtspital Zürich, Zürich

Publiziert am 12.10.2022

Die frühe Identifikation von Frailty gewinnt aufgrund der wachsenden Evidenz für zielgerichtete Interventionen zunehmend an Bedeutung.

Einleitung

Vor dem Hintergrund der weltweit alternden Bevölkerung riefen die Vereinten Nationen (UN) im Dezember 2020 für die Jahre 2021–2030 eine «Dekade des gesunden Alterns» aus, mit dem Ziel, die Gesundheit älterer Menschen nachhaltig zu verbessern [1]. Gleichzeitig entwickelte die Medizin in den vergangenen zwei Jahrzehnten, neben der zunehmenden (Hoch-)Spezialisierung, auch eine personalisierte und patientenzentrierte Begriffsbildung von Gesundheit im Alter anstelle des rein diagnose- respektive defizitorientierten Blicks [2]. Es kam damit zu einer Annäherung an zentrale und schon lange etablierte Elemente des Fachgebiets Altersmedizin. Mit dem Ruf nach integrierten Versorgungskonzepten und einer engen Verknüpfung von spezialisierter Medizin und Grundversorgung kommt der modernen Altersmedizin so eine zentrale Vermittlerrolle zu.
Hilfreich ist dabei das Konzept der so genannten «intrinsischen Kapazität», das auf Grundlage der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Gesamtheit aller körperlichen und geistigen Fähigkeiten definiert, auf die ein Mensch im Laufe seines Lebens zurückgreifen kann [3]. Frailty kann in diesem Kontext als ein Zustand eingeschränkter Kompensationsmechanismen gegenüber Stressoren definiert werden, der durch eine klinisch relevant verminderte intrinsische Kapazität respektive erschöpfte funktionelle Reserven charakterisiert ist [4]. Dieser Ansatz einer übergeordneten Behandlungsebene, der durch die WHO auch mit der Initiative «Integrated Care for Older People» (ICOPE) gefördert wird, soll die bestehenden Gesundheits- und Sozialdienste besser auf die persönlichen Bedürfnisse und Ziele älterer Menschen abstimmen [5].
Es lohnt sich daher ein aktueller Blick auf Frailty als wichtige funktionelle Determinante, welche die «Flugbahn» der Gesundheit im Alter massgeblicher beeinflusst als das chronologische Alter. Mit einer Prävalenz in der älteren Bevölkerung zwischen 3 und 25% (je nach Definition und untersuchter Stichprobe) ist Frailty ein häufiges geriatrisches Syndrom [6]. Wird darüber hinaus auch das («Prä-Frailty» genannte) Vorstadium beachtet, in welchem bereits erste Kennzeichen von Frailty vorhanden sind, das Syndrom jedoch noch nicht voll ausgeprägt ist, liegt die Prävalenz sogar bei 40–50% [6]. Wichtig ist der Unterschied von Frailty und Multimorbidität. Letztere stellt lediglich ein nosologisches, eindimensional auf die Ansammlung von Erkrankungen basiertes Risikoprofil dar, gilt aber auch als bedeutender Risikofaktor für Frailty [7]. Demgegenüber ist Frailty ein geriatrisches Syndrom, das eine funktionsbasierte, umfassende Beurteilung des Individuums erfordert und normalerweise Auswirkungen auf mehrere Gesundheitsdimensionen älterer Menschen hat (Abb. 1) [8]. Frailty erlangt darüber hinaus in der Altersmedizin auch für die Risikostratifizierung und die informierte Entscheidungsfindung bei medizinischen Behandlungen zunehmende Aufmerksamkeit und Bedeutung [9].
Abbildung 1: Auswirkungen von Frailty auf die Gesundheit bei Älteren anhand der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF).
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Was ist Frailty?

Als altersassoziiertes, geriatrisches Syndrom ist Frailty charakterisiert durch eine verminderte Funktionsfähigkeit und -reserve verschiedener physiologischer Systeme und führt zu vorzeitigem und disproportionalem Versagen homöostatischer Kompensationsmechanismen im Vergleich zum «normalen» Altern [10, 11]. Hieraus resultiert kumulativ eine verminderte Widerstandsfähigkeit des betroffenen Individuums gegenüber multiplen Stressoren, die vorübergehend oder anhaltend sein können. Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung von Frailty gehören neben kardiovaskulären, endokrinologischen, muskuloskelettalen und neurodegenerativen Erkrankungen auch die chronische Inflammation (sogenanntes «Inflammaging»), Polypharmazie, Depressionen sowie Umweltfaktoren und soziodemographische Faktoren wie höheres Alter, weibliches Geschlecht, Ausbildungs- und Einkommensniveau sowie Einsamkeit [12–14].
Für die klinische Beschreibung von Frailty ist es wichtig, über eine blosse «Blickdiagnose» oder ein «Bauchgefühl» hinauszugehen. Fried et al. führten dazu 2001 den Begriff des «Frailty-Phänotyps» ein [15]. Dabei wird die Ausprägung von fünf klinischen Charakteristika untersucht (Tab. 1). Sind davon mindestens drei vorhanden, besteht Frailty, bei einem bis zwei bereits ein Risikostadium (sogenannte «Pre-Frailty»). Dagegen gelten Personen ohne positive Frailty-Kriterien als «robust». Einen anderen Ansatz wählten Mitnitski und Rockwood mit dem sogenannten Frailty-Index. Er basiert auf dem Modell einer Defizit-Akkumulation (Tab. 1) [15, 16]. Hiernach entwickelt sich Frailty kontinuierlich aus einer Anhäufung von gesundheitsbezogenen Defiziten, basierend auf geeigneten altersassoziierten Variablen [17].
Tabelle 1: Übersicht zu verschiedenen Frailty-Konzepten, den untersuchten Bereichen und möglichen Instrumenten für die Anwendung
Frailty KonzeptUntersuchte DimensionenAuswahl möglicher Screeningtools und Erhebungsinstrumente
Frailty PhänotypUngewollter Gewichtsverlust
Erschöpfung
Langsamer Gang
Niedriges Aktivitätsniveau
Reduzierte Kraft
Phänotyp nach Fried [15]
«clinical Frailty Instrument» (cFI, SFNR) [44]
«SHARE-Frailty Instrument» [45]
«FRAIL-Scale» [40] (Screening)
Frailty Index (Defizitakkumulation)30+ altersassoziierte Variablen [17]Frailty-Index [16]
«electronic Frailty Index» (eFI) [44]
Clinical Frailty Scale [41] (Screening)
Multidimensionale KonzepteMobilität
Sensorium
Ernährung
Psychosoziales
Kognition
«Groningen Frailty Index» [46]
«Tilburg Frailty Indicator» [47]
«Clinical Frailty Scale» [41] (Screening)
Konzepte die Schutzfaktoren berücksichtigenUngewollter Gewichtsverlust
Mobilität/Sturzanamnese
Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL)
Körperliche Aktivität
Soziales Engagement
LUCAS-Funktionsindex [48]
Basierend auf den beiden genannten grundlegenden Konzepten, die bis heute zu den meistzitierten Arbeiten zur Definition von Frailty gehören, sind die wissenschaftlichen Publikationen zur klinischen Beschreibung und Erfassung von Frailty über die letzten 20 Jahre exponentiell angestiegen [18, 19]. Gleichzeitig fehlt bislang ein breiter Expertenkosens über eine einheitliche Definition, wodurch in der Forschung die Vergleichbarkeit von Studien und die Etablierung des Frailty-Konzeptes in die klinische Routine beeinträchtigt werden [20].

Klinische Bedeutung, Konsequenzen und Behandlung

Bereits die 2001 von Fried und Kollegen veröffentlichte Studie mit mehr als 5000 zu Hause lebenden Menschen zwischen 65 und 101 Jahren zeigte über einen Beobachtungszeitraum von drei Jahren eine Verdopplung von Stürzen, Spitaleintritten und Mobilitätsverlusten der Studienteilnehmenden mit Frailty, bei gleichzeitig fünfmal höherem Risiko für eine Abnahme der Selbsthilfefähigkeit in den Alltagsaktivitäten [15]. Spätere Studien zeigten einen eindrücklichen Zusammenhang von Frailty mit vielen weiteren negativen gesundheitlichen Folgen [21–24]. Diese reichen von häufigerem Auftreten von Depressionen und Demenz bis hin zu schwerwiegenderen Verläufen von Malignomen und kardiovaskulären, pulmonalen und infektiösen Erkrankungen (einschliesslich COVID-19) [25]. Frailty ist zudem mit häufigeren postoperativen Komplikationen wie Delir, verminderter Lebensqualität und vermehrten Pflegeheimeintritten assoziiert [26]. Weiter zeigte sich, dass Betroffene weniger soziale Kontakte aufweisen und öfter von Einsamkeit betroffen sind [27].
In mehreren Beobachtungsstudien und auch randomisierten klinischen Studien konnte mittlerweile konsistent ein positiver Effekt spezifischer Interventionen auf Frailty festgestellt werden. Hierbei sind besonders körperliches Training und Ernährungsinterventionen zu nennen [28, 29]. Ein aktueller Expertenkonsensus empfiehlt daher als Erstlinientherapie zur Behandlung von Frailty ein multimodales körperliches Aktivitätsprogramm mit einer Krafttrainingskomponente und bei ungewolltem Gewichtsverlust respektive Unter- oder Mangelernährung eine bedarfsgerechte Protein- und Kalorienergänzung [11]. Weiterhin sollte die Dauermedikation hinsichtlich potentiell inadäquater Medikation überprüft werden, um das Risiko für ungerechtfertigte Verschreibungen und unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen als Treiber von Frailty zu reduzieren [11]. Eine Studie von Oh et al. zeigte einen eindrücklichen positiven Effekt einer 24-wöchigen, multimodalen Intervention, bestehend aus Gruppentraining, Nahrungsergänzungsmitteln, Depressionsmanagement, Reduktion von Polypharmazie und Überprüfung von potentiellen Gefahren zu Hause, auf körperliche Leistungsfähigkeit und Mortalität beziehungsweise Institutionalisierung über einen Beobachtungszeitraum von zweieinhalb Jahren [30].
Potentielle pharmakologische Therapieoptionen wie zum Beispiel Urolithin-A, eine Behandlung mit mesenchymalen Stammzellen, oder eine Hormontherapie, welche in die im Rahmen von Frailty postulierten pathophysiologischen Prozesse (z.B. PI3K/Akt/mTOR-Signalweg) eingreifen, können bisher aufgrund unzureichender Datengrundlage nicht empfohlen werden [11, 31]. In Bezug auf potentielle Schutz- respektive Risikofaktoren für die Entwicklung von Frailty identifizierte eine kürzlich veröffentlichte Arbeit des mit EU-Mitteln finanzierten FRAILOMIC-Projekts oxidativen Stress, Vitamin-D-Status und kardiale Biomarker als relevante Faktoren in der Entstehung von Frailty [32]. Für Empfehlungen zur «Primärprävention» von Frailty sind die Studiendaten allerdings noch unzuverlässig.
Zusammenfassend sind für den klinischen Kontext also zwei wesentliche Punkte relevant: Erstens hat sich Frailty auf Basis von Studiendaten der letzten Jahre als unabhängiger Risikofaktor für zahlreiche negative Outcomes bei älteren Erwachsenen etabliert und ist dabei der alleinigen Berücksichtigung des chronologischen Alters überlegen. Zweitens stellt Frailty einen potentiell reversiblen Zustand dar, der durch zielgerichtete Interventionen positiv beeinflusst werden kann.

Frailty und chirurgische Interventionen

In den letzten Jahren haben mehrere internationale Fachgesellschaften der spezialisierten und interventionellen Medizin die Durchführung eines strukturierten Frailty-Screenings für ältere Patientinnen und Patienten in ihre Behandlungsrichtlinien aufgenommen. Frailty ergänzt dabei die klassischen Risiko-Scores und ermöglicht, das individuelle Risiko und den Nutzen einer Intervention besser abzuschätzen. So empfiehlt die Europäische Kardiologiegesellschaft (ESC) bereits seit 2017 ein Frailty-Screening vor Herzklappeneingriffen bei älteren Personen [33]. Gleiches gilt für die Europäische Anästhesiegesellschaft (ESA), die in ihren 2018 herausgegebenen Guidelines eine Empfehlung für ein Frailty-Screening bei nicht kardialen Eingriffen für diese Patientengruppe vorschlägt (Evidenz 1B) [34].
Die strukturierte und standardisierte Erfassung und Beurteilung von Frailty, und damit der funktionellen Reserven, hat vor Therapieentscheiden also grosses Potential, die Risikostratifizierung und Indikationsstellung zu optimieren und damit Fehlversorgung zu reduzieren. Vorhandene Ressourcen können so im Rahmen einer guten Indikationsstellung besser auf die Wünsche und Ziele der Betroffenen ausgerichtet werden. Aufgrund des fortschreitenden demographischen Wandels und der Zunahme von Interventionen auch bei hochaltrigen Menschen hat dies daher auch relevante gesundheitsökonomische Konsequenzen. Dabei darf die Erfassung von Frailty aber keinem Selbstzweck oder der Unterlassung potentiell nutzbringender Therapien dienen. Vielmehr dient Frailty als Türöffner und damit Chance, durch ein zielgerichtetes geriatrisches Assessment einen individualisierten Therapieplan zu erstellen, der im Behandlungsteam gemeinsam getragen und umgesetzt werden sollte.

Frailty in der Grundversorgung

Ein Blick nach Grossbritannien zeigt, dass dort bereits seit mehreren Jahren unter dem Titel «fit for frailty» Konsensusempfehlungen für die optimale Identifikation und Behandlung von Frailty in der Grundversorgung existieren [35]. Ein elektronischer Frailty-Index wurde hier bereits fest in den Hausarztpraxen etabliert [36]. Er integriert klinische Routinedaten wie zum Beispiel bestehende Diagnosen und funktionelle Defizite (https://www.england.nhs.uk/ourwork/clinical-policy/older-people/frailty/efi/, abgerufen am 30.04.2021) [37]. Das britische Gesundheitswesen (NHS) geht davon aus, das mit diesem Ansatz unter anderem die Zahl von Hospitalisierungen abnimmt, indem Risikopatienten mit Frailty frühzeitig erkannt werden. Der NHS will zudem sicherstellen, dass Personen mit Frailty, die stark von ungerechtfertigten oder nicht erwünschten Spitaleintritten bedroht sind, frühzeitig identifiziert werden und die Versorgung entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse und Präferenzen zugeschnitten wird (https://www.england.nhs.uk/ourwork/clinical-policy/older-people/frailty/efi/; abgerufen am 26.12.2021).
Neben klinischen sind für das Screening auf Frailty auch gesundheitsökonomische Vorteile zu erwarten [38]. Anhand der Daten einer schwedischen Studie in 19 Hausarztpraxen, die bei mehr als 1500 älteren Patientinnen und Patienten das Hospitalisationsrisiko durch geriatrisches Assessment (in dem die Erfassung von Frailty ein zentrales Element darstellte) und den daraus abgeleiteten Interventionen im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant senken konnte, könnten übertragen auf die Schweiz jährlich 100 Mio. Franken an Gesundheitskosten eingespart werden [39]. Entsprechende Interventionsstudien aus dem hiesigen Gesundheitssystem fehlen allerdings bisher.
In der Praxis kann ein Frailty-Screening anhand kurzer Fragebögen, zum Beispiel mit der aus dem Frailty-Phänotyp abgeleiteten «FRAIL-Scale» [40] oder der «Clinical Frailty Scale» mit Symbolbildern [41], mit geringem Ressourcenaufwand umgesetzt werden. Die Erfassung von Frailty durch einen generischen Index anhand von klinischen Routinedaten (Frailty-Index-Ansatz) oder weitergehende, multidimensionale Konzepte beziehungsweise technische Messungen von Frailty scheinen für die Hausarztpraxis in der Schweiz aktuell jedoch weniger praktikabel. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über etablierte Frailty-Konzepte und mögliche Erfassungsinstrumente für die Hausarztpraxis.
Bei einem auffälligen Frailty-Screening in der Grundversorgung ist aus Sicht der Autoren und analog zum Frailty-Screening bei chirurgischen Interventionen ein vertieftes Assessment unter Einbezug von geriatrischer Expertise angezeigt. Das geriatrische Assessment schliesst dabei medizinische, funktionelle, neuropsychologische und sozialmedizinische Faktoren mit ein und führt zu einem personalisierten und interdisziplinär abgestützten Massnahmen- und Therapieplan, in dem die Behandlung von Frailty in der Regel nur eine von zahlreichen Komponenten darstellt.
Zusammenfassend kann nach Meinung der Autoren ein regelmässiges (z.B. jährliches) Screening auf Frailty bei älteren Patientinnen und Patienten dazu beitragen, Risikopersonen für eine Hospitalisierung, Fehlversorgung oder einen unerwünschten Behandlungsverlauf zu erkennen und Gegenmassnahmen einzuleiten (Tab. 2).
Tabelle 2: Komponenten von Frailty und mögliche Interventionen
Frailty-KomponentenMögliche Interventionen
Mobilität und Muskelkraft, geringes AktivitätsniveauMultikomponenten-Trainingsprogramm (Kraft und Ausdauer), ideal von Dauer (≥5 Monate), dreimal pro Woche für 30–45 Minuten pro Sitzung [49]
Appetitverlust, MalnutritionBedarfsdeckende Protein- und Kalorienzufuhr mit ≥1g Protein pro Kilogramm Körpergewicht, ideal in Form von Molkeneiweiss («whey protein»), Abklärung der Mundgesundheit [11]
ErschöpfungDepressionsscreening, Anämieabklärung, Schilddrüsenfunktionslabor, Vitamin-B12-Bestimmung [11]
PolypharmazieRegelmässige Überprüfung der Dauermedikation und Vermeidung potentiell inadäquater Medikamente anhand vorhandener Checklisten (Beers-Liste [50], STOPP-START-Kriterien [51], Priscus-Liste [52])

Unsicherheiten und künftige Entwicklungen

Ein wichtiger Umstand, der bisher den flächendeckenden Einsatz eines Frailty-Screenings in der klinischen Praxis behindert, ist die noch fehlende einheitliche Definition von Frailty [11]. Trotz der zunehmend positiven Studienresultate zu möglichen Behandlungsoptionen, vor allem für die ambulante Versorgung, fehlen weiterhin grosse randomisierte klinische Studien zur Effektivität eines spezifischen Frailty-Screenings und zur primären Prävention. Ein Frailty-Index aus klinischen und vielleicht auch bald biometrischen Routinedaten könnte in Zukunft dazu beitragen, ältere Erwachsene mit erhöhtem Risiko für respektive mit manifester Frailty in Praxis und Spital frühzeitig und effektiv zu identifizieren [37, 42]. In der Schweiz läuft dazu seit 2018 das vom «Swiss Personalized Health Network» (SPHN) geförderte Projekt «Swiss Frailty Network & Repository» (SFNR) mit dem Ziel, aus elektronischen Routinedaten einen Frailty Index (eFI), zunächst für Schweizer Spitalpatientinnen und -patienten, die 65 Jahre alt oder älter sind, zu entwickeln. Gleichzeitig wurde im Rahmen des SFNR eine standardisierte Version des Frailty-Phänotyps entworfen («clinical Frailty Instrument» [cFI]). Erste Ergebnisse der Feldstudie, die anhand von 1500 Patientinnen und Patienten die Aussagekraft beider Instrumente gegenüber der Länge des Spitalaufenthalts und der Spitalmortalität untersucht, werden 2023 erwartet [43].

Das Wichtigste für die Praxis

Frailty ist ein geriatrisches Syndrom, das mit zahlreichen negativen Outcomes verbunden ist. Deshalb kommt seiner Erfassung im klinischen Alltag eine grosse Bedeutung zu.
Die Identifikation von Frailty sollte ein vertiefendes geriatrisches Assessment nach sich ziehen, das eine individuelle Risikostratifizierung und Therapieplanung erlaubt und dadurch das Risiko einer Fehlversorgung vermindert.
Frailty kann behandelt werden. Die Förderung von körperlicher Aktivität respektive regelmässiges Ausdauer- und Krafttraining, die Optimierung der Ernährungssituation sowie die Vermeidung von Polypharmazie zeigen bisher die beste Evidenz (Tab. 2).
Die Autoren empfehlen in der Praxis ein jährliches Screening ab 80 Jahren respektive ab 70 Jahren bei bestehender Multimorbditität, zum Beispeil anhand der «FRAIL-Scale» oder der «Clinical Frailty Scale» (Tab. 1).
Dr. med. Michael Gagesch
Klinik für Altersmedizin, Universitätsspital Zürich, Zürich
Dr. med. Michael Gagesch
Klinik für Altersmedizin
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
Die vollständige Literaturliste finden Sie in der Online-Version des Artikels unter https://doi.org/10.4414/smf.2022.09137.
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