Motivation und Perspektiven für eine akademische Karriere
Forschung in der Allgemeinen Inneren Medizin

Motivation und Perspektiven für eine akademische Karriere

Aktuell
Ausgabe
2022/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09185
Swiss Med Forum. 2022;22(36):596-599

Affiliations
a Institut für Hausarztmedizin, Universität und Universitätsspital Zürich, Zürich; b Unisanté – Centre universitaire de médecine générale et santé publique, Lausanne; c Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern, Bern; d Direction médicale, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne; e Medizinische Kommunikation, Abteilung für Psychosomatik, Universitätsspital Basel, Basel; f Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern, Bern; g Service de médecine interne, Département de médecine, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne, h Service de médecine de premier recours (SMPR), Département de médecine de premiers recours, Hôpitaux universitaires de Genève (HUG), Genève

Publiziert am 07.09.2022

Für den Nachwuchs gibt es nicht den einen Weg, die wissenschaftliche Karriere zu starten: Wir zeigen einige grundlegende Aspekte im Bereich der Allgemeinen Inneren Medizin auf.

Einleitung

Die patientenzentrierte klinische Forschung und die ergebnisorientierte Versorgungsforschung sind zwei der tragenden Säulen der modernen Allgemeinen Inneren Medizin (AIM) in der Schweiz. Dabei muss sich die Forschung in der AIM zwischen der dominierenden, oft grundlagenorientierten Forschung in den Fachkliniken und der anspruchsvollen Stellung der AIM an den Universitätsspitälern und Ambulanzzentren behaupten. Das Bewusstsein darüber und der Zugang zur Forschung auf dem Gebiet der AIM ist bei Studierenden und jungen Ärztinnen und Ärzten derzeit begrenzt und als Folge ist ein Mangel an Nachwuchsforschenden zu beobachten.
Die Forschungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) [1] hat das Ziel, die Forschung in der AIM zu fördern. In dieser Übersichtsarbeit möchte die Forschungskommission der SGAIM dem jungen, interessierten akademischen Nachwuchs im Bereich der AIM eine Orientierung zur Verfügung stellen und auf die Möglichkeiten für eine akademische Karriere aufmerksam machen, gleichzeitig soll diese Arbeit auch eine Hilfestellung bei den vielen persönlichen und systemischen Herausforderungen einer solchen Karriere bieten.

Wieso braucht es Forschung in der Allgemeinen Inneren Medizin?

Die Patientencharakteristika und die damit verbundenen Herausforderungen der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung unterscheiden sich in der AIM häufig von denen der internistischen Subdisziplinen. Die Evidenz, auf Basis derer wir unsere täglichen Entscheidungen treffen, wird jedoch oft von Spezialkliniken generiert. Eine akademisierte AIM, die mit einer eigenen Evidenz die Qualität der Versorgung ihres Patientenguts fördert, ist daher unabdingbar – und zwar im ambulanten wie auch im stationären Bereich.

Möglichkeiten und Perspektiven für eine akademische Karriere?

Die Möglichkeiten

Interessierten stehen vielfältige Möglichkeiten für eine akademische Karriere im Bereich der AIM offen. Primär zu nennen sind die Kliniken für AIM an den Universitätsspitälern, in denen die wissenschaftliche Arbeit sowohl im stationären als auch ambulanten Rahmen möglich ist. Neben den universitären Kliniken bieten viele grössere, aber auch kleinere Kliniken für AIM in der Schweiz die Möglichkeit für eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten. Ausserhalb des klassischen Spitalumfeldes stellen in der Schweiz zudem die universitären Polikliniken und regionalen Institute für Hausarztmedizin [2] eine weitere Anlaufstelle dar, um wissenschaftlich zu arbeiten.

Motivation und Perspektiven

Neben Karriereperspektiven (Die meisten Kaderärztinnen und -ärzte, insbesondere an grösseren und universitären Spitälern, sind gleichzeitig in Forschung und Klinik tätig!) gibt es viele Gründe, weshalb eine Forschungstätigkeit in der AIM interessant, wichtig und erstrebenswert ist (Tab. 1). Mit einer Tätigkeit in der patientenzentrierten klinischen Forschung oder der Versorgungsforschung wird ein relevanter Beitrag zur Verbesserung der Versorgung sowie zum Fortschritt in unserem Fachgebiet geleistet. Die akademische Tätigkeit fördert das lebenslange Lernen und ermöglicht eine breite Vernetzung mit verschiedenen lokalen und internationalen Akteuren des Gesundheitssystems. Die vertiefte Auseinandersetzung mit einem Forschungsthema ermöglicht zudem die Aneignung einer Expertise nicht nur im spezifischen Forschungsgebiet, sondern auch in der Methodologie klinischer Studien. Es soll zudem erwähnt werden, dass eine Forschungstätigkeit, selbst wenn sie nur zeitlich begrenzt ist, häufig als wertvolle Erfahrung wahrgenommen wird, das kritische Denken fördert und auch einmal das Zünglein an der Waage sein kann, wenn es um begehrte Weiterbildungsplätze geht [3]. Zusätzlich sei genannt, dass im Rahmen einer Forschungstätigkeit im Gegensatz zur klinischen Arbeit grössere Freiheiten in Bezug auf die eigene Zeiteinteilung bestehen – ein wichtiger Aspekt einer gesunden Work-Life-Balance.
Tabelle 1: Akademische Karriere in der AIM: Motivation und Perspektiven
Motivation und PerspektivenAussagen von jungen, akademisch tätigen Klinikerinnen und Klinikern der SGAIM-Forschungskommission
Beitrag zur Verbesserung der Behandlungsqualität in der AIM«Mit meinen eigenen Forschungsprojekten möchte ich neue Erkenntnisse zur Optimierung der Behandlung von internistischen Patienten beitragen. Zudem hilft mir die methodologische Expertise in der klinischen Forschung, neue Studienresultate korrekt zu interpretieren und optimal auf meine Patienten anzuwenden.»
Diversifizierte Berufstätigkeit«Kein Tag ist wie der andere. Zwischen Forschungssitzungen, Klinik, der Betreuung von Assistenzärzten und der Lehre ändere ich ständig meine Denkweise. Aber jede Tätigkeit ergänzt sich und befruchtet die andere.»
Vertiefung in eine spezifische Thematik der AIM: Experte sein!«Im klinischen Alltag ist es sehr attraktiv, Experte für eine spezifische Erkrankung oder einen Themenbereich zu sein und dabei das Wissen im allgemeininternistischen Kontext umzusetzen. Je mehr man zu einem Thema weiss, desto interessanter wird es.»
Lebenslanges Lernen«Durch die Forschungstätigkeit setze ich mich kontinuierlich mit der neuesten Literatur und neuen Erkenntnissen zum Thema auseinander, wodurch ich tagtäglich Neues dazulerne».
Wissenstransfer«Durch meine Forschungstätigkeit habe ich ein viel tiefergehendes Wissen in meinem Forschungsbereich aufgebaut. Dieses Wissen kann ich im Rahmen der Aus- und Fortbildung an andere weitergeben.»
Fähigkeit zur differenzierten Auseinandersetzung mit Studiendaten und der neuen Evidenz«Guidelines sind bei Erscheinung zwar sehr nützlich, aber häufig bereits nicht mehr aktuell und fokussieren sich selten auf multimorbide Patienten. Die korrekte Interpretation von neuen Studienresultaten ist daher essentiell bei der Umsetzung von evidenzbasierter Medizin für unsere Patientinnen. Die Fähigkeit, Studienresultate kritisch zu interpretieren, ist zudem nicht nur nützlich für unsere Patienten, sondern macht den klinischen Alltag spannend und Diskussionen mit Mitarbeitenden interessant.»
Networking«Die Kollaborationen in Forschungsprojekten sowie die Teilnahme an nationalen und internationalen Meetings ermöglichen es mir, Experten in meinem Forschungsgebiet wie auch andere Nachwuchsforschende kennenzulernen und mir ein wertvolles Netzwerk aufzubauen».
Flexibilität und Work-Life-Balance«Ich habe zwei kleine Kinder – ich kann meine Forschungszeit flexibel anpassen, um mich bei Bedarf um sie zu kümmern. Artikel oder Protokolle kann ich abends fertigstellen.»
Karriereperspektiven«Erfolgreich forschenden Klinikerinnen und Klinikern stehen die Türen offen für eine attraktive Karriere in der AIM mit abwechslungsreichem Alltag.»
AIM: Allgemeine Innere Medizin; SGAIM: Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin
Eine akademische Karriere im Bereich der AIM eröffnet vielseitige Perspektiven. Die Möglichkeiten, die akademische und die klinische Arbeit zu kombinieren, sind vielfältig und weder auf den ambulanten noch den stationären Bereich beschränkt. Ein klassisches Berufsbild, das die akademisch tätige Person im Bereich der AIM abbildet, gibt es aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten nicht. Das Berufsbild des «Clinician Researcher» oder «Clinician Investigator» [4], also der Ärztin oder des Arztes mit einem Facharzttitel in AIM und einer wissenschaftlichen wie auch klinischen Tätigkeit, ist im ärztlichen Kader der universitären Kliniken üblich. Im Gegensatz zum «Clinician Researcher» oder «Clinician Investigator» an einem Universitätsspital haben wissenschaftlich tätige Internistinnen und Internisten in den nicht universitären Kliniken in der Regel ein höheres klinisches Pensum. An den universitären Instituten für Hausarztmedizin bestehen häufig Arbeitsmodelle, bei denen die Anteile der wissenschaftlichen und der klinischen Arbeit in der (internistischen) Praxis flexibel gestaltet werden können. Zusätzlich bestehen Möglichkeiten der Forschung im Rahmen einer Anstellung im Bereich der öffentlichen Gesundheitsinstitutionen. Zu erwähnen ist, dass die späteren Qualifikationen einer akademischen Karriere (Habilitation, Professur) vielerorts Voraussetzung für eine Beförderung auf bestimmte Kaderpositionen sind.

Wo und wie eine akademische Karriere starten?

Der erste Kontakt zur wissenschaftlichen Forschung findet in der Regel während des Studiums im Rahmen der Masterarbeit respektive der Dissertation statt. Die beiden Arbeiten erlauben einen ersten Einblick in die wissenschaftliche Tätigkeit. Gerade für Forschungsinteressierte sollte es das Ziel sein, zumindest die eigene Dissertation in einem «peer reviewed» Journal zu publizieren. Nach Abschluss des Studiums sind die ersten Jahre einer Facharztausbildung meist von der klinischen Arbeit dominiert, und die Dissertation ist im optimalen Falle bereits abgeschlossen. Dennoch empfiehlt es sich für Forschungsinteressierte gerade in dieser Zeit, mit den früheren Arbeitsgruppen in Kontakt zu bleiben. Oftmals besteht so die Möglichkeit, auch aus der Ferne an kleineren wissenschaftlichen Projekten teilzunehmen. Finden die ersten Jahre der klinischen Ausbildung wie oft üblich eher in kleineren Spitälern statt, können auch die Kaderärztinnen und -ärzte direkt auf potentielle Möglichkeiten zur Mitarbeit in Forschungsprojekten angesprochen werden. In der AIM haben viele von ihnen neben dem klinischen auch einen akademischen Hintergrund und stehen motivierten, forschungsinteressierten Kolleginnen und Kollegen offen und fördernd gegenüber.
Ist die Entscheidung für eine akademische Karriere bereits früh gefallen, kann die direkte Teilnahme an einem Medical-Doctor-(MD-) respektive Doktor-der-Philosophie-(PhD-)Programm mit Fokus auf klinischer Forschung oder mit klinischer Karriere und patientenzentrierter Forschung nach Studienabschluss eine gute Alternative zum direkten Beginn einer klassischen klinischen (Facharzt-)Ausbildung darstellen. Die Programme werden an verschiedenen nationalen Universitäten angeboten. Sie vermitteln die nötigen methodologischen Fertigkeiten und ermöglichen früh die Einbindung in eine akademische Einrichtung. Aufbau und Ausrichtung der Programme unterscheiden sich lokal und können in Vollzeit, aber auch nebst einem klinischen Pensum von bis zu 50% durchgeführt werden [5]. Die Möglichkeiten, einen PhD parallel zu einer klinischen Tätigkeit zu erwerben, kommt dabei vor allem dem motivierten Nachwuchs mit grossem Interesse an Forschung und Klinik zugute. Vereinzelt besteht sogar die Möglichkeit, schon vor dem Abschluss des Medizinstudiums in ein PhD-Programm aufgenommen zu werden [6]. Eine Auswahl an nationalen PhD-Programmen ist in Tabelle S1 im Online-Appendix des Artikels zu finden. Weiter gibt es auch in vielen Universitätsspitälern oder in den Hausarztinstituten die Möglichkeit, Forschungsrotationen zu machen; in dieser Zeit kann man die ersten Artikel als Erstautor schreiben, die für einen Auslandsaufenthalt mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds nötig sind [7].
Das Interesse an Auslandsaufenthalten sollte möglichst frühzeitig zur Sprache kommen, um diese entsprechend planen zu können. Durch das Erleben einer anderen (wissenschaftlichen) Kultur und Sprache stellen sie weiterhin den klassischen Weg dar, um den eigenen Horizont zu erweitern. Sie bieten zudem einzigartige Möglichkeiten, um die eigenen wissenschaftlichen Fertigkeiten zu verbessern. Möglichkeiten zur individuellen Förderung bestehen zum Beispiel durch den Schweizerischen Nationalfonds [7]. Die Kenntnis über die Voraussetzungen für die einzelnen Fördermöglichkeiten und die damit verbundenen Ansprüche ist dabei zentral. Die frühe wissenschaftliche Karriere kann so gezielt ausgerichtet werden, was wiederum die Chancen auf eine kompetitiv erworbene Förderung erhöht. Eine erste Übersicht über diese und weitere Fördermöglichkeiten bietet zum Beispiel die Plattform «Clinical Research Careers» [8, 9, 17].
Zu Beginn der akademischen Karriere sind zudem die Erfahrungen und Ratschläge von Peers besonders wertvoll. Kongresse und Meetings der verschiedenen Interessensverbände wie der SGAIM oder der «Swiss Young Internists» bieten hierzu ideale Plattformen, um mit dem jungen wissenschaftlichen Nachwuchs in Kontakt zu kommen.
Tabelle 2: Grundlegende Aspekte bei der Wahl des ersten eigenen wissenschaftlichen Projektes
Thema der ArbeitDie Wahl des richtigen Themas Ihrer Arbeit ist eine der wichtigsten Entscheidungen im Vorfeld und sie sollte zusammen mit Ihrem Betreuer respektive Ihrer Betreuerin gut besprochen werden. Primär sollte natürlich das Thema von inhaltlichem Interesse sein. Vorkenntnisse im Thema sind zwar nicht Voraussetzung, erleichtern aber das Einarbeiten in die Thematik. Ein viel empfohlener Grundsatz im Laufe einer akademischen Karriere ist die Fokussierung auf ein spezifisches Forschungsgebiet («become an expert») [10]. Auch wenn sich der Forschungsschwerpunkt im Rahmen einer Karriere natürlich ändern kann, empfiehlt es sich daher, bereits spätestens die Dissertation thematisch in jenem Feld durchzuführen, in welchem später weiter geforscht werden soll. Da Karrieren aber oft nicht von Anfang an geradlinig verlaufen und sich die Interessen insbesondere zu Beginn einer ärztlichen Karriere basierend auf ersten Erfahrungen und Begegnungen (beispielsweise mit inspirierenden Vorgesetzten) noch ändern können, ist auch ein späterer Einstieg in eine Forschungsthematik durchaus möglich.
Umfang und Zeitraum der ArbeitKlären Sie zu Beginn mit Ihrem Betreuer oder Ihrer Betreuerin den genauen Umfang der Arbeit. Seien Sie sich im Klaren darüber, was gefordert wird und ob Sie die Arbeit in dem vorgesehenen Zeitrahmen abschliessen können.
Machbarkeit der ArbeitEine für Unerfahrene schwierig einzuschätzende Frage ist, ob die angestrebte Arbeit mit den gegebenen Ressourcen auch machbar ist. Kann die Fragestellung mit den vorhandenen Daten beantwortet werden? Sind die Daten schon vorhanden oder müssen diese erst erhoben/generiert werden? Welche statistischen Fertigkeiten sind notwendig beziehungsweise kann auf vorhandene Ressourcen (wie Statistiker in der Arbeitsgruppe) zurückgegriffen werden? Am besten ist es, wenn die Daten für ein erstes Projekt schon vorhanden oder einfach zu sammeln sind.
BetreuungEin zentraler Punkt ist die Betreuung. Ist vor Beginn der Arbeit klar geregelt, wer Sie in welchem Ausmass betreut? Ist diese Person auch für Sie erreichbar? Sind regelmässige Treffen geplant? Wenn möglich, empfiehlt sich hier ein Gespräch mit den Ihnen vorangegangenen Masterstudentinnen und -studenten und Dissertantinnen und Dissertanten über deren Erfahrungen.
Geschützte Zeit für die wissenschaftliche Arbeit («protected research time»)Gerade der Beginn der klinischen Ausbildung ist sehr anspruchsvoll und zeitintensiv. Die parallele Durchführung der ersten grösseren wissenschaftlichen Arbeit zu Beginn der klinischen Ausbildung kann sehr energieraubend sein. Es empfiehlt sich daher, die Dissertation in einem kurzen Intervall zwischen Studium und erster klinischer Anstellung durchzuführen. Alternativ sollte angestrebt werden, für die Durchführung der wissenschaftlichen Arbeit eine geschützte Zeit zu erhalten, in der man keine oder wenige klinische Aufgaben hat. Dies ist insbesondere dann gut möglich, wenn die Dissertation in der Klinik durchgeführt wird, in der auch aktuell die klinische Weiterbildung stattfindet.
Individuelle und persönliche Einblicke in den Beginn einer wissenschaftlichen Karriere erlauben uns die beiden Interviews mit den zwei jungen und erfolgreichen Nachwuchswissenschaftlerinnen Frau Dr. Seraina Netzer und Frau Prof. Carole Clair (aufrufbar im Online-Appendix des Artikels).

Die Wahl des ersten Projektes

Die Wahl des ersten wissenschaftlichen Projektes ist von grosser Bedeutung. Schlechte Erfahrungen, die während einer Masterarbeit oder Dissertation gemacht werden, können dazu führen, dass der motivierte und talentierte Nachwuchs das Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten verliert und sich fortan für eine rein klinische Karriere entscheidet. Bei der Wahl des ersten Projektes sind viele verschiedene Faktoren wichtig, die sich je nach Art der wissenschaftlichen Arbeit stark unterscheiden. Gute Hilfestellungen in der Beurteilung potentieller Arbeiten geben zum Beispiel die Kriterien «FINER» («feasible, interesting, novel, ethical and relevant») oder auch «SMART» («specific, measurable, achievable, relevant and time-related»). In Tabelle 2 sind zudem einige grundsätzliche Ratschläge aufgelistet, die unabhängig von der Art der Arbeit Gültigkeit haben.
Betrachtet man die Frage nach der Wahl des richtigen Projektes mehr von der theoretischen Seite, kann grundsätzlich zwischen der Machbarkeit des Projektes und dem daraus resultierenden Wissensgewinn für die Gesellschaft differenziert werden (Abb. 1). Projekte mit einem grossen Wissensgewinn sind häufig schwerer umzusetzen und eignen sich selten für den Beginn einer wissenschaftlichen Karriere, wie etwa die Durchführung einer randomisierten Studie. Hingegen sind Projekte mit begrenztem oder fokussiertem Wissensgewinn deutlich leichter umzusetzen (die sogenannten «low hanging fruits») und eignen sich daher bestens für den Einstieg in die wissenschaftliche Karriere.
Abbildung 1: Diagramm zu Machbarkeit und wissenschaftlichem Mehrwert als Entscheidungskriterien für die Auswahl eines Projekts (aus [16]: Alon U. How to choose a good scientific problem. Mol Cell. 2009;35(6):726–8. doi: 10.1016/j.molcel.2009.09.013. © 2009, Elsevier Inc. Nachdruck und Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Elsevier Inc. https://www.sciencedirect.com/journal/molecular-cell).

Mentoring

Ein erfolgreiches Mentoring ist eine der wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche akademische Karriere und viele Mentees berichten auch tatsächlich, dass das Mentoring einen positiven Einfluss auf ihre Karriere hatte [10]. Ein Mentor-Mentee-Verhältnis kann viele verschiedene Formen und Ausrichtungen haben [11]. Neben Hilfestellungen bei wichtigen Aspekten wie der Wahl des ersten Forschungsprojektes und der ersten Forschungsgruppe, einem effektiven Zeitmanagement oder der weiteren Karriereplanung kann der Mentor den Mentee auch in die vielen Regeln, Abläufe und Zusammenhänge, die im akademischen Umfeld bestehen, aber nirgends niedergeschrieben sind, einführen.
Bei einem Mentoring muss zwischen dem formalen, offiziellen Mentoring im Rahmen eines Programms und dem informalen Mentoring ausserhalb eines Mentoring-Programms unterschieden werden. In Abhängigkeit von den Möglichkeiten, Vorstellungen und Rollen existieren viele verschiedene Mentor-Mentee-Beziehungen [11]. Der Zugang zu den formalen Mentoring-Programmen, die an einigen Universitäten auch speziell für den weiblichen Nachwuchs angeboten werden, erfolgt in der Regel zentralisiert an der jeweiligen Bildungseinrichtung und setzt eine Bewerbung voraus (eine Auflistung von Mentoring-Programmen an den grossen Schweizer Universitäten findet sich in [12]). Dennoch empfiehlt es sich zusätzlich, das Gespräch mit Peers, den Betreuerinnen oder Betreuern sowie den Mitgliedern der Forschungsgruppen zu suchen. Hier kann man oft wertvolle Tipps und Möglichkeiten erhalten, wie bei der Suche nach einer Mentorin oder einem Mentor konkret zu verfahren ist. Zudem finden sich in zahlreichen Publikationen [13] und Übersichten [14] und auf vielen Websites [15] praktische und wertvolle Tipps für die Suche nach einer passenden Person für das Mentoring.

Fazit

Die Forschung in der AIM ist spannend und vielfältig und kann in den verschiedensten Institutionen, ambulant wie auch stationär, und im Rahmen unterschiedlicher Arbeitsmodelle durchgeführt werden. Durch den bewussten Entschluss für eine wissenschaftliche Karriere in der AIM stärken die Nachwuchsforschenden nicht nur die akademische AIM als solches, sie eröffnen sich selbst auch vielfältige Karrieremöglichkeiten.
Für den akademisch interessierten Nachwuchs gibt es nicht den einen Weg, die wissenschaftliche Karriere zu starten. Viele wichtige Aspekte und Überlegungen sind jedoch universell gültig. In diesem Artikel sind daher einige grundlegende Aspekte beschrieben, um dem akademisch interessierten Nachwuchs eine Hilfestellung beim Start der akademischen Karriere im Bereich der AIM zu geben.
Dr. med. Andreas Plate
Institut für Hausarztmedizin
Universität und Universitätsspital Zürich
Die Forschungskommission unter der Leitung von Prof. Dr. med. Nicolas Rodondi hat gemeinsam den Text erarbeitet. Sie ist eine der ständigen Kommissionen der SGAIM und setzt sich aus folgenden Personen zusammen:
Prof. Dr. med. Nicolas Rodondi, MAS (Präsident), Universität Bern; Prof. Dr. med. Drahomir Aujesky, MSc, Universität Bern; Dr. med. Kevin Selby, MAS, Universität Lausanne; Dr. med. Andreas Plate, MSc, Universität Zürich; PD Dr. med. Marie Méan, Universität Lausanne; Prof. Dr. med. Carole Clair, MSc, Universität Lausanne; Dr. med. François Bastardot, MSc, Universität Lausanne; Dr. med. Hervé Spechbach, Universität Genf; PD Dr. med. Christine Baumgartner, MAS, Universität Bern; Dr. med. Manuel Blum, MSc, Universität Bern; PD Dr. med. Tobias Tritschler, MSc, Universität Bern; Dr. med. Christoph Becker, Universität Basel
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. Andreas Plate
Institut für Hausarztmedizin
Universität und Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
CH-8091 Zürich