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Ausgabe
2022/3132
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09187
Swiss Med Forum. 2022;22(3132):499-501

Publiziert am 02.08.2022

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf … Genmanipulierte Hausschweine als Organlieferanten

- 7 Wochen nach Transplantation des Herzens eines genmanipulierten Schweines verstarb ein knapp 60-jähriger Patient trotz intensiver Immunsuppression (Depletion der B- und T Zellen).
- Autoptisch war das Herz massiv ödematös angeschwollen ohne klassische Zeichen einer Abstossung.
- Das Spenderschwein war aus genetisch modifizierten Fibroblasten (10 mutierte Gene!) kloniert worden.
- Die Fibroblasten wurden in somatische Zellen transferiert, wodurch entsprechend genetisch alterierte Embryonen entstanden.
- Im Rahmen eines Embryotransfers wurden sie in ein Mutterschwein implantiert.
- Die wichtigsten genetischen Manipulationen: Elimination von Genen/Enzymen, die Oberflächen-Kohlehydrate hinzufügen (sogenannte Xeno­antigene), Komplementfaktoren, Thrombomodulin, Protein-C-Rezeptor und Wachstumshormon-Rezeptor.
- Das klonierte Schwein dürfte ein schwieriges Leben gehabt haben: kein Kolostrum, vorzeitige Entwöhnung sowie wahrscheinlich isolierte Unterkunft in Hochsicherheitslabors mit regelmässigem Monitoring auf Erreger.
N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2201422.
Verfasst am 08.07.2022.

Praxisrelevant

Anti-HER2-Antikörper wirksam trotz tiefer HER2-Expression beim Mammakarzinom

Bei etwa 60% der bislang als «human epidermal growth factor 2»-(HER2-)negativ klassifizierten Mammakarzinome findet man immunhistochemisch gleichwohl, wenn auch relativ tiefe, Expressionen von HER2. Diese Kon­stellation kann bei Frauen, deren Tumor hormonrezeptorpositiv (etwa 85%) oder -negativ (15%) ist, vorkommen.
Der monoklonale Anti-HER2-Antikörper Trastuzumab erwies sich nun selbst bei diesem tiefen Expressionsmuster als überlegen im Vergleich zur Chemotherapie, deren genaue Zusammensetzung den behandelnden Onkologen überlassen wurde. Bei hormonrezeptorpositiven Tumoren verdoppelte sich das progressionsfreie Überleben unter Trastuzumab im Vergleich zur Chemotherapie (gut 10 versus gut 5 Monate). Das Gesamtüberleben verlängerte sich um gut 6 Monate (23,9 versus 17,5 Monate) [1]. Ein grosser Fortschritt in der Therapie des Mammakarzinoms, zumal die Hälfte aller Tumoren, die bis dato als «HER2-negativ» klassifiziert wurden, in diese Gruppe ­fallen! Die wichtigsten Nebenwirkungen von Trastuzumab sind Neutropenie und interstitielle Pneumonitiden.
Ein Editorialist, der einer unverzüglichen Aufnahme in die Praxis-Richtlinien das Wort redet, weist aber auch darauf hin, dass die Qualität des immunhistochemischen Nachweises von HER2 in tiefer Konzentration verbessert werden muss.
1 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2203690.
2 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMe2206661.
Verfasst am 09.07.2022.

Meningokokken-Vakzine mit Kreuzprotektion vor Gonorrhoe

Die Gonorrhoe ist ein grosses Problem geworden ­wegen zunehmender Antibiotikaresistenzen und grassierender Prävalenz in Afrika, Südostasien sowie in ­definierten Supopulationen (Sex-Arbeitende, homosexuelle Männer, HIV-positive Individuen etc).
Zwei Arbeiten bestätigen nun die frühere Beobachtung, dass eine Impfung gegen Neisseria meningitidis Serotyp B auch einen Schutz vor Neisseria-gonorrhoeae-Infekten erbringt. Auch wenn die Schutzwirkung maximal nur 40% betrug, die Effektgrösse also bescheiden war, gibt es doch Hoffnung darauf, dass man mit einer spezifisch gegen Neisseria gonorrhoeae gerichteten Impfung einen grossen Fortschritt erreichen könnte. Dies ist umso wichtiger, als es Szenarien gibt, die voraussagen, dass angesichts der zunehmenden Resistenzen diese Krankheit absehbar unbehandelbar werden könnte.
Verfasst am 06.07.2022.

Zirkadianer Rhythmus der Analgetikaverschreibung

Medikamentöse Schmerzlinderung ist ein grosses Thema mit Problemen, die von der Unterversorgung schmerzgeplagter Individuen bis zur Fehlversorgung mit folgender Opioid-Krise reichen.
In einer israelisch-amerikanischen Studie verordnete das ärztliche Personal nachts signifikant weniger Schmerzmittel als am Tag. Die Zahl der untersuchten Personen mit Schmerzen betrug knapp 13 500. Die Empathie für die über Schmerzen klagenden Individuen schien in der Nacht signifikant vermindert, was die restriktivere Verordnungspraxis miterklären könnte. Die Autorinnen und Autoren vermuten, dass dieser Mangel an Empathie durch Schlafentzug, Übermüdung und Stress allgemein bedingt sein könnte.
Proc Natl Acad Sci USA. 2022, doi.org/10.1073/pnas.2200047119.
Verfasst am 07.07.2022.

Genetische Abklärung bei peripartaler Kardiomyopathie

Die peripartale Kardiomyopathie könnte eine der Manifestationen im Spektrum der idiopathischen dilatativen Kardiomyopathie sein. Angeblich kommt die Erkrankung bei einer von 1000 Gebärenden vor. In der Hälfte der Fälle ist eine weitgehende Erholung möglich, bei der anderen Hälfte ist die Prognose ziemlich schlecht.
Diverse Genmutationen können zu einer peripartalen Kardiomyopathie prädisponieren, die wichtigste ist eine Mutation mit Funktionsverlust eines grossen Sarkomerproteins (Titin). Liegt eine solche Mutation vor, sollte eine Familientestung (sogenanntes Kaskaden-Screening) erwogen werden. In Analogie zur idiopathischen Kardiomyopathie würde sich auch die Analyse von Genmutationen lohnen, die zu malignen ventrikulären Arrhythmien prädisponieren (und – bei positivem Nachweis – dann zum Beispiel zur Implantation eines Kardioverter-Defibrillators [ICD] führen).
Verfasst am 08.07.2022.

Aktinische Keratosen und Plattenepithel­karzinomrisiko

Aktinische Keratosen werden behandelt, um die Entwicklung eines Plattenepithelkarzinoms zu verhindern oder hinauszuzögern. Allerdings ist die Evidenz, dass aktinische Keratosen effektiv in Plattenepithelkarzinome übergehen, eher limitiert.
In einer sekundären Analyse einer holländischen Studie mit 624 Studienteilnehmenden (im Mittel 73 Jahre alt) ging man dieser Frage nach. Die Untersuchten wiesen mindestens fünf aktinische Keratosen auf einer Fläche von 25–100 cm2 am Kopf auf. Die 4-Jahres-Inzidenz des Auftretens eines Plattenepithelkarzinoms betrug 3,7%. Die Fluouracil-basierte Einzeltherapie wies die tiefste Krebsinzidenz der verschiedenen verwendeten topischen Substanzen auf (2,2%). Bei schwereren Krankheitsstadien (definiert anhand der Olsen-Grade) stieg das Krebsrisiko auf bis zu 50% an. Auch der Bedarf nach zusätzlicher Therapie (zum Beispiel Imiquimod und Fluorouracil) erhöhte das Risiko weiter, was wohl eher Ausdruck einer grösseren biologischen Dynamik als einer Onkogenizität der Therapien sein dürfte.
Personen mit schwereren Graden der aktinischen Keratosen und Bedarf für Kombinationstherapien müssen also speziell gut überwacht werden.
Verfasst am 08.07.2022.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Wann Chirurgie beim akuten Subduralhämatom?

Entsprechend den Richtlinien sollen traumatisch ­erworbene, akute Subduralhämatome von mehr als 10 mm Dicke und/oder mit einer Mittellinienverlagerung von mindestens 5 mm mit einer (dekompressiven) Kraniotomie operiert werden. Fraglos effektiv ist die Chirurgie bei komatösen Patientinnen und Patienten mit Subduralhämatom.
In dieser grossen holländischen Beobachtungsstudie fand man bei fast 4600 Personen mit traumatischer Hirnschädigung in einem Drittel (n = 1407) ein Subduralhämatom. Die Wahrscheinlichkeit einer chirurgischen Intervention in den verschiedenen Zentren war enorm unterschiedlich (zwischen knapp 6 und gut 51%!). Das aggressivere führte im Vergleich zum konservativen Vorgehen ­(allenfalls mit sekundärer Operation bei «sich verschlechternder Neurologie») aber nicht zu einem besseren Resultat.
Wichtig ist nun, dass in prospektiv kontrollierten Studien in relevanten Subgruppen der Nutzen und die Indikation für ein operatives Vorgehen evaluiert werden.
Verfasst am 06.07.2022.

Neues aus der Biologie

Immunevasion der neuen Omikron-Varianten

Die neuesten Omikron-Varianten (BA 2.12.1, BA4 und BA5) sind in Südafrika erstmals entdeckt worden und haben dort, in den USA, Südafrika, Portugal und jetzt auch in der Schweiz die Oberhand gewonnen. Da diese Varianten mehrere neue Mutationen in der sogenannten Rezeptorbindungsdomäne des S(pike)-Proteins aufweisen, ist eine – klinisch bereits vermutete – Immunevasion bei Geimpften und/oder vorbestehend mit anderen Stämmen infizierten Individuen möglich. Im Gegensatz zur Variante BA 2.12.1., die eine nur leicht erhöhte Antikörperresistenz aufweist, ist diese ­beispielsweise bei Omikron BA5 (Schweiz) mehr als viermal höher, das heisst, diese Variante ist viermal resistenter gegen Anti-S-Antikörper. Die meisten der verschiedenen Mutationen schützen das Virus vor Anti­körperbindung, aber verschlechtern auch die Affinität des Virus zum Zellrezeptor (ACE-2). Also Glück ­gehabt. Aber: Eine ungemütliche Mutation darunter führt zu Antikörperresistenz und erhaltener Rezeptorbindungsaffinität (R493Q).
Von den therapeutisch verwendeten monoklonalen Antikörpern behielt laut der referenzierten Studie nur das Bebtelovimab die volle Neutralisierungspotenz.
Die Omikron-Varianten sind weiterhin in Evolution, sodass wir uns vermehrt auf Varianten vorbereiten sollten, die nicht nur eine Immunevasion aufweisen, sondern auch aggressiver sein, das heisst eine erhaltene oder gar erhöhte Rezeptoraffinität aufweisen könnten.
Verfasst am 07.07.2022.

Auch noch aufgefallen

Intraartikuläres Botulinustoxin gegen Arthroseschmerzen?

Die Wirkmechanismen einer solchen Intervention sind unbekannt, könnten aber sekundäre Effekte auf die Verhärtung der periartikulären Muskulatur umfassen.
In einer prospektiv randomisierenden, plazebokon­trollierten Studie mit 60 von 370 evaluierten Individuen mit Arthroseschmerzen im Daumengrundgelenk (akuter Schub einer Ritzarthrose) führte die intraartikuläre Injektion von Botulinustoxin A (50 Allergan-Einheiten) im Vergleich zu Plazebo zu einer recht eindrücklichen Reduktion der Schmerzintensität nach drei Monaten. Die Schmerzintensität war mit einem Scoring-System erfasst worden. Da sowohl intraartikuläre Glukokortikoide oder ebenso verabreichte Hyaluronsäure keinen etablierten Platz bei dieser Arthroselokalisation haben, könnte sich Botulinustoxin als hilfreich erweisen. Davor ist wünschenswert, die Resultate in einer grösseren Population zu replizieren, vor allem auch weil nur 1/6 der evaluierten Individuen auch eingeschlossen werden konnte.
Lancet Rheumatol. 2022, doi.org/10.1016/S2665-9913(22)00129-1.
Verfasst am 06.07 2022.

Künstliche Intelligenz will seelische Krisen voraussagen können

Kurz und bündig persistiert der Eindruck, dass alles was mit künstlicher Intelligenz zu tun hat, publizistisch besser verkauft und in angeseheneren Zeitschriften untergebracht werden kann.
Anhand computergestützter Analysen elektronischer Patientendossiers konnten seelische Krisen in den darauffolgenden 28 Tagen mit einer Sensitivität von knapp 60% erfasst werden. Eine prospektive Evaluation (mit entsprechender klinischer Intervention, wenn das Programm eine hohe Wahrscheinlichkeit einer kommenden Krise identifiziert hatte) erreichte eine eindrückliche Reduktion der Krisenepisoden um 2/3. Die wichtigsten klinischen Risikofaktoren für eine akute Krise gemäss diesem Modell waren: Zahl früherer Krisen und deren Dauer, ungeplante Spitalkonsultationen, ausgelassene Termine, Alter und Zeit seit der letzten Hospitalisation.
Diese Faktoren dürften nicht unbedingt einer artifiziellen, sondern schlicht und einfach sogar einer natürlichen Intelligenz schnell auffallen und –sollten – zu Vorsichtsmassnahmen führen.
Verfasst am 07.07. 2022.

«Long distance»-Übertragung von SARS-CoV-2

«Long distance» ist zwar im Titel dieser Arbeit enthalten, aber etwas übertrieben, denn es geht um eine Literaturanalyse, ob und wie häufig COVID-19-Erkrankungen trotz Distanzierung von >2 Metern erfolgen.
Die Arbeit kommt zum Schluss, dass schlechte Ventilation in geschlossenen Räumen wie Restaurants, öffentlichem Verkehr oder Meeting-Räumen für eine relevante Infektionshäufigkeit verantwortlich waren und wahrscheinlich weiterhin sind, auch wenn die Distanzierungsregeln eingehalten worden waren. Singen, also zum Beispiel bei Choranlässen, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zusätzlich.
Gibt es noch einen anderen vernünftigen Kommentar als: «Masken, Masken, Masken!»?
Verfasst am 09.07.2022.
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