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Den Kommentar zu diesem Artikel finden Sie auf S. 650 in dieser Ausgabe.
Hintergrund
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie und im Speziellen seit Beginn der entsprechenden Impfkampagne erfolgen gehäuft Zuweisungen von Patientinnen und Patienten nach stattgehabter COVID-Impfung zur nicht invasiven kardialen Diagnostik mit der Frage nach Vorliegen einer Myokarditis/Perikarditis.
Die Myokarditiden umfassen ein breites Spektrum von Immunprozessen, die eine funktionelle und/oder strukturelle Veränderung des Herzmuskels verursachen können. In den meisten Fällen sind Myokarditiden auf virale Infektionen zurückzuführen. Nicht infektiöse Ursachen von Myokarditiden sind seltener und wurden unter anderem im Rahmen von systemischen Entzündungszuständen sowie iatrogen nach dem Verabreichen von Medikamenten oder Impfungen berichtet [1].
Die Messenger-RNA-(mRNA-)basierten Impfungen von Pfizer/BioNTech und Moderna wurden im Dezember 2020 von der amerikanischen «Food and Drug Administration» (FDA) zugelassen. Seitdem wurden seltene Fälle von Perimyokarditiden in der Literatur beschrieben [2, 3]. Die Magnetresonanztomographie (MRT) des Herzens gilt als die beste diagnostische Modalität, um sowohl die frühen Phasen als auch die postentzündlichen Veränderungen einer Myokarditis zu diagnostizieren [4].
Beim hier präsentierten Fall handelt es sich um einen jungen Patienten mit Verdacht auf Myokarditis nach mRNA-COVID-19-Impfung.
Fallbericht
Anamnese und Status
Ein 33-jähriger Patient stellt sich vier Tage nach der zweiten COVID-Impfung (mRNA-1273, Moderna) in der Notaufnahme mit plötzlich aufgetretenen thorakalen Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm über 30 bis 60 Minuten vor. In der Nacht unmittelbar nach der Impfung habe er grippeähnliche Symptome mit Schüttelfrost, Gliederschmerzen, Übelkeit und Fieber bis 39 °C gehabt. Kontakt mit erkrankten Personen habe nicht bestanden.
Die klinische Untersuchung bei Aufnahme zeigt einen normokarden, normotonen Patienten in gutem Allgemeinzustand und ohne weitere Auffälligkeiten.
Diagnostik und Befunde
Elektrokardiographisch zeigen sich bis auf angedeutete PQ-Senkungen in den inferioren und lateralen Ableitungen und diskreten, nicht signifikanten ST-Hebungen über der Vorderwand keine Auffälligkeiten (Abb. 1 A und B).
Laboranalytisch imponiert eine deutliche Troponinerhöhung mit relevanter Dynamik und Peak bei 307 ng/l (Normwert <14,0 ng/l). Das C-reaktive Protein (CRP) liegt mit 3,7 mg/l (Normwert <5,0 mg/l) im Normbereich. Ein COVID-19-Schnelltest fällt negativ aus.
Echokardiographisch ergibt sich kein Hinweis auf einen Perikarderguss. Bei geringer Vortestwahrscheinlichkeit für eine koronare Herzerkrankung wird eine Computertomographie des Herzens durchgeführt, die weder relevante Stenosen noch Koronarverkalkungen zeigt. Nach unauffälliger Rhythmusüberwachung und mit rückläufigen Herzenzymen wird der Patient nach Hause entlassen. Im Anschluss an die ambulante kardiologische Verlaufskontrolle erfolgt zwölf Tage später die Durchführung einer Herz-MRT. Diese zeigt ein isointenses Signalverhalten in den T2-gewichteten Sequenzen (Abb. 2) sowie ein subepikardiales «late gadolinium enhancement» (LGE) des linksventrikulären (LV) Myokards inferolaterobasal, vereinbar mit dem Bild einer Perimyokarditis (Abb. 3 A und B).
Verlauf
Dem Patienten wird ein Sportverbot für drei Monate ausgesprochen. Der weitere Verlauf gestaltet sich unauffällig, der Patient bleibt asymptomatisch. In der Herz-MRT-Verlaufskontrolle nach drei Monaten findet sich eine leichte LGE-Regredienz des inferolaterobasalen LV-Myokards (Abb. 4) ohne begleitendes Ödem oder neu aufgetretene Wandbewegungsstörungen.
Diskussion
Das Auftreten von Myo- und Perikarditiden nach Impfungen ist ein bekanntes, aber seltenes Phänomen und nur in wenigen Fällen kann die Ursache auf eine Impfung zurückgeführt werden [5]. Die Ätiologie einer myokardialen Entzündung kann vielfältig sein und der zeitliche Zusammenhang mit der Impfung reicht nicht als Nachweis für einen kausalen Zusammenhang [6].
In dem von uns dargestellten Fall ist die Anamnese nicht suggestiv für das Vorliegen eines viralen Infektes, insbesondere bei zuverlässiger COVID-Prophylaxe und negativem COVID-Test. Die erhöhten myokardialen Biomarker sowie die passager und nur minimal imponierenden Veränderungen im Elektrokardiogramm (EKG) sprechen für ein akutes Geschehen kurz nach der Impfung. Der fehlende Nachweis eines myokardialen Ödems im ersten Herz-MRT ist am ehesten auf die Verzögerung der Untersuchung um zwölf Tage nach dem Akutereignis zurückzuführen. Die leichte Regression des LGE im zweiten MRT spricht jedoch am ehesten für das Vorliegen einer kürzlich durchgemachten Myokarditis.
Am 20. Mai 2021 gaben die US-amerikanischen «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC) eine Erklärung zu einem möglichen Zusammenhang zwischen der Impfung zur Vorbeugung von COVID-2019 und Myokarditis für die COVID-19-Impfstoffe von Pfizer/BioNTech und Moderna ab. In einer israelischen Studie lag die Inzidenz 42 Tage nach der ersten Dosis bei 2,13 Fällen pro 100 000 Geimpfte und stieg auf 5,49 bei Personen zwischen 16 und 29 Jahren an [2].
Im Juni 2021 wurden in der Schweiz etwa 12 Fälle von Myokarditiden, Perimyokarditiden und Perikarditiden bei 5 Millionen verabreichten Impfdosen gemeldet [7].
Das relativ geringe Risiko einer Myokarditis nach einer COVID-19-Impfung sollte nicht von der Impfung abhalten. Tatsächlich ist nicht nur das geschätzte Myokarditisrisiko nach einer mRNA-Impfung etwa fünfmal niedriger als das Myokarditisrisiko nach einer COVID-Infektion (3,2 gegenüber 18,3), sondern auch das Risiko der Notwendigkeit einer intensivpflichtigen Hospitalisation aufgrund COVID-bedingter Komplikationen unter den Ungeimpften viel höher als unter den Geimpften (entsprechend waren 9 von 10 hospitalisierten Personen während der vierten Welle ohne Impfung) [8].
Die Vorteile der Impfung – in Bezug auf die COVID-19-Infektion und -Übertragung sowie die COVID-bedingten Komplikationen – überwiegen eindeutig das potentielle Risiko sowohl einer durch den Impfstoff bedingten kardialen Inflammation als auch anderer unerwünschter Ereignisse.
Je nach Verlauf der Pandemie ist damit zu rechnen, dass auch die Anzahl der seltenen Nebenwirkungen aufgrund von Impfungen steigen wird. Entsprechend ist von Seiten der behandelnden Ärztinnen und Ärzte bei Verdachtsfällen von Myokarditiden nach stattgehabter COVID-19-Imfpung nach sorgfältiger Anamnese eine kardiologische Überweisung zur weiterführenden Diagnostik mittels EKG, transthorakaler Echokardiographie und weiterführender laboranalytischer Diagnostik zur Gewährleistung einer bestmöglichen diagnostischen und therapeutischen Abklärung wünschenswert.
Gemäss Deklaration der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich vom 30.11.2021 sollte bei etwa halb so hohem Risiko für eine Myokarditis (Vergleich der COVID-19-Impfung von Pfizer/BioNTech mit der von Moderna) insbesondere bei unter 30-Jährigen vorzugsweise eine Impfung mit Pfizer/BioNTech erfolgen [9].
Das Wichtigste für die Praxis
Obwohl eine Myokarditis nach einer Impfung selten ist, sollte sie bei verdächtigen Symptomen, Veränderungen im Elektrokardiogramm (EKG) und positiven Biomarkern ausgeschlossen werden.
Eine sorgfältige Anamnese ist erforderlich, um eine andere Ätiologie einer allfälligen Perikarditis/Myokarditis in Betracht zu ziehen.
Bei Vorliegen von kardiovaskulären Risikofaktoren, Veränderungen im EKG und positiven Herzbiomarkern muss ein akutes Koronarsyndrom invasiv (Koronarangiographie) oder nicht invasiv (Computertomographie des Herzens) ausgeschlossen werden.
Für die initiale Standortbestimmung wie auch zur Verlaufskontrolle ist eine echokardiographische Kontrolle erforderlich.
Bei hochgradigem Verdacht auf eine Myokarditis ist ausserdem eine weitere bildgebende Abklärung mittels Herz-Magnetresonanztomographie empfohlen.
Bei Nachweis einer Myokarditis ist ein Sportverbot von drei Monaten zu beachten. Vor Wiederaufnahme der sportlichen Aktivität sollte eine wiederholte Kontrolle mittels EKG, kardialen Biomarkern und Echokardiographie erfolgen.
Ein schriftlicher Informed Consent für die Publikation liegt vor.
Das Universitätsspital Zürich hat eine Forschungskooperation mit GE Healthcare. Die Autoren haben deklariert, ansonsten keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Domenico Ciancone
Klinik für Nuklearmedizin
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
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