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Teil 21 dieses Artikels fasst die geltenden Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Tropen- und Reisemedizin zu Reiseimpfungen, Reisediarrhoe, Arbovirosen und anderen Infektionskrankheiten auf Reisen sowie weitere reisemedizinische Themen für Schwangere und Stillende zusammen.
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Reiseimpfungen in Schwangerschaft und Stillzeit
Studien zur Impfstoffsicherheit in der Schwangerschaft beruhen grösstenteils auf Beobachtungsstudien und nur wenigen randomisierten kontrollierten Studien. Empfehlungen sind häufig Risiko-Nutzen-Abwägungen, und Impfungen werden in der Schwangerschaft generell «off-label» verabreicht (Tab. 1). Embryonale oder fetale Fehlbildungen sind nur für die Tuberkulose-/BCG-(Bacille-Calmette-Guérin-)Impfung beschrieben. Tot- und mRNA-Impfstoffe sollten nach Möglichkeit erst im zweiten Trimester verabreicht werden, um eine Koinzidenz mit einem im ersten Trimenon am häufigsten auftretenden Spontanabort zu verhindern. Mit Ausnahme der Gelbfieberimpfung sind Lebendimpfstoffe während einer Schwangerschaft absolut kontraindiziert, und eine Schwangerschaft sollte nach einer Lebendimpfung für vier Wochen vermieden werden. Jedoch ist bei versehentlicher Impfung ein Schwangerschaftsabbruch nicht indiziert.
Tabelle 1: Übersicht Reiseimpfungen in Schwangerschaft und Stillzeit | ||
Impfstoff | Schwangerschaft | Stillzeit |
Gelbfieber [2–10] attenuierter Lebendimpfstoff | Relativ kontraindiziert Nutzen-Risiko-Abwägung, strenge Indikationsstellung | Säuglinge <6 Monaten: absolute Kontraindikation Säuglinge ≥6 Monate: Nutzen-Risiko-Abwägung, strenge Indikationsstellung |
Hepatitis A [2, 11, 12] inaktiviertes Hepatitis-A-Virus | Eher unbedenklich | Nicht kontraindiziert |
Hepatitis B [2] Hepatitis-B-Oberflächenantigen (HBsAg) | Eher unbedenklich | Nicht kontraindiziert |
Hepatitis-A/B-Kombinationsimpfstoff [2, 12] | Eher unbedenklich | Nicht kontraindiziert |
Japanische Enzephalitis (JE)[2, 13] inaktiviertes JE-Virus | Relativ kontraindiziert Keine Daten, keine Empfehlungen, Nutzen-Risiko-Abwägung | Keine Daten über Muttermilchgängigkeit, keine Empfehlungen, Nutzen-Risiko-Abwägung |
Meningokokken A, C, W-135, Y[2, 11, 14, 15] tetravalenter Meningokokken-Konjugat-Impfstoff | Relativ kontraindiziert Unzureichende Datenlage, keine unerwünschten Ereignisse bekannt; bei klarem Expositionsrisiko empfohlen | Unzureichende Datenlage, schädliche Auswirkungen auf den Säugling unwahrscheinlich, nicht kontraindiziert |
Polio [2, 12] inaktiviertes Poliovirus | Keine Daten, Nutzen-Risiko-Abwägung Oraler Lebendimpfstoff kontraindiziert | Keine Daten, schädliche Auswirkungen auf den Säugling unwahrscheinlich, nicht kontraindiziert |
Tollwut [2, 16–18] | ||
Aktivimpfstoff inaktiviertes Tollwutvirus | Keine Sicherheitsbedenken präexpositionell: relativ kontraindiziert, Nutzen-Risiko-Abwägung postexpositionell: keine Limitationen | Keine Daten, schädliche Auswirkungen auf den Säugling unwahrscheinlich, nicht kontraindiziert |
Passivimpfstoff humanes Tollwutimmunglobulin | Postexpositionell: keine Limitationen | Postexpositionell: keine Limitationen |
Typhus [2, 4, 19] | ||
oraler attenuierter Lebendimpfstoff | Relativ kontraindiziert Keine Daten, Nutzen-Risiko-Abwägung | Keine Daten, Nutzen-Risiko-Abwägung |
inaktivierter Vi-Polysaccharid-Impfstoff | Relativ kontraindiziert Keine Daten, keine Sicherheitsbedenken, bei hohem Expositionsrisiko auch in der Schwangerschaft empfohlen | Nicht kontraindiziert |
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt ausdrücklich die Impfungen gegen Pertussis (als Kombinationsimpfstoff gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis [DTPa]) zu Beginn des dritten Trimenons und gegen Grippe (mit quadrivalentem Influenzaimpfstoff) während jeder Schwangerschaft, da eine transplazentare Übertragung von Antikörpern dem Baby «Nestschutz» bietet [1–3].
Die Artikel in der Rubrik «Richtlinien» geben nicht unbedingt die Ansicht der SMF-Redaktion wieder. Die Inhalte unterstehen der redaktionellen Verantwortung der unterzeichnenden Fachgesellschaft bzw. Arbeitsgruppe; im vorliegenden Artikel handelt es sich um die Schweizerische Gesellschaft für Tropen- und Reisemedizin.
Gelbfieberimpfung
Der attenuierte Lebendimpfstoff Stamaril® (17 D-204) wird subkutan verabreicht. Eine Schwangerschaft ist eine relative Kontraindikation für eine Gelbfieberimpfung. Bisherige Beobachtungsstudien bei Schwangeren, die versehentlich gegen Gelbfieber geimpft worden waren, ergaben keinen Hinweis auf schädliche Wirkungen auf das Ungeborene. Bei unvermeidbaren Reisen in Gebiete mit hohem Gelbfieberrisiko empfehlen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die US-amerikanischen «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC) die Impfung auch bei Schwangeren unter strenger Indikationsstellung. Wenn das Risiko der Impfung das Risiko einer Ansteckung überwiegt, kann ein «medical waiver» (Impfbefreiung aufgrund medizinischer Gründe) von einer anerkannten Gelbfieberimpfstelle ausgestellt werden. Da eine Schwangerschaft das Immunsystem beeinträchtigen kann, ist nach Erstimpfung in der Schwangerschaft eine nochmalige Impfung vor der nächsten Reise in ein Risikogebiet empfohlen [2–7].
Stillen ist eine Kontraindikation für die Gelbfieberimpfung. Durch die Lebendimpfung mit vermehrungsfähigen Impfviren besteht das Risiko einer «yellow fever vaccine-associated neurotropic disease» (YEL-AND), welche sich als Meningoenzephalitis beim Säugling manifestieren kann. Es sind drei solcher Fälle bei gestillten Kindern bekannt, alle Säuglinge waren <1 Monat alt [8–10]. Das Risiko ist bei Kindern im Alter <6 Monaten am höchsten (50–400/100 000 Dosen), und eine Impfung in diesem Alter respektive für stillende Mütter von Säuglingen <6 Monaten gilt daher als absolut kontraindiziert. Stillende Frauen von Säuglingen <6 Monaten sollten nach der Impfung abstillen oder für mindestens zwei Wochen abpumpen und die Milch verwerfen [2–10]. Für Säuglinge im Alter von 6–9 Monaten besteht eine relative Kontraindikation für die Impfung. Die Entscheidung zur Impfung in diesem Alter bedarf einer sorgsamen Nutzen-Risiko-Abwägung.
Reisediarrhoe und Erbrechen
Die Hauptgefahr einer schweren Reisediarrhoe oder von Erbrechen bei Schwangeren ist die Dehydratation, welche die Versorgung des Kindes beeinträchtigen kann. Die Rehydratation sollte, wenn möglich, oral, frühzeitig und grosszügig durchgeführt werden. Orale Elektrolyt-Rehydratationslösungen («oral rehydration salts» [ORS]) gehören in jede Reiseapotheke und sind mit Schwangerschaft und Stillzeit kompatibel.
Stillende Mütter mit Reisediarrhoe sollten weiterhin stillen und ihre eigene Flüssigkeitszufuhr steigern. Eine Kontamination der Haut im Brustbereich inklusive der Brustwarzen sowie des Mundes des Säuglings wird durch akkurate Hygiene vermieden. Stillen ist eine ideale Rehydratationstherapie für Babys mit Gastroenteritis. Es reicht, das Baby häufiger an die Brust anzulegen; eine zusätzliche Flüssigkeitsgabe ist bei voll gestillten Säuglingen nicht nötig.
Zusätzlich zu den üblichen Massnahmen bei der Nahrungsmittelhygiene sollten Schwangere vor allem auf nicht pasteurisierte Milchprodukte, rohes Fleisch und rohen Fisch (siehe Abschnitt «Andere Infektionskrankheiten auf Reisen») verzichten. Auf jodhaltige Mittel zur Wasserentkeimung ist aufgrund möglicher Auswirkungen auf die fetale Schilddrüse zu verzichten.
Der Motilitätshemmer Loperamid ist in der Schwangerschaft erlaubt, eine Langzeittherapie ist jedoch zu vermeiden. In der Stillzeit ist Loperamid kontraindiziert (CAVE: Sedierung des gestillten Säuglings). Bei schwerem Durchfall oder Dysenterie sollte primär ärztliche Hilfe aufgesucht werden. Wird dennoch ein Antibiotikum für die Reiseapotheke gewünscht, ist in der Schwangerschaft und Stillzeit Azithromycin das Antibiotikum der Wahl für Durchfall.
Als Antiemetikum sind Antihistaminika die erste Wahl in der Schwangerschaft. Folgende Antiemetika sind für Schwangere geeignet:
– Dimenhydrinat oder Diphenhydramin.
– Kombination aus Meclozin (25 bzw. 20 mg), Vitamin B6 (Pyridoxin, 25 bzw. 20 mg) und Coffein (25 bzw. 20 mg, Itinerol B6® Kapseln/Suppositorien). Während der Einnahme ist auf weitere Coffeinquellen zu verzichten.
– Kombination aus Doxylamin und Vitamin B6 (CARIBAN® Hartkapseln).
Pulverisierte Ingwerwurzel (ZINTONA® Kaps) oder Ingwerplätzchen können besonders bei Reiseübelkeit helfen. Nicht empfohlen für die Reiseapotheke sind Metoclopramid (spärliche Sicherheitsdaten in der Schwangerschaft) und Ondansetron (Verdacht auf erhöhtes Fehlbildungsrisiko des Ungeborenen) [4, 20–22].
Zika- und Denguevirus
Das Zikavirus (ZIKV) erlangte traurige Berühmtheit, als infolge eines Ausbruches 2015–2016 in Lateinamerika und in der Karibik Tausende von Babys nach mütterlicher Infektion während der Schwangerschaft mit schweren Fehlbildungen geboren wurden [23, 24]. Seit Anfang 2020 wurde weltweit nur noch eine niedrige ZIKV-Übertragung registriert. Die Übertragung erfolgt durch Aedes(Stegomyia)-aegypti/albopictus-Moskitos, welche tagsüber und in den frühen Abendstunden aktiv und auch in urbanen Gebieten verbreitet sind [4, 25]. Das ZIKV kann auch sexuell (v.a. über das Sperma des infizierten Mannes) übertragen werden, die exakte Dauer einer möglichen sexuellen Übertragung bleibt unklar [26, 27]. Das kongenitale Zika-Syndrom kann beim Ungeborenen zu Mikrozephalie mit schweren Schädel- und Gehirnanomalien führen. Auch andere Fehlbildungen, Fehl- und Frühgeburten und intrauterine Wachstumsretardierung können auftreten. Klinisch relevante Fehlbildungen treten bei etwa 7% der Fälle auf, mit höchstem Risiko bei perikonzeptioneller oder im ersten Trimester erfolgter Infektion [24, 28–30].
Das Expertenkomitee für Reisemedizin (EKRM) der Schweizerischen Gesellschaft für Tropen- und Reisemedizin rät Schwangeren und Frauen mit aktivem Kinderwunsch von einer Reise in Regionen mit ZIKV-Infektionen ab. Die Beratung zu Reisen in ZIKV-Gebiete bei aktivem Kinderwunsch und Schwangerschaft sollte darauf abzielen, die Paare in dieser persönlichen und komplexen Entscheidung zu unterstützen.
Das Risiko einer Infektion besteht in allen tropischen und subtropischen Gebieten, ist jedoch niedrig bei Aufenthalt in einem Endemiegebiet oder Gebiet mit Vektorpräsenz ohne Zika-Ausbruch. Ein hohes Risiko besteht bei Reisen in Gebiete mit Zika-Ausbruch oder Geschlechtsverkehr mit einer kürzlich infizierten (ZIKV-IgM+) Person.
Für die reisemedizinische Beratung ist es essenziell, die aktuelle Epidemiologie zu kennen. Hierbei hilft die Übersichtskarte für ZIKV-Risikogebiete (siehe Kasten «Übersichtskarte ZIKV-Risikogebiete»).
Können eine eigene Reise/Exposition und/oder die des Partners nicht verhindert werden, sollten konsequenter Moskitoschutz und «safer sex» (Kondome) während der gesamten restlichen Schwangerschaft erfolgen.
Paare mit aktivem Kinderwunsch sollten eine Schwangerschaft um mindestens zwei Monate nach Exposition verschieben; bei geplanter künstlicher Befruchtung wird eine Wartefrist von drei Monate empfohlen. Wird eine Verkürzung der Wartefrist gewünscht, kann eine Serologie vier Wochen nach Rückkehr aus einem ZIKV-Endemiegebiet durchgeführt werden. Ein negatives Testergebnis kann eine Infektion nicht sicher ausschliessen, womit also auch bei negativer Serologie ein Restrisiko besteht.
Das EKRM hat «guidelines» zum diagnostischen Vorgehen nach potentieller Exposition während der Schwangerschaft erstellt [23]. Nach bestätigter ZIKV-Exposition in der Schwangerschaft sollte eine Betreuung durch eine/n mit ZIKV-Infektionen vertraute/n Gynäkologin oder Gynäkologen erfolgen. Zur Risikoabschätzung der Entwicklung einer Mikrozephalie oder anderer neurologischer Schäden beim Ungeborenen sollten nach potentieller ZIKV-Exposition engmaschige Ultraschalluntersuchungen durchgeführt werden [23, 25].
Infektiöse ZIKV-Partikel wurden in der Muttermilch infizierter Mütter nachgewiesen, eine Transmission auf den Säugling bisher allerdings nicht. Die CDC empfehlen stillenden Müttern mit ZIKV-Infektion oder auf Reisen in Gebiete mit ZIKV-Infektionsrisiko, ihr Baby weiterhin zu stillen, da der Benefit für das Baby das Risiko einer ZIKV-Übertragung durch die Muttermilch überwiegt [4].
Eine asymptomatische Denguevirus-Infektion scheint keinen negativen Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf zu haben, jedoch erhöht eine symptomatische Infektion das Risiko für eine Totgeburt sowie für Frühgeburtlichkeit und eine Wachstumsrestriktion [32].
Andere Infektionskrankheiten auf Reisen
Während der Schwangerschaft treten sowohl pathophysiologische Veränderungen (Abnahme des Atemvolumens, Harnstauung aufgrund der Uterusvolumenzunahme, Blutflussveränderungen) als auch eine Adaption des Immunsystems auf. Zudem besteht eine Affinität bestimmter Pathogene zur Plazenta, einem aktiven immunologischen und metabolischen Organ. Dadurch haben Schwangere ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf von fäkal-oral übertragbaren Krankheiten wie Hepatitis E, Listeriose, und Toxoplasmose. Unter anderem werden diese durch den Verzehr unpasteurisierter Käsesorten und von rohem oder ungenügend durchgekochtem Fleisch übertragen [33]. «Up-to-date»-Wissen um aktuelle Epidemien (z.B. über https://healthytravel.ch) ist in der Beratung von fundamentaler Bedeutung, um die Schwangere auf spezielle Gefahren an der Reisedestination hinzuweisen [34]. Indien, Südostasien, der Mittlere Osten und Afrika sind Hochendemiegebiete der Hepatitis E. Diese geht bei Schwangeren mit einer hohen Mortalität (15–25%) bei fulminanter Hepatitis mit Leberversagen einher und kann im dritten Trimester zu fetalen Komplikationen und Fehlgeburten führen. Toxoplasma gondii und Listerien können die Plazentaschranke passieren, kongenitale und neonatale Infektionen verursachen und zu Fehl- und Totgeburten führen. Schwangere sind auch bei respiratorischen Infektionen (z.B. Influenza, COVID-19) einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Die Grippesaison findet auf der Südhalbkugel von April/Mai bis Oktober, in den Tropen ganzjährig statt. Die Influenzaimpfung ist unabhängig von Reisen indiziert und vor allem auf Kreuzfahrten aufgrund eines erhöhten Ansteckungsrisikos wichtig [33]. Schwangere mit COVID-19 haben im Vergleich zu Nichtschwangeren ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf, benötigen häufiger eine intensivmedizinische Behandlung und eine mechanische Ventilation; sie weisen insgesamt eine höhere Mortalität auf. Auch das Risiko für eine Frühgeburt und der Bedarf einer neonatologischen Behandlung des Babys sind erhöht [35]. Die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) und das BAG empfehlen die COVID-19-Impfung allen schwangeren Frauen ab dem zweiten Trimester [36].
Thromboembolische Ereignisse
Während der Schwangerschaft finden hämostaseologische Adaptionen (Hyperkoagulabilität, Hypofibrinolyse) statt, um einen übermässigen Blutverlust bei der Geburt zu vermeiden. Schwangere haben auf Flugreisen im Vergleich zu nicht schwangeren Frauen ein fünf- bis zehnfach erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse; dies gilt auch für andere Fortbewegungsmittel mit langem Sitzen (z.B. Autoreisen). Das Risiko ist vor allem im dritten Trimester erhöht und steigt postpartal (in den ersten sechs postpartalen Wochen 20- bis 80-fach erhöhtes Risiko [37]). Ursachen sind unter anderem ein venöses Pooling der unteren Extremitäten, Hyperkoagulabilität, Kompression der Vena cava durch den Uterus und Immobilität durch den Babybauch. Insgesamt wird das Risiko für thromboembolische Ereignisse während einer Reise für Schwangere auf 0,03–0,1% geschätzt und ist unter anderem abhängig von der Flugdauer [38]. Massnahmen wie eine Sitzplatzwahl am Gang, regelmässiges Aufstehen und isometrische Beinmuskelübungen wirken prophylaktisch. Kompressionsstrümpfe der Klasse II sind für Schwangere immer empfohlen und können vor allem im dritten Trimenon zusätzlich Wassereinlagerungen und einer Varikosis vorbeugen [4, 37–39]. Beim Vorliegen weiterer Risikofaktoren (z.B. bekannte Thrombophilie, thromboembolische Ereignisse in der Vorgeschichte) sowie bei Langstreckenflügen (>6 Stunden) ist eine prophylaktische Antikoagulation empfohlen. Hierzu sind niedermolekulare Heparine («low molecular weight heparins» [LMWH]) die erste Wahl, da diese weder teratogen noch plazentagängig sind und das Risiko für fetale Blutungen nicht erhöhen. LMWH werden nicht mit der Muttermilch ausgeschieden und können in der Stillzeit ohne Bedenken eingesetzt werden. Von Vitamin-K-Antagonisten und direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) wird während der Schwangerschaft aufgrund eines möglicherweise erhöhten Abort- und Fehlbildungsrisikos und Reproduktionstoxizität abgeraten. DOAK sind auch in der Stillzeit nicht empfohlen [38, 39].
Weitere reisemedizinische Themen
Geplante sportliche Aktivitäten und Höhenexposition sind ebenfalls in der reisemedizinischen Sprechstunde anzusprechen. Schwimmen und Schnorcheln sind generell ungefährlich in der Schwangerschaft, von Tauchen wird jedoch wegen des Risikos fetaler Gasembolien abgeraten. Wasserskifahren, Mountainbiking, Reiten und andere Sportarten mit hoher Gefahr für abdominelle Traumen sind zu unterlassen.
Die Hauptprobleme von Reisen in Höhen >2500 m sind die schlechte Erreichbarkeit und mangelnde medizinische Versorgung bei Notfällen. Ein langsamer Aufstieg und gute Akklimatisation (Schlafhöhe möglichst gering halten und um maximal 300–500 Höhenmeter/Tag erhöhen sowie zusätzlich pro 1000 m Höhengewinn einen Ruhetag einlegen) werden empfohlen. Vom Aufenthalt in extremen Höhen wird abgeraten, auch wenn bei Kurzaufenthalten bisher keine unerwünschten Wirkungen auf den Fetus beschrieben wurden [4]. Acetazolamid zur Prophylaxe der Höhenkrankheit ist in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert.
Beim Überqueren von mehr als drei Zeitzonen, vor allem bei Flügen Richtung Osten, kann ein Jetlag auftreten. Mit einem Anpassen der Schlafzeit und einer gezielten Sonnenlichtexposition kann bereits vor der Reise begonnen werden, um einen Jetlag zu mildern. Die Einnahme von Melatoninpräparaten sollte in der Schwangerschaft und Stillzeit aufgrund fehlender Sicherheitsdaten vermieden werden [20, 21].
Vor allem bei Schiffreisen, aber auch bei Fahrten im Auto, im Neigezug oder auf Flugreisen besteht in der Schwangerschaft eine erhöhte Anfälligkeit für eine Kinetose oder eine Aggravierung einer schwangerschaftsbedingten Emesis. Verhaltensmassnahmen stehen im Vordergrund: Vermeiden von Lesen in Büchern oder an Bildschirmen während der Fahrt, Fixation des Horizontes mit den Augen, Frontsitze im Auto oder Bus, Aufenthaltsort im Schiffsinneren möglichst nahe am Drehpunkt. Falls eine medikamentöse Prophylaxe nötig ist, sind Antihistaminika (Meclozin, Doxylamin; siehe Abschnitt «Reisediarrhoe und Erbrechen») empfohlen. Alternativ kann Dimenhydrinat-haltiger Kaugummi verabreicht werden [21, 40].
Die Autorinnen haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
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Dr. med. Jasmin Hiestand, DTM&H
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