Kurz und bündig
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Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2022/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09272
Swiss Med Forum. 2022;22(41):670-671

Affiliations
Redaktor Swiss Medical Forum
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Publiziert am 12.10.2022

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Praxisrelevant

Renale Denervation bei therapierefraktärer Hypertonie: trotzdem wirksam?

Die katheterbasierte Ausschaltung der Niereninnervation bei Patientinnen und Patienten mit refraktärer Hypertonie (behandelt mit mehr als drei Antihypertensiva inklusive eines Diuretikums) hatte sich in der ersten unten zitierten Studie mit einer Nachbeobachtung von sechs Monaten als sicher, aber leider auch als unwirksam erwiesen [1]. Die initiale Selektion der Studienpopulation erforderte einen systolischen Praxisblutdruck (im Sitzen) von >160 mm Hg respektive von im Mittel >135 mm Hg (24 Stunden ambulante Blutruckmessung), beide unter genannter Therapie.
Die ursprüngliche Autorenschaft berichtet nun nach Aufhebung der Verblindung über die Beobachtungen, wie sich der Blutdruck über drei Jahre in der Gruppe mit renaler Denervation im Vergleich zu den Scheinoperierten entwickelt hat [2]. Bei einer zwar deutlich geschrumpften Studienpopulation – und eben Aufhebung der Verblindung – wiesen die Patientinnen und Patienten mit renaler Denervation nach drei Jahren sowohl bei den Praxis- als auch bei den 24-Stunden-Messungen signifikant tiefere Blutdruckwerte auf.
Es könnte sein, dass die renale Denervation Zeit braucht, um die vielen Faktoren, die zu einer «fixierten» Hypertonie beitragen, nachhaltig zu beeinflussen. Dabei sind eine Hypertrophie der Arterien, eine chronische sympathische Hyperaktivität und allenfalls eine fixierte renale Salzretention zu erwähnen. Auch bei der traditionellen Hypertonietherapie ist nicht ungewöhnlich, dass das therapeutische Ansprechen Zeit benötigt und nach vielen Monaten bis wenigen Jahren dann Dosis und/oder Zahl der Antihypertensiva reduziert werden können.
Die frühe Entblindung dieser industriefinanzierten Studie ist retrospektiv also ein Ärgernis. Es braucht eine neue, langfristig angelegte Studie mit echter und Schein-Denervation, um Klärung zu schaffen.
1 N Engl J Med. 2014, doi.org/10.1056/NEJMoa1402670.
Verfasst am 30.09.2022.

«Raucherhusten»: Was tun bei normaler Spirometrie?

Die Spirometrie ist zentral zur formellen Diagnose einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Der Quotient aus forciertem exspiratorischem Erstsekundenvolumen und forcierter Vitalkapazität von <0,70 gilt als das diagnostische Kriterium. Auch bei noch normaler Spirometrie laufen aber schon entzündliche und gewebedestruktive Prozesse ab und es gibt Patientinnen und Patienten, die respiratorische Beschwerden und unter Umständen auch eine Lungenüberblähung im Lungen-Computertomogramm aufweisen. Soll man diese Personen trotz normaler Spirometrie schon mit Bronchodilatatoren behandeln?
Nein, laut der vorliegenden Studie, die es verfehlte, mit einer doppelten Bronchodilatatortherapie (je ein langwirkender Beta-2-Agonist und langwirkender muskarinerger Antagonist) eine bessere Symptomkontrolle im Vergleich zu Placeboinhalationen nach 12 Wochen zu erreichen.
Zentral bleibt natürlich der anhaltende Verzicht auf Zigaretten. Zu prüfen ist, ob andere COPD-Medikamente (inhalative Glukokortikoide und andere mehr) in dieser klinischen Situation symptomatisch (z.B. Husten, Auswurf) besser wirken und allenfalls den zugrunde liegenden pathologischen Prozess aufhalten können. Dies könnte dann aber mehr als nur 12 Wochen Intervention erfordern.
N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2204752.
Verfasst am 03.10.2022.

Das hat uns nicht gefreut

Es bleibt schwierig, das Patientenverhalten zu ändern

Entsprechendes, unverändertes Risikoverhalten ist einer der Hauptgründe, dass nach dem Erleiden einer sexuell übertragbaren Krankheit Rezidive auftreten.
92 «sexual health clinics» in Grossbritannien schickten nach der Diagnose eines Chlamydieninfektes, Gonorrhoe oder nichtspezifischer Urethritis an mehr als 3000 junge Erwachsene (16−24 Jahre) über eine Periode von 12 Monaten immer wieder Textnachrichten (insgesamt etwa 100!) mit Informationen zur sichereren Gestaltung von sexuellen Kontakten. Der gleich grossen Kontrollgruppe wurden ebenfalls Textnachrichten geschickt, aber nur mit der Frage, ob die E-Mail oder Postadresse geändert hätte. Die Hypothese war, dass in der Interventionsgruppe folgende Änderungen vermehrt auftreten würden: Partnerinformation über den Infekt, vermehrter Gebrauch von Kondomen und infektiologische Abklärung vor ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Dies sollte – so die Autorenschaft – zu verminderten Rezidiven von Chlamydien- und Neisseria-gonorrhoea-Infekten führen. Leider nicht, denn die Re-Infektrate war in der Interventionsgruppe gar etwas höher als in der Kontrollgruppe (inakzeptable gut 22 versus gut 20% innerhalb von 12 Monaten!).
Die ärztliche oder medizinische Information wird also mit dieser Kommunikationsart nicht wirkungsvoller und Verhaltensänderungen sind weiterhin schwierig zu erreichen.
Verfasst am 01.10.2022.

Auch noch aufgefallen

Was löst Mutterliebe aus?

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren seelische Zuneigung und religiöse Leitlinien am wichtigsten beim Aufziehen der Kinder. Anscheinend wendete sich das Blatt ab circa 1910 unter dem Einfluss der damaligen Verhaltenspsychologie [1]. Fortan standen während mehrerer Dekaden Sauberkeit, Ordnung und Disziplinierung im Vordergrund. Körperliche Kontakte waren oftmals verpönt, in der Öffentlichkeit gar überhaupt nicht schicklich.
Eine Arbeit zeigt, was man den Kindern und Müttern vorenthalten haben dürfte, wenn es auch nicht Beobachtungen an Menschen, sondern an Rhesusaffen/Makaken sind. Affenmütter, die gerade ihr Junges verloren hatten, waren bereit, einen leblosen Surrogatgegenstand als Ersatzkind zu akzeptieren [2]. Dabei war der Berührungssinn alles entscheidend, denn Gegenstände, die eine weiche, angenehme Oberfläche aufwiesen, wurden mit anhaltender mütterlicher Zuneigung bedacht. Gerüche, Bewegungsmuster, Aussehen, Töne oder Laute spielten keine oder eine sehr untergeordnete Rolle.
Der Aufbau einer Mutter-Kind-Beziehung ist mindestens zu Beginn kein komplexer Prozess unter Involvierung verschiedener Sinne, sondern dürfte weitgehend durch ein angenehmes Berührungserlebnis initiiert werden.
Fokus auf ...
Carbanhydrasehemmer und Herzinsuffizienz
Acetazolamid, als bekanntester Carbanhydrasehemmer, erwies sich eben bei akuter Dekompensation einer Herzinsuffizienz (intravenös zusätzlich zum Schleifendiuretikum Furosemid gegeben) als signifikant wirksamer als Placebo [1], eine «Rekompensation» zu erreichen.
Carbanhydrasehemmer hemmen im proximalen Nierentubulus die Natriumrückresorption (als Natriumbikarbonat [2]).
Bei dekompensierter Herzinsuffizienz ist die Natriumrückresorption in der Niere (proximale und distale Tubulusabschnitte) gesteigert.
Zentrale pathophysiologische Mechanismen: stimulierte Renin-Angiotensin-Aldosteron-Achse, renale Minderperfusion wegen verminderten Herzauswurfvolumens.
Eine Hemmung der Natriumrückresorption in hintereinandergeschalteten Tubulusabschnitten (also hier proximaler Tubulus und Henle-Schleife) wirkt in Bezug auf die Natriurese potenzierend.
Neben der akuten Dekompensation einer Herzinsuffizienz können Carbanhydrasehemmer auch einen Basenüberschuss (metabolische Alkalose) bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) korrigieren und damit die periphere Sauerstoffabgabe verbessern (die bei bei erhöhtem pH gehemmt ist).
1 N Eng J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2203094.
Verfasst am 03.10.2022.
Immer noch lesenswert
Grapefruit und erhöhte orale Bioverfügbarkeit von Medikamenten
David Bailey, der Erstbeschreiber dieses Phänomens (Interaktion von Grapefruitsaft mit Felodipin [1]), ist kürzlich verstorben. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit war er auch zeitenweise als Spitzensportler unterwegs und lief als erster Mensch die Meile unter vier Minuten.
Die im Grapefruitsaft enthaltenen Furanocoumarine hemmen die Aktivität des intestinalen CYP3A4-Enzyms (und zwar irreversibel bis zu dessen Neusynthese). Dieses Enzym inaktiviert eine Reihe von Medikamenten bereits im Darm und ist für deren verminderte orale (im Vergleich zur intravenösen Applikation) Bioverfügbarkeit verantwortlich. Durch die durch Grapefruitsaft induzierte Hemmung dieses inaktivierenden Enzyms steigt also die medikamentöse Bioverfügbarkeit und das Potential einer Toxizität (die Eliminationsrate dieser Medikamente bleibt gleich).
Der Effekt ist übrigens medikamenten- und nicht klassenspezifisch, sodass man neben dem Verzicht auf Grapefruitsaft Alternativen hätte. Es gab auch einmal Spekulationen darüber, ob man mit Grapefruitsaft Medikamentenkosten sparen könnte (z.B. damals von Ciclosporin). Die Berechenbarkeit der effektiven Resorption schien dann aber (zum Glück) zu limitiert ​...
In einer späteren Review dieses Autors findet sich in der Tabelle 1 eine Übersicht über die interagierenden Medikamente, die dosisabhängigen Nebenwirkungen, eine Abschätzung des Interaktionsrisikos und Vorschläge für sichere Alternativen [2]. Vielleicht hilft Ihnen die Tabelle für den Sicherheitscheck am nächsten Morgenbuffet ​...
Grapefruit kann die Wirkung bestimmter Medikamente verstärken.
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Verfasst am 01.10.2022.
2 Proc Natl Acad Sci U S A. 2022, doi.org/10.1073/pnas.2212224119.