Kurz und buendig
Journal Club Fokus auf… Jenseits der humanen Medizin

Kurz und buendig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2022/43
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09276
Swiss Med Forum. 2022;22(43):704-705

Affiliations
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Publiziert am 26.10.2022

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Praxisrelevant

Allopurinol und kardiovaskuläre Erkrankungen

Die Hyperurikämie (oft mit anderen Risikofaktoren für eine schnellere kardiovaskuläre Alterung assoziiert) zeigt Assoziationen mit kardiovaskulären Erkrankungsmanifestationen. Für eine Harnsäurespiegelsenkung, namentlich mit Xanthinoxidase-Hemmung durch Allopurinol, gab es bislang keine einheitlichen Informationen, ob eine solche Therapie das kardiovaskuläre Risiko reduzieren könnte. Je gut 2800 Individuen mit ischämischer Herzkrankheit, aber ohne bekannte Gicht (drei Viertel davon Männer, fast alle weisser Hautfarbe, Durchschnittsalter 72 Jahre) wurden entweder mit oder ohne Allopurinol behandelt (600 mg pro Tag bei normaler, 300 mg bei mässig reduzierter Nierenfunktion) und über knapp fünf Jahre nachverfolgt (ALL-HEART-Studie [1]). Der primäre Endpunkt war ein zusammengesetzter: Herzinfarkte, Schlaganfälle und kardiovaskulär bedingte Mortalität. Allopurinol war in Bezug auf den Endpunkt wirkungslos, denn sowohl in der Allopurinol- als auch der Kontrollgruppe wurde das Endpunktkriterium bei je circa 11% aller Individuen erreicht. Allopurinol gehört also definitiv nicht in die hier kürzlich besprochene kardiovaskuläre «polypill» bei einer solchen Population [2].
Verfasst am 09.10.2022.

Wie gross ist der Nutzen der Screening-Kolonoskopie?

Die Screening-Kolonoskopie wird in der Schweiz als Abklärung der ersten Wahl zur Polypendetektion und Früherfassung von kolorektalen Karzinomen empfohlen und oftmals als Goldstandard präsentiert. Eine grosse Studie (NordICC-Studie) unter sogenannten «real-world»-Bedingungen kratzt nun aber an ihrer Patina. 55–64-jährige Individuen (aus Polen, Norwegen, Schweden und den Niederlanden) wurden zwischen 2009 und 2014 randomisiert (Einladung zur Kolonoskopie, n = gut 28 000 oder kein Screening, n = gut 56 000) und median 10 Jahre nachverfolgt. Zunächst musste festgestellt werden, dass die Kolonoskopie und die Idee dieses Screens nicht sonderlich beliebt waren: Nur 2/5 der Eingeladenen (n = gut 11 000) liessen sich auch kolonoskopieren. Die Resultate waren dann enttäuschend: Die relative Risikoreduktion bezüglich eines Karzinoms betrug nur 18% (die «number needed to prevent» wurde auf deutlich mehr als 400 berechnet) und die Mortalität war in beiden Gruppen gleich [1]. Warum sind diese Resultate eher schlecht im Vergleich zu Studien mit FIT (fäkalen immunhistochemischen Testung) / Sigmoidoskopie und früheren Studien, welche die Kolonoskopie als Screeningmethoden verwendeten? Weniger geschickte Kolonoskopietechnik (die Rate der Polypendektion war tiefer als in anderen Studien), Selektion der Patientenpopulation mit Kolonoskopie unter der Annahme, dass die Eingeladenen, die sich nicht kolonoskopieren liessen, ein höheres Krebsrisiko aufweisen würden? Zwei Editorialisten [2] bemerken, was allgemein bekannt sein dürfte, nämlich, dass eine Screeningmethode nur wirken kann, wenn sie auch angewendet wird. Sicher bräuchte es hier mehr ärztliche Überzeugungsarbeit und auch eine Reevalualation der Qualität in der Krebsprophylaxe zum Beispiel im Vergleich zur FIT mit Sigmoidoskopie.
1 NEJM. 2022, doi:10.1056/NEJMoa2208375.
2 NEJM. 2022, doi:10.1056/NEJMe2211595.
Verfasst am 10.10.2022.

Das hat uns nicht gefreut

Stützen die Daten die Interpretation?

Die Therapie mit einem SGLT-2-Hemmer*(10 mg Dapagliflozin) verlangsamte signifikant in einer doppelverblindeten plazebokontrollierten Studie die Progressionsrate der chronischen Niereninsuffizienz bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und signifikanter Albuminurie (ca. 1 g/24 h; [1]). Obwohl in der genannten Studie auch Nichtdiabetikerinnen und Nichtdiabetiker vertreten waren, war der Effekt einer SGLT-2-Hemmung bei nicht diabetischen Individuen und solchen mit weniger ausgeprägter Albuminurie nicht klar definiert. Im Rahmen einer Post-hoc-Analyse dieser Patientenpopulation wurden nun die Effekte der SGLT-2-Hemmung auf die Progression der Niereninsuffizienz eGFR bei Individuen ohne Diabetes mellitus Typ 2 untersucht und separat für initiale Albuminurieraten unter und über 300 mg/24 h analysiert. Nach fast 2,5 Jahren waren die eGFR-Werte in der Dapagliflozingruppe identisch mit denen der Plazebogruppe. Die Autorenschaft folgert zwar, dass der nephroprotektive Effekt der SGLT-2-Hemmung auch bei nicht diabetischen Patientinnen und Patienten nachweisbar sei, wohl basierend auf einem Rückgang der Albuminurie. Wenn kurz und bündig aber nichts Elementares übersehen wurde, fehlt dazu die eGFR-Evidenz [2].
1 N Engl J Med. 2020, doi:10.1056/NEJMoa2024816.
2 Clin J Am Soc Nephrol. 2022, doi.org/10.2215/CJN.07290622.
Verfasst am 07.10.2022.

Das hat uns gefreut

Knochenbildung als CO2-Speicher?

Wir Menschen tragen mit unserem Kohlenstoffdioxid-(CO2-)generierenden Metabolismus selber direkt zum CO2-Anstieg in der Umwelt bei. Wir könnten aber über einen CO2-bindenden und somit nachhaltigen Effekt durch die Knochenneubildung verfügen. Knochen und andere kalzifizierte Gewebe enthalten Kalziumkarbonat (CaCO3) und Hydroxyapatit. Ersteres kann durch katalytische Begünstigung (durch Carboanhydrasen) aus der Hydratation von metabolisch generiertem CO2 entstehen*. Wie hoch die Bilanz des CO2 über die ganze Lebensspanne dann wirklich ist, ist unklar. Im wachsenden Skelett dürfte die CO2-Bindung dominieren. Doch der Knochen ist im adulten Stadium in einem konstanten Gleichgewicht zwischen Auf- und Abbau, also sind wahrscheinlich Freisetzung und Bindung von CO2 identisch. Im Alter mit abnehmender Knochenmasse und sicher nach dem Ableben dominiert dann die Netto-CO2-Freisetzung wieder.
PNAS. 2022, doi.org/10.1073/pnas.2203904119.Verfasst am 08.10.2022.
Jenseits der humanen Medizin
Zwei Herzen in einem Panzer
Vor 25 Jahren schlüpfte im «Muséum d’histoire naturelle» in Genf eine «siamesische» Griechische Landschildkröte (Testudo graeca) oder besser zwei Schildkröten unter einem Panzer, denn neben den zwei Gehirnen/Köpfen haben die Schildkröten auch zwei Herzen und zwei Lungen. Die Schildkröten erhielten den inadäquaten Namen «Janus», denn dieser römische Gott hatte zwei Gesichter (Rückblick ins alte, Vorausschau aufs neue Jahr, vgl. «Januar») und eben gerade nicht zwei Köpfe. Die Schildkröten leben noch immer und anscheinend gut im selben Museum. Bei Menschen ist eine solche Symbiose undenkbar. Hat der Panzer keine andere Wahl als eine friedliche Koexistenz erlaubt?
Friedliche Koexistenz: Siamesische Landschildkröte Janus.
© Philippe Wagneur / Muséum Genève