Kurz und bündig
Journal Club Praxisrelevant Aus Schweizer Feder

Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2022/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09302
Swiss Med Forum. 2022;22(48):782-783

Affiliations
Redaktor Swiss Medical Forum.

Publiziert am 30.11.2022

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Aus Schweizer Feder
Chronische Hyponatriämie behandelt mit SGLT-2-Hemmern
Die chronische hypotone Hyponatriämie (auch als chronisches Syndrom der inadäquaten Sekretion von antidiuretischem [ADH] Hormon [SIADH] bezeichnet) ist nicht einfach zu behandeln, hat unterschätzte Langzeitfolgen (z.B. Osteoporose und neurokognitive Einschränkungen) und ist ein Risikofaktor für rezidivierende Hospitalisationen wegen symptomatischer Hyponatriämie.
In einem kleinen Kollektiv solcher Patientinnen und Patienten konnte eine Basler Gruppe in einem sorgfältig durchgeführten sogenanntem Cross-over-Experiment mit Placebo zeigen, dass dieses chronische SIADH mit einem SGLT-2-Hemmer* erfolgreich behandelt werden kann.
SGLT-2-Hemmer induzieren eine osmotische Diurese (Glukosurie) und erhöhen somit die renale Wasserelimination (erhöhte Wasser-Clearance) und damit mittelbar die Natriumkonzentration im Blut. Zu hoffen, aber noch zu zeigen bleibt, welche der erwähnten Langzeitfolgen durch die Therapie verhindert oder deren Progredienz verlangsamt werden könnte.
* «Sodium-glucose co-transporter 2»-Hemmer
J Am Soc Nephrol. 2022, doi.org/10.1681/ASN.2022050623. Verfasst am 18.11.2022.

Praxisrelevant

Herzinsuffizienz: Richtlinientreue verbessert die Prognose

Traditionelle, meist kombiniert verabreichte Herzinsuffizienzmedikamente (Beta-Blocker, ACE-Hemmer, AT-1-Rezeptor-Inhibitoren mit und ohne Neprilysin, Diuretika sowie Aldosteronantagonisten) verbessern die Prognose der Herzinsuffizienz.
Diese multinationale Studie testete die Hypothese, ob bei Auftreten einer Herzdekompensation unter Therapie (zur Hospitalisation führend) die Adaptation der Medikamente (meist Erhöhung der Dosen, im Falle der Schleifendiuretika meist leichte Reduktion) gemäss Guidelines die Prognose verbessert. Die Patientinnen und Patienten, die dosismässig nicht leitlinienkonform behandelt worden waren, wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Die Kontrollgruppe wurde nach Behebung der Herzinsuffizienz wieder gemäss etablierter klinischer Usanz, die Interventionsgruppe mit einer leitlinienkonformen Dosisadaptation (erreicht innerhalb von zwei Wochen nach Hospitalisation) therapiert.
Die Intervention lohnte sich: Innert sechs Monaten wurde der kombinierte Endpunkt (Rehospitalisation und Tod jeglicher Ursache) signifikant seltener erreicht (in 15,2 versus 23,3%). Die absolute Differenz von etwas mehr als 8% zwischen den Gruppen lässt eine «number needed to follow guideline dosing» – sozusagen – von gut 12 errechnen. Nebenwirkungen in der Interventionsgruppe waren häufiger (Blutdruckabfall, Hyperkaliämie und Niereninsuffizienz), aber eher moderat.
Verfasst am 18.11.2022.

Künstliche Süssstoffe und Glukosetoleranz

Eine sehr umfassende und sorgfältige Studie findet, dass diverse, bisher als metabolisch neutral angesehene künstliche Süssstoffe zu charakteristischen Veränderungen des kolorektalen (intestinalen) Mikrobioms und damit zusammenhängenden sekundären Veränderungen bei einer Reihe von systemisch zirkulierenden Metaboliten («Metabolom») führen.
Die Folge davon war, was man eigentlich verhindern möchte: Die Glukosetoleranz verschlechterte sich signifikant, wobei die interindividuellen Unterschiede recht gross waren. Die klinischen Implikationen künstlicher Süssstoffe könnten also negativer Art sein, die Ernährungsberatung mithin (nochmals) schwieriger.
Verfasst am 20.11.1022.

Neues aus der Biologie

Warum ist ApoE4 ein so wichtiger Risikofaktor für Morbus Alzheimer?

Erbt man eine Kopie des ApoE4-Gens, steigt das Lebenszeitrisiko, an einem Morbus Alzheimer zu erkranken, dreifach an. Erbt man beide Kopien dieses Gens, steigt das Risiko ungefähr zehnfach an. Das von ApoE4 synthetisierte Eiweiss bindet sich an die als neurotoxisch inkriminierten Amyloid-Plaques.
Die vorliegenden Beobachtungen weisen auf einen zusätzlichen Mechanismus der Pathophysiologie des Morbus Alzheimer hin, der vorwiegend den frühen Beginn und die schnellere Krankheitsprogression (bei Vorliegen einer ApoE4-Mutation) erklären könnte. ApoE4-Mutanten führen zu einer Exportstörung von Cholesterol aus den das neuronale Myelin bildenden Oligodendrozyten. Ohne oder mit zu wenig Myelin sind die Neuronen in ihrer Überleitungsfunktion gestört, elektrisch paralysiert sozusagen. Sie dürften auch – ohne ihre Myelinhülle – schädigenden Einflüssen aus ihrer Umgebung stärker exponiert sein.
Eine medikamentöse Förderung des Cholesterol-Exportes aus den Oligodendrozyten könnte also ein vielversprechender Therapieansatz sein.
Verfasst am 19.11.2022.

Medikamentöse Senkung von Lipoprotein(a)

In der kurz und bündigen Besprechung der fehlenden Wirkung einer Fibrattherapie auf Prognose und Progression von kardiovaskulären Erkrankungen wurden die persistierend hohen Lipoprotein(a)*-Konzentrationen erwähnt, deren Pathogenität möglicherweise die Fibrat-induzierte Senkung der Triglyzeride bei gleichzeitiger Erhöhung der HDL-Konzentrationen überspielen [1].
Klassische Lipidsenker haben gegen erhöhtes Lipoprotein(a) keine Chancen. Aber sogenannte Anti-Sense-Oligonukleotide, das heisst kurze, zur Lipoprotein(a)-Gensequenz komplimentäre DNA-Sequenzen können das Ablesen der DNA blockieren. Zusätzlich gibt es kleine sogenannt interferierende RNA-Moleküle (siRNA) als experimentelle Therapieoptionen. Diese hemmen die Apolipoprotein-B-mRNA und verhindern so die Zusammensetzung und natürlich die Bindung von Apolipoprotein B ans sezernierte Apolipoprotein(a). Eine solche interferierende RNA, Olpasiran, reduzierte, subkutan appliziert, bei einer kardiovaskulären Hochrisikopopulation die erhöhten Lipoprotein(a)-Spiegel von circa 250 nmol/l auf <125 nmol/l. Und dies anhaltend (Studiendauer 48 Wochen) und mit wenig interindividuellen Unterschieden [2]. Hauptnebenwirkungen waren Überempfindlichkeiten und Beschwerden an der Injektionsstelle.
Dies sind eindrückliche Resultate, die die Hoffnung schüren, dass im Langzeitverlauf die Progredienz des kardiovaskulären Erkrankungsprozesses relevant gebremst werden wird.
1 Swiss Med Forum. 2022, doi.org/10.4414/smf.2022.09296.
2 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2211023.
Verfasst am 20.11.2022.

Auch noch aufgefallen

Medien entfachen sich an Klitoris-Nerven

Die Erforschung der männlichen erektilen Dysfunktion schien lange wichtiger als die Forschung zur Klitoris(dys)funktion. Das könnte sich nun ändern, auch wenn die an einem Kongress präsentierte Arbeit für die Ärzteschaft und andere «Eingeweihte» nicht sehr überraschend sein dürfte:
Anstelle der bisher angenommenen 8000 wird die Klitoris von mehr als 10 000 myelinisierten Nerven aus dem Nervus dorsalis clitoris versorgt [1]. Man glaubt, dass Nervenschädigungen oder auch Entzündungen (sowie Neuropathien?) zu ungewollter Stimulation, Überempfindlichkeit, vielleicht auch Desensibilisierung und vor allem Schmerzen führen können. Angeblich können auch diverse chirurgische Eingriffe im Bereich der Inguina sowie Hüftgelenksersatze und Episiotomien für die Klitorisdysfunktion mitverantwortlich sein.
Eindrücklich ist, wie diese «einfache» anatomische Arbeit schnell eine beträchtliche mediale Aufmerksamkeit erreicht hat. Auch hier (mit Bezug auf die ärztliche Aufmerksamkeit in der Realisierung erektiler und klitoraler Funktionen) sollte eine Gleichstellung erreicht werden. Die Autorenschaft empfiehlt zu Recht, klitorale Beschwerden gezielt zu erfragen; wegen oft fehlender schambedingter Spontanmeldungen.
Peters B, et al. How many Nerve Fibers Innervate the Human Clitoris? A Histomorphometric Evaluation of the Dorsal Nerve of the Clitoris (Abstract #001). 23rd Annual Fall Scientific Meeting of SMSNA / 23rd ISSM Scientific Meeting. https://issmsmsna2022.org/program/program/?persons=4928&q=.
Verfasst am 17.11.2022.
Praxisrelevant
Neurologische Langzeitfolgen nach SARS-CoV-2-Infektion
Langzeitfolgen (je nach Arbeit definitionsgemäss mehr als zwischen 4–12 Wochen nach einer COVID-19-Erkrankung persistierend) sind häufig und betreffen vor allem pulmonale, seelische und neurologische Folgen, aber auch viele andere Organdysfunktionen.
Unter Patientinnen und Patienten, die die ersten 30 Tage einer COVID-19-Infektion überlebt hatten, waren – offiziell und kompliziert ausgedrückt – postakute neurologische Folgen nach 12 Monaten häufig und grundsätzlich kompatibel (wie in Mäusemodellen) mit persistierender Neuroinflammation und neuronalen Schädigungen. 7% der über 150 000 Individuen der «Veterans Administration»-Kohorte wiesen 12 Monate nach einer COVID-19-Erkrankung noch neurologische Folgen auf. Die grösste Risikoerhöhung betraf kognitive und mnestische Störungen. Diese Arbeit ergänzt eine zunehmende Zahl anderer, die Langzeitfolgen in vielen unterschiedlichen Organfunktionen dokumentieren und erweitert diese in quantitativer Hinsicht für die Neurologie.
Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme von SARS-CoV-2-Viruspartikeln.
Courtesy: National Institute of Allergy and Infectious Diseases
Die beste Präventionsstrategie scheint eine immer bessere Vakzinierung, aber auch medikamentöse Frühinterventionen und – wahrscheinlich schwieriger – Interventionen gegen Long-COVID selber sollten diesbezüglich evaluiert werden. Angesichts der grossen Zahl der infizierten Menschen führen 7% zu einer hohen, gesundheitsversorgerisch relevanten Zahl von Individuen mit neurologisch dominiertem Long-COVID.
Nature Med. 2022, doi.org/10.1038/s41591-022-02018-4.
Verfasst am 20.11.2022.
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