Kurz und bündig
Journal Club Fokus auf … Praxisrelevant

Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2022/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09325
Swiss Med Forum. 2022;22(5152):812-813

Affiliations
Redaktor Swiss Medical Forum

Publiziert am 21.12.2022

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Fokus auf …
Diabetes mellitus Typ 2, hepatozellulärem Karzinom und anti-diabetischen Medikamenten
Der Diabetes mellitus Typ 2 (DMT2) ist ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten einer nicht alkoholischen Steatohepatopathie und eines hepatozellulären Karzinoms (HCC).
Unabhängig vom Vorliegen einer Zirrhose oder einer anderen Lebererkrankung ist das Risiko eines HCC etwa dreifach erhöht.
Dauer und Qualität der Blutzuckerkontrolle sind invers korreliert mit dem Auftreten einer Hepatopathie im weiteren Sinne.
In der Karzinogenese wichtig scheint die Insulinresistenz mit konsekutiver Lebersteatose zu sein (mittelbar folgend erhöhte Sauerstoffradikalbildung und DNA-Schädigungen).
Die Beziehung zwischen DMT2 und Hepatopathie geht aber in beide Richtungen, denn Steatohepatopathien und Zirrhose sind mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eines DMT2 assoziiert.
Zur Prävention von Steatohepatopathie, Zirrhose und HCC ist eine Euglykämie wichtig.
Metformin kann die Wahrscheinlichkeit eines HCC wie auch die Mortalität reduzieren. Auch die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Zirrhose ist höher.
Metformin scheint auch bei relevanter Hepatopathie kein signifikant erhöhtes Risiko für eine Laktatazidose darzustellen. Angesichts der Schwierigkeit, die Leberfunktion verlässlich zu quantifizieren, ist bei fortgeschrittenem Stadium aber Vorsicht am Platze.
Neuere Antidiabietika sind bezügliche einer potentiellen Hepatoprotektion noch zu wenig dokumentiert.
Hepatology. 2022, doi.org/10.1002/hep.32439. Verfasst am 05.12.2022.

Praxisrelevant

Butyrat zur Gewichtsminderung bei adipösen Kindern

Im Gegensatz zum Durstgefühl, das bei unterlassener Wasserzufuhr progredient intensiver wird und zur akuten Verhaltensänderung zwingt, stellt das Hungergefühl nach wenigen Tagen ab. Der Hauptgrund dafür ist die anorektische Wirkung von Butyrat (ein Ketokörper), das im Rahmen des Abbaus von Fettreserven entsteht. Es gibt auch Theorien, dass die intestinale Mikrobiom-Zusammensetzung via die Butyrat-Produktion darüber (mit)entscheidet, ob und wie stark man adipös werden kann.
Wirkt Butyrat – exogen zugeführt – auch therapeutisch? Ja, laut einer kleinen, placebokontrollierten Studie, in der adipösen Kindern/Adoleszenten zwischen 5 und 17 Jahren während 6 Monaten 20 mg/kg Körpergewicht Butyrat per os verabreicht wurden. Butyrat ist geschmacklich unattraktiv, was von der Autorschaft durch eine Enkapsulierung der Substanz umgangen wurde.
Die Studie ist interessant, weil ein endogener Metabolit verwendet wurde. Da angenommen wird, dass ein grosser Teil der Adipositas-induzierten Sekundärfolgen wie kardiovaskuläre Komplikationen das Resultat von Adipositas-induzierter Entzündungsaktivität ist, ist der Hinweis angebracht, dass Butyrat der potenteste endogene Entzündungshemmer beim Menschen ist.
JAMA Netw Open. 2022 (Pediatrics),
Verfasst am 10.12.2022.

Das hat uns gefreut

Bald eine wirksame Impfung gegen HIV?

Immer noch sind HIV-Neuinfektionen weltweit ein riesiges Problem und die Viren haben den bisherigen Impfstoffen erfolgreich widerstanden. Dies könnte sich mit der Induktion neutralisierender Antikörper mit breitem Spektrum («broadly neutralizing antibodies») nun ändern.
Wie werden diese Antikörper im Menschen induziert? Vereinfacht gesagt wird ein HIV-Antigen auf Nanopartikeln angeboten, das Vorstufen der B-Zellen aktiviert («targeting of B-cell germline»). Wie es ihre normale Eigenschaft ist, mutieren diese Vorstufen mehrmals, bis sie zu reifen B-Zellen/Plasmazellen herangereift sind (sogenannten somatischen Hypermutationen). Auf diesem Weg wird eine Palette von verschiedenen Antikörpern gebildet, die eine Vielzahl von HIV-Molekülen (Epitopen) binden und das Virus breit neutralisieren können. In einer Phase-1 Studie mit 48 Individuen induzierte der neue Impfstoff breit neutralisierende IgG-Antikörper und war anscheinend gut verträglich.
Vielversprechende Resultate! Ob und wie gut diese Antikörper auf einen Rappel reagieren oder «geboostert» werden können, bleibt noch zu zeigen, wie natürlich auch der effektive klinische Schutz. Auch die Frage, ob mit dieser Technologie noch weitere HIV-Antigene angeboten und dadurch die Palette der neutralisierenden Antikörper noch weiter verbreitet und wirksamer gemacht werden können, ist interessant.
Verfasst am 04.12.2022.

Auch noch aufgefallen

Gleichstellung oder Gleichmacherei oder gar Gleichstellungsmanie?

Der Abbau irgendeiner angeblich männlichen «Vormachtstellung» hält vor keinem Lebensbereich stand und diese Initiativen haben längst eine Eigendynamik entwickelt, die oft den Blick für Sinn und Sinnvolles trübt.
Eine Publikation aus dem «Institut Pasteur» in Paris findet, dass im Rahmen eines Bioinformatik-Kongresses 2021, der online durchgeführt wurde («Journées Ouvertes en Biologie et Mathématiques» [JOBIM]), fortgeschrittenere männliche Forscher (>35 Jahre) in den Diskussionsperioden mehr als 9-mal so viele Fragen stellten wie jüngere Frauen am Anfang ihrer akademischen Tätigkeit. Umso peinlicher, da erfahrene Forscherinnen (ebenfalls >35-jährig) nur 2,3-mal mehr Fragen stellten als ihre jüngeren Kolleginnen. Die Autorinnen vermuten, dass die Angst vor Blossstellung, Karrierenachteilen oder gar sexueller Belästigung dabei eine Rolle gespielt habe.
Allerdings sind zumindest die ersten beiden Gründe den jungen Männern keinesfalls fremd, womit diese Interpretation nicht niet- und nagelfest sein dürfte. Trotzdem – wie es heute dem Zeitgeist entspricht – wurden bereits neue Guidelines zur Konferenzgestaltung aufgestellt. Interessant ist auch, dass die genannten Ängste in einem Umfeld, das dem Nachwuchs – ob weiblich oder männlich – gegenüber förderlicher ist, viel seltener sind. «Kurz und bündig» wurde dies beispielsweise in verschiedenen angelsächsischen Spitälern und Forschungslabors – mit einem gewissen Neid – beobachtet.
BioRxiv. 2022, doi.org/10.1101/2022.03.07.483337 (noch nicht peer-reviewed); wer alle Daten anschauen möchte, kann dies mit «open access» tun: https://gitlab.pasteur.fr/hub/gender_at_jobim_2021.
Verfasst am 03.12.2022.

Peer-Reviews: Konservativ oder innovativ?

Eine Kritik, die sich gegen die seit vielen Dekaden an sich – im Vergleich zu anderen Optionen – bestens bewährte Peer-Review richtet, ist, dass dabei konservative Publikationsinhalte gegenüber riskanteren, dafür innovativen, heute auch als disruptiv bezeichneten Veröffentlichungen bevorzugt werden. Das stimmt allerdings nicht, denn eine Analyse von 49 Journals mit Peer-Review zeigte das Gegenteil: Innovativere Studien wurden gegenüber den konservativen bevorzugt.
Die Gefahr dabei ist natürlich, dass Unausgegorenes vielleicht auch einmal zu schnell publiziert wird. Die Konkurrenz unter den Forschungsgruppen, wenn sie denn länderspezifisch nicht behindert wird, ist aber die geeignetste und in der Praxis auch effektvollste Korrektur.
Proc Natl Acad Sci USA. 2022,
Verfasst am 05.12.2022.
Praxisrelevant
Kognitive Einschränkung: Kreuzworträtsel lösen!
Kognitive Einschränkungen sind ein Risikofaktor für eine Progression zur Demenz. Körperliche Aktivitäten und geistig-intellektuelle Trainings könnten diese verlangsamen oder verhindern.
Hat Kreuzworträtsellösen einen protektiven Effekt auf die Progredienz zur Demenz?
© Flynt / Dreamstime
Eine Studie suggeriert, dass das Lösen von Kreuzworträtseln via das Web der Teilnahme an ebenfalls webbasierten Spielen, die kognitive Fähigkeiten stimulieren sollen, überlegen ist. Nach 18 Monaten wiesen die «Kreuzworträtselnden» gemessen anhand einer Skala, dem «Alzheimer’s Disease Assessment Scale-Cognitive» (ADAS-Cog), einen geringeren Abfall ihrer kognitiven Funktionen auf. Relevante, magnetresonanztomographisch gemessene Hirnvolumina (Hippocampus und kortikale Dicke) zeigten (nicht überraschend) keine kurzfristig signifikante Veränderung.
Geistig-intellektuelles Engagement scheint also wichtig, ob und warum Kreuzworträtsel wirklich einen speziell protektiven Effekt auf die Progredienz zur Demenz ausüben, ist wohl noch nicht ganz klar. Kurz und bündig wird die Vorstellung favorisiert, dass das Lesen und Interpretieren medizinischer Literatur auch signifikant protektiv seien. Sie wird Ihnen deshalb ans Herz gelegt!
NEJM Evidence. 2022, doi.org/10.1056/EVIDoa2200121. Verfasst am 04.12.2022.
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