Eine folgenschwere Erkältung
Anhaltende Zahnfleischblutungen

Eine folgenschwere Erkältung

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2023/1415
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09076
Swiss Med Forum. 2023;23(1415):1006-1008

Affiliations
Klinik für Innere Medizin, Universitätsspital Basel, Basel

Publiziert am 05.04.2023

Eine bis anhin gesunde 38-jährige Patientin, die sich initial aufgrund von anhaltenden Zahnfleischblutungen bei ihrem Hausarzt vorgestellt hatte, wurde zur Abklärung einer ausgeprägten Thrombozytopenie zugewiesen.

Fallbeschreibung

Wir berichten über eine 38-jährige Patientin ohne relevante Vorerkrankungen, die sich initial aufgrund von anhaltenden Zahnfleischblutungen bei ihrem Hausarzt vorgestellt hatte. Im externen Blutbild war eine ausgeprägte Thrombozytopenie aufgefallen (3 G/l), woraufhin die Zuweisung an das Universitätsspital Basel zur weiteren Abklärung erfolgte.
Die Patientin berichtete, neben den gehäuften Zahnfleischblutungen einige Tage zuvor auch punktförmige Einblutungen an den Beinen bemerkt zu haben. Ansonsten seien ihr keine weiteren Blutungsstigmata aufgefallen. Zudem hätte sie etwa ein bis zwei Wochen vor der Vorstellung unter grippalen Symptomen mit Gliederschmerzen gelitten, die spontan rückläufig gewesen wären. Weiter war 15 Jahre zuvor eine Helicobacter-(H.-)pylori-Infektion antibiotisch eradiziert worden, ansonsten war die medizinische Vorgeschichte unauffällig.
Wir sahen eine Patientin in gutem Allgemeinzustand mit normwertigen Vitalzeichen (Blutdruck 129/82 mm Hg, Puls 88/min, Temperatur 37,5 °C). Die Petechien an den Beinen waren mittlerweile fast vollständig rückläufig. Enoral waren inzwischen keine Blutungszeichen mehr nachweisbar. Die übrige klinische Untersuchung war unauffällig.
Im Labor bei Eintritt bestätigte sich die extern festgestellte ausgeprägte Thrombozytopenie (3 G/l). Die Leukozytenzahl und der Hämoglobin-(Hb-)Wert waren normal, allerdings waren im Blutbild atypische Lymphozyten auffällig. Im Chemogramm fielen zudem erhöhte Transaminasen auf (Tab. 1).
Tabelle 1: Laborwerte bei Eintritt ins Spital
LaborparameterWerte bei EintrittReferenzbereich
Leukozyten5,03 G/l3,5–10 G/l
Hämoglobin140 g/l120–160 g/l
Thrombozyten3 G/l150–450 G/l
Atypische Lymphozyten7% 
Quick90%70–120%
aPTT32 s25–34 s
Fibrinogen2,3 g/l1,7–4 g/l
D-Dimere<0,3 μg/ml0,19–0,5 μg/ml
ALAT78 U/l8–41 U/l
ASAT64 U/l11–34 U/l
LDH285 U/l135–214 U/l
aPTT: aktivierte partielle Thromboplastinzeit; ALAT: Alanin-Aminotransferase; ASAT: Aspartat-Aminotransferase; LDH: Laktatdehydrogenase.
Welche Untersuchung ist im vorliegenden Fall eher nicht Teil der initialen Abklärung?
Einer der ersten Schritte zur Abklärung einer isolierten Thrombozytopenie ist die Bestimmung der Thrombozyten im Citrat-Röhrchen zum Ausschluss einer Pseudothrombozytopenie bei Ethylendiamintetraacetat-(EDTA-)Phänomen, einer EDTA-bedingten Verklumpung der Thrombozyten im Röhrchen, die bei etwa 0,03% der Bevölkerung auftritt. Das EDTA führt bei diesen Individuen zur Dissoziation von Glykoprotein (GP) IIb/IIIa, wodurch in diesem Bereich Antigene für natürlich vorkommende Autoantikörper exponiert werden, was zu einer Verklumpung der Plättchen führt [1]. Bei unserer Patientin konnte dies jedoch ausgeschlossen werden. Des Weiteren sollte eine Handdifferenzierung des Blutbilds durchgeführt werden, da sich hier weitere Hinweise auf eine zugrunde liegende Ursache ergeben können, beispielsweise Fragmentozyten als Hinweis auf eine thrombotische Mikroangiopathie oder Blasten als Hinweis auf eine hämatologische Neoplasie [2]. Bei unserer Patientin konnten atypische Lymphozyten (7% der Leukozyten) nachgewiesen werden. Zum Ausschluss einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) sollte zudem der Gerinnungsstatus mit Quick, Fibrinogen und D-Dimeren bestimmt werden [2]. Dieser war bei der Patientin unauffällig. Ein weiterer Teil der Basisdiagnostik ist eine Sonographie des Abdomens zum Ausschluss einer ausgeprägten Splenomegalie als Hinweis auf einen Hypersplenismus [2]. Hier bestand bei unserer Patientin lediglich eine diskrete Splenomegalie (Längsdurchmesser der Milz etwa 13 cm [Norm: etwa 11 cm]). Auf eine Knochenmarkpunktion konnte zu diesem Zeitpunkt bei fehlenden Hinweisen auf eine hämatologische Neoplasie verzichtet werden.
Was ist die wahrscheinlichste Diagnose?
Verschiedene Medikamente (z.B. Antibiotika) sowie Impfungen können zu einer immun-vermittelten Thrombozytopenie führen oder über eine Knochenmarkschädigung eine Thrombozytopenie verursachen. Bei unserer Patientin gab es hierfür keine entsprechenden Hinweise in der Anamnese. Die unauffälligen anderen hämatologischen Reihen (Erythrozyten und Leukozyten) sowie das Alter der Patientin sprachen gegen ein myelodysplastisches Syndrom oder eine aplastische Anämie [2]. Eine thrombotisch-thrombozytopenische Purpura konnte durch das Fehlen von Fragmentozyten im Blutausstrich und bei normwertigem Hb-Wert ausgeschlossen werden [3]. In der Gesamtschau der Befunde interpretierten wir die Thrombozytopenie somit als Immunthrombozytopenie (ITP). Die erhöhten Transaminasen und die atypischen Lymphozyten im peripheren Blutausstrich werteten wir – bei grippalen Symptomen und Gliederschmerzen in der Vorgeschichte – als Hinweis auf einen Infekt als Trigger.
Welche Serodiagnostik ist zur weiteren Abklärung sinnvoll?
Zu den typischen viralen Triggern einer ITP gehören neben HIV auch EBV, CMV und Parvovirus B19 [4]. Da bei unserer Patientin die Transaminasen erhöht waren, ergänzten wir Serologien für Hepatitis B, C und E. Bei unserer Patientin ergaben die entsprechenden serologischen Untersuchungen einen Status nach EBV- und Parvovirus-B19-Infektion sowie eine serologische Konstellation passend zu einem CMV-Primoinfekt. HIV- und Hepatitis-Serologien waren negativ.
Welche serologische Konstellation spricht für einen CMV-Primoinfekt (mehr als eine Antwort richtig)?
Bei unserer Patientin waren die CMV-spezifischen IgM- und IgG-Antikörper positiv (Tab. 2).
Tabelle 2: Ergebnisse der CMV-Serologie
SerologieparameterWert der PatientinReferenzwert
CMV-IgG15,7 S/CO<0,9
CMV-IgM4 S/CO<0,9
CMV-IgG-Avidität0,09<0,25
CMV: Zytomegalie-Virus; Ig: Immunglobulin; S/CO: Signal/Cut-off-Verhältnis.
Bei CMV sind aber (sofern die IgG-Antikörper auch bereits positiv sind) positive IgM-Antikörper nicht beweisend für einen Primoinfekt, da diese auch bei einer polyklonalen Stimulation des Immunsystems wieder positiv werden können. Eine höhere diagnostische Aussagekraft kann in diesem Fall (positive CMV-IgM- und -IgG-Antikörper) mit der Bestimmung der IgG-Avidität erzielt werden [5]. Dabei handelt es sich um die «Passgenauigkeit» der IgG-Antikörper bezüglich des CMV-Antigens. Diese nimmt mit der Zeit zu, und ist dementsprechend bei einem Primoinfekt typischerweise niedrig. Serologisch kann man somit sehr wohl einen Primoinfekt diagnostizieren, aber mittels Serologie nicht zwischen stattgehabter Infektion und Reaktivierung unterscheiden [5]. Letzteres wäre nur anhand einer CMV-Polymerasekettenreaktion (PCR) möglich.
Für die ITP wurde angesichts der sehr tiefen Thrombozytenzahlen (3 G/l) eine hochdosierte Kortikosteroid-Stosstherapie mit Dexamethason 40 mg begonnen [2] und angesichts der klinischen Blutungszeichen gemäss den Empfehlungen unserer Kolleginnen und Kollegen der Hämatologie eine intravenöse Therapie mit Immunglobulinen (IVIG) in einer Dosierung von 0,5 g/kg Körpergewicht ergänzt. Darunter betrugen die Thrombozyten am nächsten Tag 14 G/l und wiederum einen Tag später 43 G/l. Die Patientin wurde nach Hause entlassen und ambulant in unserer hämatologischen Sprechstunde weiterbetreut. Bereits acht Wochen später kam es zu einer vollständigen Normalisierung der Thrombozyten, somit konnte eine Chronifizierung ausgeschlossen werden (Definition der chronischen Thrombozytopenie: Persistenz für mehr als sechs Monate) [2].

Diskussion

Die ITP ist eine häufige Ursache der erworbenen Thrombozytopenie. Der genaue Pathomechanismus ist nicht ganz geklärt. Antikörper gegen GP IIb/IIIa und GP Ib-IX auf der Oberfläche der Thrombozyten sowie Megakaryozyten spielen eine wichtige Rolle und führen zu einer erhöhten Zerstörung respektive verminderten Produktion von Thrombozyten [2]. Die Inzidenz liegt bei 2–4 Neuerkrankungen pro 100 000 Erwachsene im Jahr. Im mittleren Alter sind mehr Frauen als Männer betroffen, ab dem 60. Lebensjahr mehr Männer als Frauen [2].
In 80% der Fälle kommt die ITP primär idiopathisch vor (es kann keine auslösende Ursache eruiert werden), 20% sind sekundär. Die möglichen Ursachen für eine sekundäre ITP sind zahlreich: Medikamente, lymphoproliferative Neoplasien, Autoimmunerkrankungen, Impfungen und Infektionen (z.B. mit HIV, Hepatitis-Viren, EBV, CMV, Varizella-Zoster-Virus [VZV], H. pylori und neu SARS-CoV-2) [2, 4, 6]. Auch Parvovirus B19 kann eine ITP auslösen, allerdings vor allem bei Kindern und Kleinkindern. Bei (insbesondere immunsupprimierten) Erwachsenen kommt es als Folge einer Parvovirus-B19-Infektion häufiger zu einer «pure red cell aplasia» als hämatologischer Komplikation [7].
Unsere Patientin hatte in der Vergangenheit eine H.-pylori-Infektion, das Stuhl-Antigen war jetzt aber negativ. Der grippale Infekt 1,5 Wochen vor Spitaleintritt, die atypischen Lymphozyten im peripheren Blutausstrich, die leicht erhöhten Transaminasen und die leichte Splenomegalie passten zu einer primären CMV-Infektion. Dies konnte serologisch bestätigt werden.
Eine primäre CMV- und EBV-Infektion verursachen ein ähnliches Mononukleose-artiges Krankheitsbild. Welches Symptom respektive welcher Befund ist (bei Erwachsenen) typisch für eine primäre EBV-, aber eher ungewöhnlich für eine primäre CMV-Infektion?
Eine primäre CMV-Infektion verursacht häufiger nur milde Symptome bei immunkompetenten Menschen. Im Falle einer klinischen Manifestation wird klassisch eine Mononukleose (mit Fieber und den typischen, oben genannten Blutbildveränderungen) beobachtet, jedoch in der Regel ohne Tonsillitis wie bei der EBV-Infektion. Zervikale Lymphadenopathien sind im Gegensatz zur akuten EBV-Infektion auch eher selten respektive geringer ausgeprägt. Eine Erhöhung der Transaminasen ist dagegen ebenfalls häufig [8].
Die Art der Behandlung der ITP wird von der Thrombozytenzahl, dem Ausmass der klinischen Blutungszeichen und von individuellen Faktoren abhängig gemacht. Bei Thrombozytenzahlen über 20 G/l und asymptomatischen Betroffenen kann auch eine Watch-and-Wait-Strategie in Betracht gezogen werden. Das primäre Behandlungsregime besteht in der Regel aus einem Prednison-Stoss, IVIG können zusätzlich in Abhängigkeit vom Ausmass der klinischen Blutungszeichen diskutiert werden, sind aber in der Regel eher Notfällen vorbehalten, die einen raschen Thrombozytenanstieg notwendig machen [2]. In unserem Fall wurde der Entscheid für die IVIG-Gabe aufgrund der sehr tiefen Thrombozytenzahlen und der Blutungsstigmata gefällt, um grössere Blutungen zu vermeiden.
Trotz Immunsuppression respektive Behandlung eines möglichen Auslösers kann es in circa 10% der Fälle zu einer refraktären ITP kommen. Hier kommt als Zweitlinientherapie eine Behandlung mit einem Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten infrage [2]. Zudem kann eine refraktäre ITP bei persistierenden Infektionen beobachtet werden und wird unter anderem auch bei einer aktiven CMV-Replikation beschrieben [9]. Die zur Behandlung der ITP notwendige Immunsuppression kann die CMV-Replikation fördern. In diesen Fällen ist eine antivirale Behandlung der CMV-Infektion in Betracht zu ziehen [9]. Bei unserer Patientin war dies nicht der Fall und sie benötigte keine antivirale Therapie für ihre CMV-Primoinfektion.
Zusammenfassend sollten bei Neudiagnose einer ITP bei entsprechenden anamnestischen oder laborchemischen Hinweisen Serologien für typische virale Trigger (HIV, Parvovirus B19, CMV, EBV) durchgeführt werden. Eine CMV-Primoinfektion kann hier ein Auslöser sein, entsprechende Fälle sind vor allem bei Kindern [10], aber auch bei Erwachsenen [9] beschrieben. In einer polnischen Studie konnte bei 19 von 60 Kindern mit ITP eine aktive CMV-Infektion nachgewiesen werden [10]. Atypische Lymphozyten und erhöhte Transaminasen im Labor können hier Hinweise sein [8]. Dies ist in Hinblick auf die Therapie insofern von Bedeutung, als dass die immunsuppressive Behandlung der ITP zu einer vermehrten viralen Replikation führen kann, was wiederum eine therapierefraktäre ITP zur Folge haben und eine antivirale Behandlung notwendig machen kann [10, 11].
Frage 1: c. Frage 2: c. Frage 3: e. Frage 4: b und c. Frage 5: b.
Hadrien Komaromi, dipl. Arzt
Klinik für Innere Medizin, Universitätsspital Basel, Basel
Dr. med. Karin Grimm
Universitätsklinik für Infektiologie
Inselspital Bern
Freiburgstrasse 16p Haus 5
CH-3010 Bern​
1 Lardinois B, Favresse J, Chatelain B, Lippi G, Mullier F. Pseudothrombocytopenia – a review on causes, occurrence and clinical implications. J Clin Med. 2021;10(4):594.
2 Matzdorff A, Meyer O, Ostermann H, Kiefel V, Eberl ​​W, Kühne T, et al. Immunthrombozytopenie – aktuelle Diagnostik und Therapie: Empfehlungen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der DGHO, ÖGHO, SGH, GPOH und DGTI. Oncol Res Treat. 2018;41(Suppl 2):5–36.
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