Aussergewöhnlicher Verlauf einer Kunstklappenendokarditis
Operative Sanierung – ja oder nein?

Aussergewöhnlicher Verlauf einer Kunstklappenendokarditis

Der besondere Fall
Ausgabe
2023/19
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09086
Swiss Med Forum. 2023;23(19):43-45

Affiliations
Universitätsspital Basel, Basel: a Klinik für Innere Medizin, b Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene, c Klinik für Kardiologie; d Universität Basel, Basel


Publiziert am 10.05.2023

Hintergrund

Der folgende Artikel berichtet von einer älteren Patientin mit einer Kunstklappenendokarditis, die sechs Monate nach dem operativen Eingriff aufgetreten ist. Das Management solcher Patientinnen und Patienten wird anhand unseres Fallberichtes erläutert. Dabei steht die Frage im Zentrum, welche Betroffenen von einer operativen Sanierung profitieren.

Fallbericht

Anamnese

Eine 79-jährige Patientin hatte sich fünf Tage vor Eintritt in das Universitätsspital Basel mit Fieber, Schüttelfrost und Dyspnoe in einem Regionalspital vorgestellt. Aufgrund der Dyspnoe und einem rechtsbetonten Pleuraerguss wurde ein pulmonaler Infekt vermutet und eine empirische antibiotische Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure und Clarithromycin begonnen. Sechs Monate zuvor hatte die Patientin im Ausland eine Bioprothese in Aorten- und Mitralklappenposition sowie einen aortokoronaren Bypass erhalten. In zwei Blutkulturen der bei Eintritt in das Regionalspital entnommenen Proben (zwei Entnahmen mit je aerober und anaerober Untersuchung) liess sich ein Oxacillin-resistenter Staphylococcus epidermidis nachweisen. Daraufhin wurde eine transthorakale Echokardiographie durchgeführt, in der sich eine Vegetation im Bereich der Mitralklappenprothese darstellte. Bei persistierender Bakteriämie nach zwei Tagen – und somit Vorliegen der zwei Duke-Hauptkriterien (typischer Keim für eine infektiöse Endokarditis in zwei separaten Blutkulturen und echokardiographischer Nachweis einer Vegetation) – wurde eine Bioprothesenklappenendokarditis diagnostiziert und die intravenöse antibiotische Therapie resistenzgerecht auf Vancomycin, Gentamicin und Rifampicin umgestellt. Im Verlauf verschlechterte sich der Allgemeinzustand der Patientin, sodass sie dem Universitätsspital Basel zugewiesen wurde.

Status und Befunde

Bei Eintritt präsentierte sich die Patientin in reduziertem Allgemeinzustand mit Dyspnoe Klasse IV nach der NYHA-(«New York Heart Association-»)Klassifikation, einem Blutdruck von 117/90 mm Hg, einer unregelmässigen Herzfrequenz zwischen 95/min und 120/min, einer Atemfrequenz von 22/min bei einer Sauerstoffsättigung (SpO2) von 96% unter einer Sauerstoffgabe von 2 l/min sowie mit subfebriler Körpertemperatur von 37,7 °C. Das Elektrokardiogramm (EKG) zeigte ein Vorhofflimmern ohne Ischämiezeichen oder Blockbilder.
Die Laborwerte ergaben: Leukozyten 11,5 G/l, Hämoglobin 97 g/l, Thrombozyten 360 G/l, C-reaktives Protein (CRP) 66 mg/l, Kreatinin 94 µmol/l mit geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) von 50 ml/min/1,73 m2.
Es wurde eine transösophageale Echokardiographie durchgeführt. Dabei zeigte sich eine flottierende Vegetation mit einem Ausmass von 9 × 3 mm am anterioren Klappenring der Mitralklappenprothese (Abb. 1).
Abbildung 1: Transösophageales Echokardiogramm. Linker Vorhof (1), linker Ventrikel (2). Flottierende Vegetation (9 × 3 mm) atrialseits am anterioren Klappenring der Mitralklappenprothese (*).
Auffallend war zudem eine Höhle am aortomitralen Übergang des posterioren Aortenklappenprothesenrings, die systolisch vom linksventrikulären Ausflusstrakt aus perfundiert wurde (Abb. 2). Dieses Pseudoaneuryma wurde als periprothetischer Abszess ohne Klappendysfunktion interpretiert.
Abbildung 2: Transösophageales Echokardiogramm. Linker Vorhof (1), linker Ventrikel (2), linksventrikulärer Ausflusstrakt (3). Pseudoaneurysma (9 × 5 mm; Pfeil), zu deuten als Abszesshöhle.

Diagnose

Abschliessend lautete die Diagnose Kunstklappenendokarditis des Mitralklappenrings und paravalvulärer Aortenwurzelabszess mit Staphylococcus epidermidis. Die Herzinsuffizienz NYHA-Klasse IV wurde im Rahmen des tachykarden Vorhofflimmerns gesehen. In der Thorax-Computertomographie zeigten sich eine leichte Lungenstauung und ein rechtsseitig betonter Pleuraerguss.

Therapie und weiterer Verlauf

Der Pleuraerguss wurde punktiert und 1100 ml des Transsudats wurden abgelassen. Nach Ausschluss des Vorliegens eines Vorhofthrombus im Rahmen der transösophagealen Echokardiographie wurde eine Therapie mit Amiodaron und einem Betablocker initiiert. Das weitere Therapievorgehen wurde interdisziplinär im Endokarditis-Team diskutiert, also mit den Kolleginnen und Kollegen der Kardiologie, Herzchirurgie und Infektiologie. Bei einem paravalvulären Abszess liegt in der Regel eine lokal nicht kontrollierte Infektsituation vor. Dabei ist das Risiko für systemische Embolien erhöht – assoziiert mit einer erhöhten Mortalitätsrate. Deshalb empfehlen die Leitlinien der «European Society of Cardiology« (ESC) in einer solchen Situation ein operatives Vorgehen innerhalb von wenigen (<7) Tagen [1]. Gegen eine unkontrollierte Infektsituation sprach in unserem Fall, dass die Patientin unter Antibiotikatherapie entfieberte und die Verlaufsblutkulturen keine persistierende Bakteriämie belegten. In der ersten interdisziplinären Besprechung wurde festgelegt, dass aufgrund des paravalvulären Abszesses eigentlich eine Indikation zur zeitnahen herzchirurgischen Sanierung der Aortenklappe bestand. Es lag hingegen keine notfallmässige Operationsindikation vor wie bei einem refraktären Lungenödem oder bei einem kardiogenen Schock aufgrund einer Klappeninsuffizienz, einer Obstruktion oder einer Fistelbildung.
Unter Amiodaron und Betablocker konvertierte die Patientin in einen Sinusrhythmus und konnte mit einer leicht erhöhten Dosis Torasemid um weitere 2 kg negativ flüssigkeitsbilanziert werden, worunter sie nach drei Tagen keinen Sauerstoff mehr benötigte und sich der Allgemeinzustand deutlich besserte. Auch die vorübergehend verschlechterte Nierenfunktion stabilisierte sich unter der gebesserten kardialen Situation. Mittels Untersuchung des Urinsedimentes konnte eine immunvermittelte Glomerulonephritis ausgeschlossen werden.
In Anbetracht des stabilen echokardiographischen und klinischen Verlaufes über eine Woche und des erheblichen Operationsrisikos wurde entschieden, die antibiotische Therapie unter engmaschigen echokardiographischen Kontrollen fortzusetzen. Hinzu kam, dass die Patientin einer herzchirurgischen Operation ablehnend gegenüberstand. Die antibiotische Therapie mit Gentamicin wurde nach einer Woche sistiert und nur noch mit Vancomycin und Rifampicin weitergeführt. Die Vegetation im Bereich der Mitralklappe zeigte sich in den Verlaufsechokardiographien regredient und war nach sechswöchiger antibiotischer Therapie nicht mehr nachweisbar. Weiterhin grössenkonstant war allerdings die Höhle im Bereich der Aortenwurzel. Bei bleibend gutem klinischem und echokardiographischem Verlauf wurde eine Fortsetzung der antibiotischen Therapie für weitere sechs Wochen mit Daptomycin und Rifampicin im ambulanten Setting empfohlen. Nach der insgesamt zwölfwöchigen, resistenzgerechten antibiotischen Therapie wurde eine abschliessende echokardiographische Untersuchung durchgeführt. Hierbei war das Pseudoaneurysma im Bereich der Aortenwurzel weiterhin grössenkonstant, sodass dieser Befund als eine entleerte Abszesshöhle interpretiert wurde. In der Nachbeobachtungszeit von 15 Monaten ab Erstdiagnose respektive 12 Monaten nach letzter Antibiotikagabe kam es zu keinen Infektsymptomen mehr. Auch blieben die repetitiv untersuchten Blutkulturen im antibiotikafreien Zeittraum ohne Keimwachstum. Wäre es nach der antibiotischen Therapie zu einem erneuten Auftreten einer Endokarditis gekommen, wären diese gemäss ESC-Leitlinien innerhalb der ersten sechs Monate als Rezidiv und später als Reinfektion gewertet worden. Aufgrund dieser Argumentation und des rezidivfreien Verlaufes postulierten wir ein Jahr nach Beendigung der Antibiotikatherapie die Heilung der Endokarditis.

Diskussion

Die Inzidenzproportion einer Kunstklappenendokarditis liegt bei 3–6% innerhalb der ersten fünf Jahre nach Klappenersatz [2]. Gemäss ESC-Leitlinien wird zwischen einer frühen und einer späten Form der Kunstklappenendokarditis unterschieden. Die Grenze wird bei zwölf Monaten gesetzt [1]. Bei der frühen Form wird eine direkte intraoperative Kontamination bei entsprechendem Erregerspektrum (Staphylococcus aureus, Koagulase-negative Staphylokokken, gramnegative Keime) postuliert [3]. Da im Bereich der Kunstklappe und paravalvulär noch keine Endothelbildung eingesetzt hat, haben die Keime direkte invasive Kontaktmöglichkeiten, was gehäuft zu Abszessen im paravalvulären Gewebe führen kann. Die späte Kunstklappenendokarditis ist im Gegensatz dazu vom Erregerspektrum mit einer Endokarditis der nativen Herzklappen vergleichbar (Koagulase-negative Staphylokokken, Staphylococcus aureus, Enterokokken spp.) [4].
Gemäss Beobachtungsstudien werden 40–50% der Betroffenen mit Kunstklappenendokarditis einer Herzoperation zugeführt [5, 6]. Beim Management dieser Patientinnen und Patienten ist von besonderer Wichtigkeit, diejenigen zu identifizieren, die von einer operativen Versorgung profitieren. Gemäss ESC-Leitlinien besteht eine Operationsindikation bei folgenden Befunden [1]:
Herzinsuffizienz aufgrund von Klappendysfunktion oder Fistelbildung (Empfehlungsgrad Klasse I, Evidenzlevel B);
lokal unkontrollierte Infektion (Abszess, Pseudoaneurysma, Fistel, progrediente Vegetationen) (Empfehlungsgrad Klasse I, Evidenzlevel B);
Nachweis eines multiresistenten Erregers oder eines Pilzes (Empfehlungsgrad Klasse I, Evidenzlevel C);
Persistierende >10 mm grosse Vegetation mit septischer Embolie trotz resistenzgerechter antibiotischer Therapie (Empfehlungsgrad Klasse I, Evidenzlevel B).
Diese Empfehlungen basieren unter anderem auf Beobachtungsstudien, die im Rahmen einer grossen Metaanalyse mit insgesamt 2636 Patientinnen und Patienten zusammengefasst wurden [5, 6]. Zu beachten ist, dass in Beobachtungsstudien Verzerrungen (Bias) unvermeidlich sind:
«Treatment selection bias» ist die Verzerrung, die sich beispielsweise dadurch ergibt, dass nicht operabel Erkrankte nur medikamentös therapiert werden.
Eine «survivor bias» ist gegeben, wenn Betroffene, die noch vor einer möglichen Operation versterben, in der Medikamentengruppe weitergeführt werden.
Aufschluss können hier nur randomisierte Studien geben, die aber nicht vorliegen. Alternativ können die Verzerrungen mit statistischen Modellen adjustiert werden. In der grössten prospektiven Kohortenstudie mit 1025 Patientinnen und Patienten betrug die 1-Jahres-Mortalität bei den operierten Patientinnen und Patienten 27,1%, bei den nicht operierten 36,6% (nicht adjustierte Hazard Ratio [HR] 0,68). Wurden die Verzerrungen mit statistischen Methoden berücksichtigt, konnte kein 1-Jahres-Überlebensvorteil mehr gezeigt werden (Bias-adjustierte HR 1,04; 0,89–1,23) [7]. In den Subgruppenanalysen haben jedoch Betroffene mit harten Operationsindikationen wie mechanischer Klappendysfunktion oder paravalvulären Komplikationen – wie wir sie bei unserer Patientin vermuteten – von einer frühen Operation statistisch signifikant profitiert.
Bei einem konservativen Therapievorgehen (also ohne Operation) wird bei einer Kunstklappenendokarditis eine prolongierte antibiotische Therapie von mindestens sechs Wochen empfohlen anstatt der üblichen Dauer von zwei bis sechs Wochen wie bei einer Nativklappenendokarditis. Zudem sollte bei Staphylokokken immer Rifampicin eingesetzt werden (falls sich der Erreger sensibel zeigt). Wiederholte Echokardiographien sollten durchgeführt werden, wenn sich Hinweise auf eine Komplikation ergeben [1].
Zusammenfassend zeigt der vorliegende Fallbericht, dass die Indikation und der Zeitpunkt der operativen Sanierung bei Kunstklappenendokarditis kritisch gestellt respektive festgelegt werden sollten. Leitlinien geben rationale Empfehlungen ab, doch Evidenz aus randomisierten Studien fehlt. Eine Interpretation der Ergebnisse aus Beobachtungsstudien benötigt einen kritischen statistischen Blick. Das Management dieser Patientinnen und Patienten sollte in einem Endokarditis-Team aus Expertinnen und Experten der Kardiologie, Herzchirurgie und Infektiologie sowie den betreuenden Internistinnen und Internisten besprochen werden, um den Betroffenen ein individuell optimiertes Therapiekonzept anbieten zu können. Bei unserer Patientin hat sich die Strategie mit der antibiotischen Therapie unter engmaschigen echokardiographischen Kontrollen bewährt, sodass trotz initial formaler Operationsindikation keine Operationsempfehlung mehr bestand.

Das Wichtigste für die Praxis

Eine Kunstklappenendokarditis tritt in den ersten fünf Jahren nach Klappenersatz bei 3–6% der Patientinnen und Patienten auf.
Es liegt eine schwere Erkrankung mit einer 1-Jahres-Mortalität um die 30% vor.
Leitlinien geben rationale Empfehlungen; Evidenz aus randomisierten Studien fehlt.
Wichtig ist die Identifikation derjenigen Patientinnen und Patienten, die von einer operativen Versorgung profitieren.
Therapieentscheidungen sollten immer im interdisziplinären Team gefällt werden.
Die Indikation für eine operativen Sanierung muss kritisch gestellt und der Zeitpunkt bestmöglich gewählt werden.
Dr. med. Flavio Gössi
Klinik für Innere Medizin,
Universitätsspital Basel, Basel
Dr. med. Flavio Gössi
Klinik für Innere Medizin
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
flavio.goessi[at]usb.ch
1 Habib G, Lancellotti P, Antunes MJ, Bongiorni MG, Casalta JP, Del Zotti F, et al.; ESC Scientific Document Group. 2015 ESC Guidelines for the management of infective endocarditis: The Task Force for the Management of Infective Endocarditis of the European Society of Cardiology (ESC). Endorsed by: European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS), the European Association of Nuclear Medicine (EANM). Eur Heart J. 2015;36(44):3075–128.
2 Calderwood SB, Swinski LA, Waternaux CM, Karchmer AW, Buckley MJ. Risk factors for the development of prosthetic valve endocarditis. Circulation. 1985;72:31–7.
3 Gilbert ND, Chambers HF, Eliopoulos G, Saag, MS, Pavia AT, Black D, et al., editors. Sanford Guide to antimicrobial therapy 2019. 49th ed. Sperryville: Antimicrobial Therapy, Inc.; 2019.
4 Wang A, Athan E, Pappas PA, Fowler Jr VG, Olaison L, Paré C, et al. Contemporary clinical profile and outcome of prosthetic valve endocarditis. JAMA. 2007;297(12):1354–61.
5 Mihos CG, Capoulade R, Yucel E, Picard MH, Santana O. Surgical versus medical therapy for prosthetic valve endocarditis: A meta-analysis of 32 Studies. Ann Thorac Surg. 2017; 103(3):991–1004.
6 Attaran S, Chukwuemeka A, Punjabi P, Anderson J. Do all patient with prosthetic valve endocarditis need surgery? Interact Cardiovasc Thorac Surg. 2012:15(6):1057–61.
7 Lalani T, Chu VH, Park LP, Cecchi E, Corey GR, Durante-Mangoni E, et al. for the International Collaboration on Endocarditis-Prospective Cohort Study Investigators. In-hospital and 1-year mortality in patients undergoing early surgery for prosthetic valve endocarditis. JAMA Intern Med. 2013;173(16):1495–504.

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