Meningitis ist es nicht – was dann?

Eine Patientin mit stärksten Nackenschmerzen

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2023/2021
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09088
Swiss Med Forum. 2023;23(2021):50-52

Affiliations
Universitätsspital Basel, Basel: a Klinik für Innere Medizin; b Klinik für Rheumatologie; c Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin

Publiziert am 17.05.2023

Fallbeschreibung

Die rettungsdienstliche Vorstellung einer 52-jährigen Patientin erfolgte nach Synkope. Die Patientin berichtete von seit dem Vortag bestehenden stärksten Nackenschmerzen, assoziiert mit subfebrilen bis febrilen Temperaturen (um 38 °C) sowie leichten Schluckbeschwerden. Aufgrund der Schmerzintensität, betont links okzipital, seien Kopfbewegungen in beide Richtungen kaum mehr möglich. Am Vorstellungstag fühlte sich die Patientin zunehmend schwach und litt weiterhin unter starken Nackenschmerzen und Übelkeit mit in der Folge kurzzeitigem Bewusstseinsverlust auf der Toilette und konsekutivem Kopfanprall. Sie litt unter keinen relevanten Vorerkrankungen und nahm keine Medikamente ein. Ihre Familienanamnese war bland hinsichtlich entzündlich-rheumatischer Erkrankungen.
Beim Eintreffen der Sanität war die Patientin bradykard mit 49/min, hypoton mit 74/56 mm Hg, afebril und zu allen Qualitäten orientiert gewesen. Klinisch fiel bei der Erstuntersuchung im Spital eine deutliche Druckdolenz im Bereich der gesamten Halswirbelsäule paravertebral, betont okzipital und auf Höhe des fünften Halswirbels, auf. Die Bewegung des Kopfes war schmerzbedingt in alle Richtungen eingeschränkt, insbesondere bei der Rotation beidseits. Es bestanden keine sensomotorischen Defizite und es war kein Brudzinski-Zeichen vorhanden. Die Racheninspektion sowie die Lymphknotenpalpation waren unauffällig.
Was gehört nicht zu den unmittelbaren nächsten diagnostischen Schritten?
Bei Präsentation einer Patientin oder eines Patienten mit Kreislaufinstabilität, Fieber und Nacken-/Kopfschmerzen müssen vitalbedrohliche Ursachen ausgeschlossen werden, zum Beispiel eine bakterielle Meningitis [1]. Zu den Differentialdiagnosen gehören weiterhin: Spondylodiszitis, Epiduralabszess, retropharyngealer Abszess, Adenitis, akute Thyroiditis und subarachnoidale Blutung. Die Computertomographie (CT) des Schädels ist die Untersuchung der Wahl zur Erkennung von Blutungen/Gefässdissektionen, Abszessen, Weichteilödemen sowie Traumafolgen. Bei hochgradigem klinischem Verdacht auf eine Meningitis müssen eine empirische antibiotische Therapie sowie Dexamethason innerhalb von 30 Minuten nach dem Eintreffen begonnen werden, mit vorheriger Blutabnahme für das Anlegen von Blutkulturen sowie für eine Basisdiagnostik inklusive Differentialblutbild und Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP). Eine Lumbalpunktion sollte ebenfalls rasch stattfinden. Sie darf in der Regel ohne vorausgehende CT des Schädels durchgeführt werden, da eine zerebrale Herniation als Komplikation sehr selten vorkommt [2]. Es sollte selektiv je nach Klinik evaluiert werden, ob eine Schädel-CT vor einer Lumbalpunktion sinnvoll ist. Der Beginn einer antibiotischen Therapie sollte deswegen nicht verzögert werden. In unserem Fall wurde die CT primär mit der Frage nach Traumafolgen und intrakranieller Blutung veranlasst.
Ein Streptokokken-Schnelltest sollte nur bei passender Klinik (um das Alter modifizierte Centor-Kriterien: Fieber, Husten, geschwollene und druckdolente Halsymphknoten, vergrösserte oder belegte Tonsillen) und entsprechender Epidemiologie durchgeführt werden.
Nach Volumengabe waren bei unserer Patientin eine rasche (innerhalb von Minuten) Normalisierung des Blutdruckes und ein Anstieg der Herzfrequenz auf 60/min im Sinusrhythmus zu beobachten, die auch weiter anhielten. Im Labor fielen leicht erhöhte Entzündungswerte (CRP: 10 mg/l, Leukozyten: 15 G/l, neutrophile Granulozyten: 14 G/l) auf. Obwohl die klinische Präsentation nicht ganz typisch für eine Meningitis war (Schmerzen ausschliesslich im Nackenbereich ohne begleitende Kopfschmerzen, fehlende Vigilanzminderung, rasche Erholung des Allgemeinzustandes nach Hydrierung und Schmerzmittelgabe), haben wir eine empirische Therapie mit Ceftriaxon, Aciclovir und Dexamethason initiiert. In der Schädel-CT-Aufnahme fanden sich keine Hirndruckzeichen, keine Abszessbildung und keine Traumafolgen nach Sturz. Auffallend war jedoch eine Kalzifikation ventral des vorderen Atlasbogens mit Ödem im prävertebralen Raum (Abb. 1).
Abbildung 1: Native computertomographische Aufnahmen der Halswirbelsäule: A) Sagittalschnitt: ödematöse Schwellung des prävertebralen/retropharyngealen Raumes auf Höhe des ersten bis vierten Halswirbels (*); B) Sagittalschnitt: sichtbare Kalzifikation anteroinferior des vorderen Atlasbogens (Pfeilspitze); C) Kalzifikation (Pfeil) inklusive Lagebeziehung erkennbar auch in der 3D-Visualisierung («cinematic rendering»).
Bei welcher Krankheit besteht typischerweise eine Kalzifikation ventral des vorderen Atlasbogens?
Eine Kalzifikation ventral des ersten und zweiten Halswirbels mit paravertebraler Weichteilschwellung ist pathognomonisch für eine kalzifizierende Tendinitis des Musculus (M.) longus colli. Diese Auffälligkeiten waren ebenso in ergänzend durchgeführter Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels und der Halswirbelsäule zu erkennen (Abb. 2).
Abbildung 2: Magnetresonanztomogramm der Halswirbelsäule: A) Axialschnitt: bekannte Kalzifikation anterior des ersten/zweiten Halswirbels (Pfeil); B) Axialschnitt: linksbetonte ödematöse Signalalteration am Ansatz des Musculus longus colli (Pfeilspitze); C) Sagittalschnitt: diffuse Schwellung retropharyngeal/prävertebral nach inferior bis auf das Niveau des vierten und fünften Halswirbels (*).
Gegenüber der CT stellt eine MRT besser das prävertebrale Weichteilödem (in T2-gewichteten Sequenzen und T1-gewichteten kontrastmittelverstärkten Sequenzen) dar, was die genauere Abgrenzung zu einem retropharyngealen Abszess oder einer Spondylodiszitis erlaubt [3]. Zudem ist die MRT der CT in der Diagnostik der akuten Spondylodiszitis überlegen. Zwar hat die CT auch eine sehr gute Spezifität und einen hohen positiven prädiktiven Wert, allerdings ist die MRT trotzdem notwendig, um Komplikationen wie einen epiduralen Abszess auszuschliessen [4].
Die klinische Symptomatik würde auch zu einem «crowned dens»-Syndrom passen; radiologisch würden sich jedoch Kalzifizierungen um den Dens axis zeigen – und nicht ventral der Wirbelkörper (Abb. 3).
Abbildung 3: Native computertomographische Aufnahmen der Halswirbelsäule eines anderen Patienten mit typischem «crowned dens» als wichtige Differentialdiagnose bei starken Nackenschmerzen. Zu sehen sind typischen Verkalkungen (Pfeilspitzen) um die respektive posterior der Dens-Spitze in (A) sagittaler, (B) koronarer und (C) axialer Reformatierung.
Nach Erhalt dieses radiologischen Befundes haben wir auf eine Lumbalpunktion verzichtet. Somit konnten wir auch in Anbetracht der passenden klinischen Präsentation die Diagnose einer kalzifizierenden Tendinitis des M. longus colli definitiv stellen und die antimikrobielle Therapie sistieren.
Welche Aussage trifft bei kalzifizierender Tendinitis des M. longus colli nicht zu?
Die genaue Ätiologie der Erkrankung bleibt noch unklar. Pathophysiologisch handelt es sich um eine Ablagerung von Hydroxyapatit-Kristallen im Bereich des M. longus colli, welche auch histologisch gezeigt wurden. Die Kristalle führen zu einer fremdkörperassoziierten entzündlichen Reaktion. Der M. longus colli ist für die Halsflexion sowie die Stabilisation des Kopfes verantwortlich. Typischerweise ist der Muskel in seinem kranialen Anteil, im Bereich des ersten bis zweiten Halswirbels, betroffen [5]. Es ist auch nicht klar, ob ein vorausgegangener Infekt, ein Trauma oder eine chronische Überlastung der Halswirbelsäule eine Rolle im pathophysiologischen Mechanismus mitspielt.
Was ist die Therapie der Wahl der kalzifizierenden Tendinitis des M. longus colli?
Gemäss Literatur sprechen die Patientinnen und Patienten sehr gut auf nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) an [6]. Ausserdem kann der kurzfristige Einsatz von Steroiden sinnvoll sein. Es gibt in der Literatur keine rapportierten Fälle, in denen Betroffene mit Colchicin behandelt wurden. Bei unserer Patientin sahen wir nach der einmaligen Gabe von 10 mg Dexamethason unter fixer Analgesie mit Ibuprofen 400 mg alle acht Stunden sowie intensiver Physiotherapie eine rasche klinische Besserung. Die Mobilität der Halswirbelsäule war dadurch teilweise wieder hergestellt. Die Entzündungswerte waren komplett regredient. Blutdruck und Herzfrequenz der Frau waren stets im Normbereich. Nach fünftägigem Spitalaufenthalt konnten wir die Patientin in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen.
Welche Aussage den klinischen Verlauf betreffend ist richtig?
Der Krankheitsverlauf ist selbstlimitierend, chronische Verläufe sind selten. Ohne Therapie verschwinden die Beschwerden innerhalb von ein bis zwei Wochen. Eine Verlaufsbildgebung ist aufgrund des selbstlimitierenden Verlaufs nicht indiziert; das Kalkdepot ist dann konventionell-radiologisch meistens nicht mehr nachweisbar [6]. In der Literatur fanden wir keine beschriebene Assoziation mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen, auch keine Erblichkeit. In unserem Fall berichtete die Patientin über eine vollständige Regredienz der Nackenschmerzen unter der einige Wochen dauernden physiotherapeutischen Behandlung. Einige Wochen nach Erstvorstellung war die Nackenbeweglichkeit fast wieder komplett vorhanden.

Diskussion

Wir stellen einen klinischen Fall vor, der sich initial als eine mögliche Meningitis mit septischem Schock präsentierte, in Wirklichkeit aber eine selbstlimitierende, nicht lebensbedrohliche Erkrankung darstellte.
Eine kalzifizierende Tendinitis des M. longus colli ist eine seltene benigne Ursache von Nackenschmerzen, wobei der erste Fall 1964 beschrieben wurde [7, 8]. Eine epidemiologische Studie von 2013 hat eine Inzidenz von etwa 0,5 Fällen pro 100 000 Personen pro Jahr ergeben [9]. Diese Zahl ist wahrscheinlich aufgrund von Fehldiagnosen unterschätzt.
Bei Anamnese von akuten, rasch progredienten Nackenschmerzen, Schluckbeschwerden und eingeschränkter Nackenbeweglichkeit ist differentialdiagnostisch an eine kalzifizierende Tendinitis des M. longus colli zu denken. Subfebrile Temperaturen bis Fieber sowie leicht erhöhte Entzündungsparameter – wie in unserem Fall – kommen häufig vor. Der Allgemeinzustand bleibt in der Regel wenig beeinträchtigt. Unsere Patientin reagierte jedoch auf die starken Schmerzen mit einer passageren vasovagalen Symptomatik mit Synkope, Hypotonie und Bradykardie.
Die Diagnosestellung einer Tendinitis des M. longus colli benötigt den Nachweis von typischen radiologischen Befunden, insbesondere einer Kalzifikation ventral des ersten bis zweiten Halswirbels, die auch bei unserer Patientin deutlich sichtbar war. Der klinische Verlauf ist in der Regel unter symptomatischer Therapie selbstlimitierend.
Frage 1: a. Frage 2: e. Frage 3: e. Frage 4: e. Frage 5: d.
Claudia Rebell, dipl. Ärztin
Klinik für Innere Medizin, Universitätsspital Basel, Basel
Die Autorinnen und Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Claudia Rebell
Klinik für Innere Medizin
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
claudia.rebell[at]gmail.com
1 Evans L, Rhodes A, Alhazzani W, Antonelli M, Coopersmith CM, French C, et al. Executive summary: Surviving Sepsis Campaign: International guidelines for the management of sepsis and septic shock 2021. Crit Care Med. 2021;49:1974–82.
2 Costerus JM, Brouwer MC, Sprengers MES, Roosendaal SD, van der Ende A, van de Beek D. Cranial computed tomography, lumbar puncture, and clinical deterioration in bacterial meningitis: A nationwide cohort study. Clin Infect Dis. 2018;67(6):920–6.
3 Chung T, Rebello R, Gooden EA. Retropharyngeal calcific tendinitis: Case report and review of literature. Emerg Radiol. 2005;11(6):375–80.
4 Rausch VH, Bannas P, Schoen G, Froelich A, Well L, Regier M, et al. Diagnostic yield of multidetector computed tomography in patients with acute spondylodiscitis. Rofo. 2017;189(4):339–46.
5 Ring D, Vaccaro AR, Scuderi G, Pathria MN, Garfin SR. Acute calcific retropharyngeal tendinitis. Clinical presentation and pathological characterization. J Bone Joint Surg Am. 1994;76(11):1636–42.
6 Heckmann JG, Tröscher-Weber R, Pawlowski M, Seifert F. Retropharyngeale Tendinitis –Differenzialdiagnose des akuten Zervikalsyndroms. Nervenarzt. 2006;77:952–7.
7 Shawky A, Elnady B, El-Morshidy E, Gad W, Ezzati A. Longus colli tendinitis. A review of literature and case series. SICOT J. 2017;3:48.
8 Hartley J. Acute cervical pain associated with retropharyngeal calcium deposit. A case report. J Bone Joint Surg Am. 1964;46:1753–4.
9 Horowitz G, Ben-Ari O, Brenner A, Fliss DM, Wasserzug O. Incidence of retropharyngeal calcific tendinitis (longus colli tendinitis) in the general population. Otolaryngol Head Neck Surg. 2013;148(6):955–8.