Krampfanfall nach schwerer Asthmaexazerbation
Kritisch hinterfragen

Krampfanfall nach schwerer Asthmaexazerbation

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2023/22
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09090
Swiss Med Forum. 2023;23(22):42-44

Affiliations
Universitätsspital Basel, Basel: a Innere Medizin; b Klinische Pharmakologie und Toxikologie


Publiziert am 31.05.2023

Fallbeschreibung

Die 63-jährige Patientin, Nichtraucherin, stellte sich wegen seit zwei Wochen progredienter Dyspnoe und neu aufgetretenen produktiven Hustens bei langjährig bekanntem Asthma bronchiale auf der Notfallstation vor. Zusätzlich zur fixen Inhalationstherapie war sie bei Verdacht auf einen bronchopulmonalen Infekt vorgängig bereits durch den Hausarzt über fünf Tage mit Amoxicillin/Clavulansäure sowie bei exazerbiertem Asthma mit Prednison (20 mg/d) behandelt worden, jedoch ohne Besserung der Beschwerden. Als Vorerkrankungen bestanden eine äthyltoxische Leberzirrhose Child B mit portaler Hypertonie, unter der es bis vor Erreichen einer Alkoholkarenz drei Jahre zuvor zu rezidivierenden Dekompensationen gekommen war, eine koronare Herzkrankheit und eine Adipositas (108 kg).
Es präsentierte sich eine afebrile Patientin mit schwerer Asthma-Exazerbation (Sauerstoffsättigung [SpO2] 90% unter 6 l/min O2, Atemfrequenz [AF] 28/min, Puls 78/min, Blutdruck [BD] 160/73 mm Hg, Giemen, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, Sprechdyspnoe, milde respiratorische Azidose) und unauffälligem Computertomogramm (CT) des Thorax. Aufgrund der massiven Dyspnoe konnte kein Wert für den «Peak Expiratory Flow» (PEF) gemessen werden.
Welches der folgenden Medikamente gehört nicht zur Therapie der Asthma-Exazerbation? a) Methylprednisolon
b) Magnesiumsulfat
c) Salbutamol
d) Ipratropiumbromid
e) Montelukast
Es wurden eine intravenöse Therapie mit Methylprednisolon sowie Inhalationen mit kurzwirksamem Salbutamol und Ipratropiumbromid etabliert und die Patientin erhielt 2 g Magnesiumsulfat intravenös. Zudem wurde sie bei zunehmender respiratorischer Insuffizienz für drei Tage zur nicht invasiven Beatmung und Ketamin-Therapie auf die Intensivstation verlegt. Montelukast ist ein Leukotrienrezeptor-Antagonist und wird in der Langzeittherapie des Asthma bronchiale eingesetzt. In der akuten Asthmabehandlung besteht keine ausreichende Evidenz hierfür [1].
Bei weiterhin schlechter Symptomkontrolle wurde am 5. Tag als Ultima ratio eine Therapie mit Theophyllin (oral 600 mg/d) begonnen. Theophyllin kann durch seine bronchodilatatorische Wirkung als Zusatztherapie bei schwerem Asthma verwendet werden [2, 3]. Im Verlauf kam es zu einer respiratorischen Stabilisierung.
Am 12. Hospitalisationstag klagte die Patientin über akute krampfartige Bauchschmerzen sowie Nausea mit Emesis. Diarrhoe und Dysurie wurden verneint. Neben der bekannten Leberzirrhose und einem Status nach Helicobacter-pylori-Gastritis waren keine abdominalen Erkrankungen bekannt. Klinisch fand sich eine afebrile, leicht tachykarde (Puls 90–100/min) Patientin mit einer diffusen Druckdolenz des Abdomens.
Welche Differentialdiagnose sehen Sie aufgrund der aktuellen Angaben als am unwahrscheinlichsten an?
a) Spontan bakterielle Peritonitis
b) Gastritis
c) Pankreatitis
d) Harnwegsinfekt
e) Medikamentöse Nebenwirkung
Bei bekannter Leberzirrhose dachten wir differentialdiagnostisch an eine spontan bakterielle Peritonitis, die wir jedoch bei fehlendem Aszites sonographisch ausschlossen. Eine Gastritis war aufgrund der hochdosierten Prednisontherapie eine weitere Überlegung, die wir jedoch aufgrund einer bestehenden Pantoprazol-Einnahme als unwahrscheinlich erachteten. Es fanden sich normale Leber- und Entzündungswerte sowie eine normwertige Lipase. Ein CT des Abdomens war bis auf den Befund der vorbekannten Leberzirrhose unauffällig. Ein Harnwegsinfekt war bei afebriler Patientin ohne Dysurie unwahrscheinlich. Die Beschwerden waren unter symptomatischer Therapie (Domperidon, Metamizol, Pantoprazol) teilweise regredient.
Zwei Tage später klagte die Patientin zusätzlich über leichte Kopfschmerzen mit einer innerlichen Unruhe bei unveränderten Vitalparametern. Noch am selben Abend kam es zu einem beobachteten primär generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfall, der nach einer Minute spontan sistierte, mit postiktaler Bewusstseinsminderung (Glasgow Coma Scale [GCS] 3). Die Patientin wurde schutzintubiert und auf die Intensivstation verlegt. Es zeigten sich keine weiteren Anfälle.
Welche Diagnose sehen Sie aufgrund der Kombination der Beschwerden als am wahrscheinlichsten an?
a) Hepatische Enzephalopathie
b) Theophyllin-Intoxikation
c) Intrazerebrale Blutung
d) Asthmaanfall mit Hypoxämie
e) Krampfanfall durch Alkoholentzug
Im Labor zeigte sich das Ammoniak nicht erhöht. Im CT konnten eine zerebrale Blutung, Ischämie oder Raumforderung ausgeschlossen werden. Ein erneuter Asthmaanfall war klinisch in den Stunden vor dem Ereignis nicht beobachtet worden. Nach zweiwöchiger Hospitalisation sollte ein körperlicher Alkoholentzug bereits abgelaufen sein und ein dadurch bedingter Krampfanfall schien unwahrscheinlich. Da wir bereits zwölf Stunden vor dem Krampfanfall aufgrund der Kombination aus gastrointestinalen und neurologischen Beschwerden den Verdacht auf Theophyllin-bedingte unerwünschte Arzneimittelwirkungen hatten, war dieses Medikament schon abgesetzt worden. Der Theophyllin-Spiegel im Serum (26 Stunden nach letzter Einnahme) zeigte sich massiv erhöht mit 50,4 mg/l (Ziel-Spitzenspiegel: 10–20 mg/l, Erreichen des Spitzenspiegel 6–10 Stunden nach oraler Einnahme [3]).
Was ist die wahrscheinlichste Ursache für die Theophyllin-Intoxikation?
a) Akzidentelle Einnahme von mehr als der verordneten Theophyllin-Dosis
b) Akkumulation durch Medikamenteninteraktion
c) Überschätzte Nierenfunktion
d) Poor-Metabolizer-Status für Cytochrom P450 2D6 (CYP2D6)
e) Leberzirrhose mit verlängerter Eliminationshalbwertszeit
Die empfohlene Zieldosis für Theophyllin beträgt 9–13 mg/kg/d. Auf das Idealgewicht der Patientin berechnet erhielt sie entsprechend 600 mg/d, und wir fanden keine Hinweise auf eine akzidentelle Einnahme von mehr als der verordneten Theophyllin-Dosis. Theophyllin wird hauptsächlich über das Cytochrom-P450-Enzymsystem (vor allem CYP1A2) der Leber metabolisiert und es bestanden keine relevanten Arzneimittelinteraktionen. Nur etwa 10% des Theophyllins wird renal ausgeschieden, weshalb die Nierenfunktion nicht wesentlich zur Theophyllin-Clearance beiträgt. Bei gesunden, erwachsenen Personen beträgt die Eliminationshalbwertszeit im Durchschnitt 7–9 Stunden, bei fortgeschrittener Leberzirrhose kann diese jedoch auf >24 Stunden verlängert sein [3, 4]. Somit gingen wir von einer chronischen Theophyllin-Intoxikation bei seit einer Woche bestehender Therapie und Akkumulation bei Leberzirrhose aus.
Welche Massnahme zur Behandlung einer Theophyllin-Intoxikation kommt nicht in Frage?
a) Vitalparameterkontrolle und Elektrokardiogramm-Monitoring
b) Hämodialyse
c) Elektrolytkontrolle
d) Antidotgabe
e) Wiederholte Theophyllin-Spiegelbestimmungen
Am Folgetag konnte die Patientin nach unauffälligem Elektroenzephalogramm (EEG) extubiert werden. Es erfolgten serielle Bestimmungen der Theophyllin-Spiegel, die eine deutlich verlängerte Eliminationshalbwertszeit von >48 Stunden bestätigten. Bis zum Erreichen des Theophyllin-Spiegels im Zielbereich (Abb. 1) erfolgte eine telemetrische Überwachung, ohne dass es zu Rhythmusstörungen kam.
Abbildung 1: Verlauf der Serum-Theophyllin-Konzentrationen in den Tagen nach Krampfanfall (Ziel-Spitzenkonzentration 10–20 mg/l). Die Grafik zeigt eine Kinetik nullter Ordnung, hinweisend auf eine Sättigung der abbauenden Enzyme aufgrund der hohen Dosierung.
Die Elektrolyte waren stets normwertig. Aufgrund der relativ raschen klinischen Besserung wurde auf eine Akutdialyse wie auch die repetitive Verabreichung von Aktivkohle verzichtet. Ein Antidot für Theophyllin existiert nicht.
Die neurologischen und gastrointestinalen Beschwerden der Patientin waren innert sechs Tagen nach Absetzen von Theophyllin komplett regredient. Die Patientin konnte das Spital in gutem Allgemeinzustand verlassen.
Das Ereignis wurde als schwerwiegende und damit meldepflichtige unerwünschte Arzneimittelwirkung an die Arzneimittelbehörde Swissmedic weitergeleitet.

Diskussion

Theophyllin hat eine bronchodilatierende und entzündungshemmende Wirkung und kann als Zusatzmedikament bei schwerem Asthma oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) angewendet werden [3].
Theophyllin wird meist in oraler retardierter Form verschrieben. Die Therapie erfordert aufgrund der engen therapeutischen Breite (Ziel-Spitzenspiegel: 10–20 mg/l) regelmässige Spiegelkontrollen. Der Peak des Spiegels gibt Auskunft über die therapeutische Effektivität wie auch über die Toxizität von Theophyllin. Nach Therapiebeginn (tiefe Anfangsdosis mit allmählicher Dosissteigerung) oder Dosisänderung sollte nach drei Tagen eine Spitzenspiegelbestimmung erfolgen [3]. Faktoren wie Alter, Rauchen, Medikamenteninteraktionen und das Vorliegen einer Leberzirrhose können die Elimination von Theophyllin stark beeinflussen und zu einer klinisch relevanten Veränderung der Clearance führen [3,4].
Die Schwere der Nebenwirkungen korreliert mit der Höhe des Theophyllin-Spiegels. Initial können leichte gastrointestinale Symptome auftreten, bei hohen Spiegeln kann es zu neurologischen Nebenwirkungen wie Unruhe und Krampfanfällen sowie zu kardialen Ereignissen wie Tachyarrhythmien kommen [3, 4].
Das Management der Theophyllin-Intoxikation besteht nach sofortigem Absetzen des Medikaments zunächst aus einer symptomatischen Therapie und kardiopulmonalen Stabilisierung. Zur Beschleunigung der gastrointestinalen Dekontamination und Elimination kann repetitiv Aktivkohle verabreicht werden [5]. Bei schweren, chronischen Intoxikationen (z.B. Einnahme über mehrere Tage) mit lebensbedrohlichen Zuständen oder Spiegeln >50 mg/l (>60 mg/l bei Personen <60 Jahre) besteht die Indikation zur Hämodialyse [6].
Bis anhin wurde Theophyllin als Add-on-Therapie bei schwerem Asthma verwendet [2]. Seit 2020 wird Theophyllin jedoch nur noch in Ausnahmesituationen bei schlecht kontrollierbarem Asthma empfohlen, jedoch nicht zur Therapie des akuten, schweren Asthmaanfalls [1, 7]. Gleichwohl sollte man sich der engen therapeutischen Breite und Toxizität bewusst sein. In den Therapie-Leitlinien der COPD wird Theophyllin bei unzureichendem Effekt von langwirksamen Muskarinantagonisten (LAMA) und langwirksamen Beta-2-Sympathomimetika (LABA) weiterhin als Behandlungsoption aufgeführt [8].
In unserem Fall hatten wir die Indikation für die Theophyllin-Gabe zur Behandlung des akuten schweren Asthmaanfalls zu wenig kritisch hinterfragt. Zudem haben wir die Auswirkung der Leberfunktionsstörung bei vorbekannter Leberzirrhose Child B auf die Elimination von Theophyllin deutlich unterschätzt. Da sich die Abschätzung einer Leberfunktionsstörung oft schwierig gestaltet, gilt als generelle Empfehlung, die Einnahme tief dosiert zu beginnen und langsam zu steigern (engl. «start low, go slow») sowie regelmässige Spiegelbestimmungen durchzuführen.
Eine Übersicht zu Theophyllin findet sich in Tabelle 1.
Tabelle 1: Übersicht zu Theophyllin [3, 4]
Dosis9–13 mg/kg/d, individuelle Anpassung gemäss Spiegel
Zielspiegel10–20 mg/l
DosisreduktionLeberfunktionsstörung, Medikamenteninteraktionen, höheres Alter
Symptome der IntoxikationGastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen
Kardiovaskulär: Tachykardie, Tachyarrhythmie, Hypotonie
Neurologisch: Exzitation, Unruhe, Tremor, Krampfanfälle
Therapie der IntoxikationSchwere Intoxikation: Hämodialyse, Aktivkohle
Hypotension: Volumensubstitution, Vasoaktiva
Tachyarrhythmien: gemäss «ACLS Guidelines»
Bei supraventrikulärer Tachykardie (SVT): Betablocker, Kalziumantagonisten vom Verapamil-Typ, Benzodiazepine
Krämpfe: Diazepam
ACLS: «Advanced cardiac life support».
Dr. med. Sandra Stucky
Innere Medizin,
Universitätsspital Basel, Basel
Frage 1: e. Frage 2: d. Frage 3: b. Frage 4: e. Frage 5: d.
Ein besonderer Dank geht an Prof. Stefano Bassetti (Innere Medizin, USB) für die fachlichen und textspezifischen Anregungen.
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. Sandra Stucky
Klinik für Notfallmedizin
Spitalzentrum Oberwallis
Pflanzettastrasse 8
CH-3930 Visp
sandra.stucky[at]hopitalvs.ch
1 Global Initiative for Asthma, Hg. Global Strategy for Asthma Management and Prevention [Internet]. Fontana, Wisconsin (USA): Global Initiative for Asthma; 2023 [cited 2023 May]. Verfügbar unter: https://www.ginasthma.org
2 Global Initiative for Asthma, Hg. Global Strategy for Asthma Management and Prevention [Internet]. Fontana, Wisconsin (USA): Global Initiative for Asthma; 2018 [cited 2021 Jan 30]. Verfügbar unter: https://www.ginasthma.org/wp-content/uploads/2018/04/wms-GINA-2018-report-V1.3-002.pdf
3 Swissmedic [Internet]. Bern: Swissmedic; c2019 [cited 2020 Feb 27]. SwissMedicInfo: Arzneimittelinformation Unifyl® Continus®. Verfügbar unter: https://www.swissmedicinfo.ch
4 Karow T, Lang-Roth R. Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie 2017. 25. Aufl., Köln: Thomas Karow; 2016
5 Zellner T, Prasa D, Färber E, Hoffmann-Walbeck P, Genser D, Eyer F. The use of activated charcoal to treat intoxications. Dtsch Arztebl Int. 2019;116(18):311–7.
6 Ghannoum M, Wiegand TJ, Liu KD, Calello DP, Godin M, Lavergne V, et al. Extracorporeal treatment for theophylline poisoning: systematic review and recommendations from the EXTRIP workgroup. Clin Toxicol (Phila). 2015;53(4):215–29.
7 Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Hg. Nationale VersorgungsLeitlinie Asthma – Langfassung, 4. Auflage. Version 1. AWMF-Register-Nr.: nvl-002 [Internet]. Berlin: AWMF; 2020 [cited 2020 Dez 27]. Verfügbar unter: https:// www.kbv.de/media/sp/nvl-asthma-lang.pdf
8 Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD), Hg. Global Strategy for the Diagnosis, Management, and Prevention of Chronic Obstructive Pulmonary Disease, 2021 Report [Internet]. USA: GOLD Inc.; 2020 [cited 2021 Jan 30]. Verfügbar unter: https://www.goldcopd.org/wp-content/uploads/2020/11/GOLD-REPORT-2021-v1.1-25Nov20_WMV.pdf

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