Seltene Ursache für einen Kolonileus
Abdominelle Tuberkulose

Seltene Ursache für einen Kolonileus

Der besondere Fall
Ausgabe
2023/13
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09188
Swiss Med Forum. 2023;23(13):991-993

Affiliations
Kantonsspital Winterthur, Winterthur: a Klinik für Viszeral- und Thoraxchirurgie; b Medizinische Poliklinik; c Institut für Pathologie

Publiziert am 29.03.2023

Ein 50-jähriger Patient stellte sich mit einer 12-stündigen Anamnese von rechtsseitigen Bauchschmerzen und rezidivierendem Erbrechen auf der Notfallstation vor.

Hintergrund

Die häufigste Ursache eines mechanischen Kolonileus in der westlichen Welt ist ein Malignom, gefolgt vom Volvulus und der fäkalen Obstruktion [1]. Es gibt jedoch auch seltene Erkrankungen, die im Rahmen des medizinischen Fortschrittes in Vergessenheit geraten sind, aber im Hinblick auf die zunehmende Globalisierung und Migration wieder vermehrt an Bedeutung gewinnen.
Die Tuberkulose gehört weltweit zu den häufigsten Infektionskrankheiten, weist jedoch in der Schweiz heutzutage eine tiefe Inzidenz auf. Seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts war neben einer zunehmenden Prävention auch erstmals eine medikamentöse Behandlung der Tuberkulose möglich, die zu einer deutlichen Inzidenzabnahme führte.
Am häufigsten manifestiert sich die Tuberkulose pulmonal, jedoch ist das Abdomen in circa 1–3% primär und in bis zu 30% sekundär durch Verschlucken hochgehusteter Erreger im Rahmen einer Lungentuberkulose oder durch hämatogene Aussaat betroffen. Weltweit gehört die intestinale Tuberkulose zu den häufigsten spezifischen entzündlichen Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts [2, 3].

Fallbericht

Anamnese

Der 50-jährige Patient stellte sich mit einer 12-stündigen Anamnese von rechtsseitigen Bauchschmerzen und rezidivierendem Erbrechen auf unserer Notfallstation vor. Er war bereits wegen einer symptomatischen Cholezystolithiasis vor etwa einem Monat in der viszeralchirurgischen Sprechstunde zur Planung einer elektiven Cholezystektomie gewesen. Nebenbefundlich wurde beim Patienten bereits vor drei Monaten in einem Computertomogramm eine rechtsseitige, langstreckige Kolitis beschrieben, die jedoch nicht antibiotisch behandelt wurde. Zur weiteren Abklärung wäre in den nächsten Wochen eine Koloskopie geplant gewesen. Der Patient berichtete über einen Gewichtsverlust von 3 kg, rezidivierende abdominelle Beschwerden und Schwäche seit einem Jahr, ohne Fieber oder Nachtschweiss. Der Patient ist von Beruf Taxifahrer und Bauarbeiter. Er ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Die Reiseanamnese ist bis auf eine mehrmonatige Reise durch Osteuropa vor vier Jahren blande.

Status

Es zeigte sich ein kardiopulmonal stabiler und afebriler Patient. Die abdominale Untersuchung ergab ein weiches Abdomen ohne Peritonismus, eine deutliche Druckdolenz im rechten Hemiabdomen mit leichter Abwehrspannung, ohne Loslassschmerz oder palpable Resistenzen. Das Murphy-Sign war negativ. Auskultatorisch fanden sich spärliche Darmgeräusche über allen Quadranten.

Befunde

Laborchemisch zeigten sich erhöhte Entzündungsparameter (Leukozyten 17,3 G/l, C-reaktives Protein [CRP] 21 mg/l) bei normalem Laktat und carcinoembryonalen Antigen (CEA).
Im Abdomen-Computertomogramm (Abb. 1) präsentierte sich das Bild eines Kolonileus mit Kalibersprung im Bereich des wandverdickten Colon ascendens (die Wandverdickung wurde bereits in der externen Bildgebung drei Monate zuvor beschrieben) sowie ein vergrösserter mesenterialer Lymphknoten (Durchmesser 1,1 cm) im rechten Unterbauch.
Abbildung 1: Computertomogramm Abdomen mit venösem Kontrastmittel (Axialschnitt): wandverdicktes und stenosiertes Colon ascendens (roter Pfeil) mit umgebender Imbibierung des Fettgewebes.
Die Diagnose eines Kolonileus bei unklarer, stenosierender Raumforderung – Differentialdiagnose (DD) Malignom im Bereich des Colon ascendens – wurde gestellt und der symptomatische Patient gleichentags notfallmässig operiert.

Verlauf

Es erfolgte eine primär offene, onkologische Hemikolektomie rechts mit Cholezystektomie. Intraoperativ zeigten sich weisslich-trüber Aszites und multiple weissliche peritoneale Auflagerungen (DD: Peritonealkarzinose) sowie die beschriebene derbe Raumforderung im Colon ascendens. Zusätzlich wurde eine Spülzytologie durchgeführt und eine peritoneale Biopsie entnommen.
Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos mit gutem Ingangkommen der Magendarmpassage, sodass der Patient am siebten postoperativen Tag nach Hause entlassen werden konnte.
Die pathologische Aufarbeitung des Hemikolektomiepräparats zeigte makroskopisch eine umschriebene Einziehung der derben, verdickten Colon-ascendens-Wandung mit ulzerierter Lumenstenose, ilealer, prästenotischer Dilatation und miliaren peritonealen Auflagerungen. Histologisch stellten sich viele von Lymphozyten umgebene, nichtverkäsende epitheloid-riesenzellige Granulome in der gesamten Wandung von Zökum und Colon ascendens mit Übergreifen auf das Ileum dar, begleitet von einer massiven Wandfibrose mit Destruktion der Tunica muscularis propria (Abb. 2). Lediglich ein solitäres Granulom mit verkäsender Nekrose konnte identifiziert werden. Zusätzlich wurden eine ausgedehnte perikolische granulomatöse Lymphadenitis und einer miliare granulomatöse Peritonitis nachgewiesen.
Abbildung 2:A) Querschnitt durch das formalinfixierte Hemikolektomiepräparat auf Höhe der narbigen Einziehung des Colon ascendens mit Darstellung der massiven Lumenstenose bedingt durch die weissliche Wandfibrose mit Destruktion der Tunica muscularis propria (roter Stern: stenosierende Fibrose um das Lumen; grüner Rhombus: fibrös eingezogenes Fettgewebe). B) Histologie (Hämatoxylin-Eosin-Färbung ×100): Die Kolonwand wird zerstört durch eine transmurale epitheloid-riesenzellige Granulomatose ohne verkäsende Nekrose und mit massiver Begleitfibrose (schwarze Pfeile: mehrkernige Riesenzellen; rote Sterne: Fibrose).
Differentialdiagnostisch kam in erster Linie eine Tuberkulose in Betracht, allerdings liessen sich in der Ziehl-Neelson-Färbung keine säurefesten Stäbchen nachweisen und die PCR-Untersuchung für den Mycobacterium-tuberculoisis-Komplex fiel negativ aus.
Die zum ambulanten Staging geplante Computertomographie des Thorax ergab in den Lungenoberlappen beidseits Kavernen und Kalzifikationen (Abb. 3), sodass die Verdachtsdiagnose einer Lungentuberkulose mit abdomineller Beteiligung gestellt wurde.
Abbildung 3: Computertomogramm Thorax (Axialschnitt): In den Lungenoberlappen beidseits Konsolidationen (roter Stern) mit Kavitationen und Kalzifikationen und umgebenden stark volumenverlierenden retikulonodulären Veränderungen.
Eine PCR-Untersuchung des Sputums ergab weiterhin keinen Nachweis von Mycobacterium tuberculosis. Zur Gewinnung von weiterem Material für die mikrobiologische Diagnostik erfolgte eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL). In der transbronchialen Lymphknotenbiopsie liessen sich histologisch verkäsende Granulome mit säurefesten Stäbchen in der Ziehl-Neelsen-Färbung nachweisen. Die PCR-Untersuchung der BAL für den Mycobacterium-tuberculosis-Komplex fiel positiv aus und in der Kultur erfolgte der Nachweis von Myobacterium tuberculosis. Somit konnte knapp drei Wochen postoperativ die Diagnose einer disseminierten Tuberkulose gestellt und retrospektiv die Wandfibrose im Rahmen der ileozökalen Tuberkulose als Ursache für den Kolonileus gefunden werden.

Therapie

Es wurde eine vierfache tuberkulostatische Therapie mit Rifampicin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol auf der medizinischen Poliklinik begonnen, wo der Patient weiterbetreut wurde. Eine HIV-Infektion wurde mittels Screening-Test ausgeschlossen, eine medikamentöse Immunsuppression lag nicht vor.
Die vierfache Therapie mit zusätzlicher Einnahme von Vitamin B6 (Neuroprotektion) wurde nach Vorliegen einer unauffälligen Resistenztestung auf eine Dreiertherapie (Stopp des Ethambutol zur Vermeidung möglicher Nebenwirkungen) umgestellt. Diese erfolgte unter täglicher Beobachtung («directly observed therapy» [DOT]) beim Hausarzt. Nach zweimonatiger Behandlung konnte auf eine Zweier-Erhaltungstherapie mit Isoniazid und Rifampicin für weitere vier Monate umgestellt werden. Eine DOT war bei guter Patientencompliance nicht mehr notwendig. Die monatlichen klinischen (insbesondere Kontrolle des Vibrationsempfinden als Frühindikator einer medikamentös induzierten Neuropathie) und laborchemischen Kontrollen (vor allem Kontrolle der Leberwerte) zeigten eine gute Therapieverträglichkeit.

Diskussion

Die abdominelle Tuberkulose wird in 10–30% in Zusammenhang mit einer Lungentuberkulose beschrieben und macht circa 5% der extrapulmonalen Manifestationen aus, wobei die genaue Inzidenz unklar ist. Sie tritt gehäuft bei Patientinnen und Patienten mit einer Immunschwäche, wie zum Beispiel HIV, auf [2, 4].
Als abdominelle Tuberkulose gilt der Befall des Peritoneums, des Darmes, der mesenterialen Lymphknoten und der soliden Organe (Leber, Milz, Pankreas), der entweder hämatogen im Rahmen einer pulmonalen Tuberkulose oder durch die Ingestion der Mykobakterien (am häufigsten Mycobacterium tuberculosis) erfolgt. Bei der Ingestion gelangen die Mykobakterien über die Peyer’schen Plaques in die mesenterialen Lymphgefässe und werden durch Makrophagen phagozytiert [3, 5, 6]. Anschliessend kommt es zu einer granulomatösen Entzündungsreaktion mit der Ausbildung von epitheloidzelligen Granulomen mit typischer zentral-verkäsender Nekrose. Durch die entzündungsbedingte, erhöhte Aktivität der Fibroblasten entsteht eine Darmwandverdickung mit sekundärer Stenose. Die häufigste Lokalisation der abdominellen Tuberkulose ist im terminalen Ileum und am ileozökalen Übergang. Ein multilokulärer Befall ist nicht unüblich [2, 4, 5]. Ein prädominanter Befall des Kolons wie bei unserem Patienten ist eher selten, aber in der Literatur beschrieben.
Die Computertomographie des Abdomens mit intravenösem Kontrastmittel stellt in der westlichen Welt die Bildgebung der Wahl dar, da sie Tuberkulose-typische Veränderungen wie Aszites, mesenteriale Lymphadenopathie und Verdickungen der Darmwand und des Peritoneums zeigen sowie Hinweise auf Differentialdiagnosen geben kann [4, 7].
Die Diagnose der abdominellen Tuberkulose stellt auch in der heutigen Zeit nach wie vor eine Herausforderung dar, da die Symptome oft unspezifisch sind und es aktuell noch keinen Goldstandard für die Diagnosestellung gibt. In der Literatur werden am häufigsten unspezifische abdominelle Beschwerden (Bauchschmerzen, Aszites, Übelkeit) sowie Fieber, Nachtschweiss und ungewollter Gewichtsverlust beschrieben [2]. Erschwerend zu der unspezifischen Präsentation kommt hinzu, dass viele Ärztinnen und Ärzte die Tuberkulose nur noch aus den Lehrbüchern kennen. Differentialdiagnostisch muss an einen Morbus Crohn und an ein Malignom gedacht werden [4, 5]. Der histologische Nachweis säurefester Stäbchen gelingt nicht immer (bis in 60% der Fälle). Der mikrobiologische Nachweis von Mykobakterien stellt nach wie vor den Goldstandard in der Tuberkulosediagnostik dar.
In unserem Fall kam es, wie in der Literatur oft beschrieben, zu einer verzögerten Diagnosestellung der abdominellen Tuberkulose. Ursächlich hierfür waren die Abwesenheit von Fieber und Nachtschweiss sowie die Nichtberücksichtungung der Tuberkulose als Ursache für die langstreckige Kolitis bei fehlendem Migrationshintergrund und unauffälliger Reiseanamnese. Die differentialdiagnostische Erwägung einer Tuberkulose wurde erst histologisch gestellt, primär ohne Erregernachweis, worauf ein gezielter Erregernachweis angestrebt wurde.
Zusammenfassend ist die abdominelle Tuberkulose in der westlichen Welt eine seltene Ursache für einen Kolonileus. Sie gewinnt jedoch mit zunehmender Globalisierung und Migration wieder an Bedeutung, sodass differentialdiagnostisch daran gedacht werden sollte. Die Diagnosestellung erfolgt nach klinischem Verdacht in der Schnittbildgebung des Abdomens und des Thorax mit anschliessend mikrobiologischem Nachweis der Mykobakterien in invasiv gewonnenem Material und bei pulmonalem Befall im Sputum (mittels PCR und Kultur). Goldstandard bleibt der kulturelle Nachweis. Primär ist die abdominelle Tuberkulose die Domäne der medikamentösen Therapie mit initial vierfacher Kombinationstherapie mit Rifampicin, Isoniazid, Ethambutol und Pyrazinamid für zwei Monate mit anschliessender Erhaltungstherapie mit Rifampicin und Isoniazid für mindestens vier Monate. Die Chirurgie spielt eine Rolle im Rahmen der Diagnosesicherung und für das Management von Komplikationen wie zum Beispiel einem Ileus oder einer Perforation [2, 3].

Das Wichtigste für die Praxis

Die abdominelle Tuberkulose ist in der Schweiz ein seltenes Krankheitsbild. Bei Personen mit Migrationshintergrund oder Immunschwäche sollte jedoch daran gedacht werden.
Die Suche nach einer Immunschwäche (insbesondere HIV) ist bei der Tuberkulosediagnose obligat.
Die primäre Therapie der abdominellen Tuberkulose erfolgt medikamentös.
Die Chirurgie hat eine Rolle in der Diagnosesicherung (Materialgewinnung zur histologischen und mikrobiologischen Untersuchung) und im Management der Komplikationen.
Dr. med. Tobias Müller
Klinik für Viszeral- und Thoraxchirurgie, Kantonsspital Winterthur, Winterthur
Die Autoren danken Herrn Dr. med. Valentin Fretz, Chefarzt Radiologie des Kantonsspital Winterthur, für die radiologischen Aufnahmen.
Dr. med. Tobias Müller
Klinik für Viszeral- und Thoraxchirurgie
Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
CH-8401 Winterthur
1 Verheyden C, Orliac C, Millet I, Taourel P. Large-bowel obstruction: CT findings, pitfalls, tips and tricks. Eur J Radiol. 2020;130:109155.
2 Weledji EP, Pokam BT. Abdominal tuberculosis: Is there a role for surgery? World J Gastrointest Surg. 2017;9(8):174–81.
3 Chakinala RC, Khatri AM. Gastrointestinal Tuberculosis. [Updated 2021 Jul 25]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2022 Jan.
4 Rasheed S, Zinicola R, Watson D, Bajwa A, McDonald PJ. Intra-abdominal and gastrointestinal tuberculosis. Colorectal Dis. 2007;9(9):773–83.
5 Kapoor VK. Abdominal tuberculosis. Postgrad Med J. 1998;74(874):459–67.
6 Scott C, Cavanaugh JS, Pratt R, Silk BJ, LoBue P, Moonan PK. Human Tuberculosis Caused by Mycobacterium bovis in the United States, 2006-2013. Clin Infect Dis. 2016;63(5):594–601.
7 Uzunkoy A, Harma M. Diagnosis of abdominal tuberculosis: experience from 11 cases and review of the literature. World J Gastroenterol. 2004;10(24):3647–9.