Hot Topics 2022: die Sicht von jungen Infektiologinnen und Infektiologen
Schlaglicht: Infektiologie

Hot Topics 2022: die Sicht von jungen Infektiologinnen und Infektiologen

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2023/09
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09312
Swiss Med Forum. 2023;23(09):

Affiliations
a Service de prévention et contrôle de l’infection, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève; b Universitätsklinik für Infektiologie und Spitalhygiene, Universitätsspital Basel, Basel; c Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene, Universitätsspital Zürich, Zürich; d Universitätsklinik für Infektiologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, Bern; e Service des maladies infectieuses, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) et Université de Lausanne, Lausanne

Publiziert am 01.03.2023

An der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie 2022 gaben junge Infektiologinnen und Infektiologen einen kurzen Überblick über die aus ihrer Sicht wichtigsten Themen 2022 im Bereich der Infektiologie.

Einführung

Junge Infektiologinnen und Infektiologen gestalteten eine «Hot Topics Session» an der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie im September 2022 in Interlaken. Sie berichteten im Rahmen von selbst gewählten Kurzvorträgen über neue wissenschaftliche Erkenntnisse, diagnostische Methoden, Therapieoptionen, Guidelines oder Krankheitsbilder, die während des letzten Jahres in ihrer Arbeitstätigkeit von besonderer Relevanz waren.

Chronische Hepatitis B – Ist es möglich, die antivirale Behandlung abzusetzen? (Dr. med. Aude Nguyen)

Bei chronischer Hepatitis B wird häufig eine Behandlung mit Nukleotid- respektive Nukleosidanaloga (Tenofovir, Entecavir) durchgeführt, allerdings lässt sich das Ziel einer funktionellen Heilung, das durch den Verlust des HBV-Oberflächenantigens (HBsAg) definiert ist und mit einer deutlich besseren Prognose einhergeht, nur selten erreichen (<5%). In den letzten Jahren wird das Dogma der lebenslangen Behandlung mit antiviralen Wirkstoffen infrage gestellt, insbesondere infolge der Veröffentlichung der beiden bedeutsamen Studien CREATE und RETRACT-B im Jahr 2022 [1, 2]. Die letztgenannte Studie ergab, dass bei Kaukasiern in 41% der Fälle eine funktionelle Heilung erreicht wurde (falls exkretorisches HBV-Protein [HBeAg] negativ und HbsAg <1000 IE/ml am Behandlungsende). Rund 50% der Patientinnen und Patienten wurden jedoch in Woche 48 erneut mit einem antiviralen Wirkstoff behandelt. Die Entscheidung über das Absetzen der Behandlung muss folglich individuell unter Berücksichtigung der potenziellen Vorteile und Limitationen (etwa Erfordernis enger Überwachung) erwogen werden, wobei nicht nur die biologischen und ethnischen Merkmale in Betracht zu ziehen sind, sondern auch die Prioritäten der behandelten Person, die möglicherweise der langfristigen Behandlung überdrüssig ist. Die Entscheidung über das Absetzen der antiviralen Therapie sollte mit einer Spezialistin bzw. einem Spezialisten für die Behandlung von Hepatitis B diskutiert werden.

Multiresistente gramnegative Bakterien: aktualisierte Behandlungsempfehlungen (Dr. med. Silvio Ragozzino)

Antibiotikaresistenzen stellen weltweit eine grosse Gesundheitsgefährdung dar. Obwohl die Zahl der Carbapenem-resistenten Enterobacterales in der Schweiz relativ gering ist, nahm sie in den letzten Jahren stetig zu [3]. In der letzten Zeit wurden neue Beta-Laktame entwickelt und vor Kurzem die neuen Leitlinien der «European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases» (ESCMID) und «Infectious Diseases Society of America» (IDSA) für die Behandlung von multiresistenten gramnegativen Bakterien veröffentlicht [4–6]. Die Empfehlungen in diesen Leitlinien stimmen im Allgemeinen für verschiedene Indikationen überein, wobei einige Abweichungen den Mangel an Evidenz in diesem Bereich und die unterschiedliche Verfügbarkeit von Medikamenten unterstreichen. Beide Gesellschaften betonen die Bedeutung des antimikrobiellen Stewardships mit der Empfehlung, neue Antibiotika bei Infektionen mit geringem Risiko einzusparen, da bei übermässigem Einsatz eine Resistenzentwicklung zu befürchten ist. Alte Antibiotika sollten bei Infektionen mit geringem Risiko bevorzugt werden, sofern dies vertretbar ist. Individuelle Entscheidungen unter Berücksichtigung der Infektionsquelle und des Schweregrads der Infektion sowie der Patientencharakteristika sind hierfür ausschlaggebend.
Relevanz für die Praxis: Multiresistente gramnegative Bakterien stellen eine wachsende Gesundheitsgefahr dar. Im Jahr 2021 wurden neue Leitlinien veröffentlicht (ESCMID und IDSA), die im klinischen Alltag sehr hilfreich sind.

«Fourier transformed infrared spectroscopy»: Ein neues diagnostisches Werkzeug zur Analyse von Ausbrüchen bakterieller Infektionen (Dr. med. Thomas Scheier)

Multiresistente Erreger können durch Kontakt übertragen werden, was zu Ausbrüchen innerhalb von Gesundheitseinrichtungen führen kann. Molekulare Untersuchungsmethoden sind im Management von Ausbrüchen hilfreich um zum Beispiel Transmissionen zu detektieren. Diese Analysen sind häufig teuer und zeitaufwendig, sodass der Einsatz im Alltag eingeschränkt ist [7]. Methoden wie die Fourier-Transform-Infrarot-(FT-IR-)Spektroskopie stellen kostengünstige, schnelle und einfach zu handhabende Alternativen dar. Chemische Bestandteile von Bakterien werden dabei mittels Infrarot analysiert und auf Ähnlichkeiten verglichen. Die Analyse von Ausbrüchen respektive Übertragungen mittels FT-IR-Spektroskopie ist aktuell teilweise noch eingeschränkt (zum Beispiel. fehlende Referenzwerte), zeigt aber bereits in Studien die mögliche Anwendung im klinischen Alltag, um Ausbrüche bakterieller Erreger rasch entdecken und eindämmen zu können [8, 9].
Relevanz für die Praxis: FT-IR Spektroskopie ist kostengünstig, schnell und einfach zu handhaben und kann eine hilfreiche Methode im Management von Ausbrüchen bakterieller Erreger sein.

Affenpocken – wo stehen wir heute? (Dr. med. Anna Eichenberger)

Nach dem ersten humanen Fall 1970 waren Affenpocken als Zoonose mit sporadischen Ausbrüchen auf West- und Zentral-Afrika begrenzt. Beginnend im Mai 2022 kam es zu einem weltweiten Ausbruch, mit einer Übertragung von Mensch zu Mensch. Am stärksten betroffen sind Männer, die Sex mit Männern haben. In der Schweiz wurden bisher über 550 Fälle verzeichnet. Nach einer Inkubationszeit von 5–21 Tagen sind makulopustulöse Hautläsionen (oft anogenital oder oral), Fieber, Lymphadenopathie und Myalgie häufig [10]. Die Behandlung erfolgt in erster Linie symptomatisch. Eine antivirale Therapie mit Tecovirimat (off-label) ist nur bei schweren Fällen oder zum Beispiel Immunsupprimierten empfohlen [11]. Ein inaktivierter Pockenimpfstoff ist in der Schweiz verfügbar als Prävention für besonders gefährdete Personen oder nach Exposition [12].
Relevanz für die Praxis: Bei möglicher Exposition und passenden Symptomen sollen neben den üblichen sexuell übertragbaren Infektionen auch Affenpocken gesucht werden (mittels PCR-Analyse aus Läsionen).

Der Impfstoff Shingrix® im Jahr 2022 (Dr. med. Aline Munting)

Der Impfstoff Shingrix® zur Prävention von Herpes Zoster ist nunmehr in der Schweiz zugelassen und unter bestimmten Voraussetzungen erstattungsfähig [13]. Die Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus (VZV), zu der es bei durchschnittlich einer von drei Personen kommt, kann schwere Komplikationen wie die Post-Zoster-Neuralgie auslösen. Shingrix® ist ein rekombinanter Impfstoff auf Grundlage eines VZV-Oberflächenantigens (des Glykoproteins E) und des Adjuvans AS01B. Der Impfstoff stärkt die zellvermittelte Immunität gegen VZV, um die Virusreplikation unter Kontrolle zu halten. Zwei randomisierte Studien ergaben, dass der Impfstoff Herpes-Zoster-Episoden unabhängig vom Alter der Teilnehmenden in über 90% der Fälle verhindert [14]. Die von immunsupprimierten Personen verfügbaren Daten zeigen, dass der Impfschutz erhalten bleibt [15]. Die Einführung von Shingrix® in der Schweiz bietet also die Möglichkeit, Herpes-Zoster-Episoden in allen Risikogruppen zu vermindern und so die Lebensqualität zahlreicher Patientinnen und Patienten zu erhalten [13].
Dr. med. Eveline Hofmann,
Universitätsklinik für Infektiologie
Inselspital
Freiburgstrasse 18
CH-3010 Bern
1 Sonneveld MJ, Chiu SM, Park JY, et al. Probability of HBsAg loss after nucleo(s)tide analogue withdrawal depends on HBV genotype and viral antigen levels. J Hepatol. 2022; 6(5):1042-50.
2 Hirode G, Choi HSJ, Chen CH, et al. Off-Therapy Response After Nucleos(t)ide Analogue Withdrawal in Patients With Chronic Hepatitis B: An International, Multicenter, Multiethnic Cohort (RETRACT-B Study). Gastroenterology 2022;162(3):757-71.e4.
3 Carbapenem resistance in Switzerland. Available at: https://www.anresis.ch/antibiotic-resistance/resistance-data-human-medicine/. Accessed 5 September, 2022.
4 Paul M, Carrara E, Retamar P, et al. European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID) guidelines for the treatment of infections caused by multidrug-resistant Gram-negative bacilli (endorsed by European society of intensive care medicine). Clin Microbiol Infect. 2022;28(4):521-47.
5 Tamma PD AS, Bonomo RA, et al. IDSA Guidance on the Treatment of Antimicrobial-Resistant Gram-Negative Infections: Version 1.0. Available at: https://www.idsociety.org/practice-guideline/amr-guidance/. Accessed 5 September, 2022.
6 Tamma PD AS, Bonomo RA, et al. IDSA Guidance on the Treatment of Antimicrobial-Resistant Gram-Negative Infections: Version 2.0. Available at: https://www.idsociety.org/practice-guideline/amr-guidance-2.0/. Accessed 5 September, 2022.
7 Nutman A, Marchaim D. How to: molecular investigation of a hospital outbreak. Clin Microbiol Infect. 2019;25(6):688-95.
8 Martak D, Valot B, Sauget M, et al. Fourier-Transform InfraRed Spectroscopy Can Quickly Type Gram-Negative Bacilli Responsible for Hospital Outbreaks. Front Microbiol. 2019;10:1440.
9 Silva L, Rodrigues C, Lira A, et al. Fourier transform infrared (FT-IR) spectroscopy typing: a real-time analysis of an outbreak by carbapenem-resistant Klebsiella pneumoniae. Eur J Clin Microbiol Infect Dis. 2020;39(12):2471-5.
10 Thornhill JP, Barkati S, Walmsley S, et al. Monkeypox Virus Infection in Humans across 16 Countries – April-June 2022. N Engl J Med. 2022;387(8):679-91.
11 SSI/FCSTI Monkeypox treatment recommendations (Version 1.0, dated September 12th, 2022). https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/p-und-p/eksg/monkeypox-treatment-recommandations-ssi-fcsti.pdf.download.pdf/monkeypox-treatment-recommandations-ssi-fcsti.pdf. Accessed 20 February, 2023.
12 Analyserahmen und Empfehlungen zur Impfung gegen Affenpocken. Impfstoff MVA-BN® (Modified Vaccinia Ankara von Bavarian Nordic) (Stand 01.09.2022). Available at: https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/cc/kom/impfempfehlungen.pdf.download.pdf/Analyserahmen%20und%20Empfehlungen%20zur%20Impfung%20gegen%20Affenpocken.pdf. Accessed 20 February, 2023.
13 Neue Empfehlungen zur Impfung gegen Herpes zoster: Impfstoff Shingrix. BAG Bulletin (47 vom 22.11.2021).
14 Lal H, Cunningham AL, Godeaux O, et al. Efficacy of an adjuvanted herpes zoster subunit vaccine in older adults. N Engl J Med. 2015;372(22):2087-96.
15 Ilyas S, Chandrasekar PH. Preventing Varicella-Zoster: Advances With the Recombinant Zoster Vaccine. Open Forum Infect Dis. 2020;7(7):ofaa274.