Kurz und bündig
Journal Club Fokus auf … Zu guter Letzt

Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2023/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09329
Swiss Med Forum. 2023;23(0102):826-827

Affiliations
Medizinischer Direktor medinfo-Verlag

Publiziert am 11.01.2023

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Praxisrelevant

Genetische Disposition zu Alkohol- und/oder Nikotinabusus

Nikotinabusus soll für etwa 15% aller Todesfälle weltweit mitverantwortlich sein, Alkoholabusus für weitere zirka 5% (inklusive der durch ihn verursachten Unfälle). Die genetische Prädisposition und die entsprechenden Risikofaktoren werden gemeinhin mit Sequenzierung des gesamten Genoms analysiert und es wird versucht, die verwirrende Vielfalt von genetischen, zur Krankheit disponierenden Varianten in sogenannten polygenetischen Risiko-Scores zu quantifizieren.
Wieder zeigt sich, dass die heute verwendeten polygenetischen Risiko-Scores schwergewichtig auf der Grundlage von Daten weisser Bevölkerungsteile in den USA und in Europa konstruiert wurden und für andere Populationen nicht sehr aussagekräftig sind. Diese Erkenntnis wurde auf der Basis einer gigantischen Analyse von 3,4 Millionen individueller Genome, aber stammend aus vier verschiedenen genetischen Ethnien (mehr als ein Fünftel davon nicht europäisch) gewonnen.
Polygene Risiko-Scores ergänzen zunehmend die etablierten klinischen Risiko-Scores für die Vorhersage von Progression und Komplikationen im Verlauf, zum Beispiel von chronischen Erkrankungen. Sie werden fraglos immer wichtiger werden: Als Ärztin oder Arzt muss man sich aber aufgrund der migrationsbedingt grossen Veränderung der schweizerischen Bevölkerung sicher sein, dass die verwendeten Scores (wie die klinischen übrigens auch!) auf diese Bevölkerungsgruppe angewendet werden können.
Verfasst am 18.12.2022.

Auch im 2023 noch lesenswert

Gentherapie schlägt ein neues Kapitel bei den Hämoglobinopathien auf

Die Beta-Thalassämie ist eine kongenitale Hämoglobinopathie mit defekter Synthese des Beta-Hämoglobins, was zu einer chronischen mikrozytären, hypochromen Anämie und bei der homozygoten Major-Form zur Transfusionsbedürftigkeit (mit Gefahr der Eisenüberlastung) führt. Auch bei der Sichelzellanämie betrifft der Gendefekt (hier eine sogenannte Punktmutation) die Beta-Hämoglobin-Kette und führt zum Ersatz der Aminosäure Glutamin durch Valin. Die Folge ist, vor allem in der homozygoten Ausprägung, eine Polymerisierung des Hämoglobins bei Deoxygenierung (zum Beispiel Sauerstoffabgabe in der peripheren Zirkulation), was zu schmerzhaften ischämischen Gefässverschlüssen und zu Attacken einer hämolytischen Anämie führen kann.
Bei beiden Hämoglobinopathien gelang es, bei einer noch relativ kleinen Zahl von Patientinnen und Patienten modifizierte/normale Beta-Hämoglobin-Gensequenzen mit einem selbstinaktivierenden Virusvektor (Lentivirus) in autologe (vom Empfänger stammende) hämatopoetische Stammzellen zu transferieren und den Patientinnen und Patienten zu reinfundieren. Bei der Sichelzellanämie resultierten in den ersten zwei Jahren (= Studiendauer) eine deutliche Reduktion der hämolytischen Aktivität und ein vollständiges Sistieren der vasookklusiven Ereignisse [1]. Die Patientinnen und Patienten mit transfusionsbedürftiger Beta-Thalassämie konnten nach der Transfusion der modifizierten Stammzellen in fast allen Fällen ohne Erythrozytentransfusionen leben (Beobachtungszeit zum Zeitpunkt der Publikation = 12 Monate) [2].
1 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2117175.
2 N Engl J Med. 2022, doi.org/10.1056/NEJMoa2113206.
Verfasst am 17.12.2022.

Das hat uns nicht gefreut

Lebenswartung der Bienenvölker halbiert

Vor gerade gut zehn Jahren machte der phantastische Dokumentarfilm von Markus Imhof («More than Honey» respektive «Bitterer Honig») auf die Bedrohungslage der wichtigsten Pollinatoren, der Bienen, aufmerksam. Unvergessen die Filmsequenz aus einer chinesischen Provinz, in der verzweifelte Bauern wegen katastrophalen Bienenmangels versuchen, die Apfelblüten von Hand zu bestäuben.
Die in diesem Zusammenhang weit zitierte und angeblich (was jedoch für unwahrscheinlich gehalten wird) von Albert Einstein stammende Aussage, dass wenige Jahre nach dem Bienentod auch die Menschen ausstürben, erhellte damals die direkten potentiellen humanbiologischen Folgen. Bienenvölker sterben aus, wenn die Zahl der Arbeiter zu klein wird, wodurch sich mittelbar auch die Lebenserwartung der Königin(nen) reduziert. Bienenzüchtende sollen zwischenzeitlich während der Winterhalbjahre jeweils etwa einen Drittel ihrer Völker verlieren. Zahlen aus den USA zeigen, dass die Lebenserwartung der westlichen Honigbiene (Apis mellifera) in den letzten 50 Jahren von 34,4 auf noch 17,7 Tage zurückgegangen ist. Umweltgifte, Parasiten, aber auch genetische Varianten/Mutanten scheinen die wichtigsten der insgesamt aber noch schlecht definierten Gründe zu sein.
Verfasst am 17.12.2022.

Auch noch aufgefallen

Naturkatastrophen: Es ist nicht immer Takotsubo

Emotional belastende oder zu überschwänglicher Freude führende Geschehnisse (vielleicht ist auch der kürzliche, ziemlich aufregende Fussball-WM-Final dabei?) können Trigger eines akuten koronararteriellen Ereignisses sein. Aber auch sogenannte Stresskardiomyopathien mit akuter Ventrikeldilatation (Takotsubo-Syndrom) können dabei ausgelöst werden.
Wie in Frankreich 2022 hatten in Australien 2019–2020 verheerende Buschbrände gewütet. Eine Feldstudie findet, dass vor allem der, nennen wir ihn, thermische Stress zu einer signifikant erhöhten Wahrscheinlichkeit eines koronaren Ereignisses führte, während sich die Zahl der Takotsubo-Fälle bei den Hospitalisationen – trotz sicher noch zusätzlichen emotionalen Stresses – nicht signifikant veränderte. Auch die Menge an Feinstaub spielte eine eher kleinere Rolle. Sein Effekt war nur in der kombinierten Analyse mit der Umwelttemperatur signifikant.
Am J Med. 2023, doi.org/10.1016/j.amjmed.2022.08.013. Verfasst am 19.12.2022.
Zu guter Letzt
In kurz und bündiger Angelegenheit
Vor 30 Jahren habe ich die Tätigkeit als medizinischer Redaktor für den Schwabe und später den EMH-Verlag begonnen und trete nun zurück. Ein erstes persönliches Highlight meiner Tätigkeit war zunächst die im Jahr 2000 erfolgte Gründung der Weiter- und Fortbildungszeitschrift Schweizerisches Medizin-Forum, die ich als Chefredaktor aufbauen durfte. Deren Erfolg bei der Leserschaft hat uns alle in der Redaktion und im Verlag überrascht. Es war mir – als zweites Highlight – persönlich eine grosse Ehre, 2017 mit der Rubrik «Kurz und bündig» auf zwei weit herum und von mir ganz speziell geschätzte klinische Lehrer, beides brillante Internisten im klassischen Sinne, zu folgen: Bruno Truniger («Periskop») und Antoine de Torrenté («Und anderswo?»).
Das Aufspüren der Publikationen und das Verfassen der Texte war zeitaufwendig und erforderte Alltagsdisziplin (was mir zwar auch guttat). Oft habe ich etwas verzweifelt nach würdigen Publikationen gesucht, aber meist war so viel Spannendes zu finden, dass über viele durchaus erwähnenswerte Publikationen ein Embargo verhängt werden musste. Nach mehr als fünf Jahren und mehr als 1500 besprochenen Publikationen gebe ich nun den Weg frei für meine Nachfolger, Martin Krause und Lars Huber, beide bereits Redaktoren beim Schweizerischen Medizin-Forum, und wünsche Ihnen viel Freude dabei.
Nach 30 Jahren verabschiedet sich Prof. Reto Krapf aus der Redaktion.
© Sergey Kichigin / Dreamstime
Ich bin dankbar für diese Zeit und dabei ganz speziell Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Ihre Wertschätzung und Ihre vielen – auch die berechtigt kritischen – Rückmeldungen via unzählige persönliche Emails, direkte mündliche Mitteilungen und auch Leserbriefe haben mich sehr gefreut und weiter motiviert. Auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Verlag möchte ich danken. Zu Beginn und über viele Jahre waren namentlich Natalie Marty und in letzter Zeit Ana Cettuzzi sowie unsere Podcasterin, Nadja Pecinska, grosse Hilfen und haben wohlwollend unterstützend umgesetzt. Einen speziell grossen Dank richte ich an alle Redaktorinnen und Redaktoren des Forumsder letzten 22 Jahre. Die Zusammenarbeit mit allen war stimulierend, kreativ, interessant und immer sehr freundschaftlich.
Dies ist somit das letzte «Kurz und bündig» aus meiner Feder. Ich selber pflege mein medizinpublizistisches Hobby gerne weiter und engagiere mich fortan nebenberuflich als medizinischer Leiter des medinfo-Verlages (krapf@medinfo-verlag.ch).
Ich wünsche Ihnen von Herzen ein gesundes und gefreutes neues Jahr. Hoffen wir, dass 2023 nicht schon wieder ein annus horribilis werden wird.
Verfasst am 12.12.2022.
Fokus auf …
Monoklonaler Gammopathie ungeklärter Signifikanz
Die monoklonale Gammopathie ungeklärter Signifikanz (MGUS) ist die häufigste Störung der Plasmazellen respektive deren proliferativen Kontrolle.
Sie kommt bei >3% der Individuen jenseits des 50. Altersjahr, mit männlicher Prädominanz, vor.
Charakteristisch ist der Nachweis (im Blut und/oder Urin) abnormer, intakter Immunglobuline (bestehend aus leichten und korrespondierenden schweren Ketten) oder sogenannten Leichtketten (sogenannten freien Leichtketten).
Definitionsgemäss weist die MGUS keine klinischen Symptome und einen Plasmozyten- oder Lymphoplasmozytenanteil im Knochenmark von <10% auf.
Eine MGUS kann in ein Multiples Myelom, eine Makroglobulinämie (Morbus Waldenström) oder eine Leichtketten-Amyloidose mit einer lebenslänglichen, jährlichen Progressionsrate von 1–1,5% übergehen.
Die MGUS wird entsprechend der Wahrscheinlichkeit des Übergehens in eine der drei Folgeerkrankungen klassifiziert [1].
Risikofaktoren sind autoimmune Erkrankungen (bei den betroffenen Individuen oder deren Familien) und mit grosser Wahrscheinlichkeit Umwelttoxine (Pestizide).
Erinnert für die Differentialdiagnose sei, dass es auch monoklonale Gammopathien mit Signifikanz gibt: unter anderen autoimmune Erkrankungen und eine Reihe von Nierenerkrankungen, namentlich verschiedene Glomerulonephritiden [2].
1 Leukemia. 2010, doi.org/10.1038/leu.2010.60 (andere Klassifikationen bestehen und sind in der folgenden Zitation referenziert).
2 Ann Intern Med. 2022, doi.org/10.7326/AITC202212200.Verfasst am 18.12.2022.