20 Jahre TAVI: ein Paradigmenwechsel in der Therapie der schweren Aortenstenose
Schlaglicht: Kardiologie

20 Jahre TAVI: ein Paradigmenwechsel in der Therapie der schweren Aortenstenose

Medizinische Schlaglichter
Ausgabe
2023/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09332
Swiss Med Forum. 2023;23(05):875-877

Affiliations
Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital, Universität Bern, Bern

Publiziert am 01.02.2023

Der Transkatheter-Aortenklappenersatz verfügt über eine so breite und konsistente Evidenz, dass internationale Leitlinien seine Indikation auf jüngere Personen und unabhängig vom chirurgischen Risiko ausweiten.

Einführung

Die erste Transkatheter-Aortenklappenimplantation («transcatheter aortic valve implantation» [TAVI]) wurde vor 20 Jahren durch den Kardiologen Alain Cribier in Rouen (Frankreich) erfolgreich durchgeführt. In der Schweiz erfolgte die erste TAVI nach CE-Zertifizierung im Jahr 2007 und findet mit derzeit jährlich 1800 Eingriffen breite klinische Anwendung, deren Qualität systematisch schweizweit im Rahmen des SWISS-TAVI-Registers erfasst wird. Die Intervention wird in leichter Sedoanalgesie ohne Sternotomie am schlagenden Herzen durchgeführt. Dies ist nicht nur schonender und mit einer rascheren Wiederherstellung der Lebensqualität verbunden, sondern resultiert ebenfalls in einer Ressourcenschonung aufgrund kürzerer Eingriffszeiten, entfallender Notwendigkeit einer Herzlungenmaschine, des Umgehens des Aufenthalts auf der Intensivstation sowie des häufigeren Austritts direkt nach Hause.
Während der letzten zwei Dekaden wurden bisher neun randomisierte Studien mit primär klinischen Endpunkten bei 9291 Patientinnen und Patienten durchgeführt, was zu einer beispielhaften Etablierung der Evidenzlage von TAVI im direkten Vergleich gegenüber der chirurgischen Aortenklappenoperation («surgical aortic valve replacement» [SAVR]) geführt hat. Eine Synthese der Daten von allen randomisierten Studien zeigt im Verlauf von bis zu zwei Jahren einen moderaten Überlebensvorteil (transfemorale TAVI versus SAVR: Hazard Ratio [HR] 0,83, 95% Confidence Intervall [CI] 0,72–0,94, p = 0,032) und eine tiefere Schlaganfallrate (HR 0,81, 95% CI 0,68–0,98, p = 0,028) zugunsten der transfemoralen TAVI, die konsistent unabhängig vom chirurgischen Risiko beobachtet wurde. Während das Risiko von Zugangskomplikationen der Gefässe, paravalvulärer Aorteninsuffizienz und Schrittmacherimplantation nach TAVI erhöht ist, ist die Häufigkeit von schwerwiegenden Blutungen, neu auftretendem Vorhofflimmern und schwerer Niereninsuffizienz reduziert [1].
Die aktualisierten Leitlinien der amerikanischen (2020 – «American College of Cardiology» / «American Heart Association» [ACC/AHA]) [2] und europäischen (2021 – «European Society of Cardiology» / «European Association for Cardio-Thoracic Surgery» [ESC/EACTS]) [3] Gesellschaften für Kardiologie und Herzchirurgie tragen dieser Datenlage Rechnung. Die amerikanischen Leitlinien ordnen sowohl TAVI (bei geeigneten anatomischen Voraussetzungen) und SAVR bei über 65-Jährigen eine Klasse-IA-Indikation zu sowie eine präferentielle Berücksichtigung von TAVI bei über 80-Jährigen (Abb. 1). Die «Food and Drug Administration» (FDA) hat TAVI mit den zugelassenen US-Prothesen bei Personen mit niedrigem Risiko genehmigt und kommt zur Schlussfolgerung, dass der Nutzen die potentiellen Risiken überwiegt. In den 2021er ESC/EACTS-Leitlinien wird die TAVI mit einer Klasse-IA-Indikation generell bei Patientinnen und Patienten über 75 Jahre empfohlen, falls gemäss Herzteam eine anatomische Eignung für TAVI besteht. Bei Personen mit tiefem chirurgischen Risiko, die ihr 75. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, oder bei für TAVI ungeeigneten Patientinnen und Patienten wird SAVR mit einer Klasse-IA-Indikation empfohlen (Abb. 1).
Abbildung 1: Die Abbildung zeigt die wesentlichen Empfehlungen der europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften hinsichtlich der Anwendung von TAVI versus SAVR.
AHA: American Heart Assocation, ACC: American College of Cardiology, ESC: European Society of Cardiology, EATCS: European Association for Cardio-Thoracic Surgery; EuroSCORE: European System for Cardiac Operative Risk Evaluation; SAVR: surgical aortic valve replacement; STS-PROM: Society of Thoracic Surgeons Predicted Risk of Mortality Score; TAVI: transcatheter aortic valve implantation.
Zusammengefasst ist die wesentlichste Anpassung in den ESC/EACTS-Leitlinien, dass über 75-Jährige bei anatomischer Eignung präferentiell mit TAVI behandelt werden sollten, und zwar unabhängig vom antizipierten chirurgischen Risiko gemäss «Society of Thoracic Surgeons»-(STS-)Score . Das ist in der Schweiz aktuell nicht möglich, da trotz überwältigender Evidenzlage Patientinnen und Patienten mit niedrigem chirurgischen Risiko von der Leistungspflicht durch die Krankenversicherungen ausgenommen sind. Dies obwohl mehrere Kosteneffektivitätsanalysen aus der EU, den USA und Kanada gezeigt haben, dass TAVI trotz initial höherer Devicekosten infolge der tieferen Folgekosten kostengünstig ist im Vergleich zu SAVR.

TAVI bei über 75-Jährigen

Welche Daten unterstützen den präferentiellen Einsatz von TAVI bei niedrigem chirurgischen Risiko und wie sinnvoll ist der Altersgrenzwert 75? Es liegen zwei grosse, randomisierte Studien mit einer bisherigen Laufzeit von zwei Jahren, eine grosse Studie aus Grossbritannien mit einer Verlaufszeit von einem Jahr sowie eine kleinere Studie mit einer Beobachtungszeit von acht Jahren vor. In der PARTNER-3-Studie, die 1000 Patientinnen und Patienten mit niedrigem chirurgischen Risiko eingeschlossen hat, zeigte sich nach zwei Jahren eine geringere Inzidenz des primären Endpunktes Tod, Hirnschlag und Rehospitalisation nach TAVI mit ballonexpandierbaren Prothesen im Vergleich zu SAVR (17,4% versus 11,5%, p = 0,007). Der Unterschied war vor allem auf eine Reduktion der Anzahl Rehospitalisationen nach TAVI zurückzuführen (8,5% versus 12,5%, p = 0,046) [4]. Die 2-Jahres-Daten der «Evolut Low Risk»-Studie, die 1414 Patientinnen und Patienten mit einem niedrigen chirurgischen Risiko eingeschlossen hat, zeigte vergleichbare Resultate hinsichtlich des primären Endpunktes Tod und invalidisierender Hirnschlag zwischen einer selbstexpandierbaren TAVI (4,3%) und SAVR (6,3%, p = 0,084) [5]. Das Durchschnittsalter lag in beiden Studien bei 74 Jahren, was den Altersgrenzwert von 75 Jahren in den europäischen Leitlinien stützt. Die industrieunabhängige, randomisierte UK-TAVI-Studie verglich TAVI mit SAVR bei über 70-Jährigen mit niedrigem bis moderatem Risiko und rapportierte eine statistisch vergleichbare Sterblichkeit nach einem Jahr (4,6% versus 6,6%, p = 0,23) unabhängig vom Alter und chirurgischen Risiko [6]. Längerfristige Daten von randomisierten Studien liegen von einer Untersuchung vor, die TAVI mit SAVR bei 280 Patientinnen und Patienten (79 Jahre, 81% mit niedrigem Risiko) verglichen hat. Nach acht Jahren betrug der Endpunkt Tod, Hirnschlag oder Myokardinfarkt 54,5% nach TAVI und 54,8% nach SAVR (p = 0,94). Es gab keinen Unterschied betreffend Risiko eines schweren Bioklappenversagens zwischen den beiden Behandlungsgruppen (TAVI 8,7% versus SAVR 10,5%, p = 0,61) [7].
Zusammenfassend deuten alle verfügbaren Studien konsistent darauf hin, dass TAVI bei jüngeren Patientinnen und Patienten (>70 Jahre) mit niedrigem chirurgischen Risiko (STS <3–4%) mindestens ebenbürtige respektive bessere klinische Ergebnisse als SAVR verzeichnet. Unbeantwortet bleibt die Frage nach der längerfristigen Klappendurabilität über zehn Jahre hinaus und bei unter 70-Jährigen. Vor diesem Hintergrund ist der von den 2021er ESC/EACTS-Leitlinien vorgeschlagene Altersgrenzwert 75 eine konservative und nachvollziehbare Bewertung der Evidenz, da die durchschnittliche Lebenserwartung mit behandelter Aortenstenose zu diesem Zeitpunkt etwa zehn Jahre beträgt. In Deutschland besteht der Konsens zwischen den kardiologischen und herzchirurgischen Fachgesellschaften, TAVI ab dem Alter von 70 Jahren in Betracht zu ziehen. Entgegen der verbreiteten Annahme fehlen Langzeiterhebungen mit regelmässiger Echokardiographie betreffend chirurgischen Bioprothesen. Man kann aufgrund der verfügbaren chirurgischen Beobachtungsstudien davon ausgehen, dass schwerwiegende Klappendegenerationen zehn Jahre nach Implantation ungefähr in jedem zehnten Fallauftreten und nach 15 Jahren in jedem fünften. Ob sich die Durabilität der TAVI über zehn Jahre hinaus ähnlich verhält, bleibt derzeit ungeklärt, wobei individuell im Herzteam getroffene Entscheidungen heutzutage das Lifetime-Management in Betracht ziehen [8].

Operatives Risiko ist nicht länger adäquater Parameter der Therapiewahl

Obwohl der Vergleich von TAVI mit SAVR konsistente Daten unabhängig vom chirurgisch antizipierten Risiko aufweist und entsprechend die 2021er ESC/EACTS-Leitlinien eine Therapieallokation im Herzteam basierend auf Alter und anatomischen und klinischen Faktoren – nicht aber STS-Score – empfehlen, bleibt in der Schweiz der STS-Score oder das «European System for Cardiac Operative Risk Evaluation» (EuroSCORE) aktuell das zentrale Element für die TAVI-Rückvergütung. Unter den anatomischen Voraussetzungen ist ein guter femoraler Zugang eine wesentliche Voraussetzung für die guten Ergebnisse bei TAVI im Vergleich zu SAVR. Daten für alternative Zugänge sind weniger gut etabliert und kommen vorab bei inoperablen oder Hochrisikopersonen zum Einsatz. Die Klappenanatomie wird routinemässig mittels CT-Angiographie des Aortenklappenapparats sowie der Zugangswege erhoben. In der CT Angiographie lässt sich anatomisch erkennen, ob eine TAVI mit gutem Resultat durchgeführt werden kann oder ob Faktoren vorliegen, die für SAVR sprechen. Selten besteht ein zu geringer Koronarabstand, der das Koronarverschlussrisiko ansteigen lässt. Bikuspide Klappen wie auch sehr ausgeprägte Verkalkungen erhöhen das Risiko einer relevanten paravalvulären Insuffizienz nach TAVI. Schwere Kalzifikationen des linksventrikulären Ausflusstraktes («left ventricular outflow tract» [LVOT]) steigern das Annulusrupturrisiko. Auch der koronar- und echokardiographische Befund ist relevant: Besteht eine schwere koronare Herzkrankheit, ist ein chirurgischer Kombinationseingriff vorzuziehen. Liegen weitere relevante Klappenvitien (schwere Trikuspidalklappeninsuffizienz, schwere primäre Mitralklappeninsuffizienz oder Stenose) vor, ist ein chirurgischer Eingriff präferiert. Die Gesamtheit der Befunde und Komorbiditäten wird obligat im interdisziplinären Herzteam diskutiert, um den für individuell optimalsten Behandlungsweg zu wählen. Schliesslich ist auch die Patientenpräferenz im Anschluss an eine objektive Information über beide Therapieverfahren in die Entscheidung miteinzubeziehen.

Schlussfolgerung

Der Einsatz von TAVI als Standardtherapie bei Aortenklappenstenose nimmt weltweit zu, da dieses Verfahren dem chirurgischen Aortenklappenersatz mindestens ebenbürtig ist und mit einer rascheren Rekonvaleszenz und besseren Lebensqualität einhergeht. Dass TAVI damit von Personen mit schwerer Aortenstenose als bevorzugte Methode angesehen wird, liegt auf der Hand. Die Datenlage bei über 75-Jährigen mit niedrigem operativen Risiko zeigt kurz- und mittelfristige Ergebnisse einschliesslich Mortalität, die gegenüber SAVR mindestens ebenbürtig respektive überlegen sind und aus Patientenperspektive unmittelbar einen höheren Stellenwert einnehmen als potentielle Überlegungen hinsichtlich langfristiger Durabilität über zehn Jahre hinaus, die sich bei der Mehrzahl der Patientinnen und Patienten nicht manifestieren wird. In der Schweiz werden die Vergütungskriterien angepasst werden müssen, um diesen Personen eine leitlinienkonforme Behandlung zu ermöglichen. Der Einsatz von TAVI bei unter 75-Jährigen ist wegen der längeren Lebenserwartung (>10 Jahre) noch unklar und Therapieentscheide sind deswegen individuell im Herzteam abzuwägen. Mit zunehmender Verwendung von Bioklappen (SAVR und TAVR) bei jüngeren Patientinnen und Patienten gewinnt das Thema Lebenszeitmanagement der Aortenklappenstenose an Bedeutung. Dieses zieht von Anbeginn her die Möglichkeit einer beschränkten Lebensdauer wegen Klappendegeneration in Betracht und antizipiert Therapieoptionen für diese Szenarien.
Prof. Dr. med. et phil. Lorenz Räber
Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital, Universität Bern, Bern
Prof. Dr. med. Stephan Windecker
Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital, Universität Bern, Bern
Prof. Dr. med. et phil. Lorenz Räber
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital, Universitätsspital Bern
Freiburgstrasse 18
CH-3010 Bern
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