Überlegungen zur Ileum-Pouch-analen Anastomose bei totaler Kolonaganglionose
Schlaglicht: Kinderchirurgie

Überlegungen zur Ileum-Pouch-analen Anastomose bei totaler Kolonaganglionose

Medizinisches Schlaglicht
Ausgabe
2023/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09363
Swiss Med Forum. 2023;23(18):40-41

Affiliations
Fachbereich Kinder- und Jugendchirurgie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen

Publiziert am 03.05.2023

Im Fall einer totalen Kolonaganglionose stehen nach der Darmresektion verschiedene Anastomosetechniken zur Verfügung. Dieser Beitrag diskutiert die in der Erwachsenenchirurgie bei anderen Erkrankungen etablierte Technik einer Ileum-Pouch-analen Anastomose.

Einleitung

Beim Morbus Hirschsprung handelt es sich um eine angeborene Innervationsstörung des Darmes, bei der die Ganglienzellen des Plexus myentericus und Plexus submucosus fehlen. Die Erkrankung betrifft immer den distalsten Anteil des Kolons/Rektums, mit variabler Länge nach proximal (Maximalvariante: totale Aganglionose des gesamten Darmes). Dies führt zu einer Dysmotilität im betroffenen Darmabschnitt mit dem Resultat einer funktionellen Passagestörung bis hin zum Ileus. Die bislang einzige Möglichkeit zur Verbesserung der Situation ist die Resektion des betroffenen Darmabschnittes und die Wiederherstellung der Darmkontinuität mit einer tiefen Anastomose, häufig nach vorheriger Anlage eines protektiven Ileo- respektive Transversostomas. Bei Säuglingen kann die Durchzugsoperation häufig ohne protektives Stoma mit gutem Erfolg durchgeführt werden. Hierbei haben sich verschiedene Techniken etabliert (Swenson, Soave, Duhamel, de la Torre), die sich hinsichtlich der postoperativen Morbidität und des funktionellen Outcomes nicht wesentlich unterscheiden.
Die überwiegende Mehrheit der Patientinnen und Patienten zeigt einen Befall im Bereich Sigma/Rektum, bei weniger als 10% ist das gesamte Kolon betroffen. Für letztere Gruppe besteht ein Überhang der Buben von 1,5–3:1 [5, 7, 8]. Diese schwere Erkrankung stellt für die Betroffenen, die Familie sowie das Behandlungsteam eine Herausforderung dar, muss doch eine totale Kolektomie erfolgen. Es besteht hier nach ileoanaler respektive ileorektaler Anastomose die Problematik der hohen Frequenz flüssiger Stühle sowie der permanenten Peristaltik des Dünndarmes, die eine starke Drangsymptomatik zur Folge hat. Die postoperativen Ergebnisse hinsichtlich Lebensqualität orientieren sich an den Faktoren Stuhlfrequenz und Stuhlkontinenz. Der perianalen Hautpflege kommt hier eine besondere Bedeutung zu [6–8].
Verschiedene operative Verfahren stehen zur Verfügung, die diese Fragestellung auf unterschiedliche Weise aufgreifen. Hinsichtlich der postoperativen Morbidität sowie des funktionellen Outcomes scheint keines der Verfahren Vorteile gegenüber den anderen aufzuweisen [9]. Es ist allerdings hervorzuheben, dass aufgrund der Seltenheit der Erkrankung (1:50 000 [6, 9]) die vorhandenen Studien keinen hohen Evidenzgrad aufweisen.
Die J-Pouch-Anlage nach totaler Kolektomie sollte bei der Operationsplanung in Erwägung gezogen werden.
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Reservoir-/Patch-Prozeduren mit einem aganglionären Darmanteil

Bei den Verfahren nach Duhamel/Martin und Kimura/Boley erfolgt der Durchzug des ganglionären Dünndarms mit zusätzlicher Seit-zu-Seit-Anastomosierung eines Segmentes des aganglionären Dickdarmes. Ziel ist der Erhalt der resorptiven Kapazität des Dickdarmes. Diese Verfahren stehen jedoch aufgrund der unphysiologischen fäkalen Stase im Dünndarm, die zur bakteriellen Fehlbesiedlung führen kann mit den Folgen einer hohen Rate an Enterokolitiden sowie sekretorischer Diarrhoe, in der Kritik [4, 6, 9].

Ileum-Pouch-Bildung ohne Verwendung von aganglionärem Darm

Bei der Behandlung der totalen Kolonaganglionose wurde die direkte ileoanale respektive ileorektale Anastomose der Anastomose mit Bildung eines J-Pouches lange Zeit vorgezogen. Dies da auch ohne Pouch-Anlage mit einer Verbesserung der resorptiven Kapazität und damit einhergehend einer Normalisierung der Stuhlfrequenz gerechnet werden kann [4, 8]. Die Bildung eines distalen Reservoirs (Pouch) ist im Rahmen der Behandlung der Colitis ulcerosa sowie der familiären adenomatösen Polyposis seit vielen Jahren auch im Kindesalter etabliert [1].
Beim J-Pouch wird nach totaler Kolektomie das anal zu anastomosierende ganglienzellhaltige Ileumsegment J-förmig gefaltet und mit dem Endo ​GIATM extrakorporal vernäht. Die Länge des Pouches wird mit 5 bis maximal 10 cm angegeben [6]. Anschliessend erfolgt die anale respektive endorektale Anastomose [8].
In zwei Studien mit insgesamt 20 Kindern wurden keine frühen postoperativen Komplikationen beschrieben, die Dauer des stationären Aufenthaltes betrug im Median 11 beziehungsweise 13 Tage [6, 8].

Funktionelles Outcome

Langfristige Überlegungen betreffen den Entwicklungs- und Ernährungsstatus (unabhängig vom chirurgischen Verfahren), das Auftreten einer Pouchitis sowie das funktionelle Outcome. Die Enterokolitis ist dabei nicht vermeidbar, ihr Risiko steigt mit der Länge des aganglionär betroffenen Darmes und wird in der Regel mit antibiotischer Therapie und rektalen Einläufen behandelt [6]. Die Pouchitis ist vor allem bei Colitis ulcerosa eine häufige Folge, erkennbar bei erhöhtem fäkalen Calprotectin sowie dem histologischen Nachweis einer Inflammation [6].
Hukkinen et al. berichten von 10 Kindern mit totaler Kolonaganglionose, die nach totaler Kolonresektion eine Ileum-J-Pouch-anale Anastomose erhielten. Bei keinem Kind trat eine histologisch nachweisbare Pouchitis auf [6]. Dieses Ergebnis kann in einer aktuellen Arbeit bestätigt werden: Reinshagen et al. berichten über den postoperativen Verlauf von 12 Patientinnen und Patienten mit Proktokolektomie mit Ileum-J-Pouch-analer Anastomose. In keinem Fall wurde die Diagnose einer Pouchitis gestellt [8].
Seetharamaiah et al. zeigen in einem postoperativen Beobachtungszeitraum von drei Jahren eine Rate von 49% bei Anlage eines J-Pouches im Vergleich zu 24% ohne Pouch. Allerdings wurden hier Patientinnen und Patienten mit Colitis ulcerosa und familiärer adenomatöser Polyposis mitberücksichtigt [2, 3]. Es ist somit davon auszugehen, dass die Pouchitis eher bei inflammatorischen Erkrankungen, wie der Colitis ulcerosa, eine Rolle spielt.
Die Stuhlfrequenz nach J-Pouch-Anlage wird als seltener beschrieben als nach reiner ileoanaler Anastomose ohne Pouch [2, 3, 6, 8], so nach 24 respektive 36 Monaten mit 3,5 beziehungsweise 4–5 Stuhlgängen innerhalb von 24 Stunden [6, 8].
Urla et al. berichten über 11 Patientinnen und Patienten, die nach unterschiedlichen Operationsmethoden versorgt wurden. 7 davon (Alter >6 Jahre) wurden nachbefragt, das Follow-up-Intervall betrug 78 Monate. Alle 7 Patientinnen und Patienten zeigten eine vollständige Kontinenz für Stuhl [7].
Bereits im Alter von drei Jahren waren nach Hukkinen et al. schon 9/10, nach Reinshagen et al. 6/9 Patientinnen und Patienten nach J-Pouch-Anlage vollständig kontinent [6, 8].

Fazit

Bedingt durch die Seltenheit der Erkrankung lässt sich keine generelle Empfehlung mit hoher Evidenz zur chirurgischen Therapie der totalen Kolonaganglionose aussprechen. Die J-Pouch-Anlage nach totaler Kolektomie scheint sich dennoch bei geringer postoperativer Komplikationsrate günstig auf die Stuhlfrequenz und -kontinenz auszuwirken und sollte daher bei der Operationsplanung in Erwägung gezogen werden.
Dr. med. Alexander Mack
Fachbereich Kinder- und Jugendchirurgie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. Alexander Mack
Fachbereich Kinder- und Jugendchirurgie
Ostschweizer Kinderspital
Claudiusstrasse 6
CH-9006 St. Gallen
alexander.mack[at]kispisg.ch
1 Taylor BM, Cranley B, Kelly KA, Phillips SF, Beart RW Jr, Dozois RR. A clinico-physiological comparison of ileal pouch-anal and straight ileoanal anastomoses. Ann Surg. 1983;198(4):462–8.
2 Rintala RJ, Lindahl HG. Proctocolectomy and J-pouch ileo-anal anastomosis in children. J Pediatr Surg. 2002;37(1):66–70.
3 Seetharamaiah R, West BT, Ignash SJ, Pakarinen MP, Koivusalo A, Rintala RJ, et al. Outcomes in pediatric patients undergoing straight vs J pouch ileoanal anastomosis: a multicenter analysis. J Pediatr Surg. 2009;44(7):1410–7.
4 Bischoff A, Levitt MA, Pena A. Total colonic aganglionosis: a surgical challenge. How to avoid complications? Pediatr Surg Int. 2011;27(10):1047–52.
5 Laughlin DM, Friedmacher F, Puri P. Total colonic aganglionosis: a systematic review and meta-analysis of long-term clinical outcome. Pediatr Surg Int. 2012;28(8):773–9.
6 Hukkinen M, Koivusalo A, Rintala RJ, Pakarinen MP. Restorative proctocolectomy with J-pouch ileoanal anastomosis for total colonic aganglionosis among neonates and infants. J Pediatr Surg. 2014;49(4):570–4.
7 Urla C, Lieber J, Obermayr F, Busch A, Schweizer R, Warmann SW, et al. Surgical treatment of children with total colonic aganglionosis: functional and metabolic long-term outcome. BMC Surgery. 2018 18(1):58.
8 Reinshagen K, Burmester G, Hagens J, Krebs TF, Tomuschat C. Colectomy Followed by J-Pouch Reconstruction to Correct Total Colonic Aganglionosis. Children (Basel). 2022;9(1):101.
9 Marquez TT, Acton RD, Hess DJ, Duval S, Saltzman DA. Comprehensive review of procedures for total colonic aganglionosis. J Pediatr Surg. 2009;44(1):257–65.