Kurz und bündig
Fokus auf … Journal Club Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

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Ausgabe
2023/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09369
Swiss Med Forum. 2023;23(07):898-899

Affiliations
Wissenschaftliche Redaktion Swiss Medical Forum

Publiziert am 15.02.2023

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Fokus auf …
Migräne
Migräne ist eine komplexe Form primärer Kopfschmerzen, die sich häufig im Jugend- respektive jungen Erwachsenenalter erstmanifestiert. Die Prävalenz ist in der 4. und 5. Dekade am höchsten, Frauen sind deutlich häufiger betroffen.
Die Diagnose wird klinisch gestellt: Typisch sind unilaterale, pochende Kopfschmerzen, Photo-/Phonophobie und Nausea. Eine Aura – meist visuelle («Flimmerskotom») oder sensorische Phänomene – dauert maximal eine Stunde und bildet sich vor Einsetzen der Kopfschmerzen komplett zurück.
Bei normaler neurologischer Untersuchung und typischer Anamnese braucht es keine kraniale Bildgebung. Eine Elektroenzephalographie ist in der Regel nicht indiziert. Die meisten Migräneattacken können damit ambulant – in der Praxis – diagnostiziert und behandelt werden.
Sekundäre Kopfschmerzen gilt es aber auszuschliessen: Warnhinweise sind unter anderem Alter >50 Jahre bei Erstmanifestation, Schwangerschaft (Präemklampsie!), Fieber und Entzündungszeichen, fokale neurologische Defizite, Kiefer-Claudicatio (Riesenzellarteritis!) …
Leichte bis mittelschwere Migräneattacken können mit Paracetamol, Acetylsalicylsäure und nichtsteroidalen Antirheumatika behandelt werden. Bei schweren Attacken (Bettlägerigkeit, Erbrechen) sind migränespezifische Medikamente indiziert: Primär kommen Triptane zum Einsatz. Bei kardiovaskulären Kontraindikationen sind Gepante und Ditane orale Alternativen, wobei diese Präparate in der Schweiz noch nicht zugelassen sind.
Zur Prävention kommen neben Lebenstilmassnahmen – Schlafhygiene, körperliche Aktivität, moderater Koffein- und Analgetikakonsum –, auch Nahrungssupplemente (Magnesium) und medikamentöse Ansätze infrage. Am meisten Erfahrung besteht diesbezüglich mit Betablockern.
Ann Intern Med. 2023, doi.org/10.7326/AITC202301170.
BMJ. 2022, doi.org/10.1136/bmj-2021-067670.Verfasst am 20.1.23_HU.

Praxisrelevant

Acetylsalicylsäure als Thromboseprophylaxe?

Ja: zumindest bei Patientinnen und Patienten nach orthopädischem Trauma, im Speziellen bei Personen mit operativer Versorgung einer beliebigen Extremitätenfraktur (Schulter bis Handgelenk, Hüfte bis Mittelfuss) respektive mit einer Becken- oder Azetabulumfraktur.
Verglichen wurde in dieser multizentrischen Noninferioritätsstudie Acetylsalicylsäure (Aspirin®; 81 mg, in der ungewöhnlichen Verabreichung zweimal täglich) mit niedermolekularem Heparin (Enoxaparin 30 mg, zweimal täglich). Die Thromboseprophylaxe wurde durchschnittlich über knapp neun Tage (hohe Varianz!) im Spital und für weitere 21 Tage im ambulanten Setting verabreicht. In der Acetylsalicylsäuregruppe wurden im Follow-up über drei Monate zwar etwas häufiger tiefe Beinvenenthrombosen beobachtet (2,51% versus 1,71%). Keine signifikanten Unterschiede fanden sich aber bei der Mortalität und auch nicht bei der Inzidenz von Lungenembolien oder Blutungskomplikationen.
Für die Thromboseprophylaxe wird Acetylsalicylsäure damit wohl zu einer kostengünstigen Alternative, die auch den Präferenzen der Patientinnen und Patienten (Tablette anstatt Spritze) entgegenkommt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die einschlägigen Guidelines dahingehend angepasst werden.
Anzumerken bleibt, dass sich diese Option ausschliesslich auf das Kollektiv der Patientinnen und Patienten beschränkt, bei denen lediglich das orthopädische Trauma als Risikofaktor für eine Thromboembolie identifiziert werden kann.
N Engl J Med. 2023, doi.org/10.1056/NEJMoa2205973.
Verfasst am 20.1.23_HU.

Nirmatrelvir/Ritonavir bei Omicron auch nach Impfung sinnvoll?

Nirmatrelvir/Ritonavir (N/R) ist ein weltweit zugelassenes, orales antivirales Mittel gegen SARS-CoV-2, das in vielen Ländern noch zögerlich eingesetzt wird. Die Zurückhaltung hängt möglichweise mit der niedrigen Virulenz der aktuell zirkulierenden Omicron-Varianten und mit der Durchimpfung der Population zusammen.
In dieser retrospektiven Beobachtungsstudie wurde der Effekt von N/R in einem fast vollständig geimpften Patientenkollektiv geprüft, das mit verschiedenen Omicron-Varianten angesteckt war. Die 44 ​551 Personen waren >50 Jahre alt und 90% von ihnen mindestens mit drei Dosen geimpft. 28% wurden innerhalb von fünf Tagen nach Symptombeginn mit N/R behandelt. Sie wurden verglichen mit den 72%, die kein N/R erhalten haben. Endpunkt waren Hospitalisation innerhalb von 14 Tagen oder COVID-19-assoziierter Tod innerhalb von 28 Tagen. Von den Behandelten erlitten 0,52% und von den Unbehandelten 0,93% den Endpunkt, die Risikoreduktion durch N/R betrug 44%. Bei den Subgruppen fiel auf, dass die Risikoreduktion 55% ausmachte, wenn bei Geimpften die letzte Impfung >20 Wochen zurücklag, und 81%, wenn die Patientinnen und Patienten ungeimpft waren. Weder das Alter noch der Body Mass Index beeinflussten die Risikoreduktion.
Auch wenn in einer geimpften >50-jährigen Population die Omicron-Infektionen eine tiefe Komplikationsrate aufweisen, zeigt sich durch N/R eine weitere respektable Reduktion von Hospitalisation oder Tod. In der Schweiz wird N/R bei allen >75-Jährigen und bei ungeimpften >60-Jährigen empfohlen.
Ann Intern Med. 2023, doi.org/0.7326/M22-2141.
Verfasst am 26.1.2023_MK.

Auch noch aufgefallen

Eine Rarität: der schwarze Pleuraerguss

Die Pleuraflüssigkeit ist normalerweise hell, klar, bernsteinfarben. Bei der Punktion im klinischen Alltag ist sie gelegentlich trüb, putrid-eitrig oder blutig. Dass sich das Pleurapunktat schwarz präsentiert, ist hingegen eine Rarität. Entsprechend überschaubar ist die Differentialdiagnose einer schwarzen Pleuraflüssigkeit: Pilzinfektionen (Aspergillus niger), pleural metastasiertes Melanom, Ösophagusperforation durch eine zu hoch dosierte Therapie mit Medizinalkohle. Ebenfalls beschrieben ist ein schwarzer Pleurarerguss im Zusammenhang mit einer pankreatikopleuralen Fistel – auch diese eine Seltenheit: Fistelbildungen finden sich vor allem bei Patientinnen und Patienten mit chronischer Pankreatitis (<0,5% der Fälle), etwas häufiger bei Ausbildung von Pseudozysten. Die Schwarzfärbung der Pleuraflüssigkeit ist dann möglicherweise durch eine chronische Blutung bedingt. Da sich die Betroffenen in der Regel mit respiratorischen und nicht mit abdominalen Symptomen präsentieren, wird die Diagnose einer pankreatikopleuralen Fistel meist verzögert gestellt. Neben der geeigneten Bildgebung (endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie [ERCP] als Goldstandard) sind erhöhte pleurale Amylase-Werte diagnostisch hilfreich: Werte >1000 U/l gelten als hinweisend, exorbitant hohe Werte (>50 000 U/l) sind praktisch beweisend für eine pankreatikopleurale Fistel.
Verfasst am 15.1.23_HU.
Für Ärztinnen und Ärzte am Spital
Blutdrucksenkung nach Hirnschlag: Vorsicht!
Bei einem Schlaganfall mit Verschluss einer grossen intrakraniellen Arterie gehört die endovaskuläre Thrombektomie heute zur Standardtherapie. Postinterventionell hat der Fokus auf die Einstellung des Blutdrucks (BD) eine hohe Priorität. Häufig sind die BD-Werte nach dem Ereignis hoch und werden als ungünstig für das Schlussresultat angesehen.
Bluthochdruck nach Hirnschlag und endovaskulärer Reperfusion: wie stark soll gesenkt werden?
© Sudok1 / Dreamstime
Systolische BD-Werte >180 mm Hg sollten gesenkt werden, aber wie tief? Dies wurde in einer randomisierten Studie in 44 Spitälern in China bei >800 Patientinnen und Patienten mit anhaltendem systolischen Druck >140 mm Hg nach der Intervention untersucht. Dabei wurde eine Gruppe (407 Studienteilnehmende) mit intensivem systolischen BD-Ziel <120 mm Hg mit einer Gruppe (409 Personen) mit laxerem systolischen Ziel 140–180 mm Hg verglichen. Es wurde versucht, den BD innerhalb einer Stunde in den Zielbereich zu senken und über drei Tage zu halten. Nach drei Monaten wurden die Patientinnen und Patienten nach dem modifizierten Rankin Scale beurteilt.
Ursprünglich wollte man die Studie auf andere Länder erweitern, um mindestens 2000 Personen zu rekrutieren. Sie wurde aber vorzeitig abgebrochen, weil die Gruppe mit intensiver BD-Senkung <120 mm Hg gegenüber derjenigen mit einem Ziel-BD von 140–180 mm Hg in einer Interimsanalyse ein signifikant unterlegenes Resultat zeigte: Neurologische Verschlechterungen in der Frühphase nach der Intervention waren häufiger und die Funktionsfähigkeit nach drei Monaten schlechter. Mortalität und intrakranielle Blutungen waren in beiden Gruppen vergleichbar.
Die Botschaft dieser Resultate dürfte für die Zukunft wegweisend sein: Ein systolischer BD von 140–180 mm Hg nach endovaskulärer intrakranieller Reperfusion soll belassen werden. Auf eine aggressive Senkung soll unbedingt verzichtet werden.
Lancet. 2023, doi.org/10.1016/S0140-6736(22)01882-7.Verfasst am 29.1.2023_MK.