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Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2023/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09370
Swiss Med Forum. 2023;23(08):912-913

Affiliations
Wissenschaftliche Redaktion Swiss Medical Forum

Publiziert am 22.02.2023

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Nocebo? Eine Frage des Designs

Im Setting von randomisiert-kontrollierten Studien führt das grundsätzliche Risiko, auch ein Placebo zu erhalten, möglicherweise zu einer geringeren Wirksamkeit bei Studienteilnehmenden in der Verum-Gruppe. Bewirkt die Placebo-Option in diesem Kontext paradoxerweise also einen Nocebo-Effekt?
Ja – sagt diese systematische Übersicht, stellvertretend mit Studiendaten zur Krankheitsaktivität bei Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis. Analysiert wurden insgesamt 40 Originalarbeiten zur Wirksamkeit der krankheitsmodifizierenden Aktivität von Antirheumatika. Verglichen wurden die Outcome-Daten von Medikamenten aus placebokontrollierten Studien mit den Resultaten derselben Therapie, wenn sie in Noninferiortätsstudien, das heisst mit zwei aktiven Behandlungsarmen getestet wurde. Aufeinander abgeglichen wurden das konkrete Studiendesign, die untersuchte Patientenpopulation, die Basismedikation und die Endpunkte. Das klinische Ansprechen bei Studien mit aktiven Behandlungsarmen war dabei durchwegs besser als die Effekte in den placebokontrollierten Arbeiten.
Das Therapieansprechen im Studiensetting wird demnach nicht nur durch die effektive Wirksamkeit einer Substanz, sondern eben auch durch positive und negative Erwartungen («expectation bias») bestimmt. Oder anders: Placebokontrollierte Studien unterschätzen die Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie tendentiell – vorausgesetzt die Therapie wird im «richtigen Leben» (also ausserhalb einer Studie) mit der entsprechend positiven Erwartung und einer guten Adhärenz eingenommen.
Ann Rheum Dis. 2023, doi.org/10.1136/ard-2022-223349.
Verfasst am 29.1.23_HU.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Management des Asthmas im Spital: Luft für Verbesserungen

Diese retrospektive Studie analysierte das Management («Guideline-Adhärenz») von Patientinnen und Patienten, die sich mit einer Asthma-Exazerbation auf der Notfallstation eines Schweizer Kantonsspitals vorstellten. Eingeschlossen wurden insgesamt 160 Personen (57,5% Frauen, mittleres Alter 50 Jahre) im Zeitraum von 2018–2019. Das Audit verglich das tatsächliche Management mit den Schweizer Richtlinien und internationalen Empfehlungen.
Verbesserungspotential wurde unter anderem bei der Einschätzung des Schweregrades («peak expiratory flow»-Messung: auch im kurzfristigen Verlauf!), der prompten Gabe von systemischen Steroiden (konkret: innerhalb der ersten Stunde nach Präsentation), der Austrittsmedikation (Verschreibung von inhalativen Kortikosteroiden [ICS] respektive Erhöhung der Dosis) und dem ambulanten Follow-up (Kontrolltermin, pneumologische Standortbestimmung) verortet.
Den Handlungsbedarf unterstreichen aber auch die folgenden Zahlen: Nicht einmal die Hälfte der Patientinnen und Patienten mit vorbekanntem Asthma stand vor der Exazerbation unter einer ICS-Therapie, >20% waren aktive Raucher, gut 30% stellten sich bereits zum wiederholten Male mit einer Exazerbation im Spital vor. 35% mussten hospitalisiert werden! Dyspnoe war das Leitsymptom in 9/10 Fällen, ein exspiratorisches «wheezing» fand sich aber nur bei gut 70% der Patientinnen und Patienten. Dieser Befund korreliert bekanntermassen schlecht mit dem Schweregrad der Obstruktion.
Erfreulich schliesslich: Knapp die Hälfte der Exazerbationen war infektiös getriggert, Antibiotika wurden korrekterweise aber nur in wenigen Fällen eingesetzt.
Respiration. 2023, doi.org/10.1159/000527268.
Verfasst am 26.1.23_HU.

Auch noch aufgefallen

Chronische Rückenschmerzen:

Reduziert ein Stimulator den Schmerzmittelgebrauch?

Die Rückenmarkstimulation (RMS) ist eine alternative Methode zur Behandlung chronischer Rücken- und Beinschmerzen. Sie wird dann angewandt, wenn die medikamentösen und chirurgischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Durch die Stimulation des Rückenmarks wird der Schmerzimpuls zum Gehirn überlagert oder verändert, sodass die Schmerzwahrnehmung zentral unterdrückt wird. Doch kann der Stimulator den Gebrauch von Opioiden oder den Einsatz von Injektionen oder chirurgischen Eingriffen reduzieren?
Ein retrospektiver Vergleich von 1260 Patientinnen und Patienten mit RMS mit 6300 vergleichbaren Patientinnen und Patienten ohne RMS (1:5 «propensity match») zeigte in den ersten 12 Monaten, dass die RMS-Gruppe höhere Opioiddosen einnahm, aber weniger Steroidinjektionen, Radiofrequenzablationen oder Wirbelsäulenoperationen hatte. In Bezug auf diese vier Parameter bestand in den folgenden 12 Monaten kein Unterschied mehr. 18% aus der RMS-Gruppe erfuhren Stimulator-assoziierte Komplikationen und bei 22% musste der Stimulator revidiert oder wieder entfernt werden. Die Kosten lagen bei den mit RMS Behandelten im ersten Jahr 39 000 US-Dollar höher.
Mit der Einschränkung des retrospektiven Vergleichs mit möglichen Bias mahnt uns diese Arbeit, bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen die Indikation zur Stimulator-Implantation zurückhaltend zu stellen. Insbesondere sollten die Betroffenen orientiert werden, dass die Schmerzmittel voraussichtlich nicht reduziert werden können und die Rate von Komplikationen durch den Stimulator selbst relativ hoch ist.
Verfasst am 31.1.2023_MK.