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Praxisrelevant Fokus auf… Journal Club

Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2023/09
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09376
Swiss Med Forum. 2023;23(09):

Affiliations
Wissenschaftliche Redaktion Swiss Medical Forum

Publiziert am 01.03.2023

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Fokus auf…
Idiopathische Lungenfibrose
Die idiopathische Lungenfibrose (IPF) ist eine progredient verlaufende Lungenkrankheit mit Anstrengungsdyspnoe, Husten und lungenfunktioneller Einschränkung.
Der phänotypische Patient ist männlich, >60 Jahre alt, (Ex-)Raucher. Klinisch findet sich ein bibasales inspiratorisches Knisterrasseln («Sklerosiphonie»), radiologisch zeigen sich bilaterale Infiltrate.
Auslöser einer interstitiellen Lungenkrankheit müssen aktiv gesucht werden: Medikamente (Amiodaron, Nitrofurantoin), Kollagenosen, Berufsanamnese (Asbest), spezielle Hobbies (Vogelhaltung).
Der klinische Kontext bestimmt das Ausmass der Laboruntersuchungen. Neben dem Routinelabor gehört die Bestimmung von antinukleären Antikörpern (ANA), Antikörpern gegen zyklische citrullinierte Proteine (anti-CCP) und der Kreatinkinase (CK) zum Basisworkup.
Bei basaler subpleuraler Fibrose, Honigwabenmuster («honeycombing») und Traktionsbronchiektasen kann die Diagnose computertomographisch und ohne Histologie gestellt werden. Überlappungen mit anderen fibrotischen Lungenkrankheiten sind allerdings häufig. Eine multidisziplinäre Runde («ILD Board») zur Besprechung von Diagnose und Prozedere ist deshalb heute Standard.
Akute Exazerbationen (Trigger: Infekte, Aspirationen, thoraxchirurgische Eingriffe) gehen mit hoher Mortalität einher.
Zur spezifischen Behandlung der IPF sind zwei antifibrotische Substanzen zugelassen, welche die lungenfunktionelle Progression – unbehandelt nimmt die Vitalkapazität um circa 150–200 ml/Jahr ab – und die Mortalität verbessern. Limitierend: diese Therapien haben keinen Einfluss auf die Symptomatik!
Supplementäre Sauerstofftherapie und rehabilitative Massnahmen kommen supportiv zum Einsatz. Immunsuppressiva spielen mit Ausnahme der akuten Exazerbation (Evidenzlage schlecht!) keine Rolle mehr.
Frühzeitig sind IPF-Erkrankte an einem Transplantationszentrum vorzustellen.
Eur Respir J. 2023, doi.org/10.1183/13993003.00957-2022.
Verfasst am 4.2._HU.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Protein im Liquor: was ist normal?

In dieser eleganten Monozenterstudie [1] der Mayo Clinic wurden die Liquorpunktate neurologisch gesunder Studienteilnehmenden im Alter von 32–95 Jahren (insgesamt >630 Proben) im Hinblick auf den Proteingehalt analysiert.
Die Resultate sind erstaunlich: Der mittlere Proteingehalt lag bei 522 mg/l [140–1480 mg/l] – und bei fast 95% der Teilnehmenden über dem Referenzwert des eigenen Labors [2]! Tendenziell höhere Werte fanden sich bei Männern, bei älteren Personen und bei Vorliegen eines Diabetes. Eine eindrückliche Variabilität zeigte sich zudem bei seriell wiederholter Punktion: Bei einigen Teilnehmenden differierten die Werte zwischen verschiedenen Punktionen um mehr als 250 mg/l.
Die Proteinwerte im Liquor können offenbar beträchtlich variieren – nicht nur zwischen den Personen, sondern im Longitudinalverlauf sogar beim einzelnen Individuum. Eigentlich «normale» Werte, die als pathologisch interpretiert werden, haben aber das Potential für weiterführende Untersuchungen, Überdiagnostik, Fehlbehandlungen.
Fazit: Die entsprechenden Referenzwerte bedürfen wohl einer neuen Standardisierung. «Normale» und «pathologische» Werte sind im Zeitalter der personalisierten Medizin dehnbare Begrifflichkeiten. Für den diagnostischen Prozess bestätigt sich schliesslich: Das Resultat eines jeden medizinischen Tests ist nur im Kontext der Vortestwahrscheinlichkeit interpretierbar.
1 Mayo Clin Proc. 2023, doi.org/10.1016/j.mayocp.2022.10.012.
2 Mayo Clin Proc. 2023, doi.org/10.1016/j.mayocp.2022.12.009.
Verfasst am 4.2.23_HU.

Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion: schneller ist besser …

Für Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF, früher: «Herzinsuffizienz mit diastolischer Dysfunktion») existiert bisher noch keine effiziente Therapie.
In einer Studie bei Patientinnen und Patienten mit HFpEF und vorbestehendem Schrittmacher wurde eine interessante Beobachtung gemacht: Wurde die Grundfrequenz des Schrittmachers auf 75–80/min erhöht (in einer Gruppe von 50 Studienteilnehmenden), verbesserten sich innerhalb eines Jahres die Lebensqualität, das NT-proBNP («N-terminal pro-B-type natriuretic peptide»), die körperliche Aktivität und das Risiko eines Vorhofflimmerns. Die Erhöhung der Grundfrequenz erfolgte «personalisiert», das heisst angepasst an die individuelle diastolische Funktionsstörung der jeweiligen Person. Als Vergleich diente eine Gruppe von weiteren 57 Studienteilnehmenden, bei denen die Grundfrequenz auf 60/min belassen wurde. Die insgesamt 107 Patientinnen und Patienten befanden sich in einem Stadium B oder C der Herzinsuffizienz, also in einer Periode, in der noch keine oder leichte Symptome (Müdigkeit, Atemnot) bestehen.
Falls sich mit weiteren Studien und grösseren Zahlen etablieren lässt, dass ein erhöhter Grundpuls bei HFpEF grundsätzlich – auch ohne vorbestehenden Schrittmacher – die Herzfunktion und Prognose verbessert, wird der Fokus der HFpEF-Behandlung in Zukunft auf eine modulierende Frequenz-Therapie gerichtet sein.
Verfasst am 6.2.2023_MK.

Auch noch aufgefallen

Evidenzbasierte Medizin: die nächste Phase zünden

Medizinische Forschung und klinischer Alltag haben ein gemeinsames Ziel: die Gewährleistung der bestmöglichen Behandlung. Dennoch sind es Parallelwelten. Hier die hochdynamische Entwicklung, die Aufschlüsselung molekularbiologischer Grundlagen und die Entwicklung revolutionärer Therapieansätze, dort die Alltagsrealität, in der auch einfache Prinzipien am Ende wenig konsequent ankommen, wo – exemplarisch – Patientinnen und Patienten mit diabetischer Nephropathie auch 2023 noch ohne ACE-Hemmer-Therapie unterwegs sind. Kurz: die Schere zwischen «bench and bedside» ist riesig und die Übersetzungsarbeit entsprechend komplex.
In einer heuristischen Vision entwirft der Onkologe Vivek Subbiah deshalb ein neues Design der evidenzbasierten Medizin. Ein Eisberg soll die bekannte Pyramide ablösen, wobei der unsichtbare Teil unter der Oberfläche im Fokus steht: das Amalgam aus neuen Technologien, künstlicher Intelligenz und dem Zusammenspiel aller Stakeholder im System.
Ansatzweise haben wir dies im Rahmen der Corona-Pandemie bereits erlebt. Sowohl bei der Durchführung von Studien als auch bei der raschen Markteinführung innovativer Medikamente wirkte COVID-19 als Katalysator. Vielleicht war dies ja der positive Aspekt der Pandemie: die Initialzündung für eine neue Form der evidenzbasierten Medizin, in der Klinik und Forschung strenger synergistisch wirken, damit die richtige Behandlung zur richtigen Zeit den richtigen Patientinnen und Patienten zukommt.
Praxisrelevant
Impfen gegen Meningokokken-Serogruppe B
In der Schweiz sind invasive Erkrankungen mit Meningokokken in 1/41/3 der Fälle durch die Serogruppe B verursacht. Seit 2020 ist ein 4-Komponenten-Impfstoff gegen diese Serogruppe B zugelassen (4CMenB, Bexsero®). Er wird bereits ab dem Alter von 2 Monaten, zusätzlich zur quadrivalenten ACWY-Impfung (Menveo®), für gewisse Risikogruppen empfohlen (Rekrutenschulen, Asplenie, Immundefizienz usw.) [1].
Schützt dieser neue Impfstoff auch? In Spanien wurde eine nationale Studie bei Kindern <5 Jahren zur Evaluation der Effizienz dieses Impfstoffes durchgeführt [2]. Dort sind circa ¼ aller Kinder gegen Meningokokken der Serogruppe B geimpft. 306 Kinder mit durchgemachter Meningokokkenkrankheit Serotyp B wurden mit 1224 Kontrollen (1:4-Match) verglichen. Der Impfschutz betrug 71% gegen Serogruppe B und 76% gegen alle fünf Serogruppen A, B, C, Y und W, vorausgesetzt, dass die Impfungen vollständig waren. Wenn nur eine Dosis geimpft war, betrug der Impfschutz 64%.
Computergeneriertes 3D-Bild von Neisseria meningitidis. Die künstlerische Nachbildung basierte auf rasterelektronenmikroskopischen (REM) Bildern.
© CDC/ Sarah Bailey Cutchin, 2016, illustrator: Dan Higgins
Gerne hätte man bei diesen teilweise lebensbedrohlichen Infektionen einen besseren Schutz gewünscht. Wie bei den meisten Impfungen ist nur bei vollständiger Impfung der Impfschutz zufriedenstellend (für 4CMenB: Alter bis 2 Jahre = 3 Dosen, Alter 2–24 Jahre = 2 Dosen [1]). Der Impfschutz gegen Nicht-Serogruppe-B-Meningokokken ist mit denjenigen Komponenten des Impfstoffes zu erklären, die gegen Antigene gerichtet sind, die bei allen Meningokokken-Serogruppen vorkommen.
2 N Engl J Med. 2023, doi.org/10.1056/NEJMoa2206433.
Verfasst am 6.2.2023_MK.
Verfasst am 3.2.23_HU.