PR Bruessel-Sateliten-Symposium
Behandlung der Hypothyreose

PR Bruessel-Sateliten-Symposium

PR Artikel Öffentlich
Ausgabe
2023/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09377
Swiss Med Forum. 2023;23(08):

Publiziert am 22.02.2023

Levothyroxin (LT4) gehört zu den weltweit am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Aber nicht alle damit behandelten Patienten erreichen eine Euthyreose. Bei den Ursachen kann auch die galenische Form des LT4 eine Rolle spielen.
An der 44. Jahresversammlung der European Thyroid Association (ETA) in Brüssel wurden die Herausforderungen bei der Hypothyreose-Behandlung von drei internationalen Experten erörtert. Es sprachen Prof. Laszlo Hegedüs, Universitätsspital Odense (Dänemark), Prof. Enrico Papini, Ospedale Regina Apostolorum, Rom (Italien), und Prof. Dr. med. Pierpaolo Trimboli, Chefarzt Endokrinologie, Ente Ospedaliero Cantonale, Mendrisio und Lugano.
Bis zu 5% der Menschen in jodsuffizienten Ländern leiden unter Hypothyreose1. Aus diesem Grund gehört Levothyroxin (LT4) zu den am häufigsten verschriebenen Substanzen weltweit. LT4 kann in drei verschiedenen galenischen Formen verabreicht werden: als Tablette (LT4tab), weiche Gelkapsel (LT4soft) oder wässrige Lösung (LT4liq).

Ungenügende Lebensqualität trotz Euthyreose

Bei den meisten Patienten kann mit der Gabe von LT4 eine Euthyreose erreicht werden. Allerdings klagen rund 5–10% der behandelten Personen über anhaltende Symptome und eine schlechte Lebensqualität2. «Dafür gibt es verschiedene Gründe», erklärte Prof. Hegedüs. «Unter anderem können dies Auswirkungen von Komorbiditäten insbesondere gastrointestinaler Art sein, ein suboptimaler LT4-Therapieansatz – sowohl durch inkorrekte Verschreibung seitens des Arztes als auch durch mangelnde Therapietreue des Patienten, oder auch die Tatsache, dass die LT4-Formulierung nicht den Bedürfnissen des Patienten entspricht.»

THESIS-Umfrage

In der THESIS-Umfrage (Treatment of Hypothyroidism in Europe by Specialists: An International Survey), deren Ergebnisse Prof. Papini vorstellte, wurden die Standpunkte von europäischen Endokrinologen zur Behandlung der Hypothyreose und zur Substitution mit Schilddrüsenhormonen bei euthyreoten Personen untersucht3. An der Umfrage, die zwischen März 2019 und April 2021 durchgeführt wurde, nahmen Endokrinologie-Fachgesellschaften in allen europäischen Ländern mit mindestens 4 Mio. Einwohnern (mit Ausnahme von Norwegen) teil (n = 28). Knapp 6000 ausgefüllte Fragebogen konnten ausgewertet werden. Mehr als die Hälfte der Länder-Organisationen haben ihre Daten inzwischen bereits publiziert, beispielsweise Dänemark und Deutschland4,5.
Die meisten der antwortenden Endokrinologen verfügen über jahrzehntelange medizinische Erfahrung (78,8% mehr als 11 Jahre) und behandeln mehr als 100 (62%) resp. 50 (21,2%) hypothyreote Personen pro Jahr3. 98,3% der Antwortenden verschreiben bei Hypothyreose als erstes Medikament LT4; 1,2% verordnen eine Kombination von LT4 und LT3.
In Ländern, in denen LT4soft und LT4liq verfügbar sind, ist die Tendenz der Spezialisten gross, diese Formulierungen zu verschreiben, insbesondere wenn Schwierigkeiten bei der Hypothyreose-Therapie mit LT4tab bestehen. Bei persistierenden Symptomen würden 22,0 % der Verschreibenden LT4soft oder LT4liq wählen, bei Interaktionen mit anderen Medikamenten 46,3%, bei einer unerklärlich schlechten Kontrolle der Hypothyreose 46,9% und bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten 56,7%. 59,9% der antwortenden Ärzte würden LT4soft oder LT4liq verschreiben, wenn der Patient nach der LT4-Einnahme die 30 Minuten Wartezeit bis zur Nahrungsaufnahme nicht korrekt einhalten kann.
«Ab welchem TSH-Wert eine Hypothyreose behandelt werden soll, ist nicht in Stein gemeisselt», erklärte Prof. Trimboli. Bei einer latenten Hypothyreose sollten bei der Therapieentscheidung zusätzliche Faktoren wie Alter und Komorbiditäten beachtet werden (Tab. 1)6. Die Dosierung hängt unter anderem vom Alter und vom Body-Mass-Index (BMI) ab (Tab. 2)7.
Tabelle 1:
Welche Faktoren sprechen eher für oder gegen eine LT4-Behandlung?5
Eher abwartenEher behandeln
Keine Thyroid-Peroxidase-Antikörper
Keine Symptome
TSH-Wert < 7 mlU/l
Alter > 65 Jahre
Kein metabolisches Syndrom
Keine Herzkrankheit
Normale Lipidwerte
Patientin nicht im gebärfähigen Alter
Keine Progression der TSH-Erhöhung
TSH-Erhöhung wegen Übergewicht
Thyroid-Peroxidase-Antikörper vorhanden
Symptome einer Hypothyreose
TSH-Wert > 7–10 mlU/l
Alter < 65 Jahre
Metabolisches Syndrom
Herzkrankheit
Hyperlipidämie
Schwangerschaft
Patientin, die schwanger werden möchte oder wegen Infertilität behandelt wird
Tabelle 2:
LT4-Dosierung (µg/kg/d) bei Hypothyreose, abhängig von Alter und BMI7
 BMI ≤ 23BMI 23–28BMI > 28
≤ 40 Jahre1,81,71,6
> 40–55 Jahre1,71,61,5
> 55 Jahre1,61,51,4
In den letzten zwei Jahrzehnten wurden für die Gabe von LT4 neben Tabletten wei-tere Formulierungen entwickelt. Dies deshalb, weil immer mehr Studien zeigten, dass die Absorption von LT4 gestört sein kann. «Bei den betroffenen Personen kann eine Therapie mit Tabletten dazu führen, dass die Hypothyreose nur suboptimal kontrolliert werden kann», sagte der Referent. In einem Review von Eligar et al. aus dem Jahr 2016 wurde gezeigt, dass bei bis zu 50% der Patienten, die mit LT4 behandelt werden, die TSH-Werte zu hoch oder zu tief sind und die Patienten daher den gesundheitlichen Risiken einer Schilddrüsenfehlfunktion ausgesetzt bleiben1. So können beispielsweise Erkrankungen mit einer Beeinträchtigung der Magensäuresekretion wie Helicobacter-Pylori-Infektionen oder chronische Gastritis sowie die Einnahme von Säureblockern und Protonenpumpenhemmern (PPI) die Aufnahme von LT4tab behindern; denn die Tabletten lösen sich bei einem hohen pH-Wert schlecht auf, und daher wird der Wirkstoff nur langsam freigesetzt und steht nicht für die Resorption zur Verfügung8. Bei LT4soft hingegen spielt der Magen-pH keine Rolle: Das LT4 geht unabhängig vom pH-Wert immer ungefähr gleich schnell in Lösung und wird rascher resorbiert. Daher spielen bei der Einnahme von LT4soft auch weitere Störfaktoren wie Medikamente oder Nahrungsmittel, die mit LT4 in Wechselwirkung treten, kaum eine Rolle (Abb. 1)9 .
Abb. 1: Dissolutionsprofile von LT4 in Tabletten und Weichkapseln in gepufferten wässrigen Lösungen mit unterschiedlichen pH-Werten und 0,05 % Natriumlaurylsulfat (mit Anpassungen nach Pabla 9 ).
.
Um vor Beginn einer LT4-Therapie eine Malabsorptionsstörung zu erkennen, empfahl Prof. Trimboli den validierten Fragebogen «Evaluation of Malabsorption in Patients with Hypothyroidism» (EMPATHY)10. Mit sieben Fragen werden verschiedene Unverträglichkeiten und Allergien erfasst. EMPATHY ist ein nützliches Instrument für die klinische Praxis, das eine bessere Individualisierung der LT4-Therapie, ein schnelleres Erreichen der TSH-Zielwerte und eine Reduktion von Dosisanpassungen ermöglicht.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor bei der Absorption sind die Zusatzstoffe, die in LT4-Tabletten enthalten sind. Diese Substanzen können Unverträglichkeitsreaktionen auslösen, etwa bei einer Laktoseintoleranz11. Auch hier sind die Gelkapseln von Vorteil, da sie ausser LT4 nur Glycerin, Gelatine und Wasser enthalten. Die wässrige LT4-Lösung enthält neben dem Wirkstoff sogar nur noch Glycerin.
Bei der Absorption spielt auch die Therapieadhärenz eine wichtige Rolle. In einer Real-World-Studie wurde untersucht, wie sich die unterschiedlichen LT4-Formulierungen auf die Euthyreose auswirken, wenn das Medikament mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück (wie vorgeschrieben) oder erst danach eingenommen wird12. Bei LT4soft und LT4liq hatte die korrekte oder falsche Anwendung keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Therapie, gemessen am TSH-Wert. Hingegen konnten LT4tab keine Euthyreose garantieren, wenn sie nicht mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück eingenommen wurden. Gemäss der Studienautoren legen diese Resultate nahe, dass LT4soft und LT4liq bei der Therapie einer neu diagnostizierten Hypothyreose bei Erwachsenen erste Wahl sein sollten12.
«Der Wechsel von LT4-Tabletten zu LT4-Gelkapseln resp. LT4-Lösung kann die Symptome und die Laborresultate bei Hypothyreose verbessern», meinte der Referent13. «Und es gibt keine Studie, die eine Unterlegenheit von Gelkapseln und Lösung bezüglich ihrer Wirksamkeit im Vergleich zu den Tabletten zeigt.» In der retrospektiven Studie von Ernst et al. aus dem Jahr 2017 beobachtete man bei 99 Hypothyreose-Patienten, die von LT4tab auf LT4soft umgestellt wurden, keine Veränderung des TSH-Status, aber eine geringere durchschnittliche Anzahl von Dosisanpassungen13. 61,6% der Studienteilnehmenden berichteten nach der Umstellung über eine verbesserte Kontrolle der Hypothyreose-Symptome als mit LT4-Tabletten.
Quelle: IBSA-Satellitensymposium «Hypothyroidism treatment. Where we are and where are we going?», 44. Jahresversammlung der European Thyroid Association (ETA), Brüssel, 12. September 2022. Veranstalter: IBSA Institut Biochimique SA.
Dr. med. Eva Ebnöther
1. Eligar V, et al.: Thyroxine replacement: a clinical endocrinologist’s viewpoint. Ann Clin Biochem 2016; 53(Pt 4): 421–433.
2. Hegedüs L, et al.: Primary hypothyroidism and quality of life. Nature Rev 2022; 18(4): 230–242.
3. THESIS survey, 2021, unpublished.
4. Riis K, et al.: Use of thyroid hormones in hypothyroid and euthyroid patients: A 2020 THESIS questionnaire survey of members of the Danish Endocrine Society. J Endocrinol Invest 2021; 44(11): 2435–2444.
5. Vardarli I, et al.: A Questionnaire Survey of German Thyroidologists on the Use of Thyroid Hormones in Hypothyroid and Euthyroid Patients: The THESIS (Treatment of Hypothyroidism in Europe by Specialists: An International Survey) Collaborative. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2022; 130(9): 577–586.
6. Jonklaas J, Razvi S: Reference intervals in the diagnosis of thyroid dysfunction: treating patients not numbers. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7(6): 473–483.
7. Di Donna V, et al.: A new strategy to estimate levothyroxine requirement after total thyroidectomy for benign thyroid disease. Thyroid 2014; 24(12): 1759–1764.
8. Centanni M, et al.: Thyroxine in goiter, Helicobacter pylori infection, and chronic gastritis. N Engl J Med 2006; 354(17): 1787–1795.
9. Pabla D, et al.: A comparative pH-dissolution profile study of selected commercial levothyroxine products using inductively coupled plasma mass spectrometry. Eur J Pharm Biopharm 2009; 72(1): 105–110.
10. Bellastella G, et al.: EMPATHY: A New Tool for Identifying the Most Suitable Thyroxine Formulation in Hypothyroid Patients. Thyroid 2019; 29(7): 928–933.
11. Virili C, et al.: Gastrointestinal Malabsorption of Thyroxine. Endocr Rev 2019; 40(1): 118–136.
12. Trimboli P, et al.: Different Formulations of Levothyroxine for Treating Hypothyroidism: A Real-Life Study. Int J Endocrinol 2020; 2020: 4524759.
13. Ernst FR, et al.: Retrospective Study of Patients Switched from Tablet Formulations to a Gel Cap Formulation of Levothyroxine: Results of the CONTROL Switch Study. Drugs R D 2017; 17(1): 103–115.