Schlaglicht: Urologie

Prostatakarzinom – noch mehr Wege führen nach Rom

Medizinisches Schlaglicht
Ausgabe
2023/2021
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09382
Swiss Med Forum. 2023;23(2021):44-45

Affiliations
a Universitätsklinik für Urologie, Inselspital, Bern; b Service d’urologie, Centre universitaire hospitalier vaudois (CHUV), Lausanne; c Universitätsklinik für Urologie, Universitätsspital Zürich, Zürich

Publiziert am 17.05.2023

Von der Präzisionsmedizin zur fokalen Tumorablation – Diagnostik und Behandlung des Prostatakarzinoms sind einem ständigen Fortschritt unterworfen. Was erwartet unsere Patienten in näherer Zukunft?

Hintergrund

Das Prostatakarzinom ist der häufigste maligne Tumor und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache des Mannes. Fortschritte in Früherkennung, Diagnostik und Therapie kommen daher einer grossen Patientengruppe zugute. In diesem Artikel möchten wir, die Schweizerische Gesellschaft für Urologie (SGU), den Stand der Früherkennung, aktuelle wie auch am nahen Horizont befindliche Behandlungsmöglichkeiten beleuchten.

Stand der Früherkennung – «choosing wisely»

Die Messung des prostataspezifischen Antigens (PSA) als Serummarker hat die Diagnostik des Prostatakarzinoms massgeblich verändert. Nach wie vor wird der Nutzen als Screening-Tool kontrovers diskutiert. Einerseits konnten randomisierte Daten in mancher Hinsicht eine Senkung der Prostatakarzinom-bedingten Mortalität zeigen, andererseits besteht dadurch ein hohes Risiko für Überdiagnose und konsekutive Übertherapie [1, 2]. Die Empfehlungen der «European Association of Urology» (EAU) beruhen daher auf einer individualisierten Prostatakarzinom-Früherkennung. Die initiale Risikobeurteilung besteht aus digital-rektaler Untersuchung (DRU) und Bestimmung des PSA. Dies wird Männern ab 50 Jahren, Männern mit familiärer Belastung oder afrikanischer Abstammung ab 45 Jahren sowie Männern mit bekannter «breast cancer gene»-(BRCA-)2-Keimbahnmutation ab 40 Jahren angeboten. Die Konsequenzen einer womöglich suspekten DRU und/oder eines erhöhten PSA müssen dem Mann vorgängig aufgezeigt werden. Die partizipative Entscheidungsfindung spielt hier eine wichtige Rolle. Letztere gewinnt besonders bei älteren und morbiden Patienten im Sinne eines «choosing wisely» an Bedeutung. Lebenserwartung und Allgemeinzustand beeinflussen die Entscheidungsfindung bei Diagnostik und Therapie des Prostatakarzinoms stark, sodass grundsätzlich bei asymptomatischen Männern mit einer Lebenserwartung unter 10–15 Jahren eine Früherkennung nicht sinnvoll ist [3].

Neue Testmöglichkeiten – Einzug der Präzisionsmedizin

Das PSA ist ein organ-, jedoch nicht krebsspezifischer Serummarker, sodass eine Erhöhung auch durch gutartige Prostatapathologien hervorgerufen werden kann. Aus der initialen Risikobeurteilung stellt sich die Frage, ob der Patient einer Prostatabiopsie zugeführt werden sollte. Oftmals kann hierfür keine pauschale Antwort gegeben werden, insbesondere bei unauffälliger DRU und mässig erhöhtem PSA. Multiparametrische Magnetresonanztomogramme (MRT) der Prostata und Risikorechner können hier zum Erhärten der Indikation zur Biopsie beigezogen werden [4]. An dieser Stelle ist das Stockholm-3-Testmodell aus Schweden zu nennen, das unter Einbezug klinischer, biochemischer sowie genetischer Parameter ein Vorhersage-Tool für klinisch signifikante Prostatakarzinome (Gleason ≥7) darstellen könnte. Besonders als Zusatztest bei Männern mit einem PSA ≥3 ng/ml könnte damit ein Drittel der Prostatabiopsien bei gleichbleibender Sensitivität im Vergleich zur alleinigen PSA-Messung vermieden werden [5].
Analog zum Brustkrebs gewinnt die Präzisionsmedizin in der Diagnostik und Therapie des Prostatakarzinoms zunehmend an Bedeutung. Keimbahnmutationen spezifischer DNA-Reparaturgene, zum Beispiel BRCA 1 und 2, sowie multipler DNA-Mismatch-Reparaturgene (MMR) sind mit einem höheren Risiko für Prostatakarzinome [6], für metastasiertes Tumorleiden [7] und mit vorzeitiger Sterblichkeit verbunden [8]. Die Identifikation dieser Risikogene können also nicht nur in der Früherkennung die Weichen für individualisierte Therapiestrategien, sondern auch für die Therapieplanung bei bereits bestätigter Diagnose stellen [9]. In diesem Hinblick werden bereits etliche gewebebasierte Genpanel-Analysen wie etwa der Oncotype DX Genomic Prostate Score® [10] angeboten, die ein Mass für Tumoraggressivität und Prognose liefern können. Besonders vielversprechend könnte dies in der Entscheidungsfindung im Bereich der Active Surveillance von Low- oder Favourable-intermediate-Risk-Prostatakarzinomen sein [11]. Auf der anderen Seite müssen die hohen Kosten, die von den Kassen in der Regel nicht übernommen werden, und die nicht immer gewährleistete Entscheidungshilfe berücksichtigt werden.

Am nahen operativen Horizont …

Die Wandlung der operativen Therapie des Prostatakarzinoms stellt ein exzellentes Beispiel des stetigen medizinisch-technischen Fortschritts dar. Wurde dieses schwer erreichbare Beckenorgan vor 100 Jahren lediglich über einen perinealen Zugang erreicht, hat sich ab den 1940er Jahren die retropubische Prostatektomie bis in die 1990er Jahre etabliert [12]. Hiernach ging aus den ersten rein laparoskopischen Prostatektomien mit Einführung des Da Vinci Surgical System® die robotisch-assistierte Prostatektomie hervor, die in der operativen Urologie in den letzten beiden Jahrzehnten – trotz onkologischer und funktioneller Gleichwertigkeit, jedoch bei kürzeren Spitalaufenthalten und tieferem Blutverlust [13] – rasche Verbreitung gefunden hat. In den USA werden >75% aller Prostatektomien robotisch-assistiert durchgeführt [14]. Mit diesem Shift schreitet die Weiterentwicklung der Robotik unweigerlich voran, aktuell wird an verschiedenen Zentren das Da Vinci SP® Richtung Single-Port-Systeme eingeführt [15], aber auch verschiedene neuere Produkte kommen in den nächsten Jahren auf den Markt.
Die etablierten radikalen Therapieformen Prostatektomie und Strahlentherapie bergen ein relevantes Morbiditäts- und Übertherapierisiko. Immer mehr findet daher das Konzept der fokalen und somit selektiven ablativen Tumortherapie Einzug in die Behandlung lokalisierter Prostatakarzinome mit Ziel einer schonenderen, wenngleich auch onkologisch gleichwertigen Therapiealternative. Obschon dieses Feld eine grosse Heterogenität von Therapiemodalitäten aufweist, können sie grob in thermale wie beispielsweise den High-intensity Focused Ultrasound (HIFU), die Laser-gestützte Therapie oder die Kryotherapie sowie in nicht thermale Ablationstechniken wie die irreversible Elektroporation (IRE) mit dem NanoKnife unterteilt werden, die alle den Tumorzellenuntergang zum Ziel haben. Die aktuelle Literatur zeigt für HIFU und Kryotherapie eine gute Ablation des Tumorgewebes und eine tiefe Rate von Salvage-Therapien [16]. Die anderen ablativen Therapien müssen noch als experimentell angesehen und sollten nur in prospektiven Studien durchgeführt werden. Aufgrund fehlender verlässlicher Vergleichs- und Langzeitdaten zu den Standardtherapien fanden sie bisher keinen festen Einzug in die Guidelines. Einige könnten jedoch als valable Alternativen zur Behandlung von lokalisierten Low- bis Intermediate-Risk-Prostatakarzinomen aufkommen [17].

Medikamente und Theranostik

Im Gegensatz zum letzten Jahrhundert, wo neben chemischer und chirurgischer Kastration kaum Therapien für metastasierte Prostatakarzinome existierten, stehen uns nun – im Sinne der personalisierten Medizin – Zweitlinienhormon-, Chemo- und Targeted-Therapien zur Verfügung. Hinzu gesellt sich die nuklearmedizinische Theranostik, wobei die Prostataspezifische-Membranantigen-Positronenemissions-Computertomographie (PSMA-PET/CT) nicht nur zum Staging, sondern auch zur Therapie genutzt wird.

Diskussion

Unser Arsenal zur Detektion und Behandlung des Prostatakarzinoms vergrössert sich weiter; die Präzisionsmedizin gibt uns Instrumente zur individuellen massgeschneiderten Entscheidungsfindung, die Weiterentwicklung der Roboter- und besonders der Einzug fokaler Therapiesysteme neue operative Ansätze. Auch für fortgeschrittene Tumorleiden sind wir fortlaufend breiter aufgestellt.
Stefan Bähler, dipl. Arzt
Universitätsklinik für Urologie, Inselspital, Bern
Prof. Dr. med. George N. Thalmann
Klinikdirektor und Chefarzt
Universitätsklinik für Urologie
Inselspital
Freiburgstrasse 41c
CH-3010 Bern
george.thalmann[at]insel.ch
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