Kurz und bündig
Journal Club Fokus auf … Auch noch aufgefallen

Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2023/1415
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09410
Swiss Med Forum. 2023;23(1415):42-43

Affiliations
Wissenschaftliche Redaktion Swiss Medical Forum

Publiziert am 05.04.2023

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Fokus auf …
Das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom (POTS)
Das POTS ist eine unterdiagnostizierte Multisystemerkrankung mit Störung der Orthostaseregulation, welche die Lebensqualität und Leistungen vor allem junger Menschen beträchtlich reduzieren kann.
Die Prävalenz liegt zwischen 0,1–1,0% und betrifft vor allem junge Frauen. Es ist eine chronische Erkrankung über Jahre mit unsicherer Prognose für eine vollständige Heilung [1].
Die entscheidenden Kriterien der POTS-Diagnose sind der posturale Pulsanstieg >30/min ohne Blutdruckabfall, begleitet von präsynkopalen Symptomen, die im Liegen sofort verschwinden. Zur Diagnostik eignet sich ein Schellongtest.
Komorbiditäten begleiten das POTS, ohne dass deren Zusammenhang geklärt ist: Schlaf- und Konzentrationsstörungen, chronische Fatigue, Migräne, Reizdarmsyndrom, Fibromyalgie, Überstreckbarkeit der Gelenke.
Der Ausschluss anderer Erkrankungen ist ein zentrales Element der Diagnosestellung (z.B. Anämie, Medikamentennebenwirkungen, paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien, Endokrinopathien).
Pathophysiologisch wird eine Spirale vermutet, die durch verminderte körperliche Aktivität, kardiovaskuläre Dekonditionierung, sympathische Überreaktion mit Tachykardie und Intoleranz für körperliche Belastungen charakterisiert ist [2].
Die nicht pharmakologischen Therapien spielen eine zentrale Rolle: Training, bei dem Stehen vermieden wird (Fahrradfahren, Rudern, Schwimmen); täglich 3 L Wasser trinken mit 10 g Salz; Kompressionsstrümpfe; erhöhte Kopflage beim Schlafen.
Pharmakologisch sind Betablocker (Propranolol 10–20 mg/Tag) oder Ivabradin [3] 2 × 5 mg/Tag oder Midodrin 3 × 5 mg/Tag nützlich.
2 J Am Coll Cardiol. 2019, doi.org/10.1016/j.jacc.2018.11.059.
3 J Am Coll Cardiol. 2021, doi.org/10.1016/j.jacc.2020.12.029.
Verfasst am 6.3.2023_MK, auf Hinweis von Frau S. Ehrenzeller (Basel),

Neues aus der Biologie

Schnellnachricht vom Rachen ans Gehirn: Achtung Influenza!

Bereits in Frühstadien von Infektionskrankheiten reagiert unser Körper mit einem schützenden Reduktionsprogramm: Wir vermeiden körperliche Anstrengungen, trinken weniger und essen kaum noch. Bisher war man der Überzeugung, dass Prostaglandine vom Ort der Infektion via Blut ins Gehirn gelangen, um von dort den reduzierten Modus im Körper zu initiieren und zu steuern. Durch Blockade der Prostaglandinsynthese mittels nichtsteroidaler Antirheumatika kann diese Botschaft ans Zentralnervensystem wenigstens teilweise gehemmt werden.
Eine Forschungsgruppe hat nun bei Mäusen sensorische Nerven mit Prostaglandinrezeptoren im Rachenraum entdeckt, welche die Nachricht einer beginnenden Influenza-Infektion direkt auf neuronalem Weg in den Hirnstamm vermitteln. Es handelt sich um sensible Fasern des Nervus glossopharyngeus, deren Ausschaltung dazu führt, dass die Mäuse trotz Rachen-Influenza weiterhin sehr aktiv sind, normal essen und normal trinken. Die Forschenden gehen davon aus, dass auch andere Regionen des Körpers solche neural-gekoppelten Sensoren besitzen. Sie postulieren, dass das Gehirn damit rasch die Information erhält, wo eine Infektion am Entstehen ist. Für ein Paradoxon allerdings haben die Autorinnen und Autoren keine überzeugende Erklärung: Mäuse mit ausgeschalteten Nerven überleben die Influenza deutlich besser als die Kontroll-Mäuse, die das «schützende» Reduktionsprogramm einschalten.
Zweifellos fehlen noch einige Puzzle-Teile für ein umfassendes Verständnis dieser Entdeckung. Ob diese neuronalen Signalwege auch beim Menschen existieren, ist noch unbekannt.
Verfasst am 7.3.2023_MK.

Praxisrelevant

Koronare Herzkrankheit: Statine fix oder zielgerichtet nach LDL-C dosieren?

In dieser Multizenterstudie aus Südkorea wurden 4400 Patientinnen und Patienten mit koronarer Herzkrankheit 1:1 randomisiert, um entweder a) mit einer Statindosis von 20 mg Rosuvastatin oder 40 mg Atorvastatin oder b) mit einer halb so hohen Statindosis von 10 mg Rosuvastatin oder 20 mg Atorvastation behandelt zu werden. Während die Statindosis in der ersten Gruppe (a) belassen wurde, passte man in der zweiten Gruppe (b) die Statindosis in der Folge je nach LDL-Cholesterin (LDL-C) an. Das Ziel in dieser Gruppe war, ein LDL-C von 1,29–1,81 mmol/l zu erreichen. Die Kontrollen erfolgten regelmässig nach 6 Wochen, 3, 6, 12, 24 und 36 Monaten. Nach einer Dosisanpassung erfolgte die Kontrolle nach 4 Wochen.
Ist diese zielorientierte Wahl der Statindosis der hohen Fixdosis unterlegen? Primärer Endpunkt war ein Kombinationsendpunkt von Tod, Myokardinfarkt, Hirnschlag und koronarer Revaskularisation innerhalb von 3 Jahren. Während die erzielten durchschnittlichen LDL-C in beiden Gruppen praktisch identisch waren, lag die Anzahl der Patientinnen und Patienten, die den Endpunkt erreichten, in der Gruppe mit zielorientierter Statindosis nur leicht und nicht signifikant höher: 8,7 versus 8,1% (p <0,001 für Noninferiorität).
Grundsätzlich ist es sinnvoll, mit einem zuverlässigen Surrogatmarker (LDL-C) die individuell notwendige Statindosis zu ermitteln. Es scheint dabei nicht nachteilig zu sein, wenn anfänglich die Dosis noch zu tief ist. Umgekehrt ist eine Dosisverringerung bei Statin-induzierten Muskelschmerzen oder anderen Nebenwirkungen sehr willkommen.
Leider war diese Studie nur auf die sekundäre Prävention beschränkt. Zudem waren die Ereignisse im Endpunkt seltener als erwartet und die Beobachtungsdauer relativ kurz – und dennoch: wertvolle Analyse!
Verfasst am 11.3.2023_MK.

Das hat uns nicht gefreut

Künstliche Süssstoffe und kardiovaskuläres Risiko

Künstliche Süssstoffe sind heute aus Nahrungsmitteln und Getränken nicht mehr wegzudenken. Für Personen mit hohem kardiovaskulären Risiko – Übergewicht, Diabetes – werden sie als Zuckerersatz nachgerade empfohlen. Erythritol gehört zu diesen häufig verwendeten Süssstoffen. Es hat unmittelbar nach Einnahme keine glykämischen Effekte, wird gastrointestinal auch in hohen Dosen gut vertragen und zudem werden ihm antioxidative Effekte zugeschrieben. So weit, so gut.
Aber: In dieser Studie hier wurden Erythritol-Spiegel gemessen und mit dem kardiovaskulären Profil in den drei Folgejahren korreliert. Bei erhöhten Plasmaspiegeln war auch das Risiko für ein grösseres kardiovaskuläres Ereignis («major adverse cardiac event» [MACE]) signifikant erhöht. Die Daten wurden in der Folge in zwei weiteren Kohorten validiert. Physiologische Experimente mit Erythritol suggerieren zudem ein erhöhtes Risiko für Atherothrombosen.
Das ist noch kein Beweis einer Kausalität von Erythritol und dem künftigen Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse. Auch wurden die initialen Erythritol-Messungen nicht bei Gesunden, sondern im Rahmen elektiver Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt. Die strenge Assoziation und die postulierten physiologischen Effekte sind dennoch ein wichtiges Caveat und ein Aufruf für dezidierte Folgestudien.
Auch noch aufgefallen
Chatbot and «scientific writing»
Vier Autoren – einer davon «ChatGPT» («Generative Pre-trained Transformer», ein Programm auf Basis künstlicher Intelligenz) – diskutieren die Perspektiven, die sich mit der Verwendung von Chatbot, einer Software zur Simulation menschlicher Konversation für wissenschaftliches Arbeiten, ergeben [1]. Dies betreffen unter anderem das Verfassen und Redigieren von Artikeln, das Zusammentragen von wissenschaftlicher Evidenz oder das Konzeptualisieren eines Antrages. Denkbar sind aber auch Einsätze im klinischen Alltag: Chatbot macht anhand von Rohdaten (Vitalparametern, Laborwerten, Verlaufseinträgen ​…) Therapievorschläge oder schreibt Austrittsberichte. Zukunftsmusik?
ChatGPT ist in aller Munde – eignen sich Softwares auf Basis künstlicher Intelligenz auch für den klinischen Alltag und wissenschaftliche Publikationen?
© Kindel Media / Pexels
Die von Chatbot verfasste Gegenüberstellung von zwei Artikeln zur kardiopulmonalen Wiederbelebung nach Herzstillstand liest sich jetzt schon besser als manches, was man so gemeinhin an Diskussionen in Journal Clubs zu hören bekommt. Reflektiert wirken auch die unredigierten Kommentare der Software zur eigenen Rolle als Autor oder das konkrete Feedback zum gemeinsam verfassten Manuskript.
Nach dem Lesen scheint klar: Hier bahnt sich eine hilfreiche Entwicklung an, so sie denn als Unterstützung und nicht als Ersatz gesehen wird. Denn die Probleme liegen auf der Hand: Wer garantiert Unabhängigkeit und akkurate Gewichtung? Wo bleibt – bei wissenschaftlichen Arbeiten – die Eigenleistung und wie werden Plagiate vermieden? Hier wird es also Regulative brauchen. Die «Science»-Gruppe hat in diesem Sinne vorerst alle von ChatGPT verfassten Texte und Abbildungen aus ihren Zeitschriften verbannt [2] ​…
Verfasst am 9.3.23_HU.
Verfasst am 8.3.23_HU.