Kurz und bündig
Journal Club Praxisrelevant Fokus auf …

Kurz und bündig

Aktuelles aus der Wissenschaft
Ausgabe
2023/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2023.09427
Swiss Med Forum. 2023;23(17):40-41

Affiliations
Wissenschaftliche Redaktion Swiss Medical Forum

Publiziert am 26.04.2023

Fokus auf …
Botulismus
Vor Kurzem wurde in verschiedenen Medien von zahlreichen Botulismus-Erkrankungen berichtet [1], die nach Botox-Behandlungen des Magens aufgetreten sind. Die Injektionen erfolgten mit der Absicht, durch Lähmung der Magenmuskulatur die Gewichtsreduktion zu erleichtern. Ein Grund, die Präsentation des Botulismus wiederaufzufrischen [2]:
Botulismus ist eine akut-subakute Lähmungserkrankung, die durch das neurotoxische Botulinumtoxin («Wurst-Gift») von Clostridium botulinum verursacht wird.
Clostridium botulinum kommt ubiquitär im Erdboden in Sporenform vor. In dieser Form werden keine Toxine gebildet.
Unter anaeroben Bedingungen – zum Beispiel in geschlossenen Büchsen, in Wunden oder im Darm – entstehen aus Sporen Bakterien, die sich vermehren und Neurotoxine ausscheiden.
Nach Einnahme von kontaminierter Büchsennahrung, aus Wundinfektionen und aus dem Darm (Mechanismus bei Neugeborenen) gelangt das Toxin nach einer Inkubationszeit von vier Stunden bis acht Tagen an die neuromuskulären Synapsen.
Auch beim therapeutischen oder kosmetischen Einsatz von Botulinumtoxin («Botox») kann bei nicht sachgerechter Anwendung nach Stunden bis Tagen ein Botulismus entstehen.
Das Toxin hemmt präsynaptisch die Acetylcholin-Ausschüttung und führt zu schlaffen Lähmungen. Die Synapsen können nach Wochen bis Monaten wieder regenerieren.
Die Lähmungen beginnen im Gesichts- und Halsbereich, weshalb zu Beginn Seh-, Sprach- und Schluckstörungen typisch sind.
Der Befall der Atemmuskulatur kann eine mechanische Beatmung notwendig machen. Die Erkrankung ist ohne Therapie in >50% tödlich.
Der klinische Verdacht und die Anamnese sind entscheidend für die Diagnose. Diese erfolgt schliesslich durch den Nachweis des Toxins in Nahrungsresten von Büchsen, im Stuhl, in Wunden und im Serum.
Wegen der raschen und hohen Letalität nach geringen Dosen wird Botulinumtoxin in aerosolisierter Form oder durch Kontamination von Wasser als biologische Waffe benutzt.
Die Therapie ist supportiv, Antitoxine verhindern Schädigungen weiterer neuromuskulärer Synapsen. Sie können sind in der Schweiz in der Armeeapotheke angefordert werden.
Dtsch Med Wochenschr. 2017, doi.org/10.1055/s-0043-112232.Verfasst am 3.4.23_MK.

Das hat uns nicht gefreut

Sport-Paradox?

Wir sind überzeugt, dass Ausdauersport gesund ist und er unser kardiovaskuläres Risiko reduziert. Eine belgische Forschergruppe belehrt uns eines Besseren.
Sie verglichen das Ausmass der Koronarsklerose von 191 lebenslangen Ausdauersportlern mit 191 Späteinsteiger-Ausdauersportlern (Beginn nach dem 30. Lebensjahr) sowie mit 176 gesunden Nicht-Athleten, die in ihrem Leben keinen Ausdauersport betrieben hatten. In allen drei Gruppen handelte es sich nur um Männer mit einem medianen Alter von 55 Jahren. Keiner der Probanden war Raucher, keiner war übergewichtig und bei keinem war eine koronare Herzkrankheit bekannt. Die Koronarsklerose wurde mittels Computertomographie quantifiziert: Anzahl und Lokalisation von Plaques, Verkalkungs-Score und -Häufigkeit sowie Stenosegrad der Koronarien. Überraschend fand sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, das heisst je länger der Ausdauersport betrieben wurde, desto wahrscheinlicher fand sich eine relevante Koronarsklerose. Die Parameter, die für eine ischämische Herzkrankheit prädestinieren, waren bei den lebenslangen Ausdauersportlern am höchsten: Anzahl Plaques, proximale Plaques, signifikante Stenosen und gemischte Plaque-Verkalkungen. Bei den Nicht-Sportlern waren sie am geringsten, die Späteinsteiger lagen meist dazwischen.
Wir sind konsterniert: Stopp Ausdauersport? Ist dies die anatomisch-pathologische Erklärung des Sport-Paradoxes «plötzlicher Herztod bei Athleten»? Die Autorenschaft schlägt vor, die Studie zeitlich noch auszudehnen, um auch entscheidende kardiovaskuläre Ereignisse zu erfassen.
Hatte Winston Churchill doch recht? Auf die Frage eines Reporters, warum er trotz Whisky und Zigarrenrauchen so alt geworden sei, soll er geantwortet haben: «No sports». Er starb im Alter von 91 Jahren.
Eur Heart J. 2023, doi.org/10.1093/eurheartj/ehad152.
Verfasst am 31.3.23_MK.

Das hat uns gefreut

Nicht hormonelle Kontrolle der vasomotorischen Symptome der Postmenopause

Zu belastenden Symptomen in der Menopause gehören Wärmeschübe, die anfallsmässig auftreten und mit Schweissattacken einhergehen. Sie entstehen im thermoregulatorischen Zentrum des Hypothalamus, wo Neurokinin-3-Rezeptoren durch Neurokinin B stimuliert werden. Östrogene hemmen diese Stimulation. Fezolinetant ist ein oraler, nicht hormoneller und selektiver Neurokinin-3-Rezeptor-Antagonist, der in Phase-2-Studien sowohl Frequenz als auch Intensität der vasomotorischen Beschwerden linderte.
Nun liegen die Resultate einer multizentrischen Phase-3-Studie vor. Sie wurde in sieben Ländern randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert bei insgesamt 500 Frauen in der Menopause (Alter 40–65 Jahre) durchgeführt. Die vasomotorischen Beschwerden traten vor Studienbeginn durchschnittlich 7× täglich auf und waren mässig bis schwer. Fezolinetant wurde mit einer Dosis von 30 oder 45 mg 1× täglich eingesetzt, also deutlich niedriger als in den Vorstudien. Mit beiden Dosierungen zeigte sich – im Vergleich zu Placebo – bereits nach einer Woche ein Rückgang der Frequenz und Intensität der Symptome, der nach vier Wochen signifikant war und schliesslich über zwölf Wochen anhielt. Die Studie wurde nach zwölf Wochen ohne Placebogruppe mit anhaltendem Effekt bis 52 Wochen fortgeführt. Schwere Nebenwirkungen, die zu einem Abbruch der Medikation führten, traten 1× in der Placebogruppe, 2× in der 30-mg-Gruppe und 5× in der 45-mg-Gruppe auf. Leberenzymerhöhungen waren selten und transient.
Diese Resultate sind sehr ermutigend. Die Effekte auf andere menopausale Beschwerden, welche die Lebensqualität beeinträchtigen (Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, sexuelle Funktionsstörungen), wurden bisher nicht erfasst. Es fehlen auch noch Daten zu Langzeitsicherheit und Interaktionen mit anderen Medikamenten.
Verfasst am 1.4.23_MK.

Auch noch aufgefallen

«A p-value is no substitute for a brain»

Ist eine «negative» Interventionsstudie gleichzusetzen mit dem evidenzbasierten Nachweis für eine unwirksame Behandlung? Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass sich statistische Signifikanz und klinische Bedeutung nicht immer entsprechen. Dies trifft auch für «negative» Studien zu: Nichtsignifikante Unterschiede zwischen Behandlungsgruppen werden gerne als Evidenz für fehlende Effekte einer Intervention ausgelegt. Dies greift allerdings zu kurz: «Absence of evidence is not evidence of absence» – wie es Altman und Bland bereits vor 30 Jahren pointiert formuliert haben [1].
Ein aktuelles Editorial in den «Annals of Internal Medicine» [2] gibt in diesem Zusammenhang hilfreiche Dos and Don‘ts für die Interpretation nichtsignifikanter Studienresultate: i) Grundsätzlich sollte das Fehlen von statistischer Signifikanz nicht automatisch mit fehlenden Effekten der untersuchten Intervention gleichgesetzt werden. ii) Zur Einordnung der Studienresultate in den klinischen Kontext sollte immer das 95%-Konfidenzintervall (CI) verwendet werden. Ein breites CI um einen neutralen Effekt (z.B. Hazard Ratio [HR] 1,0) weist auf nicht konklusive Resultate hin: von «Schaden» über «kein Effekt» zu «Nutzen». iii) Nur wenn ein schmales CI die erwarteten Effekte nicht miteinschliesst, kann von klinisch unbedeutenden Effekten ausgegangen werden (Wichtigkeit der Poweranalyse!). Auf die Taxierung von statistisch nichtsignifikanten Studien als «Negativstudien» sollte verzichtet werden.
2 Ann Intern Med. 2023, doi.org/10.7326/M23-0576.
Verfasst am 31.3.23_HU.
Praxisrelevant
Führt Kaffee zu Rhythmusstörungen?
Studien im Zusammenhang mit Kaffee – einem der meist konsumierten Getränke überhaupt – üben eine besondere Faszination aus. Anders kann man es sich kaum erklären, dass diese solid durchgeführte, aber doch relativ kleine Studie derart hochrangig publiziert werden konnte.
Es wurden dazu 100 Probanden (mittleres Alter 39 Jahre, 51% Frauen) während zwei Wochen kontinuierlich hinsichtlich Auftretens von Extrasystolen und zur Messung von Schrittzahl und täglicher Schlafdauer monitorisiert. Die Studienteilnehmenden wurden sodann mittels SMS zufällig angewiesen, an bestimmten Tagen Kaffee zu trinken respektive darauf zu verzichten. Die Anzahl atrialer Extraschläge veränderte sich durch den Kaffeekonsum nicht signifikant. Gut vereinbar mit diesen Resultaten wiesen ja bereits vorgängige Beobachtungsstudien darauf hin, dass Kaffeetrinkende kein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Vorhofflimmern haben.
Immer wieder Gegenstand von Untersuchungen: Kaffee und seine Wirkungen auf die Gesundheit.
© Igor Haritanovich / pexels
Interessant sind aber auch die Daten zu den sekundären Endpunkten der Studie: An «Kaffeetagen» war die nächtliche Schlafdauer im Schnitt eine halbe Stunde kürzer und die Probanden legten im Mittel 1000 Schritte mehr zurück. Zudem traten deutlich häufiger ventrikuläre Ektopien auf. Ob Letzteres ein Surrogatmarker für Folgekomplikationen ist, muss offenbleiben. Die bisherigen Mortalitätsdaten zum Kaffeekonsum sprechen nicht dafür. Wie die Autorenschaft selber konkludiert, generieren diese Resultate Hypothesen für weitere Studien.
N Engl J Med. 2023, doi.org/10.1056/NEJMoa2204737.Verfasst am 22.3.23_HU.