Kurz und bündig
Fokus auf …
Stammzellen des Menschen
• Stammzellen sind undifferenzierte Zellen, die sich weiter teilen können und dabei das Potential haben, sich durch Differenzierung zu verschiedenen spezialisierten Körperzellen zu entwickeln.
• Das therapeutische Potential von Stammzellen liegt in der Fähigkeit, defekte ausgereifte Zellen zu ersetzen und spezialisierte Gewebe wiederherzustellen (Regenerationsmedizin).
• Stammzellen werden aus Embryonen im Stadium des Blastozysten, erwachsenen Geweben und Nabelschnurblut gewonnen.
• Stammzellen, die von Embryonen gewonnen werden, sind pluripotent, das heisst, sie sind fähig zur Entwicklung zu Zellen der drei Keimblätter (Ektoderm, Entoderm, Mesoderm). Sie können sich also fast zu jeder spezialisierte Zelltyp entwickeln.
• Stammzellen aus Organen von Erwachsenen liegen meist nur in geringer Zahl vor. Knochenmark, Blut und Fettgewebe sind Gewebsquellen, die am häufigsten zu deren Gewinnung verwendet werden. Stammzellen aus adultem Gewebe sind nicht mehr pluripotent, das heisst, ihre Fähigkeit zur beliebigen Differenzierung ist verloren gegangen. Interessanterweise aber lässt sich die Pluripotenz mittels der sogenannten OSKM-Faktoren (Oct3/4, Sox2, Klf4 und cMyc) wiederherstellen.
• Stammzellen aus dem Nabelschnurblut und aus der Nabelschnur sind einfach zu gewinnen und aufzubewahren. Ihre Pluripotenz ist höher als bei Stammzellen von Erwachsenen, erreicht aber nicht die von Embryonalzellen.
• Stammzellen werden routinemässig zum Wiederaufbau des Knochenmarks nach aplasierenden Chemotherapien bei Leukämien und Lymphomen verwendet.
• Stammzellversuche mit sehr unterschiedlichem Erfolg sind schon bei folgenden Erkrankungen durchgeführt worden (Liste nicht vollständig): Kardiomyopathien, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Leberzirrhose, Arthrose, Rückenmarkläsionen, Stroke, Multipler Sklerose, chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, akutem Atemnotsyndrom (ARDS), Verbrennungen, Diabetes mellitus Typ 1, Ovarialinsuffizienz.
Verfasst am 17.4.23_MK.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Mikrobiom-Restauration mit Biotherapeutikum statt Stuhltransplantation?

Nach einer Clostridioides-difficile-(Cd-)Infektion kommt es in jedem dritten bis vierten Fall zu einem Rezidiv. Nach dem ersten Rezidiv steigt die Rezidivhäufigkeit auf >60% an. Morbidität und Mortalität der Erkrankung sind hoch. Nach den überzeugenden therapeutischen Erfolgen durch die Stuhltransplantation wurde klar, dass die Wiederherstellung des Darmmikrobioms eine entscheidende Rolle spielt.
Statt aufwendiger Stuhltransplantation wurde in einer Phase-2-Studie eine Mischung von acht Bakterienstämmen (VE303) verwendet, um zu prüfen, ob dieses «Miniatur-Mikrobiom» bereits Rezidive von Cd-Infektionen verhindert. VE303 ist ein definiertes Konsortium von acht nicht pathogenen, nicht toxigenen Clostridien der normalen Stuhlflora, die von Vedanta Biosciences entwickelt wurde. Es wird als standardisiertes Produkt in Kapselform abgegeben. Die Firma war wesentlich an der Studie und Publikation beteiligt.
Die Studie war randomisiert, placebokontrolliert und doppelblind. Sie wurde mit 79 Patientinnen und Patienten durchgeführt, die eine Cd-Infektion durchgemacht hatten und ein hohes Rezidivrisiko aufwiesen: vorgängiges Rezidiv, Alter >75 Jahre, >65 Jahre + Niereninsuffizienz, >65 Jahre + Protonenpumpenblocker. 30 Studienteilnehmende erhielten eine hohe VE303-Dosis (8 × 109 Bakterien), 27 eine niedrige Dosis (1,6 × 109 Bakterien) und 22 erhielten das Placebo. Die orale Einnahme erfolgte einmal täglich während 14 Tagen. Cd-Rezidive wurden innerhalb von acht Wochen in der Hochdosisgruppe bei 13,8%, in der Niedrigdosisgruppe bei 37% und in der Placebogruppe bei 45,5 % beobachtet. Offensichtlich besteht eine Dosisabhängigkeit für den Mikrobiom-restaurierenden Effekt von VE303, da bei niedriger Bakteriendosis bezüglich Cd-Rezidive kein Unterschied zu Placebo vorhanden war. Als Nächstes ist eine Phase-3-Studie mit der hohen Dosis geplant.
Das Resultat dieser Studie ist ermutigend. Im Vergleich zum Aufwand einer Stuhltransplantation scheint sich hier ein Tor für eine wenig belastende und effiziente Therapie zu öffnen.
Verfasst am 17.4.23_MK.

Praxisrelevant

NSAR, Typ-2-Diabetes und kardiale Nebenwirkungen

Bei der Verschreibung von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) wird den gastrointestinalen und renalen Nebenwirkungen grosse Beachtung geschenkt. Die Abschätzung, ob Protonenpumpenblocker mitzuverschreiben sind und eine Überprüfung der Nierenfunktion gehören dabei zur Routine.
Dass NSAR bei Diabetes mellitus Typ 2 auch mit kardialer Dekompensation assoziiert sind, zeigte eine Arbeit aus Dänemark. Im nationalen dänischen Register wurden in den Jahren 1998–2021 331 ​189 Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes erfasst, bei denen zuvor keine Herzinsuffizienz bekannt war. 44,2% waren Frauen, das mediane Alter betrug 62 Jahre. 33,5% hatten gleichzeitig eine Hypertonie, bei 8,3% war eine koronare Herzkrankheit bekannt. Im ersten Jahr nach der Erfassung erhielten 16% der Studienteilnehmenden ein NSAR verschrieben, am häufigsten Ibuprofen oder Diclofenac. Nach einer Beobachtungszeit von fast sechs Jahren wurden 23 308 Patientinnen und Patienten wegen neu aufgetretener Herzinsuffizienz hospitalisiert. Es bestand dabei eine signifikante Assoziation mit vorangegangener NSAR-Einnahme (Odds Ratio 1,43; 95%CI 1,1–2,0). Diese Assoziation war vor allem bei einem Alter >80 Jahre, hohem HbA1c oder Ersteinnahme von NSAR (= zuvor nie NSAR eingenommen) augenfällig.
Die Studie beweist nicht, dass NSAR bei Diabetes mellitus Typ 2 für das Auftreten einer manifesten Herzinsuffizienz verantwortlich sind, zumal ja lediglich eine Assoziation gezeigt wurde. Allerdings kann der mögliche kardiotoxische Effekt von NSAR mit der durch sie bewirkten Flüssigkeitsretention, endothelialen Dysfunktion und Blutdruckzunahme gut erklärt werden. Auch wenn die klare Kausalität noch fehlt, sind sich alle Expertinnen und Experten einig: Vorsicht bei Typ-2-Diabetes und Verschreiben von NSAR!
J Am Coll Cardiol. 2023, doi.org/10.1016/j.jacc.2023.02.027.
Verfasst am 15.4.23_MK.

Auch noch aufgefallen

Das Sweet-Syndrom: eine klinische Übersicht

Das Sweet-Syndrom ist der Prototyp einer seltenen neutrophilen Dermatose. Die entsprechende Konstellation – akut auftretende schmerzhafte Hautveränderungen, Fieber und Leukozytose – wurde 1964 durch den Dermatologen Robert Sweet erstbeschrieben [1]. Eine systematische Übersicht sämtlicher seither publizierten Case Reports und Fallserien (insgesamt 539 Fälle) zeigt [2]: Bei den meisten Fällen handelt es sich um ein klassisches (idiopathisches) Sweet-Syndrom, 29% sind malignomassoziiert, 27% haben eine medikamentöse Ursache. Die malignomassoziierten Fälle hatten ein etwas höheres Alter (im Schnitt 55 Jahre) – meistens wurde eine zugrunde liegende hämatologische Neoplasie identifiziert. Bei den anderen Formen waren etwas häufiger Frauen betroffen (60%, Durchschnittsalter 47 Jahre). Fieber zeigten 83% der Erkrankten (also die meisten, aber nicht alle!). Die Hautläsionen lokalisierten sich vor allem an den Armen, an Kopf und Nacken. Eine entzündliche Darmkrankheit (Morbus Crohn) fand sich als häufigste Assoziation, wobei hier ein Overlap mit anderen neutrophilen Dermatosen – zum Beispiel Pyoderma gangraenosum – nicht ausgeschlossen ist. Steroide wirken meistens. In therapierefraktären Fällen wurden auch erfolgreich Biologika eingesetzt.
Schwach ist im Artikel die Diskussion der medikamentös induzierten Fälle: Als Auslöser wurden unter anderem Azathioprin, der Wachstumsfaktor für neutrophile Granulozyten (G-CSF) und Retinoide identifiziert. Hier scheint mir ein Bias in der Abgrenzung zu den Systemkrankheiten und den malignomassoziierten Formen des Sweet-Syndroms vorzuliegen.
Das hat uns gefreut
Heilung von HIV
Bei drei Personen ist bisher von einer Heilung der HIV-Infektion berichtet worden. Bei allen drei sind im Rahmen eines malignen hämatologischen Leidens Stammzellen mit einem C-C-Motiv-Chemokin-Rezeptor-5-(CCR5-)Gendefekt (CCR5Δ32/Δ32) transplantiert worden. Aus diesen Stammzellen differenzieren sich in der Folge T-Lymphozyten, die wegen CCR5Δ32/Δ32 keinen Rezeptor mehr auf der Zelloberfläche besitzen, der normalerweise für das HI-Virus als Eintrittspforte in die T4-Lymphozyten dient. Das HI-Virus kann sich nicht mehr vermehren und «stirbt aus».
Es wird nun von einer vierten HIV-Patientin berichtet, die nach Aplasietherapie einer akuten myeloischen Leukämie (AML) zur Wiederherstellung ihrer Blutzellproduktion haploidentische Stammzellen von einem Spender mit dem Wildtyp-CCR5-Allel erhielt. Gleichzeitig wurden ihr CCR5Δ32/Δ32-Nabelschnurblutzellen transplantiert, wodurch ein Pool von CCR5Δ32/Δ32-T-Lymphozyten entstand, der HI-Virus resistent ist. Die HIV-Reservoirs wurden dadurch depletiert, die Patientin wurde serologisch HIV-negativ und man konnte die antiretrovirale Therapie nach drei Jahren stoppen, ohne dass seither (18 Monate) ein HIV-Rezidiv aufgetreten wäre.
Transmissionselektronenmikroskop: Budding von HIV-1-Viruspartikeln (rot) aus einer H9-T-Zelle (blau).
Courtesy: National Institute of Allergy and Infectious Diseases
Passende Stammzellspender zu finden, die gleichzeitig eine CCR5Δ32/Δ32-Mutation aufweisen, ist schwierig. Der Vorteil von Nabelschnurblut ist, dass das Screening für eine homozygote CCR5Δ32/Δ32-Mutation in Blutbanken einfacher ist und dass es Stammzellen enthält, die zur Transplantation weniger Übereinstimmung erfordern. Da aber die Menge an Stammzellen für einen Knochenmarkaufbau nicht genügt, ist die Stammzelltransplantation von passenden Spendern zusätzlich noch notwendig, ohne dass deren Zellen die CCR5Δ32/Δ32-Mutation aufweisen müssen.
Eine erneute überzeugende Demonstration, dass der Mensch von HIV geheilt werden kann, wenn es gelingt, auf den T-Lymphozyten den HIV-Rezeptor CCR5 zu mutieren.
Verfasst am 14.4.23_MK.
2 Dermatology. 2023. doi.org/10.1159/000530519.
Verfasst am 14.4.23_HU.

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