Kurz und bündig
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Klinik und Diagnostik der Hämochromatose
Die Hämochromatose zählt zu den häufigsten Erbkrankheiten. Sie ist durch eine übermässige Eisenakkumulation – bedingt durch eine ungehemmte Eisenaufnahme aus der Nahrung – mit konsekutiven Organschäden charakterisiert. Die weitaus häufigste Genmutation betrifft das HFE-Gen, insbesondere die Variante C282Y.
Entscheidend für den Schweregrad der klinischen Ausprägung sind Alter und Geschlecht (Männer entwickeln früher Symptome) sowie das Ausmass der Eisenüberladung bei Diagnosestellung.
Entgegen früherer Annahmen entwickelt nur eine Minderheit der Individuen bei vorliegender Genmutation die typische Klinik einer Hämochromatose. Screening-Studien haben sogar gezeigt, dass die meisten Individuen mit C282Y-Homozygotie asymptomatisch sind und viele Frauen wegen der Menstruationsblutung normale Eisentests aufweisen.
Auch die Entwicklung einer Zirrhose ist im Kollektiv der C282Y-Homozygoten selten – Kofaktoren wie Alkohol, Adipositas und virale Hepatitiden begünstigen diese Entwicklung. Die Transaminasen sind häufig normwertig. Die Bildgebung (transiente Elastographie, Magnetresonanztomographie) wird routinemässig, die Leberbiopsie nur noch selten eingesetzt.
Eine Arthropathie ist die häufigste Manifestation bei C282Y-positiven Frauen. Sie präsentiert sich klinisch ähnlich wie eine Arthrose – oft an Mittelhand- und Fingergelenken – und wird auch so behandelt.
Die Prävalenz von Diabetes ist bei C282Y-homozygoten Individuen nicht erhöht und der Begriff «Bronzediabetes» als Synonym für eine Hämochromatose damit eigentlich obsolet.
Als initiale diagnostische Tests bei Verdacht auf eine Hämochromatose eignen sich Serumferritin (>300 µg/l) und Transferrinsättigung (>45% bei Frauen, >50% bei Männern).
Die meisten Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Serumferritin und/oder erhöhter Transferrinsättigung haben aber keine Hämochromatose: Die erhöhten Werte sind dann Ausdruck einer chronischen Hepatopathie (zum Beispiel bei Adipositas, Alkohol, Hepatitis B und C), ohne dass eine Erhöhung des Körpereisens vorliegt.
Die Diagnose der klassischen Hämochromatose (HFE) wird mit dem positiven Gentest gestellt.
Lancet. 2023, doi.org/10.1016/S0140-6736(23)00287-8.Verfasst am 10.5.23_HU.

Praxisrelevant

Wie hoch ist das Myokardinfarktrisiko bei subklinischer Koronarsklerose?

Diese Frage hat eine dänische Kohortenstudie untersucht: Eingeschlossen wurden asymptomatische, >40-jährige Personen ohne vorbekannte koronare Herzkrankheit (4089 Männer, 5444 Frauen, Durchschnittsalter 60 Jahre), bei denen zu Forschungszwecken eine koronare Computertomographie (CT) durchgeführt wurde. Das Ausmass der koronaren Arteriosklerose wurde in nichtobstruktiv und obstruktiv (Stenose weniger respektive mehr als 50%) sowie in nichtextensiv und extensiv (Befall weniger respektive mehr als 1/3 des Koronarbaumes) eingeteilt. Das klinische Follow-up betrug im Mittel 3,5 Jahre, Referenzwert war die Gruppe ohne Nachweis einer Koronarsklerose. Primäres Outcome: Myokardinfarkt.
Eine subklinische Koronarsklerose fand sich bei 4419 Teilnehmenden (46%), am häufigsten in der Kombination von nichtobstruktiv-nichtextensivem Befall (31%). In immerhin 10% der Fälle lag eine obstruktive Koronarsklerose vor. Machen Sie ein Gedankenexperiment und ordnen Sie die morphologischen Kombinationen nach dem geschätzten Risiko für ein myokardiales Ereignis. Sie werden mit Ihrer Intuition richtig liegen: Bei obstruktiv-extensivem Befall war das relative Risiko für einen Myokardinfarkt am höchsten (RR 12), gefolgt von einem obstruktiv-nichtextensiven Befall (RR 8). In der Gruppe mit nichtobstruktiv-nichtextensivem Befall war das Risiko gering erhöht (RR 1,3).
Ob eine CT-gesteuerte kardiovaskuläre Risikoprophylaxe effektiver ist als die gängigen primären Präventionsstrategien – und damit zum Beispiel ein Screening-Programm rechtfertigt – werden Folgestudien zeigen müssen. Eine solche hat die Autorenschaft bereits in Aussicht gestellt.
Ann Intern Med. 2023, doi.org/10.7326/M22-3027.
Verfasst am 7.5.23_HU.

Standardisiertes Blutdruckmessen

Hoher Blutdruck (BD) ist einer der bedeutendsten kardiovaskulären Risikofaktoren, er ist einfach festzustellen und zu behandeln. Von einer internationalen Gruppe von Gesundheitsorganisationen aus aller Welt wurde ein Vorschlag für eine standardisierte BD-Messung gemacht [1]. Dieser enthält folgende Anleitungen für den Ablauf einer solchen:
1. Zu untersuchende Person: mindestens 30 Minuten vor Messung kein Koffein, Nikotin, Alkohol und keine körperliche Anstrengung – 5 Minuten Ruhe vor der Messung, keine Konversation/Handy – sitzende Position mit Rückenlehne, Arme auf Tisch abgelegt – keine volle Blase. 2. Umgebungsbedingungen: ruhige Atmosphäre, keine Störfaktoren, keine Hektik, angenehme Temperatur. 3. Messgerät: richtige Manschettengrösse, elektronisches automatisiertes Messgerät. 4. Messablauf: Ablauf der zu untersuchenden Person erklären – Messung am Oberarm, Manschette auf frei gemachtem Oberarm – keine Ablenkungen, wie zum Beispiel andere Vitalzeichen gleichzeitig erfassen oder gleichzeitig mit der zu untersuchenden Person sprechen. 5. Auswertung: mindestens zwei Messungen mit minimal 30 Sekunden Zeitabstand erfassen, Durchschnitt ermitteln.
Ehrlicherweise müssen wahrscheinlich viele von uns gestehen, dass wir weder die Zeit noch die Möglichkeit haben, alle diese Anforderungen zu erfüllen. Mit welcher Begründung sollte der Aufwand für standardisierte BD-Messungen betrieben werden? Bis 29 Komponenten wurden identifiziert, die während der Messung sowohl den systolischen als auch den diastolischen BD beeinflussen [2]. Ohne Standards variieren die BD-Werte eines Individuums viel stärker als wir annehmen. Da nicht standardisierte Messungen meist höhere BD-Werte als standardisierte Messungen ergeben, werden in der Folge unnötige Behandlungen mit Antihypertensiva initiiert. Umgekehrte Konstellationen sind aber auch möglich, bei der die Gelegenheit verpasst wird, eine antihypertensive Therapie einzuleiten oder anzupassen. Es wird geschätzt, dass die nicht standardisierte BD-Messung bei einer von fünf Personen zu einer Fehlbeurteilung führt [2]. Der Sinn einer standardisierten BD-Messung überzeugt. Doch wie die Autoren selbst ausführen: pragmatisch bleiben, nicht dogmatisch werden.
2 J Clin Hypertens. 2022, doi.org/10.1111/jch.14418.
Verfasst am 13.5.2023_MK.

Auch noch aufgefallen

Hype ohne Evidenz: Omega-3-Fettsäuren

Der Konsum von Omega-3-Fettsäuren-Supplementen in Europa und den USA hat sich in den letzten Jahren verzehnfacht und scheint weiter zuzunehmen. Marine Omega-3-Fettsäuren werden zur Verhinderung von kardiovaskulären Erkrankungen in zahlreichen Ernährungsempfehlungen propagiert. Was sind die wissenschaftlichen Grundlagen dazu? In einer Übersichtsarbeit im Swiss Medical Forum wurden die wesentlichen Studien zusammengestellt [1]. Die ersten Arbeiten mit 0,5–0,9 g Omega-3-Supplementen pro Tag zeigten überzeugende kardiovaskuläre Risikoreduktionen (Mortalität, plötzlicher Herztod). In den verblindeten Folgestudien konnte dieser Effekt aber nicht mehr reproduziert werden. Im Jahr 2018 fand eine Cochrane-Review von 79 randomisierten Studien bei >10 ​000 Patientinnen und Patienten mit Dosen von 0,5 bis >5 g/Tag keine Evidenz einer Wirksamkeit der Omega-3-Fettsäuren für alle untersuchten Effekte [2]. Danach wurden fünf weitere Megastudien (>1000 Probandinnen und Probanden) publiziert. Vier davon (ASCEND, VITAL, STRENGTH und OMEMI) zeigten keinen protektiven Effekt, während REDUCE-IT eine überzeugende 25%ige Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse aufwies [3]. Diese Studie wurde mit einer hohen Omega-3-Supplementdosis von 4 g/Tag bei Personen mit Hypertriglyzeridämie durchgeführt und hatte den «Schönheitsfehler», dass in der Kontrolle als Placebo atherogenes Mineralöl benutzt wurde.
Die unübersehbare Lücke zwischen fehlender wissenschaftlicher Evidenz und dem Volksglauben an die gesundheitsfördernden Omega-3-Fettsäuren ist bemerkenswert, aber vielleicht nicht ungewöhnlich. Sie ist jedoch deshalb aufrüttelnd, weil der Handel von Fischölkapseln zu einer Industrie mit Milliardenumsätzen mit gleichzeitig bedenklichen ökologischen Opfern herangewachsen ist.
Immerhin: In den amerikanischen und europäischen Guidelines der Kardiologie-Gesellschaften werden Omega-3-Supplemente zur Primärprophylaxe von kardiovaskulären Erkrankungen nicht mehr empfohlen.
Für Ärztinnen und Ärzte am Spital
Abdominale Computertomographie: mit oder ohne Kontrast?
Die hier referenzierte Studie hat die diagnostische Wertigkeit einer nativen Computertomographie (CT) anhand 201 konsekutiver Patientinnen und Patienten, die sich mit Bauchschmerzen notfallmässig vorstellten, retrospektiv untersucht. In allen Fällen wurde eine CT mit Kontrastmittel gefahren und die radiologische Befundung als Referenzstandard gewertet. Das Kontrastmittel wurde anschliessend digital subtrahiert und die nativen Bilder wurden durch sechs weitere Radiologen und Radiologinnen aus drei verschiedenen Institutionen befundet. Hinsichtlich diagnostischer Wertigkeit waren diese nativen CT-Bilder rund 30% weniger genau als die kontrastmittelverstärkten Bilder.
CT Abdomen mit oralem und intravenösem Kontrastmittel (portalvenöse Phase, coronale Schnittebene) einer 45-jährigen Frau mit epigastrischen Schmerzen; Normalbefund (https://radiopaedia.org/cases/36677).
Case courtesy of Andrew Dixon, Radiopaedia.org, rID: 36677
Diese Zahl überrascht – sie liegt höher als es die Daten früherer Studien vermuten liessen. Wird aufgrund von Risikofaktoren (zum Beispiel schwer eingeschränkte Nierenfunktion, Prädialyse, Anamnese einer anaphylaktischen Reaktion auf iodiertes Kontrastmittel) eine CT-Untersuchung ohne Kontrast durchgeführt, kann die diagnostische Aussagekraft deutlich limitiert sein. Dies muss im individuellen Fall bei der Nutzen-Risiko-Abwägung berücksichtigt werden. Als prägnante Konklusion: In den meisten klinischen Situationen mit unklaren Bauchschmerzen ist das Risiko durch einen Verzicht auf das Kontrastmittel höher als das Risiko durch dessen Verabreichung.
JAMA Surg. 2023, doi.org/10.1001/jamasurg.2023.1112.Verfasst am 7.5.23_HU.
1 Swiss Med Forum. 2023, doi.org/10.4414/smf.2023.09340.
2 Cochrane Database Syst Rev. 2018, doi.org/10.1002/14651858.CD003177.pub5.
3 N Engl J Med. 2019, doi.org/10.1056/NEJMoa1812792.
Verfasst am 2.5.2023_MK.