Replik

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Édition
2017/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2017.02921
Forum Med Suisse 2017;17(10):247-248

Publié le 08.03.2017

Replik

Der Leserbrief des Kollegen Schumacher bedient Emotionen, kommt aber leider ohne ­Argumente oder Hinweise auf relevante Literatur daher. Diese Zuschrift zeigt vor allem ­eines: Wie so oft lohnt sich eine differenzierte Betrachtungsweise. Könnte eine Schicht Kleidung zwischen dem Stethoskop der Ärztin und der Haut des Patienten den Auskulta­tionsbefund dämpfen? Dieser Vermutung sei erst mal nicht widersprochen, ebenso wenig der Befürchtung, dass wir durch die Kleidung hindurch auskultierend abnormale Herz- oder Lungenbefunde verpassen könnten – und somit das Anordnen von allfällig nötigen dia­gnostischen Folgeuntersuchungen.

Was zeigen aber die publizierten Daten?

Zuerst einmal, dass heutzutage häufig durch die Kleider hindurch auskultiert wird – jüngere Kollegen tun es deutlich öfter als die älteren [1]. Selbst erfahrene Ärztinnen und Ärzte konnten allerdings nicht unterscheiden zwischen Auskultationsbefunden, die von der nackten Haut stammten, und solchen, wo eine Schicht Kleidung dazwischen lag [1]. Die kleidungsbedingte Dämpfung des Auskulta­tionsbefundes konnte übrigens durch Druck auf das Bruststück des Stethoskops kompensiert werden [2].
Studien belegen weiter, dass wir die Fähigkeit von Schweizer Internistinnen und Internisten [3] bzw. Kardiologinnen und Kardiologen [4], wichtige Herzklappenvitien zu detektieren, nicht überschätzen sollten. Gemäss den US-Guidelines [5] ist die Herzauskultation der erste Schritt beim Erkennen («Screening») von abnormalen Befunden. Selbst hämodynamisch relevante Klappeninsuffizienzgeräusche können aber auskultatorisch «stumm» verlaufen. Die definitive Diagnose eines Vitiums und des Schweregrads basiert daher oft auf der Echokardiographie, auch wenn diese die Auskultation nicht ersetzen soll [5]. Diese Empfehlung kommt weder überraschend, noch ist sie Ausdruck von blinder Technologiegläubigkeit oder auskultatorischem Nihilismus. Denn Lungenauskultationsstudien suggerieren eine hohe Interobserver-Variabilität (beschränkte Übereinstimmung zwischen erfahrenen Pneumologen) [6, 7] und Intraobserver-Variabilität (erfahrene Pneumologen hören bei einer zweiten Auskultation des Thorax überraschend oft etwas anderes als beim ersten Mal) [6]. Der Beitrag der Auskultation zur Diagnose von Herz- und Lungenkrankheiten [8] ist also limitiert, sowohl in der Praxis [9] wie auf der Notfallstation [10, 11]. Die Referenz bei der Diagnose einer Pneumonie bleibt das Röntgenbild. Insbesondere was die medizinische Versorgung von Flüchtlingen betrifft sei betont, dass eine normale Lungenauskultation eine Tuberkulose nicht ausschliesst.

Kulturelle Sensitivität

Die obige Diskussion sollte ergänzt werden durch eine zweite Thematik, nämlich die des kulturell sensitiven Umgangs mit unseren Patientinnen und Patienten. Den Schlüssel dazu liefern gut ausgebildete Kommunikations­fähigkeiten, Empathie, Respekt und die Motivation und Bereitschaft, die Perspektive des Patienten zu berücksichtigen [12]. Ein empfehlenswerter Bericht zu diesem Thema ist im New England Journal of Medicine erschienen [13]. Viele Migrantinnen und Migranten sind religiös orthodox oder zumindest sozial konservativ eingestellt. Medizinische Gesellschaften im Ausland empfehlen seit Jahren, die körperliche Untersuchung allenfalls in Präsenz einer professionellen Assistentin durchzuführen und dass dabei nur soviel Patientenhaut wie nötig exponiert wird [14].
Eine gute Arzt-Patienten-Beziehung und eine korrekte Diagnose basieren auch 200 Jahre nach der Entdeckung des Stethoskops durch R. T. H. Laennec [15] auf einer kompetent durchgeführten Anamnese und einer sorgfältigen körperlichen Untersuchung [16]. Auskultatorisch können wir wichtige Krankheiten nur begrenzt erkennen oder ausschliessen. Die Herz- und Lungenauskultation durch eine Schicht Kleider hindurch scheint ähnlich sensitiv wie auf nackter Haut und kann eine geeignete Technik im Hinblick auf einen kulturell sensi­tiven Umgang mit unseren Patientinnen und Patienten darstellen.
PD Dr. med. Philip Tarr
1 Rankin AJ, Rankin SH, Rankin AC. Auscultating heart and breath sounds through patients’ gowns: who does this and does it matter? Postgrad Med J. 2015;91:379–83.
2 Kraman SS. Transmission of lung sounds through light clothing. Respiration. 2008;75:85–8.
3 Reichlin S, Dieterle T, Camli C, Leimenstoll B, Schoenenberger RA, Martina B. Initial clinical evaluation of cardiac systolic murmurs in the ED by noncardio­logists. Am J Emerg Med. 2004;22:71–5.
4 Attenhofer Jost CH, Turina J, Mayer K, et al. Echocardio­graphy in the evaluation of systolic murmurs of ­unknown cause. Am J Med. 2000;108:614–20.
5 Cheitlin MD, Alpert JS, Armstrong WF, et al. ACC/AHA guidelines for the clinical application of echocardiography: executive summary. A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on practice guidelines (Committee on Clinical Application of Echocardiography). Developed in collaboration with the American Society of Echocardiography. J Am Coll Cardiol. 1997;29:862–79.
6 Mulrow CD, Dolmatch BL, Delong ER, et al. ­Observer variability in the pulmonary examination. J Gen ­Intern Med. 1986;1:364–7.
7 Metlay JP, Kapoor WN, Fine MJ. Does this patient have community-acquired pneumonia? Diagnosing pneumonia by history and physical examination. JAMA. 1997;278:1440–5.
8 Mangione S, Nieman LZ. Pulmonary auscultatory skills during training in internal medicine and family practice. Am J Respir Crit Care Med. 1999;159:1119–24.
 9 Hopstaken RM, Muris JW, Knottnerus JA, Kester AD, Rinkens PE, Dinant GJ. Contributions of symptoms, signs, erythrocyte sedimentation rate, and C-reactive protein to a diagnosis of pneumonia in acute lower respiratory tract infection. Br J Gen Pract. 2003;53:358–64.
10 Wipf JE, Lipsky BA, Hirschmann JV, et al. Diagnosing pneumonia by physical examination: relevant or relic? Arch Intern Med. 1999;159:1082–7.
11 Leuppi JD, Dieterle T, Koch G, et al. Diagnostic value of lung auscultation in an emergency room setting. Swiss Med Wkly. 2005;135:520–4.
12 Epner DE, Baile WF. Patient-centered care: the key to cultural competence Ann Oncol. 2012;23 Suppl 3:33–42.
13 Gawande A. Naked. N. Engl J Med. 2005;353:645–8.
14 Australian Medical Association. AMA Position ­Statement. Patient Examination Guidelines 2012. 2012. Available at: https://ama.com.au/position-statement/patient-examination-guidelines-1996-revised-2012. Accessed 8 January 2017.
15 Bank I, Vliegen HW, Bruschke AVG. The 200th anniversary of the stethoscope: Can this low-tech device survive in the high-tech 21st century? Eur Heart J. 2016;37:3536–43.
16 Ofri D. The Physical Exam as Refuge. NY Times 2014; Available at:
http://well.blogs.nytimes.com/2014/07/10/
the-physical-exam-as-refuge/?_r=0.