Replik

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Édition
2017/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2017.03140
Forum Med Suisse 2017;17(47):1051

Publié le 21.11.2017

Replik

FORUM-Leserbriefschreiber Herr L. liefert einen eindrücklichen Bericht eines PrEP-Users zum sexuellen Risiko-, Reise- und Substanzkonsumverhalten in der Szene. Zu Recht fordert er in unserem Land mehr Pioniergeist, um HIV-Neuansteckungen zu reduzieren – wir teilen diese Meinung. Es braucht nun endlich auch in der Schweiz eine mutige Einstellung zur HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP), sowohl von Seiten der Ärzteschaft wie auch der Behörden.
Wir müssen unbedingt verhindern, dass die zunehmend populäre PrEP ohne ärztliche Aufsicht eingenommen wird [1]. So war dies nicht vorgesehen in den Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Sexuelle Gesundheit (der wir angehören) [2]. Ärzte sollen nicht abgeschreckt werden, eine PrEP zu verschreiben. Wir brauchen auch in der Schweiz eine nationale Strategie, die einen niederschwelligen, unbürokratischen Zugang zur PrEP unter fachärztlicher Kontrolle ermöglicht – und dies nicht nur an wenigen universitären Zentren.
Denn eine stetig wachsende Zahl von natio­nalen Gesundheitsministerien und die Weltgesundheitsorganisation erkennen in der PrEP eine wichtige, hochwirksame und zukunftsweisende Intervention zur Senkung der HIV-Ansteckungen. Wir sind daher überrascht über die Einschätzung im Editorial [3] zu unserem FORUM-Artikel [4], dass die PrEP eine «ineffiziente» Public-Health-Massnahme darstelle.
Besonders eindrücklich ist die staatliche Förderung der PrEP im Australischen Bundesstaat New South Wales (NSW; Einwohnerzahl knapp 8 Millionen, ähnlich wie in der Schweiz). Dort wurden seit 2016 mehr als 6000 Männer (!) in eine HIV-Präventionsstudie eingeschlossen, welche die Kosten übernimmt für die PrEP-Medikation, für regelmäs­sige HIV-Tests, andere nötige Blutanalysen und regelmässiges Screening für Geschlechtskrankheiten. So konnte NSW im letzten Jahr eine eindrückliche 39%ige Abnahme der neuen HIV-Diagnosen bei homo- und bisexuellen Männern gegenüber dem Durchschnitt der Vorjahre feststellen. Das NSW-Gesundheitsministerium empfiehlt daher, die HIV-Prävention weiter zu stärken, indem der Zugang zur PrEP und zu Kondomen verbessert wird [5]. Eine solche mutige, vorwärtsdenkende Strategie brauchen wir auch in der Schweiz. Denn hierzulande stagniert leider die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), hartnäckig bei ca. 250 pro Jahr. Dies legt nahe, dass zusätzliche präventive Anstrengungen nötig sind, wenn wir Neuansteckungen reduzieren und die HIV-Epidemie eindämmen oder gar eliminieren möchten [6].
Sogar England mit seinem finanziell arg strapazierten «National Health Service» (NHS) hat erkannt, dass es punkto HIV-Prävention mehr machen muss, und finanziert daher in den nächsten Jahren für 10 000 Männer mit sexuellem Hochrisikoverhalten eine PrEP. In der «56 Dean Street Clinic» des NHS in London sind die neuen HIV-Diagnosen in den letzten zwei Jahren bereits dramatisch (um 80%!) zurückgegangen, bei gleichbleibender HIV-Testanzahl (um die 6000–7000 Tests pro Monat) [7]. Wir wissen zwar noch nicht, ob dieser Erfolg auf die zunehmende Verbreitung der PrEP in der MSM-Szene in London zurückzuführen ist. Aber alle diese Beispiele zeigen eines: Eine wachsende Zahl von Gesundheitsministerien in Europa, den USA und Australien schätzt PrEP als eine wirksame und staatlich finanzierbare Public-Health-Massnahme ein.
Abschreckend hohe Kosten einer PrEP sind zudem ein Ding der Vergangenheit – nicht nur weil Schweizer User sich mit einem ärztlich ausgestelltem Rezept ihre PrEP übers Internet in Indien bestellen (wir schämen uns für diese Entwicklung in einem der reichsten Länder der Welt), sondern weil nun generisches Truvada® erhältlich ist, das auch in der Schweiz die PrEP erschwinglicher macht. In Deutschland wird übrigens die PrEP bald für 50 Euro pro Monat verfügbar sein [8].
Wir ermutigen das Schweizer Bundesamt für Gesundheit, die SwissPrEPared-Studie zu unterstützen, welche unter dem Patronat der hochangesehenen Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (www.shcs.ch) den Einsatz von PrEP wissenschaftlich begleiten wird und dabei wichtige epidemiologische und verhaltenssoziologische Erkenntnisse zu liefern verspricht.
1 Hampel B, Kusejko K, Braun DL, Harrison-Quintana J, Kouyos R, Fehr J. Assessing the need for a pre-exposure prophylaxis programme using the social ­media app Grindr®. HIV Med. 2017;387(18):53.
2 Eidgenössische Kommission für Sexuelle Gesundheit. Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für sexuelle Gesundheit (EKSG) zur HIV Prä- Expositionsprophylaxe (PrEP) in der Schweiz. BAG Bulletin [Internet]. 2016;(4):77–9. Available from: https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/mt/p-und-p/richtlinien-empfehlungen/prep-empfehlungen-der-eksg-januar-2016.pdf.download.pdf/bag-04-16-praevention-expo.pdf
3 Vernazza P. HIV-PrEP. Swiss Medical Forum. 2017;17:568–9.
4 Tarr P, Boffi El Amari E, Haerry D, Fehr J, Calmy A. HIV Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP). Swiss ­Medical Forum. 2017; 17:579–82.
5 NSW Government Health. NSW HIV Strategy 2016-2010. April–June 2017. Data Report [Internet]. ­[cited 2017 Sep 27]. Available from: http://www.health.nsw.gov.au/endinghiv/Documents/q2-2017-nsw-hiv-data-report.pdf.
6 Haakma TA, Luder S, Müller E, Somaini B. Transition from HIV control to HIV elimination in Switzerland. Journal of Public Health. Springer Berlin Heidelberg. 2017;21(1999):775–7.
7 56 Dean Street NHS Clinic. 56 Dean Street on Twitter [Internet]. 2017 [cited 2017 Oct 6]. Available from: ­https://twitter.com/56deanstreet/status/915718925962313729
8 Bald 50-Euro-PrEP in ersten deutschen Städten ­erhältlich. 2017. Available from: https://www.aidshilfe.de/meldung/bald-50-euro-prep-ersten-deutschen-staedten-erhaeltlich.