Eine sexuell übertragene Zoonose während der Schwangerschaft
Eine seltene Zoonose in der Schweiz

Eine sexuell übertragene Zoonose während der Schwangerschaft

Fallberichte
Édition
2018/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2018.03224
Forum Med Suisse 2018;18(1314):312-314

Affiliations
a Universitätsklinik für Infektiologie, Inselspital, Bern, b Praxis Frauenmedizin, Hinterkappelen

Publié le 28.03.2018

Eine 27-Jährige in der 7. Schwangerschaftswoche wird in die infektiologische Sprechstunde zugewiesen. Sie leidet seit mehreren Wochen unter Kopfschmerzen, Arthralgien sowie Bauchschmerzen mit Übelkeit ohne Erbrechen.

Hintergrund

Zoonosen sind Infektionskrankheiten, die von Tieren (Vertebraten) auf den Menschen übertragen werden. Manche Zoonosen haben auch das Potential der Übertragung von Mensch zu Mensch. Dank hygienischen Massnahmen / Impfungen sind viele dieser Zoonosen in den Industriestaaten selten geworden. Angesichts der zunehmenden Reisetätigkeit unserer Gesellschaft ist es jedoch wichtig diese Krankheitsbilder zu kennen. In der Schwangerschaft können Zoonosen für Mutter oder Kind teilweise schwerer verlaufen (z.B. Toxo­plasmose, Hepatitis E, Q-Fieber, Listeriose, Chlamydiose [Chlamydia abortus] und Brucellose) und Risiko­expositionen sollten deshalb vermieden werden.

Fallbericht

Anamnese

Eine 27-jährige Patientin wird in die infektiologische Sprechstunde zugewiesen. Sie ist in der 7. Schwangerschaftswoche und leidet seit mehreren Wochen unter Kopfschmerzen, Arthralgien sowie Bauchschmerzen mit Übelkeit ohne Erbrechen. Seit einigen Tagen hat sie auch Fieber. Aus der Umgebungsanamnese ist zu erfahren, dass beim Ehemann der Patientin vor knapp einem Monat nach einem humanitären Einsatz im Irak eine Brucellose diagnostiziert wurde. Wegen rezidivierendem Fieber, Kopfschmerzen sowie einer beidseitigen Gonarthritis wurde die Diagnose kurz nach seiner Rückkehr in die Schweiz gestellt. Brucella melitensis konnte sowohl im Blut als auch im Gelenkspunktat kultiviert werden. Der Ehemann steht zu diesem Zeitpunkt noch unter einer antibiotischen Therapie mit Doxycyclin. Die Patientin war während der letzten ­Monate nicht im Ausland.

Befunde und Diagnostik

Bei der Erstvorstellung ist die Patientin in einem guten Allgemein- und Ernährungszustand, afebril. Der klinische Status ist unauffällig, insbesondere besteht kein Meningismus. Die Laboruntersuchung zeigt ein normales Differentialblutbild und CRP sowie normale Leber- und Nierenwerte.
Eine Woche zuvor ist bereits durch die Gynäkologin eine Brucellen-Serologie (Antigen-Agglutinationstest und IgM) abgenommen worden, welche positiv war. Die serologische Untersuchung bei uns bestätigt diesen Befund mit einer klaren Serokonversion (Mikro­agglutination [MA] total Immunglobuline zwei Wochen zuvor 1:<40, aktuell 1:2560, MA-IgG vor 2 Wochen 1:<40, aktuell 1:640). Die Blutkulturen zeigen bereits nach drei Tagen ein Wachstum von Brucella melitensis. Die Abdomensonographie ist bis auf die bekannte Schwangerschaft unauffällig.

Therapie und Verlauf

Angesichts dieser Befunde ist die Diagnose einer Brucellose bestätigt. Die Standardtherapie ist eine antibiotische Therapie mit Doxycyclin und Streptomycin oder Gentamycin. Wegen der Frühschwangerschaft, in welcher sowohl Doxycyclin als auch Aminoglykoside ebenso wie die Alternative Cotrimoxazol kontraindiziert sind, ist eine Therapie mit Ceftriaxon und Rifampicin eingeleitet worden. Die Blutkulturen nach 14 Tagen Therapie waren steril. Die Symptome waren regredient. Die Schwangerschaft verlief komplikationslos. Die antibiotische Therapie wurde nach 6 Wochen gestoppt.
Zwei Wochen nach Therapiestopp wurde bei asymptomatischer Patientin jedoch aufgrund erneut positiver Blutkulturen ein Rezidiv der Brucellose diagnostiziert. Die Patientin war zu diesem Zeitpunkt in der 17. Schwangerschaftswoche. Klinisch lag weiterhin kein Fokus (Knochen, Gelenke …) vor. Eine transthorakale Echokardiographie fiel unauffällig aus. Eine antibiotische Therapie mit Cotrimoxazol und Rifampicin wurde gestartet. Die Blutkulturen waren nach einer Woche wieder negativ. Wegen der Gefahr eines Kernikterus unter Cotrimoxazol wurde zu Beginn des 3. Trimenons, d.h. nach weiteren 6 Wochen dualer antibiotischer Therapie, als Rezidivprophylaxe auf eine Rifampicin-Monotherapie bis zur Geburt umgestellt. Zweimalige Verlaufsblutkulturen unter dieser Therapie waren negativ. Die Patientin hat am Termin ein gesundes Kind per Spontangeburt zu Welt gebracht. Die histologische Untersuchung der Plazenta war unauffällig. Blutkulturen vom Neugeborenen waren steril.

Diskussion

Die Brucellose ist in der Schweiz ein seltenes Krankheitsbild. Das «Malta-», «Mittelmeerfieber» oder der «Morbus Bang» kommt endemisch nebst dem Mittelmeerraum auch in Indien, im mittleren Osten und ­Lateinamerika vor. Diese Zoonose ist beim Menschen meistens durch Brucella melitensis oder Brucella abortus, seltener Brucella suis oder canis verursacht. Reservoir der Brucella melitensis sind Schafe, Ziegen und ­Kamele. Die Übertragung auf den Menschen geschieht in endemischen Ländern meist durch den Konsum von unpasteurisierter Tiermilch (-produkte) infizierter Tiere (v.a. Ziegen- und Schafsmilch), den Verzehr von halbgegartem Fleisch oder bei direktem Kontakt mit infizierten Tieren, deren Blut oder Sekreten, grösstenteils im Rahmen beruflicher Expositionen (Veterinärmediziner, Schlachthofarbeiter, Bauer, Jäger). Die ­Bakterien dringen über kleinste Hautverletzungen, Schleimhäute, den Gastrointestinaltrakt oder selten auch durch Inhalation (v.a. Laborpersonal) in den Wirt. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist sehr selten, kann aber beim Stillen erfolgen. In der Literatur sind auch sexuell übertragene Fälle beschrieben [1]. In ­einem Fall konnte dieser Übertragungsweg durch eine positive Brucellen-PCR-Untersuchung der Samenflüssigkeit dokumentiert werden.
Der Ehemann der Patientin hat sich wahrscheinlich beim Genuss von frischem Joghurt aus Schafsmilch im Irak infiziert. Dieser wird dort traditionell aus frischer Schafsmilch zubereitet. Da die Patientin die letzten Monate vor der Erkrankung nicht im Ausland war und auch keine Tierprodukte aus dem Irak konsumiert hat, ­gehen wir am ehesten davon aus, dass die Brucellose sexuell übertragen wurde.
Zu den häufigsten Präsentationen der Brucellose ­gehören Fieber, Kopfschmerzen, Arthralgien, Myalgien, Nachtschweiss, Müdigkeit, Gelenkschmerzen und ­Anorexie. Ein Teil der Patienten entwickeln eine fokale Infektion wie Arthritis, Sakroileitis, Osteo­myelitis, ­Epididymoorchitis, Meningitis/Enzephalitis/Hirnabszess oder Endokarditis. Klinisch finden sich oft eine Hepato-, Splenomegalie oder Lymphadeno­pathie.
Da die Brucellose oft unspezifische Symptome ver­ursacht, gehört sie entsprechend in die Differential­diagnose des «Fevers of unknown origin». Nebst Infektionen (z.B. Abszesse, Endokarditis, Tuberkulose …) kommen somit differentialdiagnostisch auch Neoplasien, Autoimmunerkrankungen und ein medikamentöses Fieber in Frage. Ferner sollte bei unserer Patientin auch an eine Adnexitis oder an einen febrilen Abort gedacht werden. Zudem begünstigt die verminderte zelluläre Immunität während der Schwangerschaft gewisse Infektionen wie die Malaria, CMV-Infektion oder Reaktivierung und die Listeriose. Wie in diesem Fall demonstriert, ist die Anamnese mit Erfassung der epidemiologischen Daten (Tierkontakte, Reiseanamnese, Umgebungsanamnese, Konsum gewisser Nahrungsmittel) ein wesentlicher Punkt für die Diagnose­stellung.
Zur Brucellose in der Schwangerschaft gibt es in der ­Literatur unterschiedliche Angaben. Mehrere Studien zeigen eine gehäufte Inzidenz von Frühgeburten, untergewichtigen Neugeborenen [2, 3], Spontanaborten ­sowie Tod in utero [5]. Andere Studien hingegen fanden keine Assoziation zwischen Brucellose und intrauterinem Fruchttod oder Spontanaborten [2]. Missbildungen scheinen nicht mit der Brucellose assoziiert zu sein [2].
Der kulturelle Nachweis gilt als Goldstandard für die Diagnose. Die Blutkulturen sind in bis zu 70% der Fälle positiv. Oft wird die Diagnose auch aufgrund der Serologie (Agglutinationstest) gestellt. Ein Titer von ≥1:160 gilt in der Regel als diagnostisch. In endemischen Ländern wird oft ein höherer Cut-off von ≥1:320 gefordert. Die Sensitivität der Serologie kann durch Verlaufsserologie (Titeranstieg) gesteigert werden. Eine Serokonversion oder ein 4-facher Titeranstieg unterstützen die Diagnose.
Als Erstlinientherapie wird eine antibiotische Kombinationstherapie mit Doxycyclin und einem Aminoglykosid empfohlen [4]. Die WHO empfiehlt als orales Alternativregime Doxycyclin und Rifampicin. Während der Schwangerschaft sind sowohl das Doxycyclin (verzögertes Knochenwachstum, Zahnschmelzhypoplasie und Zahnverfärbung) als auch die Aminoglykoside (Schädigung des 8. Hirnnerven) kontraindiziert. Von einer Monotherapie wird wegen der höheren Rezidivrate abgeraten. Alternative Therapieoptionen während der Schwangerschaft beinhalten: Ceftriaxon/Rifampicin, Cotrimoxazol/Rifampicin, Cotrimoxazol oder Rifampicin alleine [2, 5].
Die Schweizer Empfehlungen zur Nahrungsmittelhygiene in der Schwangerschaft senken das Risiko der oralen Übertragung der häufigsten Zoonosen. Zoonosen können jedoch nicht nur oral übertragen werden (z.B. inhalativ: Q-Fieber, sexuell: Brucellose, direkter Kontakt: Chlamydiose).

Das Wichtigste für die Praxis

• Die Brucellose ist eine der häufigsten Zoonose weltweit.
• Die Übertragung in endemischen Ländern erfolgt meist über den Konsum von unpasteurisierter Tiermilch (-produkte) oder bei direktem Kontakt mit infizierten Tieren, deren Blut oder Sekrete.
• Das klinische Bild ist oft unspezifisch (Fieber, Unwohlsein, Anorexie, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen) und die Diagnose wird deshalb oft verzögert gestellt. Bei unbehandelter Erkrankung ist die Entwicklung ­einer lokalisierten Infektion (Arthritis, Sakroileitis, Osteomyelitis, Endo­karditis …) wahrscheinlicher. Eine Spontanheilung ist möglich. Die Mortalität ist niedrig und meist mit einem kardialen Befall assoziiert.
• Bei Reiserückkehrern mit unklarem Fieber aus Endemiegebieten wie dem Mittelmeerraum (insbesondere der Türkei), der Golfregion (insbesondere Syrien und Iran), Indien und Lateinamerika sollte an die Brucellose gedacht werden. Die Inkubationszeit beträgt in der Regel 1–4 Wochen.
• Die Diagnose erfolgt entweder über kulturellen Erregernachweis oder serologisch.
• In der Schwangerschaft ist sie mit einer erhöhten Inzidenz von Spontan­aborten und Frühgeburten, jedoch nicht mit Missbildungen assoziiert.
• In der Schwangerschaft sind die Therapieoptionen je nach Trimenon limitiert und das Rezidivrisiko ist bei Zweitlinientherapien erhöht.
• Die häufigsten einheimischen Zoonosen mit besonderer Gefährdung von Schwangeren lassen sich durch Nahrungsmittelhygiene vermindern. Diese beinhaltet das Vermeiden von Rohmilch sowie gewissen Käse­sorten [6], von rohem oder ungenügend gekochtem Fleisch sowie das Einhalten einer guten Küchenhygiene. Bei spezielleren Expositionen (Reisen, Tierkontakt usw.) bleibt aber ein Risiko bestehen.
• Für den seltenen Fall von sexuell übertragbaren Tropenkrankheiten (z.B. Brucellose, Zika-Virus) ist nicht nur die Expositionsanamnese/Prophylaxe der Schwangeren, sondern auch die ihrer Partner relevant.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persön­lichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag ­deklariert.
Dr. med. Claudia Brun del Re
SRO AG Spital Langenthal
St. Urbanstrasse 67
CH-4901 Langenthal
c.brundelre[at]sro.ch
1 Meltzer E, Sidi Y, Smolen G, Banai M, Bardenstein S, Schwartz E. Sexually transmitted brucellosis in humans. Clin Infect Dis. 2010;51(2):e12–5.
2 Gulsun S, Aslan S, Satici O, Gul T. Brucellosis in pregnancy. Trop Doct. 2011;41:82–4.
3 Vilchez G, Espinoza M, D’Onadio G, Saona P, Gotuzzo E. Brucellosis in pregnancy: clinical aspects and obstretric outcomes. Int J Infect Dis. 2015;38:95–100.
4 Ariza J, Bosilkovski M, Cascio A, Colmenero JD, Corbel MJ, Falagas ME, et al. International Society of Chemotherapy; Institute of Continuing Medical Education of Ioannina. Perspectives for the treatment of brucellosis in the 21st century: the Ioannina recommendations. PLoS Med. 2007;4(12):e317.
5 Khan MY, Mah MW, Memish ZA. Brucellosis in pregnant women. Clin Infect Dis. 2001;32:1172–7.
6 Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. Listeria monocytogenes und der Konsum von Milch und Milchprodukten während der Schwangerschaft – Empfehlungen und Hintergrundinformationen. 21.7.2017.