Die Seerose auf dem Thoraxbild
Ein pathognomonischer Befund

Die Seerose auf dem Thoraxbild

Coup d'œil 1
Édition
2018/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2018.03225
Forum Med Suisse 2018;18(16):359-360

Affiliations
a Institut für Radiologie und Nuklearmedizin, Luzerner Kantonsspital, Luzern; b Institut für Thoraxchirurgie, Luzerner Kantonsspital, Luzern;
c Institut für Radiologie, Privatklinik Linde Biel

Publié le 18.04.2018

Ein 20-jähriger Patient aus Afghanistan stellt sich mit starkem Hustenreiz, einmaliger Hämoptoe und ungewolltem Gewichtsverlust in der Notaufnahme vor.

Fallbeschreibung

Ein 20-jähriger Patient aus Afghanistan stellt sich mit starkem Hustenreiz, einmaliger Hämoptoe und un­gewolltem Gewichtsverlust in der Notaufnahme vor. Nach initialer körperlicher Untersuchung zeigt sich im Thorax-Röntgenbild eine ca. 10 cm messende zystische und lufthaltige Raumforderung im linken Oberlappen (Abb. 1). Am Boden der zystischen Raumforderung finden sich in Lagen orientierte weichteildichte und blattartige Transparenzminderungen. Flüssigkeit innerhalb der Zyste lässt sich nicht abgrenzen.
Abbildung 1: Thorax-Röntgenbild (p.a.) mit grosser Zyste im Oberlappen links (Pfeil). Intrazystisch finden sich in Lagen angeordnete, blattartige Transparenzminderungen. Mit freundlicher Genehmigung der Radiologischen Abteilung des Spital Langenthals.
Die anschliessende Computertomographie (CT) des Thorax bestätigt den Befund einer grossen lufthaltigen Zyste mit membranartig in Lagen konfiguriertem Inhalt (Abb. 2). Die radiologische Präsentation ist hierbei pathognomonisch für eine thorakale Echinococcus-granulosus-Infektion, die durch eine positive Echinococcus-Serologie bestätigt wird.
Abbildung 2: Computertomographie des Thorax (koronale multiplanare Rekonstruktion). Analog zum Thorax-Röntgenbild (Abb. 1) finden sich intrazystisch in Lagen orientierte, tuchartige Formationen (schwarzer Pfeil). Zudem zeigen sich alveoläre Infil­trate im Unterlappen und Lingulasegment (gelber Pfeil). Mit freundlicher Genehmigung der Radiologischen Abteilung des Spital Langenthals.
Mit der präoperativen Massnahme einer Antihelmintikatherapie wird der Patient für die Resektion vorbe­reitet. Da die Zyste praktisch den gesamten Lungen­oberlappen destruiert hat, muss in diesem Fall eine Lobektomie durchgeführt werden. Die medikamentöse Therapie wird drei Monate weitergeführt.
Das makroskopische Operationspräparat zeigt eine intralobäre Zyste mit partiell rupturierter und zusammengefallener weisslich-grauer Membran von gallertiger Konsistenz (Abb. 3).
Abbildung 3: Makroskopische Querschnitte durch das ­Operationspräparat. Gut erkennbar sind die weissliche, gallert­artige Endo- und Ektozyste sowie umgebendes kom­primiertes Lungenparenchym mit abgrenzbarer Perizyste. 
Mit freundlicher Genehmigung des Pathologischen Instituts des Luzerner Kantonsspitals.

Diskussion

Die Echinokokkose ist eine parasitische Zoonose, verursacht durch Bandwürmer der Gattung Echinococcus. Die bekanntesten Vertreter sind E. granulosus (Hundebandwurm) und E. multilocularis (Fuchsbandwurm). Endemisch tritt die zystische Echinokokkose durch den Hundebandwurm unter anderem in mediterranen europäischen Ländern und Zentralasien auf und ist die häufigste Form der Echinokokkose [1]. Typisch ist das Auftreten bei Patienten mit Migrationshintergrund aus Endemiegebieten, insbesondere bei intensivem Kontakt mit domestizierten Tieren (Hunden) oder dort, wo die Schafhaltung von grosser Bedeutung ist. Aufgrund der langen Inkubationszeit (bis zu mehreren Jahren) bleibt eine Infektion mit zystischer Echinokokkose lange unentdeckt. Bei Verdacht sollte jedoch eine zügige Diagnostik erfolgen, da die Folgen einer intrapulmonalen Hydatidenzyste schwerwiegend sein können. So sind Komplikationen wie die anaphylaktische Reaktion bei Zystenruptur, eine sekundäre bakterielle Infektion oder ein sekundärer Pneumothorax unter Umständen lebensbedrohlich.
Der klassische Endwirt von E. granulosus ist der Hund, in dessen Dünndarm der ausgewachsene Bandwurm lebt. Die Eier des Wurms werden über den Stuhl des Endwirtes ausgeschieden und gelangen über Ingestion zum Zwischenwirt (meistens Schafe). Als Fehlwirt kann aber auch der Mensch auftreten. Im Darm des Fehlwirtes schlüpfen die Larven, von wo sie über den portalvenösen Fluss in die Leber und weiter in periphere Organe gelangen. Dort angekommen bildet die Larve im Finnenstadium Zysten aus mit einer innen liegenden Keimschicht (Endozyste) und einer äusseren hyalinen Membran (Ektozyste). Vom Organismus wird diese Struktur nun noch mit einer Perizyste umkapselt – zusammen spricht man von der Hydatidenzyste, die bis zu 20 cm gross werden kann. Am häufigsten ist die Leber befallen (60%), gefolgt von der Lunge (20–30%) [2]. Während intakte Zysten lange symptomlos bleiben, finden rupturierte Zysten nicht selten Anschluss an das Bronchialsystem. Dies kann zu Thoraxschmerzen, Husten, Fieber und Hämoptoe oder sogar zur Expektoration der Zysteninhalte kommen (Hydaptosis).
Radiographisch pathognomonisch für die intrapulmonale Hydatidenzyste ist das sogenannte «water lily sign» oder zu Deutsch «Seerosenzeichen» wie in den Abbildungen 1 und 2 dargestellt. Die kollabierte und gefaltete Endozyste flottiert der Schwerkraft folgend frei in der Flüssigkeit der Perizyste und präsentiert sich ­dadurch wie eine Seerose mit ihren Blütenblättern auf einem Teich (Abb. 4). Zu dieser eindeutigen Darstellung kommt es aber nur in 10–15% der Fälle und nur bei einer rupturierten Endozyste [3]. Häufiger kommen intakte Zysten vor, die homogen, scharf begrenzt, rund-oval oder auch polyzyklisch sowie variabel gross sind und nicht selten multipel auftreten [4]. In der intakten Form spricht man von einer unkomplizierten Zyste. Dringt Luft aus erodierten Bronchiolen zwischen Perizyste und Ektozyste, lässt sich dies als schmale Luftsichel zwischen den Zystenmembranen in der Bildgebung nachweisen und man spricht von einer komplizierten Zyste.
Abbildung 4: Radiographisch pathognomonisch für die intrapulmonale Hydatidenzyste ist das sogenannte «water lily sign» oder zu Deutsch «Seerosenzeichen». Die kollabierten Endozystenanteile flottieren in der Hydatidenzyste wie die Seerosenblätter auf dem Wasser. © Alexander Sorokopud | Dreamstime.com.
Unkomplizierte und kleine Echinococcus-Zysten in der Lunge können in der Regel ohne grossen Parenchymverlust mittels Perizystektomie entfernt werden. Ein thorakoskopisches Vorgehen ist in ausgewählten Fällen möglich. Die antihelmintische Vor- und Nachbehandlung ist immer zwingend notwendig und sollte mit der Infektiologie abgesprochen werden.
Die Autoren danken der Radiologischen Abteilung des Spital Langen­thals für die Zurverfügungstellung der Abb. 1 und 2 sowie dem Pathologischen Institut des Luzerner ­Kantonsspitals für die Abb. 3.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persön­lichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag ­deklariert.
David Nau, dipl. Arzt
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
CH-6000 Luzern
david.nau[at]luks.ch
1 Craig PS, McManus DP, Lightowlers MW, Chabalgoity JA, Garcia HH, Gavidia CM, et al. Prevention and control of cystic echinococcosis. The Lancet Infectious diseases. 2007;7(6):385–94.
2 Gottstein B, Reichen J. Hydatid lung disease (echinococcosis/hydatidosis). Clinics in chest medicine. 2002;23(2):397–408, ix.
3 Sarkar M, Pathania R, Jhobta A, Thakur BR, Chopra R. Cystic pulmonary hydatidosis. Lung India: official organ of Indian Chest Society. 2016;33(2):179–91.
4 von Sinner W. Advanced medical imaging and treatment of human cystic echinococcosis. Seminars in roentgenology. 1997;32(4):276–90.