Die arterio-venöse Malformation
Seltene Ursache einer Makrohämaturie

Die arterio-venöse Malformation

Fallberichte
Édition
2018/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2018.03322
Forum Med Suisses. 2018;18(40):821-824

Affiliations
a Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie, UniversitätsSpital Zürich; b Vascular Anomaly Board, Universitäts-Kinderspital Zürich; c ­Dermatologische Klinik, UniversitätsSpital Zürich

Publié le 03.10.2018

Ein 51-jähriger Patient stellt sich nach neu aufgetretenen, mehrmaligen Makrohämaturieepisoden und intermittierend starken Flankenschmerzen beim Urologen vor. Er leidet zudem an einer milden Hämophilie.

Hintergrund

Die Makrohämaturie ist in der Praxis ein häufig anzutreffendes Symptom und kann vielfältige Ursachen haben. In der Regel ist eine Hämaturie ein vorüber­gehendes Phänomen und selbstlimitierend. Je nach Alter des Patienten stehen differentialdiagnostisch ein entzündliches Geschehen, Konkremente oder eine Neoplasie im Vordergrund. Selten gibt es aber auch andere Ursachen für eine Hämaturie (Tab. 1). Wir stellen zwei Patienten vor, bei denen eine arterio-venöse Malformation (AVM) der Niere diagnostiziert und interventionell-radiologisch behandelt wurde.
Tabelle 1: Ursachen der Makrohämaturie.
RenalPrä- oder postrenal
IgA-NephropathieIdiopathische Hyperkalzurie
Neoplasie der NiereZystitis/Urethritis
GlomerulonephritisBenigne Prostatahyperplasie
PyelonephritisProstatakarzinom
Arterio-venöse Malformation/FistelUrolithiasis
TraumaKoagulopathie
Trauma

Fallberichte

Fall 1

Ein 51-jähriger Patient stellt sich nach neu aufgetre­tenen, mehrmaligen Makrohämaturieepisoden und intermittierend starken Flankenschmerzen beim Urologen vor. Er leidet zudem an einer milden Hämophilie (Faktor VIII: 38%). Die Makrohämaturieepisoden wurden deswegen jeweils mit einer Faktor VIII-Substitution behandelt. Gleichzeitig wird nach einer Ursache der Hämaturie mittels Zystoskopie und Computertomographie (CT) gesucht. Während Erstere normal war, zeigte die CT eine AVM am Unterpol der rechten Niere (Abb. 1).
Abbildung 1: Koronare Computertomographie des 51-jährigen Patienten mit Makro­hämaturie, welche die AVM am Unterpol (Pfeil) der rechten Niere zeigt.
Bei doppelter Anlage der rechten Nierenarterie zeigt die selektive periinterventionelle Katheterarteriographie, dass Arteriolen aus beiden Arterien in einen hilären ­Varyxknoten münden (AVM Typ II nach Cho [1]). Deswegen wird entschieden, eine retrograde, venöse Embolisation über einen transjugulären Zugang mit Verschluss des Nidus durchzuführen. Der Varyxknoten wird mit 9 Coils (Metallspiralen) und einem flüssigen Embolisat (Ethylen-Vinylalkohol, Onyx®) obliteriert (Abb. 2).
Abbildung 2: Darstellung der AVM mittels Angiographie über die Unterpolarterie der rechten Niere vor (A) und nach (B) der transvenösen Embolisation mittels Coils und Onyx®.
Zwei Wochen nach erfolgter Embolisation berichtet der Patient über eine erneute Makrohämaturieepisode, welche ebenfalls nach Faktor VIII-Substitution wieder sistierte. Darauf blieb der Patient asympto­matisch und in der Kontroll-MR fünf Monate nach dem Eingriff kann die AVM nicht mehr nachgewiesen werden (Abb. 3). Die errechnete Kreatinin-Clearance hat sich durch die Embolisation nicht verändert.
Abbildung 3: Koronare MR-Angio in der arteriellen Phase fünf Monate nach Embolisation der AVM der rechten Niere (Fall 1). Zu sehen sind noch residuelle Artefakte (Pfeile) nach Coil- und Onyx®-Embolsiation am Unterpol ohne Nachweis einer Perfusion der ehemaligen AVM.

Fall 2

Eine 54-jährige Patientin stellt sich mit chronischen Rückenschmerzen in der Sprechstunde vor. Eine durchgeführte Computertomographie zeigt als Zufallsbefund eine AVM am Oberpol der linken Niere (Abb. 4). Mit Ausnahme von rechtsseitigen Rückenschmerzen ist die Patientin beschwerdefrei. Aufgrund der Grösse der AVM wird entschieden, eine Therapie einzuleiten (siehe auch Diskussion).
Abbildung 4: Axiale (A) und koronare (B) Computertomographie der 54-jährigen, bezüglich der AVM asymptomatischen Patientin. Man erkennt gut die arteriell vaskularisierte Malformation am Oberpol (Pfeile) der linken Niere.
Die arterielle Angiographie (Abb. 5) zeigt die AVM mit multiplen zuführenden Arterien aus segmentalen ­Ästen der Nierenarterie sowie zahlreiche abführende Venen (Typ IIIb nach Cho). Die Embolisation in diesem Fall erfolgt nur über den arteriellen Zugang mit einer Kombination von Metallspiralen und einem Polymer (n-Bucrylat, Histoacryl®).
Abbildung 5: Angiographisches Korrelat (A) der AVM am Oberpol der linken Niere. Die rechte Niere kommt angiographisch normal zur Darstellung. In der abschliessenden Angiographie nach Embolisation mittels Coils und Histoacryl® kommt die Malformation in der arteriellen Phase (B) sowie in der ­Parenchymphase (C) nicht mehr zur Darstellung.
Die abschliessende CT-Kontrolle vier Monate nach dem Eingriff zeigt einen Verschluss der AVM der linken Niere. Als Folge der Embolisation zeigt sich lediglich ein geringer Parenchymverlust am Oberpol der Niere ohne negativen Einfluss auf die Nierenfunktion.

Diskussion

Eine AVM ist eine abnormale Verbindung zwischen Arterien und Venen, welche aufgrund einer Störung in der Angiogenese zu Stande kommt (1. Trimenon). Nach aktuellster Klassifikation von Mulliken und Glowacki und den «International Society for the Study of Vascular Anomalies (ISSVA)»-Kriterien handelt es sich dabei um eine kongenitale «Fast-Flow»-Malformation [2].
Angiomorphologisch ähneln renale AVM sporadischen Angiomyolipomen. Letztere manifestieren sich eher durch schockierende Blutungen in das Retroperitoneum. Computertomographisch ist der Nachweis von Fettgewebe zwischen den pathologischen Gefässkonvoluten pathognomonisch für ein Angiomyolipom.
Von den AVM sind arterio-venöse Fisteln (AVF) zu differenzieren. Bei diesen besteht ebenfalls eine patholo­gische Verbindung zwischen Arterie und Vene, welche aber erworben ist. Die häufigste Ursache einer Fistel in der Niere ist die Biopsie mit einer Inzidenz von beinahe 20%, wobei sich solche pathologischen Verbindungen in bis zu 95% spontan wieder verschliessen. Somit beträgt die Inzidenz einer klinisch bedeutsamen AVF nach Nierenbiopsie ca. 0,3%–4% [3, 4]. Traumatische Ursachen für eine AVF sind äusserst selten. Schliesslich können AVF in Zusammenhang mit Nierenkarzinomen entstehen, wobei angiogenetische Wachstumsfaktoren eine wichtige Rolle spielen.
Die neue Klassifikation der vaskulären Anomalien (ISSVA-Klassifikation) wird zwar dem Ursprung einer Malformation gerecht und hat sich in der Dermato­logie, Chirurgie und interventionellen Radiologie zunehmend etabliert. Weniger relevant aber ist dabei die detaillierte Anatomie, welche insbesondere bei der Angiographie und für die resultierende Therapiewahl von Bedeutung ist. Eine häufig benutzte Klassifikation von arterio-venösen Malformationen ist diejenige nach Cho und Mitarbeiter, welche auf der Morphologie des Nidus basiert [1].
Eine AVM der Niere kann längere Zeit asymptomatisch sein, manifestiert sich aber in der Regel mit einer Makrohämaturie (in ca. 75% der Fälle). Sie ist häufiger bei Frauen anzutreffen (3:1) und betrifft mehrheitlich die rechte Niere. Obschon an sich eine angeborene Erkrankung, kann eine AVM lebenslang symptomatisch werden. Währenddessen der natürliche Verlauf intrakra­nieller und spinaler AVM ausgiebig erforscht ist, trifft dies für die hier beschriebenen, seltenen renalen AVM nicht zu. Es kann angenommen werden, dass AVM-­assoziierte Komplikationen wie beispielsweise Blutungen (Ausbildung Fluss-bedingter arterieller Aneu­rysmata oder Varyxknoten, Ruptur dysplastischer Arteriolen) oder hämodynamisch-relevante Links-Rechts-Shunts (Herzinsuffizienz, «Steal»-bedingte Nierenfunktionsverschlechterung) mit dem Alter zunehmen. Somit ist auch bei asymptomatischen Patienten eine Therapie gerechtfertigt [4]. Es ist anzunehmen, dass bei unserem Patienten nicht die Hämophilie zur Makrohämaturie führte, sondern die neu diagnostizierte AVM. Die vollständige Embolisation und Thrombosierung einer Fast-Flow-Malformation sowie die Abnahme des Druckes im malformierten Gefässbett benötigt nach dem Eingriff eine gewisse Zeit. So ist auch die erneute Hämaturieepisode zwei Wochen nach der Embolisation zu erklären. Danach blieb er nun über 10 Monate asymptomatisch. Hin und wieder reicht auch nur eine parenchymsparende, partielle Embolisation der AVM, um eine weitere Hämaturie­episode zu verhindern. Gelegentlich ist eine zweite ­Intervention zum definitiven Verschluss der pathologischen arterio-venösen Shunts notwendig. Dies war bei unseren beiden Patienten nicht der Fall.
Zur transarteriellen Embolisation renaler arterio-venösen Malformationen werden wie bei anderen Loka­lisationen vorwiegend Partikel, Coils oder und Flüssigembolisate (z.B. Histoacryl®, Onyx®, Äthanol) verwendet. Diese kommen häufig in Kombination zum Einsatz. In Studien aus den 1980er Jahren wurde über gelegent­liche Rezidive berichtet, wobei damals vorwiegend Gelfoam als Embolisat verwendet wurde. Eine aktuellere Langzeit-Studie (n = 34, Follow-up durchschnittlich 8,0 ± 2,8 Jahre, Embolisaiton mit Alkohol und Gelfoam) zeigte keine Spätkomplikationen nach Embolisation und lediglich vier Patienten benötigten eine zweite ­Intervention, um residuelle arterio-venöse Shunts zu verschliessen [5].
Die alternative Option zur interventionell-radiolo­gischen Embolisation einer AVM ist eine partielle oder totale Nephrektomie, welche allenfalls bei lebens­bedrohlichen Hämaturieepisoden oder sehr grossen Shunt-Volumen noch eine Relevanz hat. Die interven­tionell-radiologische Embolisation stellt einen eleganten, minimal invasiven Eingriff dar und ist aktuell bei AVM der Nieren die Therapie der Wahl, da damit das von der AVM nicht betroffene Nierengewebe geschont werden kann.

Das Wichtigste für die Praxis

• Die arterio-venöse Malformation ist eine seltene Ursache der Makrohämat­urie.
• Die arterio-venöse Malformation stellt eine Fehlentwicklung in der Angiogenese dar, während die arterio-venöse Fistel erworben ist (z.B. Nierenbiopsie/Trauma).
• Therapie der Wahl ist die interventionell-radiologische Embolisation.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Ralph Gnannt
Universitäts-Kinderspital Zürich
Steinwiesstrasse 75
CH-8032 Zürich
ralph.gnannt[at]usz.ch
1 Cho SK, Do YS, Shin SW, Kim DI, Kim YW, Park KB, et al: Arterio­venous malformations of the body and extremities: analysis of therapeutic outcomes and approaches according to a modified angiographic classification. J Endovasc Ther. 2006;13:527–38.
2 Mulligan PR, Prajapati HJS, Martin LG, Patel TH. Vascular anomalies: classification, imaging characteristics and implications for interventional radiology treatment approaches. Br J Radiol. 2014;87(1035):20130392.
3 Omoloja AA, Racadio JM, McEnery PT. Post-biopsy renal arteriovenous fistula. Pediatr Transplant. 2002;6:82–5.
4 Liu AS, Mulliken JB, Zurakowski D, Fishman SJ, Greene AK. Extracranial arteriovenous malformations: natural progression and recurrence after treatment. Plast Reconstr Surg. 2010;125:1185–94.
5 Takebayashi S, Hosaka M, Kubota Y, Ishizuka E, Iwasaki A, Matsubara S. Transarterial embolization and ablation of renal arteriovenous malformations: efficacy and damages in 30 patients with long-term followup. J Urol. 1998;159:696–701.