Chronische lymphatische Leukämie: neue Behandlungsstrategien
Zielgerichtete Therapien

Chronische lymphatische Leukämie: neue Behandlungsstrategien

Übersichtsartikel
Édition
2020/4142
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2020.08591
Forum Med Suisse. 2020;20(4142):560-565

Affiliations
Universitätsspital Zürich
a Klinik und Poliklinik für Innere Medizin; b Klinik für medizinische Onkologie und Hämatologie

Publié le 06.10.2020

Aufgrund der Entwicklung neuer und sehr effektiver zielgerichteter Therapien bieten sich zunehmend mehr Behandlungsoptionen, die eine individualisierte Entscheidung vor Therapiebeginn einer CLL ermöglichen.

Hintergrund

Bei der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) handelt es sich nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um ein Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) mit klonaler Expansion von reifen B-Zellen [1], welches durch einen leukämischen Verlauf charakterisiert ist (mindestens 5 G/l klonale B-Zellen). Das Bild der Erkrankung reicht von asymptomatischen Verläufen ohne wesentliche Wachstumstendenz und stabilen Blutbildveränderungen bis hin zu schnell voranschreitenden Verläufen, die Beschwerden machen und unmittelbar einer Therapie bedürfen. Das mediane Alter bei Erstdiagnose liegt bei 70–75 Jahren. Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Eine familiäre Häufung ist zu beobachten und konnte bestimmten Genabschnitten zugeordnet werden [2].
Die zugrunde liegenden Mechanismen der Erkrankung sind noch nicht komplett verstanden, allerdings bestehen eine Überexpression des anti-apoptotischen Bcl-2-Proteins (Bcl-2: «B-cell lymphoma 2») und nachfolgend eine Blockade der Apoptose der malignen B-Zellen. Zudem treibt ein autonom aktives Signal über den B-Zell-Rezeptor die Proliferation der Zellen und dieses Merkmal ist charakteristisch bei der CLL. Dazu kommen rekurrente somatische Genveränderungen von wichtigen Tumorsuppressor- (z.B. TP53, ATM) und Onkogenen (z.B. BRAF, NOTCH, RAS), die bei ca. 85% der Patienten nachweisbar sind. Insbesondere das Verständnis des B-Zell-Rezeptor-Signalwegs, in dem eine Reihe von wichtigen (therapeutisch angehbaren) Tyrosinkinasen Signale vermitteln, hat zu neuen Therapieansätzen geführt.
Zur Diagnosestellung der CLL muss eine klonale Lymphozytenzahl von 5 G/l im peripheren Blut vorliegen, die leicht mittels Immunphäno­typisierung nachgewiesen werden kann (Abb. 1). Morphologisch zeichnet sich die Erkrankung durch reife Lymphozyten mit dichtem, teils scholligem Kernchromatin und schmalem Zytoplasmasaum aus (Abb. 2). Die Zellen einer CLL weisen eine Koexpression der B-Zell-Antigene CD19, CD20 (schwach) und CD23 mit dem T-Zell-Antigen CD5 in der Immunphänotypisierung auf. Dieses charakteristische Markerprofil erlaubt eine sichere Diagnosestellung, wobei jedoch auch «atypische» Konstellationen mit Abweichungen im Markerprofil existieren.
Abbildung 1: Immunphänotypisierung mit einem für die chronische lymphatische Leukämie klassischen Markerprofil. Restriktion der Leichtketten vom Typ Kappa. Expression von CD19 und CD5.
Abbildung 2: Lymphozytose im peripheren Blut mit einer für die chronische lympha­tische Leukämie typischen Morphologie der Lymphozyten und Kernschatten (Pfeil) (Färbung: May-Grünwald-Giemsa, Vergrösserung: 100fach).
Eine klare Diagnosestellung mit Abgrenzung zu anderen indolenten B-Zell-Lymphomen ist wichtig, da sich der Behandlungsstandard der CLL von demjenigem anderer B-NHL zunehmend unterscheidet. Beim «small lymphocytic lymphoma» (SLL) handelt es sich um eine reifzellige B-lymphatische Neoplasie mit dem gleichen Immunphänotyp wie die CLL, jedoch mit einer klonalen Lymphozytenzahl von <5 G/l im peripheren Blut und mit einer pathologischen Lymphadenopathie. Wichtig ist die Abgrenzung von der sogenannten monoklonalen B-Zell-Lymphozytose (MBL), die nur als Vorläuferstadium und Risikokon­stellation gesehen wird [1].
Die klinische Stadieneinteilung erfolgt nach Rai oder Binet. Hier fliessen die Anzahl und das Ausmass der ­Zytopenien sowie die Anzahl der betroffenen Lymphknotenregionen respektive Organomegalien ein. Es existiert eine Vielzahl von molekularen Markern, die die Prognose der Erkrankung bestimmen [3]. Die wichtigsten Prognosefaktoren sind der Mutationsstatus des Immunglobulingens (IGHV) [4, 5] und die TP53-Mutation/-Deletion (17p) [6].

Therapieindikation

Ob eine Therapie erfolgen sollte, richtet sich nach dem Vorliegen von Krankheitssymptomen und einer aktiven Erkrankung («active disease»). Die Höhe der absoluten Lymphozytenzahl stellt keinen alleinigen Parameter für die Indikation zur Therapie dar.
Gemäss den geltenden Guidelines des «International Workshop on Chronic Lymphocytic Leukemia» (IWCLL)[7] ist eine Therapieindikation bei Vorliegen von mindestens einem der in Tabelle 1 genannten Kriterien gegeben:
Tabelle 1: Therapieindikation bei einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL)[7].
Zunehmende Knochenmarkinsuffizienz mit progredienter Thrombozytopenie (Tc <100 G/l) oder Anämie (Hb <100 g/l)
Ausgeprägte oder zunehmende und symptomatische Splenomegalie
Massiv zunehmende oder symptomatische Lymphadenopathie
Zunehmende Lymphozytose mit 50%iger Zunahme innerhalb von 2 Monaten oder einer Verdopplungszeit von weniger als 6 Monaten unter Berücksichtigung der ­absoluten Lymphozytenzahl (relative Indikation) ausgehend von einem Basiswert von mindestens30 G/l Lymphozyten
Paraneoplastische Syndrome wiedie Autoimmunhämolytische Anämie(AIHA) oder Immunthrombozytopenie(ITP), dieschlecht auf Kortikosteroide ansprechen
Signifikante, durch die Krankheit verursachte Symptome («B-Symptome»: Nachtschweiss, Fieber, Fatigue, Gewichtsverlust)
Mit neueren Therapieverfahren, die das Überleben von Patienten mit CLL verlängern, ist eine Behandlung bei Erfüllung eines der unten genannten Kriterien sinnvoll und eine Therapie sollte nicht unnötig hinausgezögert werden. Viele Patienten brauchen zu diesem Punkt besonders explizite Informationen. Die Frage, ob eine Therapie in der Abwesenheit von «aktiver» Erkrankung sinnvoll ist, wird zurzeit in klinischen Studien geprüft. Bei diesen Studien wird es wichtig sein, neben Wirksamkeit bezüglich Gesamtüberleben auch gesundheitsökonomische Aspekte zu berücksichtigen.

Therapieansätze

Bisher bestand die Erstlinientherapie der CLL in der ­Regel aus einer kombinierten Chemoimmuntherapie. In grossen Studien der Deutschen CLL-Studiengruppe (DCLLSG) konnte die Überlegenheit der Chemoimmuntherapie gegenüber alleiniger Chemotherapie für jüngere [8] und ältere Patienten gezeigt werden [9] und entsprechend waren CD20-Antikörper mit Chemotherapie allgemein akzeptierter Standard.
Für die Auswahl des Therapieregimes spielen insbesondere das Alter, der Fitnessstatus sowie Genveränderungen (TP53-Mutation, IGHV-Mutationsstatus) eine Rolle. Die Komorbidität kann durch den «Cumulative Illness Rating Scale»-(CIRS-)Score ermittelt werden und sollte systematisch erhoben werden. Bei jungen, fitten Patienten war die Therapie mit Fludarabin, Cyclophosphamid, Rituximab (FCR) ein Standard, während bei älteren fitten Patienten die Kombination aus Rituximab und Bendamustin (BR) empfohlen wurde. Die Altersgrenze liegt im Allgemeinen bei 65–70 Jahren. Bei älteren und komorbiden Patienten empfehlen aktuelle Leitlinien eine Chemoimmuntherapie mit Obinutuzimab und Chlorambucil oder Rituximab und Bendamustin, wobei eine Überlegenheit von Obinutuzumab gegenüber Rituximab in Verbindung mit Chlorambucil gezeigt werden konnte [9].

Zielgerichtete Therapie der CLL

Basierend auf der Entwicklung einer Reihe zielgerichteter Medikamente (Bruton-Tyrosinkinase-[BTK-]Inhibitoren, Bcl-2-Inhibitoren) ist zurzeit eine Umbruchphase in der Therapie der CLL zu beobachten, indem sich Standards rasch ändern. Während die Vorteile einer zeitlich limitierten Behandlung mit Chemoimmuntherapie auf der Hand liegen, werden die langfristigen Nebenwirkungen einer Chemotherapie bei zielgerichteten Therapien möglicherweise vermeidbar.
Eine Option in der Erstlinientherapie von Patienten mit CLL ist die Therapie mit dem oralen BTK-Inhibitor Ibrutinib. Ibrutinib hemmt ein wichtiges und zentrales Schaltmolekül des B-Zell-Rezeptor-Signalwegs, der bei der CLL über den autonomen B-Zell-Rezeptor aktiviert ist [10]. Im Vergleich mit einer Chlorambucil-­Monotherapie führte Ibrutinib zu einer signifikanten Verlängerung sowohl des progressionsfreien Überlebens als auch des Gesamtüberlebens und zu wesentlich höheren Remissionsraten (86 vs. 35%). Der Standardarm dieser Studie mit Chlorambucil spiegelte aber nicht die aktuelle Behandlungsempfehlung wider, die CD20-Antikörper beinhaltet, und führte entsprechend noch nicht zu einer allgemeinen Annahme von Ibrutinib als neuen Erstlinienstandard.
Entsprechend wichtig sind nun neueste Ergebnisse, die eine Überlegenheit von Ibrutinib (oder Ibrutinib mit Rituximab) gegenüber einer Chemoimmuntherapie mit BR oder FCR zeigen [11]:
Shanafelt et al. konnten Daten einer Phase-III-Studie veröffentlichen, in der Patienten bis 70 Jahre mit einer unbehandelten CLL entweder Ibrutinib und Rituximab oder eine Chemoimmuntherapie mit FCR erhielten [12]. Patienten mit einer 17p-Deletion wurden aufgrund des schlechten Ansprechens auf eine Chemoimmuntherapie ausgeschlossen. Insgesamt wurden 529 Patienten eingeschlossen. Sie wurden im Verhältnis 2:1 in die oben genannten Behandlungsarme randomisiert. 354 Patienten erhielten Ibrutinib und Rituximab und 175 Patienten FCR. Hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens (PFS) zeigte die Gruppe mit Ibrutinib und Rituximab ein signifikant besseres Ergebnis als die Gruppe, die FCR erhalten hatte (89,4 vs. 72,9% nach 3 Jahren). Neutropenie und Infektkomplikationen waren häufiger mit FCR assoziiert.
Es zeigte sich, dass Ibrutinib und Rituximab auch ­bezüglich des Gesamtüberleben ein besseres Ergebnis gegenüber FCR aufwiesen (98,8 vs. 91,5% Gesamtüberleben nach 3 Jahren, p <0,001). Diese Ergebnisse waren unabhängig von Alter, Geschlecht, Performance Status, Krankheitsstadium oder Vorhandensein von del11q23. Bei Patienten mit einem unmutierten IGHV-Status zeigte sich eine besonders klare Überlegenheit von Ibrutinib gegenüber dem anderen Therapieregime (PFS 90,7 vs. 62,5% nach 3 Jahren) [12], während das PFS für Patienten mit mutiertem IGHV ähnlich (87,7 vs. 88,0%) war. Die wesentliche Erkenntnis dieser Studie liegt in der Demonstration eines relevanten Gesamtüberlebensvorteils für Ibrutinib (+Rituximab), sodass hier ein neuer Standard der CLL-Therapie etabliert wurde.
Eine Studie von Woyach et al. verglich Ibrutinib-haltige Therapien mit einer Chemoimmuntherapie bei Patienten über 65 Jahre mit einer bislang unbehandelten CLL. Randomisiert wurde in drei Therapiearme: Ibrutinib alleine, Ibrutinib kombiniert mit Rituximab oder BR als eine bisherige Standardtherapie für ältere Patienten [11, 13]. Das 2-Jahres-PFS zeigte ebenfalls hier in den Gruppen mit Ibrutinib ein signifikant besseres Ergebnis (74 vs. 87/88%). Auch in dieser Studie konnte gezeigt werden, dass das chemotherapiehaltige Regime mit Bendamustin mit deutlich mehr hämatologischen Nebenwirkungen wie Zytopenien einherging. Ein wichtiger Kritikpunkt der Studie ist, dass Patienten mit Deletion 17p (8% in der BR-Gruppe) und mit mutiertem TP53-Status (9% in der BR-Gruppe) trotz erwiesener schlechter Wirksamkeit mit Immunchemotherapie behandelt wurden. Zu beachten ist auch, dass ein nicht unerheblicher Anteil von Patienten die Therapie mit Ibrutinib nach wenigen Monaten aufgrund von Nebenwirkungen unterbricht und insbesondere bei älteren und komorbiden Patienten das Management herausfordernd sein kann. Zu nennen sind hier insbesondere das erhöhte Risiko für Blutungsereignisse unter Ibrutinib sowie Arrhythmien und eine arterielle Hypertonie.
Zwischen den Gruppen, die mit Ibrutinib alleine oder mit der Kombination aus Ibrutinib und Rituximab behandelt wurden, fand sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich des PFS und damit werden vorausgehende Daten bestätigt, dass die Hinzunahme von Rituximab keine Verbesserung des PFS gegenüber Ibrutinib alleine ergibt [14].
Entsprechend mehren sich die Signale, dass Ibrutinib mit Rituximab keinen Vorteil zur Monotherapie haben könnte.
Mit Acalabrutinib existiert bereits ein BTK-Inhibitor der zweiten Generation, der in Studien ein Gesamt­ansprechen von 76% zeigte und dabei ein günstiges Nebenwirkungsspektrum aufwies. Die Ergebnisse des randomisierten Vergleichs mit Ibrutinib sind abzuwarten (NCT02477696). Die Elevate-Studie zeigte bei 535 randomisierten Patienten (Acalabrutinib + Obinutuzumab [n = 179], Acalabrutinib [n = 179], Obinutuzumab + Chlorambucil [n = 177]), dass Acalabrutinib + Obinutuzumab und Acalabrutinib das PFS gegenüber Obinutuzumab + Chlorambucil (HR 0,10, 95% CI 0, 06–0,18, HR 0,20, 95% CI 0,13–0,31, p <0,0001 p <0,0001) wesentlich verlängern. Die PFS-Raten betrugen 90, 82, und 34% (Acalabrutinib + Obinutuzumab, Acalabrutinib sowie Obinutuzumab + Chlorambucil). Bezüglich Gesamtüberleben zeigte sich ein günstiger Trend für die Kombination von Acalabrutinib und Obinutuzumab (siehe auch Tab. 2).
Tabelle 2: Neue Therapieansätze.
Neu zugelassene CD20-AntikörperObinutuzumab: in Kombination mit Chlorambucil höhere CR-Raten verglichen mit Rituximab (20,7 vs. 7,0%) sowie verbessertes OS und PFS [9].
Ofatumumab: Ansprechraten bis zu 53% als Monotherapie [20].
BTK-InhibitorenIbrutinib: in Kombination mit Rituximab besseres PFS und OS verglichen mit FCR, signifikant besseres PFS verglichen mit BR [11].
Acalabrutinib (2.-Generations-BTK, noch keine Zulassung für CLL) Ansprechraten von 76% [21].
PI3-K-InhibitorenIdelalisib: Remissionsraten von bis zu 81% in Kombination mit Rituximab [22].
Duvelisib: Ansprechraten von 74% [17].
Bcl-2-InhibitorVenetoclax: signifikant besseres PFS von Venetoclax/Rituximab (2-Jahres-PFS 84,9%) im Vergleich mit BR [15].
CAR-T cellsBislang erfolgreich eingesetzt bei refraktären Erkrankungen. Jedoch kleine Fallzahlen. Ansprechraten bis zu 70% [23].
LenalidomidImmunmodulatorische Substanz, die jedoch bislang lediglich bei refraktären Erkrankungen eingesetzt wird. Keine randomisierten Studien verfügbar. Ansprechraten 32–47% [24, 25].
BTK: Bruton-Tyrosinkinase; PI3-K: Phosphoinositid-3-Kinase; Bcl-2: B-cell lymphoma 2; CAR: chimeric antigen receptor; CR: complete response (vollständiges Ansprechen); OS: overall survival (Gesamtüberleben); PFS: progression-free survival (progressionsfreies Überleben); FCR: Fludarabin, Cyclophosphamid, Rituximab; BR: Bendamustin, Rituximab; CLL: chronische lymphatische Leukämie.
Die Studie hat eine besondere Bedeutung, da die Kombination von Obinutuzumab einen zusätzlichen Benefit in Kombination mit Acalabrutinib gegenüber Acalabrutinib bezüglich vollständiger Ansprechrate («complete response»-[CR-]Rate) und PFS zeigte. Unter Umständen ist Obinutuzumab ein besserer Kombinationspartner für BTK-Inhibitoren.
Ibrutinib ist in der Schweiz zugelassen als Erstlinientherapie für Patienten mit einer CLL, bei denen eine del(17p13) respektive eine TP53-Mutation vorliegt, und als Zweitlinientherapie bei Patienten mit einem Frührezidiv oder solche, die für eine Chemoimmuntherapie nicht geeignet sind.
Patienten mit Nachweis einer del(17p13) beziehungsweise einer TP53-Mutation haben eine niedrigere Ansprechrate und ein kürzeres Gesamtüberleben nach einer Chemoimmuntherapie [6]. Entsprechend muss der TP53-Status (p53 Mutation) vor Beginn einer Therapie untersucht werden, insbesondere, wenn eine Chemoimmuntherapie in Betracht gezogen wird. Unabhängig vom Fitnessstatus dieser Patienten ist bei einer TP53-Mutation die Therapie mit dem BTK-Inhibitor Ibrutinib indiziert. Bei Vorliegen von Kontraindikationen gegen Ibrutinib können auch der Bcl-2-Inhibitor Venetoclax oder der Phosphoinositid-3-Kinase-(PI3-K-)Inhibitor Idelalisib eingesetzt werden [15, 16]. Mit ­Duvelisib existiert bereits ein PI3-K-Inhibitor der zweiten Generation, der in Studien gute Ansprechraten von bis zu 74% zeigte und Ende 2018 in den USA zugelassen wurde [17] (siehe auch Tab. 2). Venetoclax inhibiert Bcl-2, das anti-apoptotisch wirkt, wodurch ein programmierter Zelltod ausgelöst wird. Die Therapie mit Venetoclax muss mit einer schrittweisen Steigerung der Dosis erfolgen, um das Auftreten eines Tumorlyse-Syndroms zu vermeiden.
In der CLL-14-Studie wurde randomisiert eine Therapie mit Venetoclax and Obinutuzumab gegen Obinutuzumab und Chlorambucil bei älteren oder komorbiden Patienten getestet. Insgesamt 432 Patienten wurden im Median 28,1 Monate beobachtet. Das PFS nach 24 Monaten war verbessert in dem Venetoclax–Obinutuzumab-Arm: 88,2% (95% CI, 83,7–92,6) vs. 64.1% (95% CI, 57,4–70,8). Patienten mit TP53-Deletion/Mutation und mit unmutiertem IGHV profitierten, während Patienten mit mutiertem IGHV keine Verbesserung des PFS zeigten. Die CR-Rate betrug 49,5% für Venetoclax und Obinutuzumab vs. 23,1% im Standardarm. Ebenso wurde die Anzahl der MRD-negativen (MDR: «minimal residual disease», messbare Resterkrankung) Patienten verbessert (56,9 vs. 17,1%, p <0.001).
Die Mortalität lag bei 9,3% in der Venetoclax-Obinutuzumab-Gruppe und bei 7,9% in der Chlorambucil–Obinutuzumab-Gruppe. Die Differenz war statistisch nicht signifikant. Entsprechend verhielt sich das Gesamtüberleben ähnlich in beiden Armen. Das bedeutet auch, dass bei älteren Patienten die Chemoimmuntherapie (insbesondere bei Patienten mit guter Prognose, d.h. mutiertem IGHV) eine therapeutische Option bleibt.
Basierend auf den oben genannten Daten beantragen wir bei Patienten unter 70 Jahren ohne Komorbiditäten, die keine Kontraindikation gegen Ibrutinib aufweisen, eine Kostenübernahme entsprechend der Studienergebnisse von Shanafelt (siehe auch Abb. 3).
Abbildung 3: Ansprechen verschiedener Therapieprotokolle anhand des progressionsfreien Überlebens (PFS) über 2 Jahre.
Ven R: Venetoclax, Rituximab (2-Jahres-PFS 84,9%) [15]; I: Ibrutinib (2-Jahres-PFS 87%) [11]; IR: Ibrutinib, Rituximab (2-Jahres-PFS 88%) [11]; FCR: Fludarabin, Cyclophosphamid, Rituximab (2-Jahres-PFS 65,2%) [13]; BR: Bendamustin, Rituximab (2-Jahres-PFS 60,5%) [13]. Aufgrund ungleicher Patientengruppen, ist der Vergleich hinsichtlich des PFS mit Vorsicht zu interpretieren.

Weitere Therapieansätze

Die bisher verabreichten Chemoimmuntherapien gehen mit Zytopenien und Infektionsrisiken sowie mit weiteren Chemotherapie induzierten Nebenwirkungen einher. Entsprechend ist der Bedarf an neuen zielgerichteten und chemotherapiefreien Behandlungsoptionen gross. Die Entwicklung geht dabei in Richtung von sehr effektiven Kombinationstherapien.
In der MURANO-Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten mit einer rezidivierten CLL, die mit der Kombination aus Venetoclax und Rituximab behandelt wurden, ein signifikant besseres PFS und eine höhere Rate an MRD-Negativität (62 vs. 13% undetektierbare MRD) erreicht hatten als Patienten in der Vergleichsgruppe mit Rituximab und Bendamustin [15] (siehe auch Abb. 3).
Als messbare Resterkrankung respektive MRD-Negativität wird der fehlende Nachweis von Tumorzellen bezeichnet, die mit der jeweils sensitivsten Messmethode gemessen werden können [18]. In der MURANO-Studie lag die Nachweisgrenze bei einer Tumorzelle pro 10⁴ Leukozyten. Die MRD-Analyse erfolgt bei der CLL anhand einer Durchflusszytometrie oder molekulargenetischen Untersuchung.
Insgesamt wurden in die MURANO-Studie 389 Patienten eingeschlossen. Die Rate an Neutropenien war ­höher in der mit Venetoclax und Rituximab behandelten Gruppe, jedoch gab es in der Gruppe mit Rituximab und Bendamustin mehr Fälle von febriler Neutropenie. Insgesamt erlitten ca. 3% der Patienten in der Therapiegruppe mit Venetoclax ein laborchemisches ­Tumorlyse-Syndrom. Nach zwei Jahren zeigte sich ein deutlich besseres PFS in der Gruppe mit Venetoclax (84,9 vs. 36,3%). Auch das Gesamtüberleben war mit 91,9% verbessert im Venetoclax-Arm (BR: 86,6%). Ein Kritikpunkt der Studie war der Einschluss von Patienten mit einer Deletion 17p (26%).
Hillmen et al. publizierten zuletzt erste Daten des CLARITY-Trial, der die Kombination von Venetoclax und Ibrutinib untersucht [19]. Bei 53 Patienten mit rezidivierter oder refraktärer CLL wurde die MRD-Negativität nach 12 Monaten Kombinationstherapie im peripheren Blut und Knochenmark untersucht. Nach acht Wochen Ibrutinib-Monotherapie (420 mg/Tag) erhielten die Patienten zusätzlich Venetoclax, das zur Vermeidung eines Tumorlyse-Syndroms langsam gesteigert wurde. Nach sechs Monaten Kombinationstherapie von Ibrutinib und Venetoclax konnte bei 28 (53%) Patienten keine MRD mehr im Blut und bei 19 (36%) der ­Patienten keine MRD mehr im Knochenmark nachgewiesen werden. Nach 12 Monaten erreichten insgesamt 51% der Patienten eine komplette Remission [19]. Aktuell rekrutiert in der Schweiz die SAKK 34/17-Studie, in der Patienten mit rezidivierter CLL mit Ibrutinib und Venetoclax behandelt werden.
Aufgrund dieser Daten ist die Hoffnung gross, bei Pat­ienten mit CLL auch in der Erstlinientherapie und ohne den Einsatz von Chemotherapie eine MRD-Negativität und ein lang anhaltendes Ansprechen zu erreichen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür wird sein, dass wir sinnvolle Kombinationen besser einzusetzen lernen.
Um Patienten so früh wie möglich Zugang zu diesen neuen zielgerichteten Therapien zu verschaffen, sollte die Therapie wann immer möglich in Studien erfolgen. An einer Reihe von Zentren in der Schweiz konnten Patienten mit einer bisher unbehandelten CLL, die keine Deletion 17p oder Mutation von TP53 aufweisen, in die CLL13-Studie eingeschlossen werden. In dieser Studie wurde randomisiert die Standardtherapie (FCR/BR) mit drei chemotherapiefreien Schemata (Rituximab/Venetoclax, Obinutuzumab/Venetoclax und Obinutuzumab/Venetoclax/Ibrutinib) verglichen.
Basierend auf der Vielzahl neuer Therapieoptionen bei der CLL befinden wir uns, selbst bei «einfachen» Therapieentscheidungen, in einer grossen Umbruchphase.

Ausblick

Aktuell wird die Indikation für eine Therapie vor allem durch das Vorliegen von Krankheitssymptomen (z.B. Zytopenien) bestimmt. Es ist jedoch abzusehen, dass es bald auch für asymptomatische Patienten Behandlungsoptionen in Studien geben wird, in denen neue Therapeutika und der Vorteil einer frühzeitigen Therapie untersucht werden. Dies begründet sich auf den besser verträglichen Therapien, die zielgerichtet wirken. Derzeit ist noch nicht absehbar, wann eine Studie für Patienten mit einer «inactive disease» in der Schweiz zugänglich sein wird, jedoch ist es diesbezüglich sinnvoll, sich zu der Studienaktivität an Zentren zu informieren. Ziel der neuen Therapien ist insbesondere die langfristige Krankheitseradikation, gemessen an der MRD, die durch eine zeitlich limitierte Therapie ermöglicht wird. Dieser Ansatz hat viele Vorteile im Vergleich zu teils noch zeitlich «unlimitierten» Therapien mit Einzelsubstanzen, die nicht zu einem MRD­negativen Status führen, mit dem die Therapie beendet wird.

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) handelt es sich um eine reifzellige B-lymphatische Neoplasie.
• Zur Diagnosestellung der CLL müssen eine klonale Lymphozytenzahl von >5 G/l im peripheren Blut sowie ein charakteristisches Markerprofil mit charakteristischer Morphologie vorliegen.
• Die wichtigsten Prognosefaktoren sind der Muta­tionsstatus des Immunglobulingens (IGHV) und die TP53-Mutation/Deletion, die inzwischen auch für die Therapiewahl ausschlaggebend sind.
• Die Indikation ob eine Therapie erfolgen sollte, richtet sich nach dem Vorliegen von Krankheitssymptomen («active disease»).
• Bisher bestand die Erstlinientherapie in der Regel aus einer kombinierten Chemoimmuntherapie. Basierend auf der Entwicklung einer Reihe zielgerichteter Medikamente (z.B. BTK-Inhibitoren, Bcl-2-Inhibitoren) ist aber zurzeit eine Umbruchphase in der CLL-Therapie zu beobachten. Um Patienten so früh wie möglich Zugang zu diesen neuen zielgerichteten Therapien zu verschaffen, sollte daher die Therapie wann immer möglich in Studien erfolgen.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Thorsten Zenz
Klinik für medizinische Onkologie und Hämatologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
thorsten.zenz[at]usz.ch
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