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Eine Penicillinanamnese ist nicht genug!
Leserbrief zu: Sendi P, Strahm C, Vogt M, Achermann Y, Borens O, Clauss M, Uçkay I. Perioperative Antibiotikaprophylaxe bei elektiver Gelenkprothesenimplantation. Swiss Med Forum. 2022;22(19–20):318–25.
In Ausgabe 19–20/2022 des Swiss Medical Forum wurde in einem Positionsdokument die perioperative Antibiotikaprophylaxe bei elektiver Gelenkprothesenimplantation thematisiert [1]. Ausführlich wurde auf mögliche allergische Reaktionen auf die verwendeten Antibiotika (vor allem Cefuroxim und Cefazolin) eingegangen und auf die Wichtigkeit einer detaillierten Anamnese und allergologischen Abklärung vor elektiven Eingriffen hingewiesen.
Die perioperative Anaphylaxie ist zwar insgesamt selten (circa 1:5000–1:10 000 Behandlungen) und wird durch Antibiotika, Muskelrelaxanzien, Chlorhexidin und Farbstoffe ausgelöst, stellt aber für allergologisch tätige Kolleginnen und Kollegen, bei denen sich die betroffenen Personen «sammeln», ein häufiges Problem dar [2]. In der Schweiz ist die Ursache nicht selten das prophylaktisch eingesetzte intravenöse (i.v.) Antibiotikum, hier vor allem Cefuroxim und Cefazolin. Da derzeit keine Tests für IgE auf Cephalosporine verfügbar sind, wird die Diagnose durch eine positive Hauttestung und/oder einen Basophilenaktivierungstest (BAT) gestellt.
Die Anamnese bezüglich früherer Exposition respektive Beta-Lactam-Allergie ist bei den Betroffenen fast ausnahmslos negativ. Insofern ist es selbst durch eine sorgfältige Anamnese nicht möglich, die gefährdeten Personen vorzeitig zu erfassen. Man wird hingegen häufig mit eher fragwürdigen «Penicillinallergien» konfrontiert, die sich nicht selten als klassische Nebenwirkungen (Durchfälle etc.) oder medikamentenunabhängige Probleme herausstellen.
Dies heisst für die betreuenden Ärztinnen und Ärzte: Man muss immer bei i.v. Gabe von hochkonzentrierten und hochdosierten Medikamenten (im Gramm-Bereich) mit einer Anaphylaxie rechnen. Diese kann sich neben den klassischen Manifestationen wie Bronchospasmus, Erythem/Urtikaria und Blutdruckabfall auch isoliert durch einen akuten Herzstillstand äussern. Eine unauffällige Anamnese bezüglich Medikamentenallergie ist hier nicht prädiktiv.
Die Anaphylaxie ist eine «abnormale» Reaktion auf eine bereits abnormale Situation: Hochdosierte Medikamente bolusartig i.v. zu verabreichen (wie hier empfohlen) ist belastend, da sich diese den üblichen Steuerungs- und Dämpfungsmechanismen (Erbrechen, Durchfall, Durchblutungsminderung, forcierte Ausscheidung) entziehen. Die plötzliche Medikamentenexposition in hoher Dosierung überfordert das fein tarierte System der IgE-tragenden Mastzellen und es kommt zu einer massiven Histaminfreisetzung mit fulminant einsetzenden Symptomen [3]. Bereits eine langsamere oder stufenweise Verabreichung des Medikamentes könnte das Problem und dessen klinische Ausprägung lindern, so wie es bei Vancomycin aufgrund dessen direkter Mastzellstimulation («red man syndrome») bereits klinischer Standard und im Positionsdokument auch so erwähnt ist.
Um diese insgesamt unbefriedigende Situation zu verbessern, wäre es wünschenswert, alle perioperativen Anaphylaxien in der Schweiz zentral zu erfassen und genau zu analysieren. In den meisten Fällen kann man bei den anaphylaktisch reagierenden Personen eine entsprechende IgE-Sensibilisierung nachweisen (Hauttest, Serologie, BAT). Woher allerdings die Sensibilisierung bei fehlender früherer Exposition auf die verwendeten Medikamente stammt, ist immer noch ein Rätsel. Nur über diesen mühsamen Weg wird es möglich sein, leicht verfügbare und kostengünstige prädiktive Tests zu entwickeln, um das kleine, aber im Einzelfall äusserst kritische Risiko einer lebensbedrohlichen Reaktion zu erfassen. Bis dahin, langsam injizieren und genau beobachten!
WJP hat angegeben, Zuschüsse sowie Beratungshonorare zuhanden ADR-AC (Adverse Drug Reactions Analysis & Consulting) von Roche, Argenix und Staten sowie Vortragshonorare von ADR-AC und Zuschüsse im Rahmen der «Drug Hypersensitivity Meetings» erhalten zu haben; weiter hat WJP privaten Aktienbesitz von Roche, Novartis und Biontec deklariert. OH ist bei ADR-AC als klinischer Berater tätig; weiter hat er deklariert, Honorare von Thermo Fischer Diagnostics AG erhalten zu haben.
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