Wenn die Diagnose durch die Kolonwand schimmert
Akute Rückenschmerzen

Wenn die Diagnose durch die Kolonwand schimmert

Fallberichte
Édition
2017/37
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2017.03031
Forum Med Suisse 2017;17(37):798-800

Affiliations
Chirurgie und Traumatologie, Spital Oberengadin, Samedan
Viszerale Chirurgie, Inselspital Bern, Bern
Innere Medizin, Spital Oberengadin, Samedan
Gastroenterologie und Hepatologie, Spital Oberengadin, Samedan

Publié le 13.09.2017

Hintergrund

Wir berichten über einen Patienten mit akut aufgetretenen Rückenschmerzen, eine erschwerte Anamnese und – dank kleinem diagnostischem Umweg – über die Ursache der Rückenschmerzen, schöne Endoskopie­bilder und die Anatomie des Kolons.

Fallbericht

Anamnese

Ein 76-jähriger Patient wird von seinem Sohn wegen immobilisierender Rückenschmerzen auf die Notfallstation gebracht. Diese lokalisieren sich linksseitig tieflumbal mit Ausstrahlung in die linke Flanke und Leiste. Fieber oder ein Trauma werden verneint. Bei bekanntem Alkoholabusus ist das Erheben der Anamnese jedoch schwierig. Der Beginn der Schmerzexazerbation lässt sich – bei chronischen Rückenschmerzen im Rahmen von degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule – nicht genau eruieren. Weiter besteht eine sensomotorische Polyneuropathie der unteren Extremitäten sowie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit mit St. n. Zehenamputation bei Gangrän. An kardiovaskulären Risikofaktoren finden sich eine arterielle Hypertonie, ein Nikotinabusus (40 pack­years) sowie eine Hypercholesterinämie. An Medikamenten nimmt der Patient Esomeprazol, Candesartan/Hydrochlorothiazid und Acetylsalicylsäure (Aspirin® cardio) zu sich.

Status und Befunde

Bei Eintritt ist der Patient leicht hyperton (171/105 mm Hg), normokard und afebril. In der klinischen Untersuchung besteht eine paravertebrale Druckdolenz links auf Höhe der LWS, eine Klopfdolenz über dem linken Nierenlager, eine schmerzbedingt eingeschränkte Beweglichkeit im linken Hüftgelenk sowie eine verminderte Sensibilität beider Unterschenkel. Die klinische abdominale Untersuchung ergab keine pathologischen Befunde; insbesondere liessen sich keine Resistenzen palpieren.

Diagnostik

Laborchemisch findet sich bei Eintritt bis auf eine leichte Hypokaliämie und Hyponatriämie keine Auffälligkeiten (Hämoglobin 149 g/l, Leukozyten 5,9 G/l, Thrombozyten 176 G/l, INR 0,87 (Quick >100%), Natrium 128 mmol/l, Kalium 3,0 mmol/l, Kreatinin 89 µmol/l, ALT 9 U/l, Bilirubin 9 μmol/l, C-reaktives Protein 2,7 mg/l, Urinstatus bland). Das konventionelle Röntgenbild des Beckens zeigt eine mässiggradige Cox­arthrose links sowie degenerativ veränderte Iliosakralgelenke beidseits. Im MRI der LWS lässt sich zusätzlich die vorbekannte Spinalkanalstenose nachweisen. Unter peroraler Analgesie (Paracetamol, Metamizol und Oxynorm/Naloxon) und mit Hilfe der Physiotherapie lässt sich der Patient zunehmend mobilisieren.

Verlauf und Diagnose

Bei einer Blutentnahme im Rahmen der Kontrolle der Elektrolytwerte zwei Tage nach Eintritt finden sich ein Abfall des Hämoglobins auf 103 g/l sowie ein Anstieg des Kreatinins auf 114 µmol/l. Ein Laborfehler wird ausgeschlossen, das Hämoglobin sinkt am Folgetag auf 89 g/l. Anamnestisch und klinisch ergeben sich keine neuen Aspekte. Für eine gastrointestinale Blutung oder einen Sturz im Spital finden sich keine Hinweise, insbesondere lassen sich am gesamten Integument keine Hämatome nachweisen. Eine Hämolyse ist nicht nachweisbar, der Kreatininverlauf spricht gegen eine Verdünnung des Blutes. Da die Anamnese nicht zuverlässig ist und eine gastrointestinale Blutung nicht ausgeschlossen werden kann, wird eine Gastroskopie durchgeführt ohne Nachweis einer Blutungsquelle. Die Koloskopie zeigt ebenfalls keine aktive Blutung. Überraschend findet sich aber eine deutliche Blau­verfärbung der Kolonschleimhaut an der Hinterwand des Colon ascendens und des Colon descendens sowie zirkulär im gesamten Rektum. Das Colon transversum sowie auch das Colon sigmoideum sind hingegen von normaler Farbe (Abb. 1). Bei Verdacht auf eine retroperitoneale Blutung erfolgt ein CT-Abdomen, wobei sich ein Hämatom des linksseitigen M. iliopsoas nachweisen lässt (Abb. 2). Hinweise für eine persistierende, aktive Blutung finden sich nicht. Unter Kenntnis des CT-Befundes war retrospektiv im MRI der LWS miterfasst ein linksseitiges Ödem im M. iliopsoas erkennbar, welches der Blutung zuzuordnen ist.
Abbildung 1: Koloskopie: Colon ascendens (A), transversum (B), sigmoideum (C) und Rektum (D). Man beachte die dunkle, 
bläuliche Verfärbung des Colon ascendens (A) und des Rektums (D). Weitere Erläuterungen siehe Text.
Abbildung 2: Computertomographie des Abdomens: transversale (A) und coronare (B) Darstellung des Hämatoms im M. iliopsoas (*).
Die Acetylsalicylsäure wird pausiert, das Hämoglobin im Verlauf bleibt stabil. Anamnestisch ergeben sich keine Hinweise für eine zusätzliche Einnahme von nicht-steroidalen Antirheumatika. Der Patient kann im Verlauf weiter mobilisiert und nach Hause entlassen werden (Abb. 1).

Diskussion

Hämatome des M. iliopsoas sind selten, können aber lebensbedrohlich sein [1, 2]. Solche Hämatome können spontan auftreten oder traumatisch bedingt sein [3]. Spontane, intramuskuläre Hämatome basieren meist auf einer multifaktoriellen Mikroangiopathie. Begünstig wird das Auftreten einer Blutung durch eine Koagulopathie, bedingt durch eine Leberzirrhose, eine Hämophilie oder eine medikamentöse Antikoagulation. Aufgrund des zunehmend häufigeren Einsatzes von Antikoagulanzien wird von einer Zunahme der Häufigkeit von spontanen Einblutungen in das Muskel­gewebe ausgegangen [4]. Auch eine hypertensive Entgleisung kann einem Hämatom des M. iliopsoas zugrundeliegen [5]. Die klinische Symptomatik reicht von unspezifischen Hüft-, Leisten- oder Rückenschmerzen über neurologische Beeinträchtigungen des N. femoralis [1] bis hin zum hämorrhagischen Schock. Eine Bildgebung, meist mittels CT-Abdomen, führt zur Diagnose. Eine im Vergleich zur CT meist schneller verfügbare Sonographie des Abdomens kann bereits zur Verdachtsdiagnose führen. Die Behandlung erfolgt bei geringer Symptomatik und sistierter Blutung konservativ. Bei persistierender Blutung ist eine Katheterintervention mit arterieller Embolisation in der Regel die Methode der Wahl [2]. Bei neurologischen Komplikationen kann eine Operation notwendig werden [1].
In der Koloskopie unseres Patienten schimmerte die bläuliche Farbe des retroperitonealen Hämatoms endoskopisch durch die Kolonwand durch. Die Wand des Kolons ist derart dünn, dass auch in der normalen Koloskopie z.B. die intraperitoneal gelegene Leber und Milz anhand deren Farbe von intraluminal her identifiziert werden können. Dies erleichtert die Orientierung während der Endoskopie. Im Fallbeispiel zeigt sich anhand der retroperitoneal gelegenen Blutung eine interessante anatomische Gegebenheit. Die Hinterwand der sekundär retroperitonealen Anteile des Kolons (Colon ascendens und descendens) sind bläulich verfärbt, ebenso die Wand zirkulär im extraperitoneal gelegenen Anteil des Rektums. Im Gegensatz dazu sind die intraperitonealen Anteile des Kolons (Colon transversum und sigmoideum) von der Blauverfärbung ausgespart, was durch das hier vorhandene Meso zu erklären ist mit dementsprechend erschwerter Hämatomausbreitung. Diese Befunde veranschaulichen schön die wechselnde Lage der einzelnen Kolonabschnitte.

Das Wichtigste für die Praxis

• Ein akuter Hb-Abfall ist meist Folge einer gastrointestinalen Blutung.
• Bei anamnestisch und klinisch fehlenden Hinweisen für eine gastrointestinale Blutung muss an ein spontanes Psoashämatom gedacht werden.
• Wegen der retroperitonealen Lage des M. iliopsoas ist die Diagnose klinisch meist nicht möglich und erfolgt in der Regel im CT-Abdomen.
• Der Verlauf des Psoashämatoms ist meist selbstlimitierend und die Therapie konservativ. Bei persistierend aktiver Blutung kann aber eine Katheterintervention mittels arterieller Embolisation notwendig werden.
Wir danken der Abteilung Radiologie des Spitals Oberengadin ganz herzlich für das Röntgenmaterial.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Lorenz Peterer, dipl. Arzt
Chirurgie und Traumatologie, Spital Oberengadin
Via Nuova 3
CH-7503 Samedan
lorenz.peterer[at]
access.uzh.ch
1 Marquardt G, Barduzal Angles S, Leheta F, Seifert V. Spontaneous haematoma of the iliac psoas muscle: a case report and review of the literature. Arch Orthop Trauma Surg. 2002;122:109–11.
2 Llitjos JF, Daviaud F, Grimaldi D, Legriel S, Georges JL, Guerot E, et al. Ilio-psoas hematoma in the intensive care unit: a multicentric study. Ann Intensive Care. 2016;6:8–15.
3 Sugiyama C, Akai A, Yamakita N, Ikeda T, Yasuda K. Muscle hematoma: a critically important complication of alcoholic liver cirrhosis. World J Gastroenterol. 2009;15:4457–60.
4 Dohan A, Darnige L, Sapoval M, Pellerin O. Spontaneous soft tissue hematomas. Diagn Interv Imaging. 2015;96:789–96.
5 Yogarajah M, Sivasambu B, Jaffe EA. Spontaneous iliopsoas haematoma: a complication of hypertensive urgency. BMJ Case Rep. 2015. doi:10.1136/bcr-2014-207517.