Schöllkrautbedingte, akute Hepatopathie
Idiosynkratische Hepatotoxizität

Schöllkrautbedingte, akute Hepatopathie

Der besondere Fall
Édition
2020/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2020.08528
Forum Med Suisse. 2020;20(5152):794-797

Affiliations
a Abteilung für klinische Pharmakologie & Toxikologie, Universität Basel und Universitätsspital Basel
b Regionales Pharmacovigilance-Zentrum Basel, Abteilung für klinische Pharmakologie & Toxikologie, Universitätsspital Basel

Publié le 15.12.2020

Eine 29-jährige Patientin stellt sich auf der Notfallstation mit seit zehn Tagen bestehender Müdigkeit, Sodbrennen, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Aufstossen vor.

Hintergrund

Hepatopathien gehören zu den häufigsten Gründen für den Rückzug eines zugelassenen Medikamentes. Sie manifestieren sich als dosisabhängige, voraussagbare «Typ A»-Reaktionen sowie als seltene, unerwartete und unter therapeutischer Dosierung auftretende sogenannte idiosynkratische oder «Typ B»-Reaktionen. Letztere stellen die Mehrheit der medikamentösen ­Hepatopathien dar. Sowohl konventionelle als auch pflanzliche Medikamente können eine «drug-» beziehungsweise «herbal-induced liver injury» (DILI respektive HILI) mit schweren Folgen verursachen [1].
Trotz diagnostischer Fortschritte bleibt die medikamentöse Hepatopathie eine Ausschlussdiagnose. Für die Diagnosestellung reichen ein fünffacher Anstieg der Alanin-Aminotransferase (ALT) oder ein zweifacher Anstieg der alkalischen Phosphatase (ALP) bei meist einer Erhöhung eines weiteren Cholestasewertes wie der γ-Glutamyltransferase (γ-GT) respektive die Kombination aus einem mehr als zweifachen Anstieg der ALT und des totalen Bilirubins aus [2]. Auf einen Transaminasenanstieg kann mit einer Latenzzeit von bis zu vier Wochen eine Bilirubinerhöhung folgen [2]. Die Berechnung des sogenannten «R-Quotienten» (R = [ALT/ULN] / [ALP/ULN]; ULN = oberer Normwert) weist auf das Muster des Leberschadens hin (R ≥5: hepatozellulär, R ≤2: cholestatisch, 2 < R < 5: gemischt). Klinische Präsentation und Enzymmuster können auf den Schweregrad des Leberschadens hindeuten und haben prognostische Aussagekraft. Zudem kommt ein hepatozellulärer Leberschaden häufiger bei HILIs als bei DILIs vor und ist mit einem schwerwiegenderen Outcome assoziiert [3]. Prädiktor gravierender, sub­stanzbedingter Leberschädigungen ist eine als «Hy’s Gesetz» (engl. «Hy’s law») bezeichnete Befundkonstellation [2]. Diese Faustregel beinhaltet drei Komponenten: (1.) eine ALT- oder AST-Erhöhung über den dreifachen oberen Normwert in Kombination mit (2.) einer Erhöhung des Gesamtbilirubins über den zweifachen oberen Normwert ohne Zeichen der Cholestase (im Sinne einer höchstens leichtgradigen ALP-Erhöhung) ohne (3.) weitere Ursachen der Transaminasen- respektive Gesamtbilirubinerhöhung wie zum Beispiel vorbestehende Hepatopathien oder virale Hepatitiden [2]. Bei Erfüllung dieser drei Bedingungen liegt gemäss Hy’s Gesetz einerseits eine schwere, substanzbedingte Hepatopathie mit andererseits einem hepatozellulären Schädigungsmuster vor. Neben Störungen der Leberfunktion treten bei bis zu 10% der Patienten entweder transplantationspflichtige oder fatale Krankheitsverläufe auf.

Fallbericht

Anamnese

Eine 29-jährige Patientin stellte sich auf der Notfallstation mit seit zehn Tagen bestehender Müdigkeit, Sodbrennen, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Aufstossen vor. Ab dem dritten Tag hatte sie Iberogast® und ab dem fünften bei fehlender Symptombesserung Panto­prazol eingenommen. Eine Woche vor Vorstellung hatte sie dunkelgelben Urin bemerkt und einen Tag vor Vorstellung war einem Familienmitglied zudem eine Gelbfärbung der Skleren aufgefallen. Auslandsreisen in den letzten Monaten verneinte die Patientin. Vorerkrankungen beinhalteten einen kürzlich diagnostizierten Diabetes mellitus (unter Metformin seit drei Monaten) und eine Hypothyreose (unter Levothyroxin seit zwei Monaten). Ausserdem nahm die Pa­tientin seit 1,5 Jahren Levo­norgestrel/Ethinylestradiol zur Kontrazeption. Eine Einnahme von Paracetamol oder nicht­steroidalen Antirheumatika (NSAR) wurde verneint.

Status

Klinisch zeigte sich die übergewichtige (91,3 kg), hypertone (153/113 mm Hg), tachykarde (125/min) und subfe­brile (37,8°C) Patientin mit ausgeprägtem Haut- und Sklerenikterus.

Befunde

Laborchemisch imponierten deutlich erhöhte Trans­aminasen (ALT 2412 U/l, AST 1489 U/l), eine Hyperbilirubinämie (Bilirubin total 211,6 / direkt 180,0 µmol/l), Cholestasezeichen (γ-GT 169 U/l, ALP 139 U/l) sowie eine Gerinnungsstörung (INR 2,4, Faktor II 28%, V 73%, VII 10%; Abb. 1). Die Nierenfunktion war stets im Normbereich, ebenso wie Nieren- und Leberwerte drei Monate zuvor.
Bei vorliegender, akuter Hepatopathie unklarer Ätiologie wurden Metformin, Iberogast® und Pantoprazol bereits am Eintrittstag abgesetzt (auf Abb. 1 «Tag 1» entsprechend).
Serologisch zeigten sich keine Hinweise auf eine virale Genese im Sinne negativer Befunde hinsichtlich mö­glicher Infektionen mit Hepatitis A, B, C oder E und akuter Infektionen mit Zytomegalie- (CMV), Epstein-Barr- (EBV), Herpes-simplex-1- (HSV-1), Herpes-simplex-2- (HSV-2), Varizella-Zoster-Virus (VZV), humanem Herpesvirus 6 (HHV-6), humanem Immundefizienzvirus (HIV) und Parvovirus B19.
Alpha-1-Antitrypsin, Coeruloplasmin und die Kupfer-Messung im 24-Stunden-Sammelurin waren ebenfalls im Normbereich.
Radiologisch (Sonographie und Abdomen-Computertomographie) fanden sich keine Hinweise auf Gallenwegsobstruktionen oder Lebervenen- und Pfortaderthrombosen.
Die antinukleären Antikörper, Anti-Mitochondrien-M2-Antikörper, Anti-glatte-Muskulatur-Antikörper und Anti-Transglutaminase-IgA-Antikörper waren ebenfalls unauffällig – im Gesamtbild somit ohne Hinweis auf eine autoimmune Genese.
Eine Leberbiopsie ergab das Bild einer schweren, akuten Hepatitis mit ausgedehnten, konfluierenden, zentro-zentralen Nekrosen perivenulärer Betonung (Brückennekrosen), 60% des Leberparenchyms betreffend. Ein entsprechendes Bild wies auf eine medikamentös-toxische Genese ohne Zeichen äthyltoxischer Beteiligung, einer Hämochromatose und eines Morbus Wilson hin.

Verlauf und Diagnose

Nach Sistierung der oben genannten Medikamente waren die Transaminasen (maximale Werte am Eintrittstag) rasch sinkend, gefolgt von einem – passend zu dessen längerer Halbwertszeit – leicht verzögerten Abfall des Bilirubins. Nach 11 Tagen konnte die Patientin nach deutlicher Beschwerdebesserung entlassen werden. Während der ambulanten Verlaufskontrollen normalisierten sich die Leberwerte innerhalb zweier Monate (Tag 60, Abb. 1).
Abbildung 1: Graphisch dargestellte Laborwerte im Verlauf.
In Zusammenschau aller Befunde schien Iberogast® der wahrscheinlichste DILI- respektive HILI-Auslöser. Der Fall wurde via das regionale Pharmacovigilance-Zentrum an die Nationale Pharmakovigilanz unserer Arzneimittelbehörde Swissmedic gemeldet.

Diskussion

Heutzutage sind über 1200 potentiell schädliche pflanzliche Heil- und Nahrungsergänzungsmittel bekannt, deren Hepatotoxizität in der Regel unterdia­gnostiziert ist [4]. Obwohl oft als natürlich und sicher betrachtet, gibt es viel Literatur über HILIs, verursacht durch unterschiedlichste Substanzen. Zudem kann die gleichzeitige Anwendung pflanzlicher Stoffe das Risiko einer Interaktion und somit auch von Nebenwirkungen mit bestehender Medikation erhöhen. Die Häufigkeit von HILIs ist unbekannt beziehungsweise schwer einzuschätzen und kann örtlich stark variieren [3]. ­Neben Informationen über alle bekannten hepatotoxischen konventionellen Medikamente bietet die amerikanische Datenbank LiverTox® auch Daten zu ausgewählten, häufig verwendeten pflanzlichen Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln an [1, 2]; eine komplette Auflistung solcher Präparate wird aktuell noch entwickelt. Darunter besitzen Pyrrolizidinalkaloide, Schafkraut (Teucrium chamaedris), Schöllkraut (Chelidonium majus), Rauschpfeffer (Piper methysticum), Atractylis gummifera, Mentha pulegium, Hedeoma pulegioides, Trauben-Silberkerze (Actaea racemosa) und diverse asiatische Pflanzenheilmittel die höchste Evidenz für eine Hepatotoxizität. Kreosotbusch (Larrea tridentata), Senna (Cassia angustifolia) sowie hydroalkoholische Extrakte aus grünem Tee und Kräuterfrüchten zeigen eine mittelgradige Evidenz dafür [2].
DILIs respektive HILIs lassen sich primär aufgrund klinischer Eigenschaften in drei wesentliche Phänotypen einteilen: direkte, indirekte und idiosynkratische Hepatotoxizität [4]. Die direkte Hepatotoxizität bildet das häufigste Schädigungsmuster. Es manifestiert sich meist bereits kurz nach Therapiebeginn, ist typischerweise dosisabhängig und kann zu verschiedenen histologischen Mustern führen. Klassische Auslöser sind Paracetamol, Amiodaron oder Chemotherapeutika. Im vorliegenden Fall wäre einzig bei Pantoprazol eine direkte Hepatotoxizität denkbar, da Protonenpumpenhemmer zur direkten Hepatotoxizität führen können. Üblicherweise besteht dabei das klinische und histopathologische Muster akuter Lebernekrosen [2]. Die Sub­stanz entfällt jedoch aufgrund des zeitlichen Auftretens der Hauptsymptomatik, insbesondere der Dunkelfärbung des Urins. Ähnlich selten wurden DILIs mit Metformin in Verbindung gebracht. Die Hepatotoxizität tritt jeweils innerhalb der ersten 1–8 Therapiewochen auf, kann zu teils prominenten Allgemeinsym­ptomen sowie Ikterus führen und sowohl cholestatische als auch hepatozelluläre Elemente enthalten. Unter Therapie mit Pantoprazol und Metformin wurden ferner – obschon wiederum sehr selten – immunoallergische Symptome beschrieben [2]. Mit der bereits drei Monate bestehenden Metformintherapie entfällt die Substanz als Auslöser. Zudem konnte das Antidiabetikum nach Normalisierung der Leberwerte unproblematisch wiederbegonnen werden, was diese These zusätzlich untermauert. Interessanterweise konnte auch Levothyroxin, in der Regel jedoch bei Patienten mit vorbestehenden Hepatopathien, ebenfalls mit Leberschädigungen re­spektive Exazerbationen vorbestehender Hepatopathien in Verbindung gebracht werden. Im vorliegenden Fall entfällt es jedoch als DILI-Auslöser, zumal es zu keinem Zeitpunkt pausiert war.

Schöllkraut

Beim «WHO Collaborating Center for International Drug Monitoring» (Uppsala Monitoring Centre [UMC]) gingen zu Iberogast® zwischen 2009–2019 weltweit 69 Meldungen zu Leberfunktionsstörungen ein (Deutschland 85% der Fälle, Schweiz 4% der Fälle). Dabei erfolgten 79% der Meldungen in den letzten 1,5 Jahren. Schöllkraut, welches das Pankreas und die Galle stimulieren soll, konnte in der Fachliteratur und Vigilanz­systemen bereits mehrfach mit Hepatopathien in Verbindung gebracht werden [3, 5]. Das Schädigungsmuster idiosynkratischer Hepatopathien ist überwiegend hepatozellulär und tritt bei Frauen häufiger auf [5, 6]. Typisch sind die Symptome Anorexie, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Juckreiz, oft begleitet von Ikterus. Der Anstieg der Leberenzymwerte reicht von 100 bis über 4000 U/l. Histologisch zeigt sich eine akute, nekrotisierende Hepatitis mit Entzündungszeichen, seltener mit Cholestase und Fibrose. Bei fehlendem Leberschaden trotz längerer Gabe hoher Schöllkraut-Dosen an Ratten postulierten die Forscher eine mögliche, auf pharmakologische Wechselwirkungen zurückzuführende, intrinsische Pflanzentoxizität. Zudem wurden die gravierendsten Reaktionen unter gleichzeitiger Therapie mit Östrogenen, Schilddrüsenhormonen und NSAR beobachtet [5]. Todesfälle und Fälle transplantationspflichtigen Leberversagens sind unseres besten Wissens nicht bekannt. Die Sistierung der Einnahme führt generell binnen zwei bis sechs Monaten zur Restitutio ad integrum [1, 5].
Schöllkraut ist wegen der zur Literatur passenden Gesamtkonstellation mit enger zeitlicher Korrelation, laborchemischem und histologischem Befund, rascher Erholung der Leberwerte nach Absetzen des pflanzlichen Präparates die unseres Erachtens wahrscheinlichste Ursache. Prädisponierende Faktoren sind das weibliche Geschlecht und die Komedikation mit Levothyroxin und Levonorgestrel/Ethinylestradiol. Die «European Medicines Agency» (EMA) beurteilt aufgrund des Schöllkrauts möglicher Hepatotoxizität bestehende Lebererkrankungen und die Anamnese einer durchgemachten DILI oder HILI als Kontraindikationen zu dessen Gabe (Stellungnahme vom 20.01.2012). In vielen europäischen Ländern ist die Anwendung von Schöllkraut aufgrund der möglichen Hepatotoxizität bereits verboten [5].

Das Wichtigste für die Praxis

• Auch rezeptfreie, vermeintlich «harmlose, pflanzliche Präparate» können in seltenen Fällen zu schweren Lebeschädigungen führen.
• Die LiverTox®-Datenbank ist ein geeignetes Nachschlagwerk zur Beurteilung der Hepatotoxizität von konventionellen und pflanzlichen Arzneimitteln.
• Medizinische Fachpersonen und alle, die Heilmittel herstellen, gewerbsmässig verabreichen oder abgeben oder als Medizinalpersonen dazu berechtigt sind, sind verpflichtet, das Auftreten einer unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) zu melden (Art. 59, Abs. 3 HMG). Für Meldungen über UAW empfiehlt Swissmedic, das dafür entwickelte Meldeportal zu verwenden. Mit dem sogenannten «Electronic Vigilance System» (EIViS) können UAW direkt erfasst werden. Es ist aber nach wie vor auch möglich, das entsprechende Meldeformular zu verwenden und an eines der regionalen Pharmacovigilance-Zentren zu schicken. Alle erforderlichen Informationen sind zu finden unter www.swissmedic.ch → Marktüberwachung → Pharmacovigilance.
Erklärung
Die Fälle der Datenbank unerwünschter Arzneimittelwirkungen des «UMC for International Drug Monitoring», Uppsala, Schweden, sowie der Swissmedic sind Spontanmeldungen. Meldungen aus Spontanmeldewesen sind inhomogen hinsichtlich Ursprung, Qualität und Vollständigkeit und unterliegen «reporting-biases». Aufgrund des bekannten Problems des «under-reporting» von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und fehlender patientenbezogener Expositionszahlen können keine Inzidenzen aus diesen Daten berechnet werden. Die hier aufgeführte Meinung entspricht nicht unbedingt der Ansicht von Swissmedic, des UMC oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Ioanna Istampoulouoglou, dipl Ärztin
Abteilung für klinische Pharmakologie & Toxikologie
Universitätsspital Basel
Schanzenstrasse 55,
CH-4031 Basel
ioanna.istampoulouoglou
[at]usb.ch
1 Hoofnagle JH et Björnsson ES. Drug-Induced Liver Injury – Types and Phenotypes. N Engl J Med. 2019;381:264–73.
2 European Association for the Study of the Liver. EASL Clinical Practice Guidelines: Drug-induced liver injury. J Hepatol. 2019;70(6):1222–61.
3 Pantano F, Mannocchi G, Marinelli E, Gentili S, Graziano S, Busardo FP, et al. Hepatotoxicity induced by greater celandine (Chelidonium majus L.): a review of the literature. Eur Rev Med Pharmacol Sci, 2017;21(1 Suppl):46–52.
4 Navarro VJ, Barnhart H, Bonkovsky HL, Davern T, Fontana RJ, Grant L, et al. (2014). Liver injury from herbals and dietary supplements in the U.S. Drug-Induced Liver Injury Network. Hepatology. 2014;60(4):1399–408.
5 Teschke R, Frenzel C, Glass X, Schulze J, Eickhoff A. Greater Celandine hepatotoxicity: a clinical review. Ann Hepatol. 2012;11(6):838–48.