Blasenerhaltende Therapie beim Harnblasenkarzinom
Indikation, Diagnostik, Therapie, Nachsorge

Blasenerhaltende Therapie beim Harnblasenkarzinom

Übersichtsartikel
Édition
2020/3538
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2020.08535
Forum Med Suisse. 2020;20(3538):490-495

Affiliations
a Klinik für Urologie, Kantonsspital St.Gallen; b Klinik für Urologie, Universitätsspital Zürich; c Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, Universitätsspital Zürich; d Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, Universitätsspital Basel; e Praxis Suurstoffi, Rotkreuz; f Klinik für Radio-Onkologie, Kantonsspital Winterthur; g Klinik für Onkologie und Hämatologie, Kantonsspital St.Gallen, sowie Universität Bern

Publié le 26.08.2020

Bei ausgewählten Patienten ist eine blasenerhaltende Therapie mittels transurethraler Resektion der Harnblase und Radiochemotherapie möglich und stellt eine kurative Therapiealternative zur radikalen Zystektomie dar.

Einleitung

In der Schweiz wird jährlich bei 1200 Menschen die Erstdiagnose eines Urothelkarzinoms der Harnblase gestellt, wobei Männer mit 900 Fällen pro Jahr (75%) deutlich häufiger betroffen sind als Frauen. Den wichtigsten Risikofaktor stellt das Zigarettenrauchen dar. Mehrheitlich wird die Diagnose im fortgeschrittenen Alter gestellt (70% sind über 65 Jahre alt). Jährlich versterben in der Schweiz zirka 550 Menschen an der Erkrankung [1].
Die radikale Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie +/– neoadjuvanter oder adjuvanter Chemotherapie wird bei muskelinvasiven Urothelkarzinomen ­(T-Stadium ≥2) ohne Fernmetastasen als Standardbehandlung durchgeführt [2]. Ein rein operatives Vorgehen wird zudem auch bei therapierefraktären, nicht-muskel­invasiven «high-risk»-Urothelkarzinomen (T1G3/«high-grade», Carcinoma in situ [CIS]) nach Versagen lokaler Massnahmen (transurethrale Blasentumor­resektion [TUR-B] und intravesikale Instillationstherapie mit Bacillus Calmette-Guérin [BCG] beziehungsweise Epirubicin) empfohlen [3].
Die Zystektomie wird mit verschiedenen Formen der Harnableitung durchgeführt. Die beiden häufigsten Verfahren der Harnableitung bilden die heterotope inkontinente Harnableitung mittels Ileumconduit sowie die orthotope kontinente Neoblase aus Ileum.
Die radikale Zystektomie ist, selbst in High-Volume-Zentren, mit einer Morbidität von knapp 60% sowie einer 30-Tage-Mortalität von etwa 2% assoziiert [4]. Ebenso führt die Operation häufig zu einem Verlust der Lebensqualität, insbesondere in Bezug auf psychosoziale Aspekte (gestörtes Körperbild, Verlust der sexuellen Funktion) [5]. Aus den genannten Gründen wurden alternative harnblasenerhaltende Therapien evaluiert. Die sogenannte trimodale Therapie, bestehend aus maximaler TUR-B mit anschliessender Radiochemotherapie, ist die am besten etablierte alternative Therapieoption. Bei streng selektionierten Patienten stellt die trimodale Therapie eine kurative Therapie­alternative zur Zystektomie dar [6].
Es ist wichtig festzuhalten, dass keine randomisierte Studie die blasenerhaltende Therapie beim muskelinvasiven Urothelkarzinom mit dem Standard der Zyst­ektomie +/– neoadjuvanter oder adjuvanter Chemotherapie direkt miteinander verglichen hat. Dieser Umstand wird auch in internationalen Guidelines («European Association of Urology» [EAU], «European Society for Medical Oncology» [ESMO], «National Comprehensive Cancer Network» [NCCN]) betont, sodass ein blasenerhaltendes, multimodales, kuratives Therapiekonzept als Alternative zur Zystektomie nur bei selektionierten und gut informierten Patienten zur Anwendung kommen sollte [2, 7, 8]. Die Patientenselektion ist von entscheidender Bedeutung, da die Entscheidung zur trimodalen Therapie sich bei falscher Indikationsstellung negativ auf das Gesamtüberleben auswirkt [6]. Die Option einer blasenerhaltenden Therapie sollte an einem Tumorboard festgehalten und die Pa­tienten sollten bei Wunsch nach einer solchen Therapie entsprechend darüber informiert werden.

Erste Schritte bei Verdacht auf ein Urothelkarzinom der Harnblase

Bei Verdacht auf einen Harnblasentumor bildet die Zystoskopie, zur Beurteilung der Tumorausdehnung, zusammen mit einer TUR-B den ersten diagnostischen und therapeutischen Schritt. Ziel der TUR-B ist eine möglichst vollständige Resektion des Tumors unter Miterfassung der tiefer liegenden Muscularis propria der Harnblase zur sicheren Beurteilung der Infiltra­tionstiefe. Weitere auffällige, zum Beispiel rötliche Befunde sollten gleichzeitig biopsiert werden, um ein zusätzliches CIS auszuschliessen. Für die weitere Therapie sind das pathologische T-Stadium, das Grading («low-grade» vs. «high-grade») und der Subtyp (Urothelkarzinom, Plattenepithelkarzinom, histologische Varianten wie z.B. sarkomatoide, mikropapilläre Differenzierung) entscheidend.
Bei Nachweis eines muskelinvasiven Blasentumors (≥T2) erfolgt zusätzlich ein Staging mittels Computertomographie (CT) von Thorax und Abdomen. Die radikale Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie und neoadjuvanter cisplatinhaltiger Chemotherapie stellt bei muskelinvasiven Tumoren im Stadium T2-T4N0M0, bei fehlenden Kontraindikationen, die derzeitige Standardbehandlung dar [2]. Zusätzlich soll bei männlichen Patienten standardmässig die Prostata entfernt werden (Zystoprostatektomie) und bei Patientinnen zusätzlich der Uterus und die Urethra inklusive angrenzender Vaginalvorderwand. In ausgewählten Fällen kann zum Erhalt der Sexualfunktion die Operationstechnik angepasst werden, beispielsweise mittels Aussparung der Prostatakapsel / Schonung des neurovaskulären Bündels bei Männern sowie Erhalt der weiblichen Geschlechtsorgane bei Frauen.
Bei Nachweis suspekter regionaler Lymphknoten im kleinen Becken ist eine Therapie in kurativer Intention weiterhin möglich [9]. Bei suspekten Lymphknoten aus­serhalb des Beckens oder bei Fernmetastasen sollte ein palliatives Therapiekonzept, in der Regel mit einer pal­liativen platinbasierten Systemtherapie, erfolgen [10].
Die Beurteilung der Blasenfunktion ist im Rahmen der Erstbeurteilung für die nachfolgende Therapieentscheidung, radikale Zystektomie versus trimodales Vorgehen, von grosser Bedeutung. Durch das Tumorleiden sowie vorangegangene transurethrale Resektionen und BCG-Instillationen kann die Compliance der Blase so stark reduziert sein, dass relevante Blasenfunktions- beziehungsweise Blasenspeicherstörungen vorliegen. Ebenso können beispielsweise neurologische Erkrankungen mit einer Blasenfunktionsstörung vergesellschaftet sein, sodass eine gründliche Abklärung der Miktionsverhältnisse bei Wunsch nach Blasenerhaltung stattfinden muss. Da es durch die kombinierte Radiochemotherapie zu einer weiteren Verschlechterung der Blasenfunktion kommen kann, stellt eine eingeschränkte Blasenfunktion eine Kon­traindikation für die blasenerhaltende Therapie dar.

Patientenselektion und Ausschlusskriterien für die blasenerhaltende Therapie

Es gilt zwischen drei Patientenkollektiven zu unterscheiden: Patienten, die in kurativer Intention behandelt werden (Kollektiv I und II), und solche, die eine palliative Therapie erhalten (Kollektiv III) – siehe Tabelle 1. Beim erstgenannten Kollektiv stellt die blasenerhaltende trimodale Therapie für ausgewählte Patienten eine potentiell ebenso kurative Therapieoption dar, die weniger radikal ist als die Zystektomie und Harnableitung. Es ist wichtig festzuhalten, dass es Patienten gibt, die medizinisch und körperlich nicht für eine radikale Zystektomie qualifizieren, aber dennoch mittels kombinierter Radiochemotherapie kurativ intendiert behandelt werden können (Kollektiv II), da sich die Kriterien für eine Operabilität von den Kriterien für eine Radiochemotherapie unterscheiden. In einer «propensity score matched cohort»-Analyse wurde gezeigt, dass das Gesamtüberleben nach fünf Jahren für die trimodale Therapie und die radikale Zyst­ektomie gleich war, allerdings nur für die Patienten, die strikt selektioniert wurden [11]. Patienten, die eine trimodale Therapie wünschen, sollten zwingend an einem interdisziplinären Tumorboard vorgestellt werden, zur Evaluation ob die Voraussetzungen für eine erfolgreiche, kurative trimodale Therapie gegeben sind.
Tabelle 1: Behandlungsschema verschiedener Patientenkollektive beim Urothelkarzinom der Harnblase.
Medizinische SituationTherapiezielTherapieoptionen
T2+cM0 Urothelkarzinom
(Kollektiv I)
KurationStandard: Radikale Zystektomie inkl. Lymphadenektomie
Alternative: trimodale Therapie mittels Debulking TUR-B + Radiochemotherapie:
– Selektion siehe Tabelle 2 (maximal 20% aller Patienten)
T2+cM0 Urothelkarzinom
(Kollektiv II)
Nicht fit für Zystektomie aufgrund ­Komorbiditäten/Alter («inoperabel»), aber Kandidaten für Radiochemotherapie
Kuration, anhaltende ­Tumorkontrolle Behandlung analog der trimodalen Therapie:
– weniger strikte Auslegung der Einschlusskriterien aufgrund fehlender Therapiealternativen
– absolute Kontraindikationen: multifokales CIS sowie eingeschränkte Blasenfunktion
T2+cM0-X Urothelkarzinom 
(Kollektiv III)
Kurative Therapie aufgrund des Gesundheitszustandes bzw. des Krankheitsstadiums nicht möglich
Palliation An die Situation angepasstes Therapiekonzept:
– lokale Behandlung (TUR-B, transurethrale Blutstillung)
– Evaluation hämostyptische Bestrahlung
– Systemtherapie
TUR-B: transurethrale Blasenresektion; CIS: Carcinoma in situ
Ideale Kandidaten für eine trimodale Therapie in kurativer Intention (Patientenkollektiv I) sind Patienten mit visuell vollständiger TUR-B, unifokalen T2-Tumoren bis zirka 4 cm Grösse ohne Nachweis von multifokalem CIS, beidseitigem uneingeschränkten Harn­abfluss (keine Hydronephrose) sowie regelrecht erhaltener Blasenfunktion (Tab. 2). Schätzungsweise erfüllen lediglich maximal 20% aller Patienten mit muskelinvasiven Blasentumoren diese Kriterien. Kon­traindikationen bilden dementsprechend lokal weit fortgeschrittene Tumoren (≥T3b), multifokale Tumoren, trans­urethral unvollständig resezierbare Tumoren, aggressive histologische Urothelkarzinomvarianten (z.B. mikropapilläre oder glanduläre Differenzierung), eine vorhandene Hydronephrose als Zeichen eines lokal fortgeschrittenen Tumors, ein disseminiertes CIS der Harnblase sowie stattgehabte Radiotherapien im kleinen Becken. Bei Patienten, die aufgrund relevanter Komorbiditäten oder Alter nicht für eine Zystektomie qualifizieren (Patientenkollektiv II), sind diese Kriterien aufgrund fehlender Therapiealternativen nicht gleich strikt auszulegen. Hier sind ein disseminiertes CIS der Harnblase sowie eine mangelnde Blasenfunktion als absolute Kontraindikation zur kombinierten Radiochemotherapie zu erachten. Dementsprechend sollte auch die Intensität der Therapie je nach Allgemeinzustand der Patienten und Prognose gegebenenfalls deeskaliert werden (z.B. sequentielle Radiochemotherapie, tiefere Strahlendosis). Bei palliativem Therapieansatz (Patientenkollektiv III) erfolgt die Therapieindikation entsprechend den lokalen Beschwerden sowie nach individueller Abwägung.
Tabelle 2: Kriterien zur trimodalen Therapie.
T2-Tumoren
Singulärer, kleiner (<4 cm) Tumor
Vollständige transurethrale Blasenresektion (TUR-B) möglich
Keine Hydronephrose
Kein multifokales Carcinoma in situ (CIS)
Regelrecht erhaltene Blasenfunktion
Compliance zur engmaschigen Nachsorge
Bei Patienten, die aus medizinischen Gründen nicht für eine Zystektomie klassifizieren («inoperabel»), dürfen diese Kriterien weniger strikt angewendet werden, mit zwei Ausnahmen: Das Vorliegen von multifokalem Carcinoma in situ sowie die eingeschränkte Blasenfunktion stellen absolute Kontraindikation für eine kurativ intendierte trimodale Therapie dar.
Bei Patienten mit rezidivierenden, nicht-muskelinvasiven «high-risk»-Urothelkarzinomen der Harnblase (T1G3/«high-grade») sowie therapierefraktärem CIS wird nach Versagen der lokalen Therapie durch TUR-B und BCG- respektive Epirubicin-Instillationen die radikale Zystektomie empfohlen [3].

Trimodale Therapie

Die alleinige TUR-B, Chemotherapie oder Radiotherapie der Harnblase ist der trimodalen Therapie hinsichtlich Gesamtüberleben unterlegen, sodass hiervon bei kurativer Therapieintention abgeraten wird. Weiter wurde 2012 in der randomisierten BC2001-Studie gezeigt, dass die kombinierte Radiochemotherapie der alleinigen Radiotherapie überlegen ist [12]. Die Vorgehensweise der trimodalen Therapie ist in Abbildung 1 schematisch dargestellt.
Abbildung 1: Vorgehensweise der trimodalen Therapie. Bei erfüllten Kriterien zur multimodalen Therapie in kurativer Intention ist vor Beginn der Radiochemotherapie erneut eine ausgiebige TUR-B (Debulking TUR-B) empfohlen. Zudem sollte im Rahmen der ersten zystoskopischen Kontrolle nach der Radiochemotherapie standardmässig eine Biopsie der Harnblase erfolgen. Das weitere Vorgehen richtet sich nach dieser Histologie.
Abkürzungen: TUR-B: transurethrale Blasenresektion; CIS: Carcinoma in situ; EAU: «European Association of Urology»; NMIBC: «non-muscle invasive bladder cancer».

Stellenwert der TUR-B bei der blasen­erhaltenden Therapie

Die vollständige TUR-B bildet die Grundlage der blasenerhaltenden Therapie und gilt als prädiktiver Faktor für die onkologische Kontrolle. Es gilt, eine möglichst vollständige TUR-B mit kompletter Tumorentfernung anzustreben. Es ist empfehlenswert, auch bei bereits erfolgter Nachresektion im Rahmen der Tumordiagnostik, erneut eine ausgiebige TUR-B vor der Radiochemotherapie durchzuführen (sog. Debulking TUR-B), um eine maximale chirurgische Tumorkontrolle zu erzielen. Bei geplanter trimodaler Therapie im palliativen Setting mit nicht vollständig resektablen Tumoren ist die Debulking TUR-B ebenfalls zur bestmöglichen Kontrolle indiziert.

Radiotherapie

Bei der Planung der Radiotherapie hängen die totale Dosis, die Fraktionierung sowie die Grösse des Bestrahlungsvolumens von dem Tumorstadium (T- und N-Stadium sowie R-Klassifikation bei der TUR) und vom Therapieziel ab (Kuration vs. Palliation). In der Tabelle S1 im Online-Appendix des Artikels ist eine Zusammenfassung der verschiedenen Bestrahlungsschemata aufgeführt.
Die Verbesserung der modernen Bestrahlungstechniken konnte die Häufigkeit lokaler Nebenwirkungen deutlich reduzieren, mit weniger als 5% schweren Langzeitnebenwirkungen im Urogenital- und Gastrointestinaltrakt. Dennoch gilt es, bei der Planung der Bestrahlung die lokale Toxizität zu bedenken. Bei einem unifokalen, R0-resezierten Tumor der Harnblase ist eine lokale Dosisreduktion von 10% vertretbar (total 54 Gy). Bei Patienten mit grossen, multifokalen Harnblasentumoren sowie nach erfolgter R2-Resektion ist primär die radikale Zystektomie indiziert. Wenn dies nicht möglich sein sollte, ist eine lokale Bestrahlung der Harnblase respektive der ehemaligen Tumorlokalisation mit bis zu 66 Gy (Boost) empfohlen. Zur verbesserten Lokalisierung des Tumorbettes in der Planungsbildgebung für die Radiotherapie kann vor Beginn der Radiotherapie die sparsame transurethrale Injektion von Lipiodol® zur Markierung des Resektionsrandes erfolgen.
In einer cN0-Situation muss mit dem Patienten gemeinsam evaluiert werden, ob auf eine Mitbestrahlung der pelvinen Lymphknoten zur Reduktion der Toxizität verzichtet werden soll. Im Gegensatz zur radikalen Zyst­ektomie liegen keine kontrollierten Studien vor, die einen Vorteil der pelvinen Lymphknotenbehandlung im Rahmen der trimodalen Therapie belegen. Ferner wird bei einer Bestrahlung der Blase inzidentell eine nennenswerte Dosis an den unmittelbaren regionären Lymphabflusswegen deponiert, ohne diese explizit im Zielvolumen zu erfassen. In der BC2001-Studie erfolgte die Radiotherapie der Harnblase sowie der perivesikulären Lymphknoten mit einer Serie 20 × 2,75 Gy ohne Einschluss der gesamten pelvinen Lymphknoten [12].
In der nodal-positiven Situation werden die pelvinen Lymphknoten mit 2 Gy pro Fraktion über zwei Serien mit einer Gesamtdosis von 60–66 Gy behandelt: In der ersten Serie wird das gesamte Becken mit 45–50 Gy behandelt, in der zweiten Serie werden die Harnblase und die befallenen Lymphknoten mit 60–66 Gy bestrahlt, je nach Dosis am Dünndarm als dosislimitierendes Organ. Allenfalls können die Lymphknotenmetastasen separat und sehr präzise mit einer hohen Dosis über wenige Sitzungen angegangen werden (stereotaktische Radiotherapie). Dies gilt strikt nur für pelvine Lymphknoten und beruht auf einer Extrapolation der Zystektomiedaten.

Chemotherapie

Die konkomittierende Chemotherapie zur Radiotherapie resultiert in einem Überlebensvorteil gegenüber der Radiotherapie alleine und ist deswegen integraler Bestandteil der trimodalen Therapie [12]. Sowohl Cis­platinhaltige Schemata als auch die Kombination von 5-Fluorouracil (5-FU) und Mitomycin-C (MMC) werden aufgrund ihrer radiosensibilisierenden Eigenschaften («Radiosensitizer») als Standardchemotherapeutika eingesetzt, wobei es keine vergleichenden Studien gibt.
Die Kombination von 5-FU (500 mg/m2 an den Tagen 1–5 und 16–20) mit MMC (12 mg/m2 einmal am Tag 1) wird häufig eingesetzt und ist insgesamt sehr gut verträglich. Ebenso ist eine Monotherapie mit Cisplatin möglich, wobei hier auf eine adäquate Nierenfunktion geachtet werden muss (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [eGFR] >55–60 ml/min). Cisplatin wird standardmässig mit 40 mg/m2 einmal wöchentlich, konkomittierend zur sechswöchigen Radiotherapie verabreicht. Alternativ hierzu kann dies an den Tagen 1–5 und 36–40 während der Strahlentherapie mit 20–25 mg/m2 erfolgen.
In der grössten Studie zur blasenerhaltenden Therapie aus England erhielten ein Drittel der eingeschlossenen Patienten eine neoadjuvante Chemotherapie [12], wobei keine randomisierten Studien vorliegen, die den Nutzen einer neoadjuvanten Chemotherapie bei der trimodalen Therapie belegen würden. Wenn sich der Patient für eine neoadjuvante Chemotherapie entscheidet, so erfolgt dies analog zur aktuellen Standardbehandlung bei der radikalen Zystektomie mit 3–4 Zyklen cisplatinhaltiger, neoadjuvanter Chemotherapie, gefolgt von der Radiochemotherapie. Die Debulking TUR-B ist vor Beginn der neoadjuvanten Chemotherapie durchzuführen mit anschliessender Zystoskopie und gegebenenfalls erneuter TUR-B bei auffälligem Befund vor Beginn der Radiochemotherapie.

Nachsorge nach trimodaler Therapie

Die blasenerhaltende Therapie bedarf einer lebenslangen Nachsorge, da die Harnblase eine persistierende potentielle Rezidivquelle darstellt. Im Anschluss an die Radiochemotherapie sollte im Rahmen der ersten zystoskopischen Kontrolle standardmässig eine Biopsie erfolgen. Bei fehlendem Tumornachweis spricht man von einer «complete response» und die Patienten können der Nachsorge zugeführt werden. Die weitere Nachsorge ist anschliessend mittels Zystoskopie sowie Zytologieentnahme empfohlen, hierbei sollte die Schwelle zur TUR-B bei unklarem Befund niedrig gehalten werden (Tab. 3).
Bei Nachweis eines oberflächlichen Blasentumors (pTa sowie CIS) handelt es sich um eine «near complete response» und die Behandlung kann endourologisch erfolgen [13]. Der Nachweis von ≥T1-Tumoren stellt, sowohl direkt im Anschluss an die Radiochemotherapie als auch im Rahmen der Nachsorge, eine Indikation zur Salvage-Zystektomie dar.
Trotz strikter Patientenselektion werden etwa ein Drittel aller Patienten, die eine blasenerhaltende Therapie erhalten, ein Rezidiv der Harnblase entwickeln [13]. Bei der Mehrheit der Rezidive handelt es sich um oberflächliche, nicht invasive Tumoren. Bei oberflächlichen Tumoren (pTa, CIS) kann die Behandlung mittels endoskopischer Resektion (TUR-B) sowie intravesikalen BCG- beziehungsweise Epirubicin-Instillationen erfolgen, angelehnt an die Empfehlungen der EAU zum nicht-muskelinvasiven Urothelkarzinom [3]. Bei Nachweis eines ≥T1-Blasentumors ist die Indikation zur Salvage-Zyst­ektomie gegeben. In einer retrospektiven Untersuchung wurde eine vergleichbare Morbidität/Mortalität beschrieben wie bei der primären Zystektomie [14]. Jedoch gilt zu beachten, dass die Anlage einer ortho­topen Neoblase aufgrund der vorherigen pelvinen Bestrahlung nicht mehr möglich ist. Eine Salvage-Zystektomie nach vorangegangener trimodaler Therapie sollte nur an einem Zentrum mit Erfahrung in dieser Situation durchgeführt werden.
Die Nachsorge bildet einen Grundpfeiler des Therapiekonzepts und erfordert ein hohes Mass an Compliance. In Tabelle 3 ist ein Nachsorgeschema aufgeführt, das an internationale Guidelines sowie an die Empfehlungen der EAU zur Nachsorge beim «high-risk»-Urothelkarzinom angelehnt ist [3]. Nach Beendigung der Radiochemotherapie und im Anschluss an die Zystoskopie mit Biopsie-Entnahme sind dreimonatliche Zystoskopien während zweier Jahre und sechsmonatliche Zystoskopien in den Jahren 3–5 empfohlen. Anschliessend sollten lebenslang jährliche Zystoskopien erfolgen. Die Zystoskopien sollten stets mit der Entnahme einer Spülzytologie kombiniert werden. Im Rahmen der Zystoskopien sollte orientierend eine Sonographie des oberen Harntraktes als günstige und strahlenfreie Bildgebung erfolgen. Während der ersten drei Jahre werden halbjährliche und in den Jahren 4–5 jährliche CT-Untersuchungen (CT Thorax sowie CT Urographie) empfohlen. Anschliessend ist eine erneute Bildgebung nur bei Verdacht eines Rezidivs durchzuführen. Das multiparametrische Magnetresonanztomographie (mpMRT) scheint, sowohl bei der initialen Planung der TUR-B als auch bei der anschliessenden lokalen Nachsorge, aufgrund der hohen Weichteilauflösung von Nutzen zu sein. Zum aktuellen Zeitpunkt ist der Stellenwert der mpMRT jedoch noch nicht abschliessend geklärt.
Die trimodale Therapie sowie die anschliessende engmaschige Nachsorge ist ressourcenintensiv und verglichen mit der radikalen Zystektomie womöglich teuerer. Daten hierzu liegen aus einer retrospektiven Serie aus den USA vor, inwiefern diese Daten auf die Schweiz übertragen werden können, ist unklar [15].

Ausblick / Zukunftsaussichten

Im Laufe der letzten Jahre konnte das muskelinvasive Urothelkarzinom durch Hochdurchsatz-Genexpres­sionsanalysen in molekulare Subtypen klassifiziert werden. Diese Gruppen unterscheiden sich in ihren histologischen Charakteristika und weisen unterschiedliches biologisches Verhalten auf. In einer retrospektiven Analyse wurde gezeigt, dass der Effekt einer neoadjuvanten Chemotherapie vor der Zystektomie je nach molekularem Subtyp deutlich variierte [16]. Es ist zu erwarten, dass die molekulare Subtypisierung in den nächsten Jahren zu Therapieanpassungen beim Urothelkarzinom der Harnblase im Sinne einer «personalisierten Medizin» führen wird. Möglicherweise können hiermit in Zukunft Subtypen identifiziert werden, die eine höhere Ansprechrate auf die Radiochemotherapie haben, mit damit einhergehender verbesserter Patientenselektion.

Das Wichtigste für die Praxis

• Die radikale Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie und neoadjuvanter cisplatinhaltiger Chemotherapie stellt bei muskelinvasiven Tumoren im Stadium T2-T4N0M0 die derzeitige Standardbehandlung dar.
• Die radikale Zystektomie ist mit einer relevanten Morbidität und Mortalität vergesellschaftet und kann zu einem Verlust der Lebensqualität führen. Bei ausgeprägten lokalen Beschwerden kann die Operation zur einer verbesserten Lebensqualität führen.
• Die sogenannte trimodale Therapie bestehend aus maximaler TUR-B mit anschliessender Radiochemotherapie stellt bei selektionierten Patienten eine kurative, organerhaltende Therapiealternative dar.
• Die blasenerhaltende Therapie bedarf einer lebenslangen Nachsorge, da die Harnblase eine persistierende potentielle Rezidivquelle darstellt. Trotz strikter Patientenselektion werden etwa ein Drittel dieser Patienten ein Rezidiv im Bereich der Harnblase entwickeln.
• Bei Patienten, die aufgrund relevanter Komorbiditäten sowie des Alters keine guten Zystektomie-Kandidaten sind, sollte eine Radiochemotherapie in kurativer Intention evaluiert werden, auch bei Nichterfüllen aller Kriterien zur trimodalen Therapie.
• Die alleinige Radiotherapie ist bei fortgeschrittenen Tumoren zur lokalen Kontrolle (beispielsweise hämostyptische Bestrahlung) sowie zur Vermeidung weiterer Komplikationen möglich.
• Alle Patienten mit muskelinvasiven Blasentumoren sollten vor Durchführung einer Therapie an einem interdisziplinären Tumorboard vorgestellt werden.
Der Online-Appendix ist als separates Dokument verfügbar ­unter: https://doi.org/10.4414/smf.2020.08535.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Manolis Pratsinis
Klinik für Urologie
Kantonsspital St.Gallen
Rorschacher Str. 95
CH-9007 St. Gallen
manolis.pratsinis[at]kssg.ch
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