Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms
Interdisziplinäre schweizerische Konsensempfehlungen

Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms

Aktuell
Édition
2020/4950
DOI:
https://doi.org/10.4414/fms.2020.08601
Forum Med Suisse. 2020;20(4950):718-723

Affiliations
a Abteilung Onkologie, Claraspital Basel; b Departement Onkologie, Universtitätsspital Genf; c Departement Onkologie, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne; d ­Universitätsklinik für Medizinische Onkologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, Universität Bern; e Onkologiezentrum Chêne-Bougeries, Genf; f ­Departement Nuklearmedizin, Kantonsspital Baden; g Departement Urologie, Universitätsspital Zürich; h Istituto Oncologico della Svizzera Italiana (IOSI), Ente Ospedaliero Cantonale (EOC), Bellinzona und Faculty of Biomedical Sciences, Università della Svizzera italiana, Lugano; i Institut für Pathologie, Kantonsspital Aarau; j Departement Onkologie, Kantonsspital Fribourg; k Departement Urologie, Kantonsspital Luzern; l Departement Onkologie, Kantonsspital St. Gallen; m Departement Radioonkologie, Universitätsspital Basel; n Departement Urologie, Universitätsspital Basel, Universtiät Basel; o Departement Nuklearmedizin, CHUV, Lausanne; p Klinik für Urologie, Institut für Medizin, Universität St. Gallen; q Departement Onkologie, Universitätsspital Basel; r Urologische Klinik, Kantonsspital Aarau; s Departement Radioonkologie, Universtitätsspital Genf; t Abteilung Onkologie/Hämatologie, Kantonsspital Graubünden, Chur
* Diese Ko-Autoren waren bei den Vorbereitungen beteiligt und haben das Manuskript geprüft und akzeptiert, konnten am Konsens-Meeting jedoch nicht teilnehmen.

Publié le 01.12.2020

Die vorliegenden interdisziplinären schweizerischen Konsensempfehlungen können als Grundlage für eine gemeinsame Entscheidungsfindung an interdisziplinären Tumorboards und im Gespräch mit Patienten behilflich sein.

Einleitung

Ende August 2019 fand in Basel die dritte internationale «Advanced Prostate Cancer Consensus Conference» (APCCC) mit interdisziplinären Vorträgen, Diskussionen und einer Konsensusabstimmung durch eingeladene Experten statt [1]. Auf Initiative der Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK) haben sich im Dezember 2019 insgesamt 16 Pros­tatakarzinom-Experten der Schweiz (weitere 4 Experten waren verhindert, am Treffen teilzunehmen, haben aber am vorliegenden Text mitgearbeitet) aus verschiedenen Fachgebieten (Urologie, Onkologie, Radioonkologie, Nuklearmedizin, Pathologie, Radiologie) in Bern zu einem schweizerischen Konsensmeeting getroffen. Dabei wurden ausgewählte Fragen von der APCCC ausführlich im Plenum diskutiert, abgestimmt und Empfehlungen für die Schweiz vorgeschlagen. In Übereinstimmung mit der APCCC wird ein Konsens angenommen bei einer Übereinstimmung von mindestens 75% der Abstimmenden. Die nachstehenden Empfehlungen können als Grundlage für eine ­gemeinsame Entscheidungsfindung an interdisziplinären Tumorboards und im Gespräch mit Patienten behilflich sein.
Zur besseren Orientierung in den weiteren Kapiteln zeigt Abbildung 1 die aktuelle Therapielandschaft beim Prostatakarzinom auf.
Abbildung 1: Therapielandschaft des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms 2020.
ADT: Androgen-Deprivationstherapie; M0: kein Metatasennachweis mit Computertomographie/Szintigraphie; M1: Metastasen bildgebend nachgewiesen; OP: Operation; PSA: prostataspezifisches Antigen; RT: Radiotherapie.
* Noch keine Zulassung in der Schweiz für diese Indikation (Stand 10/2020).
** Lokale Therapie: RT oder Prostatektomie. ­
*** Salvage-RT bei PSA-Verdoppelungszeit <12 Monate oder Gleason-Score 8–10.

Das lokal fortgeschrittene ­Prostatakarzinom

Beim bildgebend nodal metastasierten Prostatakarzinom (cN1 cM0) findet sich ein Konsens für eine radikale lokale Therapie, wobei sich eine relative Mehrheit für eine Radiotherapie (RT) in Kombination mit einer Hormonentzugsbehandlung (Androgendeprivation [ADT], meist 18–36 Monate) ausspricht (31% RT + ADT, 69% RT + ADT oder Prostatektomie).
Bei Patienten mit Nachweis von Lymphknotenmetastasen (pN1) nach Prostatektomiemit Lymphadenektomie (unter der Voraussetzung, dass eine adäquate Gesamtzahl von Lymphknoten [LK] entfernt wurde) wird eine adjuvante RT (Prostataloge und Becken) wie folgt empfohlen: Bei bis zu 2 befallenen LK sprechen sich 71% für eine adjuvante RT aus (14% bei der Mehrzahl der Patienten, 57% bei ausgewählten Patienten); bei Befall von ≥3 LK befürworten 93% eine adjuvante RT (31% bei der Mehrzahl der Patienten, 62% bei ausgewählten Patienten). Ergänzend zur RT wird für Patienten mit pN1 eine antihormonelle Therapie empfohlen (alleinige ADT von 60% der Experten, in Kombination mit Abirateron von 20% und in Kombination mit Abirateron oder Docetaxel von 20%).

Biochemisches Rezidiv nach Lokaltherapie

Im Falle eines biochemischen Rezidivs nach radikaler Prostatektomie besteht ein Konsens (77%), die kürzlich von der «European Association of Urology» (EAU) publizierten Empfehlungen zu befolgen, die ein Vorgehen gemäss Risikostratifizierung vorschlagen [2]: Als «high risk» für das Auftreten von Metastasen werden Patienten mit einer Verdoppelungszeit des prostataspezi­fischen Antigens (PSA) <1 Jahr oder Gleason-Score 8–10 definiert und als «low risk», wenn diese beiden Risikofaktoren nicht vorliegen. Im Falle einer High-Risk-Situation wird eine frühe Salvage-Radiotherapie (sRT) nach moderner Bildgebung zum Ausschluss von Metastasen (z.B. PSMA-PET/CT1 oder PET/MR2, im weiteren Manuskript als PSMA-PET festgehalten) und bei PSA-Werten <0,5 ng/ml empfohlen, in der Low-Risk-Situation unter Einbezug des Patienten primär Verlaufskontrollen, solange die PSA-Verdoppelungszeit >1 Jahr beträgt.
Im Plenum diskutiert wurde die Frage, ab welchem PSA-Wert ein PSMA-PET empfohlen werden soll: Hier sprechen sich 50% für eine entsprechende Bildgebung bei PSA-Werten >0,2 ng/ml aus (43% empfehlen, die Entscheidung nicht nur auf den PSA-Wert abzustützen, sondern im Sinne der erwähnten EAU-Empfehlungen die Verdoppelungszeit und den Gleason-Score zu berücksichtigen). Kontrovers beurteilt wird die Frage, ob während der sRT grundsätzlich eine konkomittierende ADT durchgeführt werden soll (ja und nein je 46%). In der Diskussion sprach sich eine Mehrheit dafür aus, eine solche bei einem höheren PSA (zum Beispiel >0,7 ng/ml) und/oder Gleason-Score 8–10 für 6 Monate durchzuführen.
Für Patienten mit PSA-Anstieg nach abgeschlossener Lokaltherapie (Prostatektomie und sRT oder nach RT der Prostata) wird eine ADT nur bei ausgewählten Patienten empfohlen: Steigendes PSA >4 ng/ml mit einer Verdoppelungszeit von <6 Monaten oder PSA >20 ng/ml. Knapp ein Drittel der Abstimmenden spricht sich hingegen dafür aus, eine Langzeit-ADT nur bei nachgewiesenen Metastasen zu beginnen.

Metastasiertes hormonsensitives ­Prostatakarzinom (mHSPC)

Im Falle eines klinisch neu diagnostizierten metastasierten Prostatakarzinoms (Symptome, Bildgebung, PSA) erachtet es eine Mehrheit (67%) als notwendig, dass eine histologische Sicherung erfolgen soll. Es ist jedoch gemäss der Mehrheit (69%) zulässig, bei sym­ptomatischen Patienten bereits rasch mit einer ADT zu beginnen und die Biopsie dann je nach Verfügbarkeit zeitnah durchzuführen. Zu beachten ist jedoch, dass es nach Einleitung der ADT aufgrund von regessiven Veränderungen zu einem histologischen Upgrading kommt (Überschätzung des Gleason-Scores) und daher nach den S3-Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG; Version 5,1 Mai 2019) ein Grading nach Gleason nicht durchgeführt wird. Ein internationaler Standard eines Regressionsgradings für das Prostatakarzion existiert derzeit nicht.
Zur Frage der Behandlung des Primärtumors in der Prostata beiprimär metastasierter Erkrankung (mHSPC) besteht Konsens (93%), dass bei Vorliegen einer Low-Volume-Erkrankung (Definition CHAARTED-Studie [3]: keine viszeralen Metastasen und maximal 4 Knochenmetasen, keine ausserhalb Wirbelsäule und Becken) eine RT der Prostata durchgeführt werden sollte (signifikanter Überlebensvorteil gemäss STAMPEDE-Studie [4]). Einigkeit besteht auch, dass eine Extrapolation der Ergebnisse auf eine operative Therapie mittels Prostatektomie nicht zulässig ist (86%).
In Zusammenhang mit einer frühen Intensivierung der Therapie des mHSPC (zusätzliche Systemtherapie in Ergänzung zur ADT) war die Diskussion zur Bedeutung der verschiedenen Definitionen («high/low volume» [gemäss CHAARTED-Studie [3]] respektive «high risk» [gemäss LATITUDE-Studie [5]]) interessant: Es zeigt sich ein Konsens (93%), diese Definitionen im Alltag nicht zu unterscheiden.
Tabelle 1 zeigt eine Zusammenfassung der wichtigsten Resultate der bislang publizierten Studien beim ­mHSPC, die als Basis für die Diskussion herangezogen wurden. Bei einer High-Volume/Risk-Erkrankung zeigt sich ein Konsens für die zusätzliche Systemtherapie, wobei keine Präferenz zugunsten bestimmter Medikamente besteht, sondern sämtliche geprüften Substanzen wie die endokrinen Wirkstoffe Abirateron, Enzalutamid, Apalutamid3 oder die Chemotherapie mit Docetaxel als sinnvolle Optionen betrachtet werden (unabhängig davon, ob die Metastasierung metachron, d.h. nach lokaler Vorbehandlung aufgetreten ist, oder synchron [de novo], das heisst bei primärer Diagnosestellung bereits vorliegt). Bei einer Low-Volume-Erkrankung mit Metastasen bei Diagnosestellung (synchron/de novo) gibt es einen Konsens zur Bestrahlung des Primarius (vgl. oben) sowie zur zusätzlichen Sy­stemtherapie, wobei sich gleich viele Experten für irgendeine Form der Intensivierung (Docetaxel oder eine neue endokrine Therapie) wie für eine neue endokrine Therapie (also gegen Docetaxel) aussprechen. Im Falle einer metachronen Metastasierung (d.h. systemische Erkrankung nach Therapie des Primärtumors) besteht keine Mehrheit für eine zusätzliche Therapie: 45% sprechen sich für eine neue endokrine Therapie aus, wohingegen 36% eine alleinige ADT empfehlen. Anzumerken ist, dass die Prognose bei einer Low-Volume/Risk-Erkrankung insgesamt sehr gut ist (mittleres Überleben >7 Jahre) und am besten im Falle einer metachronen Metastasierung. Dies bedeutet in der Regel auch, dass neue endokrine Therapien bei einer Low-Volume/Risk-Erkrankung deutlich länger als bei einer High-Volume/Risk-Erkrankung eingenommen werden und entsprechend teurer sind. Als Grundsatz für sämtliche ausgeführten Behandlungen gilt, dass diese nur bei fehlenden Kontra­indikationen sowie bei Patienten in gutem Allgemeinzustand mit guter Lebensqualität und einer Lebenserwartung von mindestens 3 Jahren empfohlen sind.
Tabelle 1: Übersicht zu den randomisierten Phase-III-Studien beim metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom (mHSPC).
StudieNMediF/U
(mos)
Primärer ­EndpunktDe novo
M1
OS 
low M1OS 
high M1Anmerkungen
GETUG-15
(Lancet Oncology 2013 [8])
385Doce83,9OS45–55%Nein(Ja)Low vs. high: post hoc
CHAARTED
(NEJM 2015 [3])
790Doce57,6OS25–75%NeinJaLow vs. high: post hoc
STAMPEDE Docetaxel
(Lancet 2016 [9])
1086
(2:1)
Doce78,2OS95%JaJaLow vs. high: post hoc
LATITUDE
(NEJM 2017 [5])
1199Abi41,4OS100%-JaNur high risk
STAMPEDE Abiraterone
(NEJM 2017 [10])
1002Abi40OS95%JaJaLow vs. high: post hoc
STAMPEDE RT lokal
(Lancet 2018 [4])
2061RT37OS100%JaNeinGeplante Sub­gruppen-Analyse
ARCHES
(JCO 2019 [11])
1150Enza14,4rPFS70%JaJaOS noch nicht reif
+ Docetaxel 18%
ENZAMET
(NEJM 2019 [12])
1125Enza34OS58%JaJaNSAA-Kontrolle
+ Docetaxel 45%
TITAN
(NEJM 2019 [13])
1052Apa22,7rPFS/OS82%JaJa+ Docetaxel 11%
Abi: Abirateron; Apa: Apalutamid; Doce: Docetaxel; Enza: Enzalutamid; F/U: Follow-up; low/high M1: low/high volume metastatic disease; NSAA: nichtsteroidales Antiandrogen; RT: Radiotherapie; OS: overall survival; rPFS: radiographic progression free survival.
Bei anaplastischem/aggressivem Phänotyp (Gleason-Score >8, multiple Lebermetastasen und/oder lytische Knochenmetastasen, PSA <20 ng/ml) empfiehlt eine Mehrheit (62%), die chemo-hormonelle Therapie mit Docetaxel und knapp ein Drittel (31%) eine platin­basierte Therapie zusätzlich zur ADT.

Das oligometastasierte Prostatakarzinom (OMD)

Der Frage nach ablativen Therapien bei oligometastasierter Erkrankung («oligometastatic disease» [OMD]) ging eine Diskussion um die Definition der OMD voraus: Eine eindeutige Mehrheit (69%) vertritt die Meinung, dass maximal 3–5 Metastasen in LK oder Knochen (aber keine viszeralen Metastasen) vorliegen dürfen. Immerhin 19% sind der Meinung, dass eine «Oligometastasierung» beim Prostatakarzinom keine klinisch relevante Entität darstellt. Zwei Drittel der Abstimmenden betrachten zusätzlich die Unterscheidung synchrone versus metachrone Metastasierung als relevant und 62% empfehlen, in Ergänzung zur Computertomographie und Knochenszintigraphie auch eine PSMA-PET-Untersuchung durchzuführen.
Als Therapieziel einer fokal-ablativen Behandlung aller Metastasen sehen a) 23% eine Verlängerung der Zeit ohne ADT, b) 15% eine Verlängerung des Progressions-freien Überlebens, c) 8% eine Verbesserung der Pro­gnose (Gesamtüberleben) und 31% alle Punkte von a–c. Die übrigen empfehlen keine fokal-ablative Therapie bei OMD. Es ist festzuhalten, dass nur sehr wenige prospektive Daten zur Therapie bei OMD vorliegen und bislang kein Überlebensvorteil für eine fokal-ablative Behandlung gezeigt werden konnte.
Bei einer de novo (synchronen) OMD zeigt sich ein Konsens (80%) für die Empfehlung einer Systemtherapie in Ergänzung zur lokalen Therapie, wobei 20% eine solche auf den Primärtumor beschränken und 53% den Primärtumor und alle Metastasen therapieren würden. Hingegen sprechen sich 20% für alleinige Lokaltherapie ohne Systemtherapie aus.
Bei einer metachronen OMD ergibt sich ein Konsens (92%) für eine PSMA-PET als diagnostische Bildgebung bei steigendem PSA, jedoch nur 54% empfehlen eine Systemtherapie und Therapie aller Läsionen und 38% alleinige lokale Massnahmen (ohne Systemtherapie).

Kastrationsresistentes Prostatakarzinom (CRPC)

Beim Thema der kastrationsresistenten Erkrankung («castration-resistant prostate cancer» [CRPC]) wurden zunächst Patienten besprochen, bei denen sich keine Metastasen nachweisen lassen (nichtmetastasiert M0 CRPC). Drei grosse randomisierte Studien haben für den Einsatz einer endokrinen Therapie (SPARTAN-Studie: Apalutamid; ARAMIS-Studie: Darolutamid; PROSPER-Studie: Enzalutamid) einen statistisch signifikanten Vorteil in der Zeit bis zum Auftreten von Metastasen gezeigt bei Patienten mit M0 CPRC und fehlendem Metastasen-Nachweis mit Computertomographie und Szintigraphie sowie einem PSA von mindestens 2 ng/ml und einer PSA-Verdoppelungszeit von weniger als 10 Monaten. Für Apalutamid und Enzalutamid liegt in dieser Situation eine Zulassung in der Schweiz vor. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass eine Extrapolation der Ergebnisse der Studien ARAMIS, PROSPER und SPARTAN auf Patienten mit einer PSA-Verdoppelungszeit von >10 Monaten nicht zulässig ist, und die Mehrheit (71%) empfiehlt Metastasen mittels PSMA-PET zu suchen. Wenn ein M0 CRPC vorliegt, haben 67% keine Präferenz bei der Therapiewahl (Apalutamid, Darolutamid, Enzalutamid), 25% empfehlen Darolutamid (aufgrund vermutlich weniger zentralnervöser Nebenwirkungen).
Für die metastasierte kastrationsresistente Situation (mCRPC) besteht Einigkeit (100%), dass ein Therapiewechsel erst bei 2 von 3 Progressionskriterien (PSA, Klinik, Bildgebung) durchgeführt werden soll. Bezüglich der Sequenz besteht Konsens (85%) darin, nach Versagen von Enzalutamid kein Abirateron zu verwenden (biochemisches Ansprechen in nur 1–4%). Umgekehrt spricht sich die Hälfte der Abstimmenden dafür aus, bei einer Minderzahl von ausgewählten Patienten nach Versagen auf Abirateron eine Therapie mit Enzalutamid vorzunehmen (z.B. nach einem Ansprechen für mindestens 6 Monate) und die andere Hälfte empfiehlt, grundsätzlich nach einer Therapie mit Abirateron kein Enzalutamid zu verwenden (bei wahrscheinlicher Kreuzresistenz). Es besteht Konsens (79%), dass Bicalutamid (ausser bei Beginn der ADT zur Flare-Protektion) keinen Stellenwert beim mCRPC mehr hat. Eine Lutetium-PSMA-Therapie befürworten (bei positiven Befunden in der Bildgebung) für eine Mehrheit der Patienten nur 38% und 62% bei ausgewählten Patienten. Es besteht Konsens (86%), für diese Therapieentscheidung als Bildgebung ein PSMA-PET und eine FDG-PET/CT-Untersuchung durchzuführen (analog der wichtigsten Studie in diesem Bereich, einer nicht randomisierten Phase-II-Studie, zum Ausschluss von PSMA-negativen Tumoranteilen [5]).
Einigkeit (100%) besteht darin, Cabazitaxel frühestens nach einer neuen endokrinen Therapie und Docetaxel einzusetzen (wobei die Vortherapie auch bei kastra­tionssensitiver Erkrankung stattgefunden haben kann). Eine Mehrheit (62%) empfiehlt den Einsatz von 223Radium nur bei einer Minorität ausgewählter Patienten (23% nach mindestens einer antihormonellen Therapie und Docetaxel [bei fehlender Kontraindikation für eine Chemotherapie] und 15% nach mindestens einer endokrinen Therapie).

Erhaltung der Knochengesundheit bei Patienten mit Prostatakarzinom

In Zusammenhang mit dem Thema Knochengesundheit besteht Konsens (83%), bei einer langfristigen ADT (>6 Monate) neben den bekannten Risikofaktoren (Rauchen, Kortikosteroide, positive Familienanamnese, Vorgeschichte für Frakturen, Rheumatoide Arthritis, übermässiger Alkoholkonsum, erhöhter Body Mass Index zur Berechnung des FRAX-Risiko-Scores [6]) auch eine geplante Behandlung mit neuen antihormonellen Therapien oder 223Radium mit einzubeziehen. Letztere Therapien führen zu einem starken Anstieg der Rate an osteoporotischen Frakturen (je nach Kombination 10%–35%). Kontrovers beurteilt wurde der Stellenwert einer Knochendichtemessung: 27% sehen eine Indikation dafür bei der Mehrheit der Männer, 47% in ausgewählten Situationen und 27% geben keine routinemässige Empfehlung für diese Untersuchung. Der Grund für Letzteres dürfte der unabhängig vom Befund geplante Einsatz einer osteoprotektiven Therapie sein. In der weiteren Diskussion fand der Vorschlag breite Akzeptanz, neben allgemeinen Massnahmen wie einer Empfehlung zum Rauchstopp, körperlicher Aktivität und Substitution von Kalzium (500–1000 mg pro Tag abhängig von nutritiver Zufuhr) und Vitamin D3 (800 Einheiten pro Tag) bei alleiniger ADT den FRAX-Score zu bestimmen und im Falle erhöhter Werte eine Knochendichtemessung durchzuführen beziehungsweise im Falle einer neuen endokrinen Therapie entweder eine Knochendichtemessung zu veranlassen oder direkt mit Zoledronat (einmal jährlich 5 mg intravenös) oder Denosumab (60 mg Denosumab [Prolia®] alle 6 Monate subkutan) zu behandeln. Der vorgeschlagene Algorithmus ist in Abbildung 2 dargestellt.
Abbildung 2: Evaluation und Therapie der Knochengesundheit bei Männern mit Prostatakarzinom. Anmerkung: Der Algorithmus gilt für Patienten mit hormonsensitiver Erkrankung (mit und ohne Knochenmetastasen).

Molekulare Analysen

Insbesondere im Hinblick auf neue Therapieoptionen wie zum Beispiel PARP-Inhibitoren (PARP: Poly[ADP-ribose]-Polymerasen) und Immuntherapien spricht sich die Mehrheit der Abstimmenden für genomische Untersuchungen im Tumorgewebe aus, wobei der empfohlene Zeitpunkt unterschiedlich beurteilt wird: Je 29% sprechen sich für eine Testung nach a) mindestens einer Chemotherapie und einer neuen endokrinen Therapie respektive b) nach Versagen aller Standardoptionen aus. Für eine Testung während der ersten Therapie sprechen sich 14% aus und 29% gegen eine routinemäs­sige Testung. Im Falle einer Testung besteht Konsens darin (92%), im Tumorgewebe ein ausgedehntes Panel durchzuführen, das die somatischen homologen rekombinanten Mutationen der Gene BRCA1/2, PALB2, RAD51, PTEN, PI3K, SPOP, CDK1 und ATM beinhaltet. Zusätzlich sollten die DNA-Mismatch-Repair-Gene oder -Proteine im Hinblick auf eine Mikrosatelliteninstabilität untersucht und der «tumor mutational burden» bestimmt werden. Konsens (92%) besteht auch darin, bei nachgewiesener BRCA1- oder BRCA2-Keimbahnmutation mit dem PARP-Inhibitor Olaparib oder mit Carboplatin zu behandeln. Die Testungen sollten vorzugsweise im Tumorgewebe einer Metastase durchgeführt werden. Falls kein Tumorgewebe aus Metastasen verfügbar oder zu gewinnen ist, ist eine Testung am Primärtumor möglich.

Besondere Patientenpopulationen

Da sich Patienten im Alltag häufig von typischen Studienpatienten (jünger, weniger Begleiterkrankungen, höhere Leistungsfähigkeit) unterscheiden, wurde diskutiert, ob sich Wirksamkeitsdaten aus Studien auf den Alltag übertragen lassen, was von 80% bejaht wird. Ein Konsens besteht jedoch auch, dass dies für Toxizität nicht zutrifft, da im Alltag eher mit mehr unerwünschten Wirkungen zu rechnen ist. Aus diesem Grund spricht sich eine Mehrheit (71%) dafür aus, bei allen Patienten >70 Jahre ein einfaches geriatrisches Assessment durchzuführen (z.B. G8-Fragebogen [7] und Mini-Mental-Test); 21% vertreten die Meinung, dass dies nur bei einer Minderzahl der Patienten nötig ist (da der klinische Eindruck bereits viele Informationen gebe).

Supportive Therapien

Schliesslich wurden auch Massnahmen zur Behandlung von unerwünschten Wirkungen der endokrinen Therapien erörtert. Bei der Behandlung von Hitzewallungen besteht kein Konsens: Es werden Cyproteron­acetat (67%) und komplementärmedizinische Verfahren wie Akupunktur (22%) sowie Venlafaxin (11%) empfohlen. Ein Konsens (85%) besteht, dass körperliche Aktivität die geeignetste Massnahme zur Prophylaxe und Behandlung von Fatigue darstellt.
Bettina Althaus vom Koordinationszentrum der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) wird für die ausgezeichnete Koordination und Organisation herzlich gedankt. Die Autoren danken auch den Firmen Astellas, Bayer, Janssen, MSD, Roche und Sanofi für die Ermöglichung des Treffens durch «unrestricted grants». An die Autoren wurde kein Honorar bezahlt. Keine der Firmen war bei der Auswahl und Formulierung der Fragen, den Abstimmungen, der Interpretation Ergebnisse oder beim Verfassen des vorliegenden Textes beteiligt.
AT: Vortragshonorare: Astellas, Sanofi (Inst); Advisory board: Astellas, MSD, BMS (Inst), MSD (Inst), Janssen (Inst), Roche (Inst), Sanofi (Inst); Kongress-/Reiseunterstützung: Sanofi, Janssen, Ipsen, Roche; Consulting für BMS (Inst), MSD (Inst), Sanofi (Inst); Writing support for paper: Medivation. MLA: Consulting für Bayer, BMS, Amgen Astellas, JanssenCilag, Merck, Novartis, Roche and SanofiAventis. DB: Consulting für Bayer, Astellas, Janssen; ohne Bezug zum Artikel. JB: Lecture Fees von Bayer, Janssen, Roche, Astellas, Sanofi; ohne Bezug zum Artikel. SB: Advisory-Rolle und Reiseunterstützung: Astra Zeneca, Janssen, Lilly, MSD, Roche, Pfizer. IAB: Research grants und Speaker Honorarium von GE Healthcare; Research grants von Swiss Life; Speaker Honorarium von Bayer Health Care, Astellas Pharma AG. DE: Grants und persönliche Honorare von Janssen-Cilag AG, persönliche Honorare von Bayer (Schweiz) AG, Grants und persönliche Honorare von Astellas Pharma AG, Grants von Amgen Switzerland AG, Pfizer AG, EDAP TMS, Meddiscovery, ohne Bezug zum Artikel. SGS: persönliche (und institutionelle) Honorare von Sanofi, Orion, Roche, Janssen Cilag, anderes von Menarini Silicon Biosystem (Inst), Bayer (Inst), AAA International (Inst), ProteomediX (Reiseunterstützung), Toledo Pharmaceutical (Inst), Takeda (Inst), Glaxo (Inst), Pfizer (Inst), Gilead (Inst), Incyte (Inst), Basilea (Inst), BMS (Inst), MSD (Inst), Grants (Inst) sowie persönliche Honorare und anderes (Inst) von Astellas Pharma, persönliche Honorare von Amgen; ohne Bezug zum Artikel; zudem hat SGS ein Patent NO20009138392 lizenziert. RG: Reiseunterstützug von Astra Zeneca, Roche; Advisory Boards: Astellas, Lilly; Invited Speaker Astellas, Roche. MK: Honoraria, Kongress-/Reiseunterstützung: Sanofi Aventis. AM: keine. AO: Advisory-Rolle (Bezahlung an Institution): Astra Zeneca, Astellas, Bayer, Janssen, Molecular Partners, MSD, Pfizer, Roche, Sanofi Aventis; Forschungsunterstützung (an Institution): Teva, Janssen. Reiseunterstützung: Astellas, Bayer, Sanofi, Janssen; Speakers Bureau (Inst): Astellas, Bayer. AP: persönliche Honorare von Merck, Sanofi, AstraZeneca sowie nicht finanzielle Unterstützung von Calypso, Bayer, Astellas, AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Amgen; ohne Bezug zum Artikel. CAR: keine. NS: keine. HPS: keine. FS: Advisory boards und Reiseunterstützung von Roche, BMS, Astellas, Sanofi, MSD, Bayer. SW: keine. TZ: Honoraria/Reiseunterstützung von Janssen, Amgen, Ferring, Debiopharm, Bayer, Astellas; ohne Bezug zum Artikel. RC: Advisory-Rolle (Inst) für Astellas, Bayer, Sanofi, Roche, MSD, BMS, Pfizer, Ipsen, Janssen, Astra Zeneca, Reiseunterstützung: Astra Zeneca; ohne Bezug zum Artikel.
PD Dr. med.
Arnoud J. Templeton
Leitender Arzt Onkologie
Claraspital Basel
CH-4058 Basel
arnoud.templeton[at]claraspital.ch

PD Dr. med.
Richard Cathomas
Stv. Chefarzt Onkologie/Hämatologie
Kantonsspital Graubünden
CH-7000 Chur
richard.cathomas[at]ksgr.ch
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