Mister Shulman: Ein Athlet verliert seine Flexibilität

Mister Shulman: Ein Athlet verliert seine Flexibilität

Fallberichte Online
Édition
2022/00
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.08695
Swiss Med Forum. 2022;22(00):

Publié le 01.01.2022

 Ein 45-jähriger, bisher gesunder und hoch leistungsfähiger Langdistanz-Triathlet wurde der Poliklinik zugewiesen. Er beschrieb eine seit fünf Monaten bestehende, stetig voranschreitende Leistungsminderung.

Hintergrund

Seltene Ursache für einen Leistungsknick bei einem Sportler
Die Gründe für einen Leistungsknick bei Sport­ler:innen sind zahlreich. Auch die klinischen Zeichen unseres Patienten, eine schmerzlose Schwellung der unteren Extremität, eingeschränkte Beweglichkeit und Kribbelparästhesien, sind unspezifisch. Erst das Gesamtbild aus Anamnese, Klinik und auffälligen Werten in der Laboranalyse haben uns an die sehr seltene Diagnose einer eosinophilen Fasziitis (Morbus Shulman) denken lassen.  

Fallbericht

Anamnese

Ein 45-jähriger, abgesehen von einer Schilddrüsenunterfunktion bisher gesunder und hoch leistungsfähiger Langdistanz-Triathlet wurde unserer Poliklinik zugewiesen. Er beschrieb eine seit fünf Monaten bestehende, stetig voranschreitende Leistungsminderung. Anfänglich bemerkte der Patient eine Verspannung und Verkürzung der Wadenmuskulatur beidseits mit Verlust der Kontur. Im weiteren Verlauf dehnte sich die Symptomatik symmetrisch auf die oberen Extremitäten aus. Ein nächtliches Einschlafen der Hände konnte durch ­Aktivierung der Muskulatur jeweils rasch behoben ­werden. Im Vorfeld durchgeführte Untersuchungen (Hausarzt, Rheumatologie, Neurologie) hatten keine wegweisenden Befunde ergeben. Ein Nervenkompres­sionssyndrom wurde ausgeschlossen. An ein geregeltes Training war nicht zu denken. Das Rennrad konnte nicht mehr normal bestiegen werden.

Status

Der Patient präsentierte sich in gutem Allgemein- und schlankem Ernährungszustand. Die körperliche Untersuchung zeigte eine leicht eingeschränkte aktive und passive Beweglichkeit der unteren und oberen Extremitäten sowie sehr diskrete Unterschenkelödeme. Er war kardiopulmonal kompensiert. Der neurologische Status und das Integument wiesen keine Besonderheiten auf.

Befunde/Diagnose

Im Labor zeigte sich initial eine milde, später eine ausgeprägte Eosinophilie (2,43 G/l), eine leichte Hypergammaglobulinämie (16,9 g/l) sowie ein CRP von 11 mg/l bei einer normalen Blutsenkungsreaktion. In der MRT der Unterschenkel zeigte sich eine Kontrastmittelanreicherung der oberflächlichen und tiefen Unterschenkelfaszien sowie ein geringes Muskelödem. Hinweise auf eine Nekrose lagen nicht vor. Die Verdachtsdiagnose einer eosinophilen Fasziitis wurde mittels Biopsie der Haut, Unterhaut und Faszie der medialen Wade bestätigt (Abb. 1).
Abbildung 1:
Histologie der Faszie mit Infiltration eosinophiler Granulozyten (Pfeile). ­HE-Färbung, 400-fache Vergrösserung.

Therapie

Die initiale Therapie bestand aus einem intravenös verabreichten Steroidstoss (1000 mg Prednisolon pro Tag für drei Tage), gefolgt von Prednisolon 1 mg/kg/Tag per os. Nach zwei Wochen zusätzlich Beginn mit Methotrexat subkutan (Aufdosierung bis 20 mg pro Woche) als steroidsparende Basistherapie. Begleitend wurde eine Physiotherapie zur Verbesserung und Erhaltung der Muskel- und Gelenkfunktion durch­geführt. Prednison konnte über einen Zeitraum von zwölf, Methotrexat über einen Zeitraum von 15 Monaten ausgeschlichen werden. Eine immunmodulierende Therapie war seither nicht mehr notwendig.
Verlauf Bereits nach einer Woche waren die Symptome rückläufig und nach zwei Monaten konnte der Patient sein sportliches Training, wenn auch in deutlich reduziertem Umfang, wieder aufnehmen. Knapp drei Monate nach Therapiebeginn lagen im Alltag kaum mehr Einschränkungen vor, passend zum Befund der Verlaufs-MRT, die eine vollständige Regredienz des Muskelödems sowie ein beinahe komplettes Verschwinden der entzündlichen Infiltrate zeigte (Abb. 2). Ebenfalls normalisiert hatten sich die zu Beginn ausserhalb des Referenzbereiches liegenden Laborbefunde. Ausser ­einer selbstlimitierenden Steroidakne, Durchschlafschwierigkeiten sowie eines leicht erhöhten Bilirubins sind keine Nebenwirkungen aufgetreten. Eineinhalb Jahre nach Diagnosestellung erfreut sich der Patient ­einer guten Gesundheit. Sein Trainingspensum konnte er an frühere Werte annähern.
Abbildung 2:
MRT-Bild des Unterschenkels bei Diagnosestellung (links) mit Kontrast­mittel-Enhancement der Faszie (Pfeile) als Zeichen der Entzündung. Rechts Verlaufsbild drei Monate nach Therapiebeginn mit beinahe vollständiger Regredienz der Fasziitis. 

Diskussion

Die eosinophile Fasziitis (EF) ist eine seltene, fibrosierende Bindegewebserkrankung, die durch Lawrence Shulman 1974 erstmalig beschrieben wurde [1]. Gekennzeichnet ist sie durch einen abrupten Beginn mit symmetrischen, oft schmerzhaften Ödemen, gefolgt von ­einer Phase mit stetig zunehmender Induration und Verdickung des subkutanen Bindegewebes, hervorgerufen durch einen fibrösen Umbau. Bevorzugt betroffen sind die distalen Extremitäten, wobei die Unterschenkel häufiger beteiligt sind als die Vorderarme. Eine Ausdehnung auf den Rumpf ist beschrieben und geht mit einer schlechteren Prognose einher. Die Hände, Füsse und das Gesicht bleiben meist ausgespart [2].
Die Ätiologie der Erkrankung ist unklar. In 28 bis 46% der Fälle ist eine Assoziation zu intensiver körperlicher Anstrengung oder Traumata beschrieben. Eine arzneimittelinduzierte EF wird bei unterschiedlichen Me­dikamenten vermutet (z.B. Statine, ACE-Hemmer, ­Phenytoin, Natalizumab). Weiter wird ein möglicher Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen (z.B. Hashimoto-Thyreoiditis, Zöliakie, rheumatoide Arthritis) oder Infektionskrankheiten (Borreliose) diskutiert. Bei 15% der Patient:innen wird eine hämatologische Neoplasie oder ein solides Malignom gefunden, was in der Diagnostik entsprechend berücksichtigt werden sollte. Bei unserem Patienten kommen in erster Linie eine intensive, körperliche Anstrengung im Rahmen des Triathlontrainings oder eine die Schilddrüse betreffende Autoimmunerkrankung (substituierte Hypothyreose bei Status nach Radiojodtherapie bei M. Basedow) als potenzieller Auslöser in Frage [3].
Typische kutane Zeichen neben den Ödemen und ­einem Erythem sind aufgrund der Sklerosierung der tiefen Dermis und Muskelfaszien der «Peau d’orange»-Aspekt (Pseudocellulite), das «groove sign» (Rillenzeichen, lineare Vertiefungen entlang der Hautvenen) [4] und das «prayer sign», bei dem aufgrund der Fasziitis der Unterarme kein Aneinanderlegen der Hand- und Fingerinnenflächen zur Gebetsposition mehr möglich ist. Morpheaartige Plaques kommen vor, sind aber wie die oben genannten Hautzeichen unspezifisch und können häufig auch fehlen.
An extrakutanen Manifestationen sind Gewichtsverlust, Muskelschwäche, Myalgien, Gelenkskontrakturen und Arthritiden zu nennen. Neuropathien wie zum Beispiel das Karpaltunnelsyndrom sind ebenfalls beschrieben. Äusserst selten und mit einer schlechteren Prognose einhergehend ist ein viszeraler Befall.
Im Labor findet sich in 58 bis 85% der Fälle eine Eosinophilie, in 35 bis 46% eine Hypergammaglobulinämie und in 16% eine monoklonale Gammopathie, begleitet typischerweise von erhöhten Entzündungsparametern. Die Biopsie der Kutis, Subkutis und Faszie gilt als Goldstandard der Diagnosestellung, wobei ein Ödem sowie entzündliche Infiltrate im Bereich der Faszie zwingend vorhanden sein müssen. Der histologische Nachweis von infiltrierenden eosinophilen Granulo­zyten stützt die Diagnose, deren Fehlen schliesst die Diagnose der EF jedoch nicht aus. Eine Bildgebung mittels MRT kann helfen, eine geeignete Lokalisation für die Biopsie zu finden und dient zur Beurteilung des Verlaufs und des Therapieerfolges. Durch Pinal-Fernandez et al. wurden 2014 Diagnosekriterien erarbeitet, welche die Biopsie nicht mehr als absolute Voraussetzung aufführt (Tab. 1). Die Validierung dieser Kriterien ist jedoch ausstehend [5].
Tabelle 1:
Vorgeschlagene Kriterien für die Diagnosestellung
Hauptkriterien 1. Symmetrische oder asymmetrische, diffuse (Extremitäten, Rumpf, Bauch) oder lokalisierte (Extremitäten) Schwellungen, Verhärtungen und Verdickungen der Haut und des Unterhautgewebes.
2. Keilbiopsie der klinisch betroffenen Haut, Unterhaut und Faszie, die eine fasziale Verdickung mit Ansammlung von Lymphozyten und Makrophagen mit oder ohne Eosinophilie aufweist.
Nebenkriterien 3. Periphere Eosinophilie >0,5 × 109/l
4. Serum-Hypergammaglobulinämie >1,5 g/l
5. Muskelschwäche und/oder erhöhter Serum-Aldolase-Spiegel
6. Groove sign und/oder Peau d’orange-artige Haut
7. Hyperintense Faszie in der T2-gewichteten MRT
Ausschlusskriterium Diagnose Systemische Sklerose
Zur Diagnosestellung braucht es gemäss Vorschlag der Autoren [5] entweder beide Hauptkriterien oder ein Hauptkriterium und mindestens zwei Nebenkriterien und den Ausschluss der Differenzialdiagnose Systemische Sklerose.
Die Seltenheit der EF und die unspezifische Symptomatik erschweren die Abgrenzung von anderen sklerosierenden Hautkrankheiten und erklären die durchschnittliche Zeitspanne von zwölf Monaten zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der korrekten Diagnosestellung. Die häufigste Fehldiagnose ist die Systemische Sklerose (SSc). Im Unterschied zur SSc befällt die EF praktisch nie das Gesicht oder die Finger- und Zehenendglieder. Ein Raynaud-Phänomen und Sklerodaktylie sind bei der EF nicht beschrieben. Histologisch ist oftmals eine klare Unterscheidung möglich, da nur die EF auch die Faszien befällt. Ebenso ist bei der SSc im Gegensatz zur EF typischerweise ein erhöhter ANA-Titer nachzuweisen [3].
Die Behandlung der EF stellt eine Herausforderung dar. Die vorliegenden Daten stammen hauptsächlich aus retrospektiven Analysen von Fallserien. Randomisierte, verblindete Studien gibt es nicht. Erschwerend kommt einerseits hinzu, dass es für die Evaluation des Therapieansprechens keine validierten Verlaufsparameter gibt, andererseits, dass sich die EF in eine ­ödematös-inflammatorische Phase, gefolgt von einer fibrosierenden Phase, unterteilen lässt. Letztere spricht nicht auf eine immunsuppressive Therapie an, weshalb es wichtig ist, die Behandlung möglichst früh zu beginnen. Basistherapie ist der systemische Einsatz von Steroiden. Das beste klinische Ansprechen wurde unter einer initialen hochdosierten intravenösen Methylprednisolontherapie (500 – 1000mg/Tag für drei Tage) gefolgt von Prednisolon 0,5 – 1 mg/kg/Tag be­obachtet. Die frühe Kombination mit Methotrexat führt im Vergleich zur alleinigen Steroidtherapie zu ­einer Verdoppelung der kompletten Remissionsraten (64 versus 30%) [6].
Die durchschnittliche Therapiedauer variiert je nach Fallserie stark und liegt zwischen 18 und 46 Monaten. Weitere Immunsuppressiva, zum Beispiel Mycophenolat-Mofetil, Ciclosporin, Sirolimus, Infliximab, Rituximab, Azathioprin und Tocilizumab werden in Fallberichten als Therapeutika genannt. Eine Aussage zu deren Wirksamkeit lässt die Datenlage jedoch nicht zu. Wichtiger Bestandteil der Therapie ist der frühzeitige Beginn einer gezielten Physiotherapie zur Verbesserung der Muskelfunktion und Prävention von Ge­lenkskontrakturen, welche die Lebensqualität von Patient:innen mit einer EF entscheidend be­einflussen.

Das Wichtigste für die Praxis

  • Die eosinophile Fasziitis ist eine seltene und wahrscheinlich unterdiagnostizierte Bindegewebserkrankung, die Patient:innen jeden Alters betreffen kann und sich sehr unterschiedlich präsentiert. Bei zunehmender symmetrischer Schwellung und Induration der distalen Extremitäten in Kombination mit einer Blut-Eosinophilie sollte an diese Differenzialdiagnose gedacht werden.
  • Die häufigste Fehldiagnose ist die Systemische Sklerose.
  • Zur Sicherung der Diagnose ist eine Biopsie der Kutis, Subkutis und Faszie der Goldstandard.
  • Die Kombination von Glukokortikoiden und Methotrexat stellt die Therapie der Wahl dar. Ein früher Therapiebeginn ist mit einem besseren Outcome verbunden.
  • Physiotherapie zur Prävention von Gelenkskontrakturen ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie und beeinflusst die Lebensqualität erheblich.
Wir danken Herrn PD Dr. med. Joachim Hohmann, Institut für Radiologie am Kantonsspital Winterthur, für die Bereitstellung der MRI-Bilder.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Miriam Hofmann
Tösstalpraxis
Tösstalstrasse 24
CH–8483 Kollbrunn
m.hofmann[at]hin.ch
1 . Diffuse fasciitis with hypergammaglobulinemia and eosinophilia: a new syndrome? J Rheumatol. 1974;1:46. PubMed
2 . Eosinophilic fasciitis: an updated review on diagnosis and treatment. Curr Rheumatol Rep. 2017 Nov;19(12):74. http://dx.doi.org/10.1007/s11926-017-0700-6 PubMed
3 . Eosinophilic fasciitis: current concepts. Clin Dermatol. 2018 Jul - Aug;36(4):487–97. http://dx.doi.org/10.1016/j.clindermatol.2018.04.006 PubMed
4 . Groove sign of eosinophilic fasciitis. J Clin Rheumatol. 2017 Apr;23(3):169. http://dx.doi.org/10.1097/RHU.0000000000000524 PubMed
5 . Diagnosis and classification of eosinophilic fasciitis. Autoimmun Rev. 2014 Apr-May;13(4-5):379–82. http://dx.doi.org/10.1016/j.autrev.2014.01.019 PubMed
6 . Epidemiology and Treatment of Eosinophilic Fasciitis: An Analysis of 63 Patients From 3 Tertiary Care Centers. JAMA Dermatol. 2016 Jan;152(1):97–9. http://dx.doi.org/10.1001/jamadermatol.2015.3648 PubMed